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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 19.01.2009
Aktenzeichen: 2 St OLG Ss 259/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 329 Abs. 1
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
1. Wird mit der Revision gegen ein gemäß § 329 Abs. 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil geltend gemacht, dieses gehe zu Unrecht davon aus, dass ein Angeklagter nicht genügend entschuldigt gewesen sei, setzt die Überprüfung die Erhebung einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge voraus.

2. Es kommt für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 StPO nicht darauf an, dass sich der Angeklagte selbst entschuldigt hat. Das Berufungsgericht muss deshalb von Amts wegen prüfen, ob Umstände ersichtlich sind, die das Ausbleiben des Angeklagten genügend entschuldigen.

3. Bei der Vorlage eines privatärztlichen Attests über die Arbeitsunfähigkeit des Angeklagten kann danach zu den erforderlichen Ermittlungen die fernmündliche Erkundigung beim ausstellenden Arzt über die näheren Umstände des die Arbeitsunfähigkeit begründenden Krankheitsbildes gehören. Die Voraussetzungen hierfür liegen mit der Vorlage des Attestes durch den Angeklagten regelmäßig vor, weil der ausstellende Arzt damit konkludent von seiner Schweigepflicht entbunden wird.


Oberlandesgericht Nürnberg BESCHLUSS

2 St OLG Ss 259/08

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Kunz sowie der Richter am Oberlandesgericht Beck und Prof. Dr. Jahn

in dem Strafverfahren

gegen M

wegen Betruges

am 19. Januar 2009

einstimmig beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 4. August 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Fürth hat den Angeklagte am 4.6.2008 wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat am 4.8.2008 die Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache nach § 329 StPO verworfen und diese Entscheidung wie folgt begründet:

"Der Angeklagte hat gegen das Urteil des Amtsgerichts Fürth vom 4.6.2008 form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Er wurde zu der auf 4.8.2008, 8.30 Uhr anberaumten Berufungshauptverhandlung am 12.7.2008 geladen.

In dem Ladungsschreiben ist darauf hingewiesen worden, dass die Berufung ohne Verhandlung zu Sache verworfen wird, falls der Angeklagte nicht erscheint und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.

Der Angeklagte ist zur Hauptverhandlung, zu welcher nach einer Wartezeit von 15 Minuten aufgerufen worden ist, nicht erschienen. Sein Ausbleiben war nicht genügend entschuldigt. Die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 1.8.2008 enthält keine Diagnose, sodass nicht erkennbar ist, ob der Angeklagte verhandlungsunfähig ist".

Mit seiner Revision beantragt der Angeklagte, das Urteil vom 4.8.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückzuverweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg ist diesem Antrag am 14.11.2008 beigetreten.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 SPO) und hat mit der (Verfahrens-) Rüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO einen - zumindest vorläufigen - Erfolg.

1. Wird mit der Revision gegen ein gemäß § 329 Abs. 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil geltend gemacht, dieses gehe zu Unrecht davon aus, dass ein Angeklagter nicht genügend entschuldigt gewesen sei, setzt die Überprüfung der vom Landgericht vorgenommenen Wertung die Erhebung einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge voraus (stRspr des Senats, vgl. nur OLG Nürnberg StraFo 2008, 248 f. m. zahlr. Nachw.). Danach sind die den Mangel enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau mitzuteilen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung prüfen kann, ob die Rüge begründet ist, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen. An die Zulässigkeit der Rüge einer Verletzung des § 329 StPO dürfen allerdings keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden (stRspr des Senats, vgl. nur OLG Nürnberg StraFo 2008, 248, 249 unter Hinweis auf BayObLGSt 1999, 69, 71 und weiteren Nachweisen). Ergibt sich, dass ein Angeklagter vor dem Hauptverhandlungstermin Entschuldigungsgründe vorgebracht hat, ist es ausreichend, wenn ausgeführt wird, das Berufungsgericht hätte das Ausbleiben des Angeklagten nicht als unentschuldigt ansehen dürfen. So liegt es hier; denn in der Revisionsbegründung wird vorgetragen, dass dem Gericht eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 1.8.2008 vorgelegt worden ist, welche die Arbeitsunfähigkeit des Angeklagten bis zum 17.8.2008 ausweist, sowie, dass die Kammer darauf im Urteil nicht näher eingegangen ist. Damit sind die erkennbaren Beweismittel und diejenigen Umstände angegeben, die das Berufungsgericht zur weiteren Sachaufklärung hätten drängen müssen (vgl. OLG Saarbrücken NJW 1975, 1613, 1614; Gössel in: Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 329 Rn. 100 a.E.).

2. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, weil das Berufungsgericht die ihm auch bei einer Entscheidung nach § 329 Abs. 1 StPO obliegende Aufklärungspflicht verletzt hat.

a) Dem Senat obliegt im Revisionsverfahren die Prüfung, ob das Landgericht den Rechtsbegriff der "genügenden Entschuldigung" i.S.d. § 329 Abs. 1 StPO zutreffend seiner Entscheidung zugrunde gelegt und gewürdigt hat (stRspr des Senats, vgl. OLG Nürnberg StraFo 2008, 248, 249; OLG Nürnberg Beschl. v. 12.9.2006 - 2 St OLG Ss 184/06). Dabei darf das Revisionsgericht nur solche Entschuldigungsgründe berücksichtigen, die der Berufungskammer im Zeitpunkt der Entscheidung erkennbar waren (BGHSt28, 384, 387 f.; Gössel aaO., § 329 Rn. 102).

b) Es kommt für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 StPO jedoch nicht darauf an, dass sich der Angeklagte selbst entschuldigt hat. Es reicht vielmehr hin, wenn die Prüfung ergibt, dass das Fernbleiben des Angeklagten genügend entschuldigt ist.

Das Berufungsgericht muss daher nach allgemeiner und zutreffender Auffassung von Amts wegen prüfen, ob Umstände ersichtlich sind, die das Ausbleiben des Angeklagten genügend entschuldigen (BGHSt 17, 391, 396; Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 329 Rn. 26 a.E.; Paul in: Karlsruher Kommentar StPO 6. Aufl. § 329 Rn. 7; Gössel in: Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 329 Rn. 102).

Hierzu kann auch ein inhaltlich unzureichendes Entschuldigungsschreiben hinreichenden Anlass bieten (vgl. nur Gössel aaO., § 329 Rn. 22). Bei der Vorlage eines privatärztlichen Attests über die Arbeitsunfähigkeit des Angeklagten gehört zu den dann im Einzelfall erforderlichen amtswegigen Ermittlungen auch die fernmündliche Erkundigung beim ausstellenden Arzt über die näheren Umstände des die Arbeitsunfähigkeit begründenden Krankheitsbildes, um auf dieser Grundlage über das Genügen der Entschuldigung entscheiden zu können. Die dafür erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen liegen mit der Vorlage des Attestes durch den Angeklagten schon deshalb vor, weil der ausstellende Arzt damit konkludent von seiner Schweigepflicht entbunden wird (siehe OLG Karlsruhe NStZ 1994, 141, 142; BayObLG NStZ-RR 1999, 143; Paul aaO., Rn. 9).

Diese, ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung im Frei beweisverfahren durchführbaren Ermittlungen hat die Berufungskammer unterlassen.

III.

Wegen des aufgezeigten Mangels (§ 337 StPO) ist das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO).

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen (§ 354 Abs.2 StPO), die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben wird.

Ende der Entscheidung

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