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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 06.09.2006
Aktenzeichen: 2 St OLG Ss 170/06
Rechtsgebiete: StPO, TKG


Vorschriften:

StPO § 44 Abs. 1 Satz 1
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO § 345 Abs. 2
TKG § 148 Abs. 1 Nr. 1
TKG § 89 Satz 1
1. Die Vorschrift des § 44 Abs. 1 Satz 1 StPO ist kein Instrument zur Heilung von Qualitätsmängeln einer grundsätzlich fristgerechten Prozesshandlung. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Nachholung oder Nachbesserung einzelner Verfahrensrügen ist daher regelmäßig ausgeschlossen.

2. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Revisionsanträge und ihre Begründung gemäß § 345 Abs. 2 StPO zu Protokoll der Geschäftsstelle angebracht worden sind.

3. Auch nach der Neufassung des Telekommunikationsgesetzes zum 26. Juni 2004 verstößt die (Blankett-) Strafvorschrift des § 148 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 89 Satz 1 TKG nicht gegen Verfassungsrecht. Bedeutungsinhalt und Tragweite der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale des strafbewehrten Abhörverbots sind für jedermann erkennbar.


Oberlandesgericht Nürnberg BESCHLUSS

2 St OLG Ss 170/06

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie der Richter am Oberlandesgericht ... und ...

in dem Strafverfahren

wegen Verstoßes gegen das Telekommunikationsgesetz

am 6. September 2006

einstimmig beschlossen:

Tenor:

I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts N vom 26. April 2006 wird als unbegründet verworfen.

II. Der Revisionsführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht S hat den Angeklagten am 4.8.2005 wegen "unerlaubten Abhörens von Nachrichten" nach den §§ 89, 148 TKG zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20,- € verurteilt und den Funkscanner "Alinco" Typ DJ-X3 eingezogen.

Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht N am 26.4.2006 unter Verwerfung des Rechtsmittels im Übrigen das Urteil dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15,-- € verurteilt wird.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Nach Erhalt der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg vom 17.7.2006 stellte er zudem den Antrag, ihm Wiedereinsetzung zur weiteren Begründung der Revision hinsichtlich schon geltend gemachter Verfahrensfehler einzuräumen.

II.

Die Revision des Angeklagten ist nur mit der Sachrüge zulässig erhoben (§§ 333, 341 Abs.1, 344 Abs. 1, 345 StPO). Sie ist jedoch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Eine gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ordnungsgemäß ausgeführte Verfahrensrüge ist nicht erhoben.

a) Nach dieser Vorschrift muss der Beschwerdeführer, der eine Verletzung des Verfahrensrechts geltend machen will, die den Mangel begründenden Tatsachen angeben.

Dies hat so vollständig und so genau zu geschehen, dass das Revisionsgericht allein auf Grund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen werden (stRspr., vgl. Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 344 Rn. 24 m.w.N.). Die der Revisionsbegründung beigefügten Ablichtungen des Sitzungsprotokolls und des Berufungsurteils genügen diesen Anforderungen in keiner Weise. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, den an sich veranlassten Revisionsvortrag aus jenen überwiegend nicht relevanten Unterlagen selbständig herauszufiltern und jeweils an passender Stelle zu ergänzen (Meyer-Goßner a.a.O. § 344 Rn. 21 m.w.N.).

b) Der am 25.7.2006 zusammen mit einer Ablichtung der Urkunde über die Zustellung der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft eingegangene Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur weiteren Begründung der Revision wegen Fehlern des Verfahrens ist unbegründet.

aa) Es fehlt insoweit bereits an der Versäumung einer »Frist« i.S.d. § 44 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Nach seinem eindeutigen Wortlaut will § 44 StPO nur die Folgen einer schuldlosen Fristversäumung heilen. Nach feststehender Rechtsprechung ist die Vorschrift deshalb kein Instrument zur Heilung von Qualitätsmängeln einer grundsätzlich fristgerechten Prozesshandlung, wenn der Angeklagte in der Hauptverhandlung anwesend war (vgl. BGHSt 14, 330, 333; 31, 161, 162; OLG Braunschweig NStZ 1996, 298; OLG Köln NStZ-RR 1996, 212; Hilger NStZ 1983, 152, 153 f.). Dieser Grundsatz muss erst recht gelten, wenn eine Verfahrensrüge zwar rechtzeitig erhoben worden ist, in der Revisionsbegründung aber nicht mit hinreichendem Tatsachenvortrag belegt wurde. Eine Wiedereinsetzung für die Nachholung oder Nachbesserung einzelner Verfahrensrügen ist deshalb ausgeschlossen.

bb) Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Revisionsanträge und ihre Begründung gemäß § 345 Abs. 2 Var. 2 StPO zu Protokoll der Geschäftsstelle angebracht worden sind. Insoweit besteht ebenfalls kein sachliches Bedürfnis zur Anwendung der Vorschrift des § 44 Abs. 1 StPO. Ausweislich der von dem Rechtsmittelführer unterzeichneten Niederschrift vom 16.6.2006 (Bl. 92 d.A.) hat der Rechtspfleger seiner besonderen Prüfungs- und Belehrungspflicht gemäß Nr. 150 Abs. 6 RiStBV bei der Geltendmachung eines Verfahrensmangels genügt (vgl. dazu Meyer-Goßner a.a.O. § 345 Rn. 20).

2. Der Angriff der Revision auf den wegen einer Tat nach §§ 148 Abs. 1 Nr. 1, 89 Satz 1 TKG erfolgten Schuldspruch geht fehl.

a) Es ist gemäß § 261 StPO ausschließlich Sache des Tatrichters, den Wert und die Bedeutung einzelner Beweistatsachen zu beurteilen und gegeneinander abzuwägen.

An die Tatsachenfeststellungen des Tatrichters sind zwar sachliche Mindestanforderungen zu stellen. Anderenfalls können sie überhaupt nicht Grundlage für die richtige Anwendung sachlichen Rechts sein. Diese Anforderungen sind auch auf die zulässig erhobene Sachrüge hin zu überprüfen (vgl. Kuckein in: Karlsruher Kommentar 5. Aufl. § 337 Rn. 28). Daran würde es aber nur fehlen, wenn die Darstellung und Würdigung des festgestellten Sachverhalts im angefochtenen Urteil unklar, widersprüchlich oder ersichtlich nicht vollständig wäre, wenn sie Denkfehler enthielte oder Erfahrungssätze missachten würde (Meyer-Goßner a.a.O. § 337 Rn. 21).

b) Insbesondere für einen Verstoß gegen Denkgesetze ist jedoch, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 17.7.2006 zutreffend darlegt, entgegen der Auffassung der Revision nichts ersichtlich. Auch eine qualifizierte Aussagewürdigung der Angaben der Zeugin ... war nicht erforderlich, weil es gerade nicht um eine Situation »Aussage gegen Aussage« ohne das Vorhandensein weiterer objektiver Beweismittel (hier: des eingezogenen Funkscanners) und Tatzeugen (hier: des Zeugen ...) ging.

Mit der bloßen Behauptung, die tatrichterlichen Feststellungen seien unrichtig, kann die Revision nicht gehört werden.

c) Das Urteil leidet auch nicht deshalb an einem Rechtsmangel, weil die (Blankett-) Strafvorschrift des § 148 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 89 Satz 1 TKG gegen Verfassungsrecht verstößt.

aa) Bereits zur Vorgängervorschrift des § 95 i.V.m. 86 Satz 1 TKG hat das Bayerische Oberste Landesgericht in seinem Beschluss vom 9.2.1999 (N'StZ 1999, 308) festgestellt, dass diese nicht gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG verstieß. Bedeutungsinhalt und Tragweite der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale des strafbewehrten Abhörverbots seien für jedermann erkennbar. Insbesondere seien »für die Funkanlage nicht bestimmte Nachrichten« solche, die sich erkennbar weder an den Inhaber der Anlage als Einzelperson noch an ihn als Repräsentanten der Allgemeinheit bzw. eines unbestimmten Personenkreises richteten. Diese Abgrenzung sei für den durchschnittlichen Normunterworfenen nachvollziehbar und damit der Bereich strafbaren Tuns für ihn bestimmbar.

bb) Diesen überzeugenden Ausführungen, die vom Bundesverfassungsgericht (1. Kammer des Ersten Senats, NStZ-RR 2005, 119, 120) ausdrücklich als eine dem Bestimmtheitsgebot Rechnung tragende Auslegung des einfachen Rechts gewürdigt worden sind und die auch im wissenschaftlichen Schrifttum (Bär MMR 1999, 361) Zustimmung gefunden haben, schließt sich der Senat an. Auch nach der Neufassung des Telekommunikationsgesetzes zum 26.6.2004 (BGBl. I, S. 1190) sind Bedeutungsinhalt und Tragweite der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale des § 89 Satz 1 TKG für jedermann erkennbar, zumal der Gesetzgeber die alte Fassung des Gesetzes in § 86 Satz 1 TKG (»Nachrichten, die für die Funkanlage nicht bestimmt sind«) mit § 89 Satz 1 TKG sogar noch präzisiert hat (»Nachrichten, die für den Betreiber der Funkanlage, Funkamateure im Sinne des Gesetzes über den Amateurfunk vom 23. Juni 1997 - BGBl. I S. 1494 -, die Allgemeinheit oder einen unbestimmten Personenkreis bestimmt sind«).

cc) Auch im Übrigen ist § 89 Satz 1 TKG Teil der verfassungsmäßigen Ordnung und verstößt nicht gegen höherrangiges Recht (vgl. BVerfG - 1. Kammer des Ersten Senats -, NStZ-RR 2005, 119, 120)

dd) Das Landgericht hat, auf der Grundlage seiner rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen, einen Verbotsirrtum des Angeklagten zutreffend verneint.

3. Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs hat keinen Rechtsfehler aufgedeckt.

III.

Die Revision ist daher als unbegründet zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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