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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 07.12.2006
Aktenzeichen: 2 St OLG Ss 260/06
Rechtsgebiete: StPO, GG


Vorschriften:

StPO § 345 Abs. 2
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 103
1. Die anwaltliche Revisionsbegründung im Strafprozess muss mit einem Namenszug unterzeichnet sein, der zwar nicht in jedem Fall lesbar zu sein braucht. Er muss aber wenigstens andeutungsweise Buchstaben erkennen lassen und einen individuellen und einmaligen Charakter aufweisen, der die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnet und somit die Nachahmung durch einen beliebigen Dritten zumindest erschwert.

2. Eine Revisionsbegründung, die ein Rechtsanwalt mit einer von unten links nach oben rechts verlaufenden, wellenförmigen Linie unterschreibt, an deren oberen Ende sich ein Punkt befindet, genügt nicht den an eine Unterzeichnung nach § 345 Abs. 2 StPO zu stellenden Anforderungen.

3. Unzumutbare oder unerfüllbare Anforderungen an die bei der Revisionsbegründung einzuhaltenden Förmlichkeiten werden durch diese Auslegung des § 345 Abs. 2 StPO nicht aufgestellt.


Oberlandesgericht Nürnberg BESCHLUSS

2 St OLG Ss 260/06

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie der Richterin am Oberlandesgericht .. und des Richters am Oberlandesgericht ... in dem Strafverfahren wegen Körperverletzung

am 7. Dezember 2006

einstimmig beschlossen:

Tenor:

I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts C vom 18. Juli 2006 wird als unzulässig verworfen.

II. Der Revisionsführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht C hat den Angeklagten am 18.7.2006 wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 35,- Euro verurteilt.

Nach den Feststellungen hat der Angeklagte am 18.3.2006 gegen 1.00 Uhr in der Diskothek "..." in P in angetrunkenem Zustand den Geschädigten ... am Hals gewürgt und diesen - nachdem jener aufgrund des Angriffs zu Boden gefallen war - mindestens zweimal mit der Faust in das Gesicht geschlagen.

Der Geschädigte ... ist hierdurch erheblich verletzt worden: Er erlitt eine Nasenbeinfraktur, ein ausgeprägtes suborbitales Hämatom rechts, ein diskretes Hämatom links sowie an der linken Halsseite insgesamt drei ca. 5 cm lange blutunterlaufene Striemen samt einer kleinen Schürfwunde.

Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Angeklagten mit am 25.7.2006 eingegangenem Telefax zunächst unbestimmt "Rechtsmittel" eingelegt. Mit am 28.8.2006 bei Gericht eingegangenem Telefax hat er das Rechtmittel als "Revision" bezeichnet und dieses in demselben Schriftsatz begründet.

Die Revisionsbegründung ist am Ende des Textes auf Seite 21 mit einer von unten links nach oben rechts verlaufenden, wellenförmigen Linie versehen, an deren oberen Ende sich ein Punkt befindet. Der Linienverlauf fällt dabei nach einem ca. 1,3 cm langen, flach ansteigenden Aufstrich nahezu senkrecht nach unten ab und wird dann mit einem erneut flach ansteigenden, ebenfalls ca. 1,3 cm langen Aufstrich fortgesetzt. Schräg oberhalb des zweiten Aufstrichs befindet sich in ca. 0,2 cm Entfernung ein Punkt. Unterhalb dieses Gebildes sind in der nachstehenden Reihenfolge direkt untereinander die Worte "..." und "Rechtsanwalt" abgedruckt.

Im Original stellt sich das Gebilde wie folgt dar:

... Rechtsanwalt

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, auf die Revision des Angeklagten das Urteil des Amtsgerichts C vom 18.7.2006 im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts C zurückzuverweisen sowie im Übrigen die Revision als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die gem. §§ 335 Abs. 1, 312 StPO im Grundsatz statthafte Sprungrevision des Angeklagten war wegen eines Verstoßes gegen § 345 Abs. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen.

1.

Die Schriftsätze vom 25.7. und 24.8.2006, mit denen der Verteidiger des Angeklagten das Rechtsmittel eingelegt und begründet hat, sind von ihm mit einem Gebilde unterzeichnet worden, das weder einzelne Buchstaben erkennen lässt noch als Ganzes lesbar ist.

a) Diese Art zu unterschreiben begegnet im Hinblick auf die Einlegung der Revision keinen Bedenken. Für sie verlangt § 341 Abs. 1 StPO nur, dass sie schriftlich zu geschehen hat. Die Schriftform ist bereits dann gewahrt, wenn aus dem Schriftstück in irgendeiner, jeden Zweifel ausschließenden Weise ersichtlich ist, von wem es herrührt (BGHSt 12, 317; Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. Einl. Rn. 128). Hiervon konnte der Senat aufgrund der von dem Telefaxanschluss des Verteidigers des Angeklagten aus an das Tatgericht übersandten sowie mit dessen Kanzleibriefkopf versehenen Schriftsätze noch ausgehen.

b) Anders verhält es sich jedoch mit der Revisionsbegründung.

aa) Für sie reicht die bloße Schriftform nicht aus. Vielmehr ist, sofern die Revisionsbegründung nicht zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt wird, gem. § 345 Abs. 2 StPO eine von dem Verteidiger "unterzeichnete" Begründungsschrift erforderlich. Was unter einer Unterzeichnung in diesem Sinne zu verstehen ist, ergibt sich aus dem Sprachgebrauch sowie dem Sinn und Zweck der Formvorschrift (BGHSt 12, 317, 318). Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hieraus abgeleiteten Anforderungen lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass die Unterzeichnung in jedem Fall nicht lesbar zu sein braucht; Undeutlichkeiten und Verstümmelungen schaden also grundsätzlich nicht. Allerdings ist zu verlangen, dass wenigstens andeutungsweise Buchstaben erkennbar sein müssen, da es andernfalls bereits an dem Merkmal einer Schrift fehlt. Darüber hinaus gehört es zum Wesen der Unterzeichnung, dass der Schriftzug einen individuellen und einmaligen Charakter aufweist, der die Identität des Unterzeichnenden ausreichend kennzeichnet, und somit die Nachahmung durch einen beliebigen Dritten zumindest erschwert (vgl. BGHSt 12, 317, 319 f.; BGH MDR 1964, 747; NJW 1967, 2310; NJW 1974, 1090; NJW 1975, 1704; NJW 1982, 1467; NJW 1985, 1227; BayObLGSt 2003, 73; OLG Nürnberg NJW 1961, 1777; Blaese/Wielop Förmlichkeiten der Revision in Strafsachen 2. Aufl. S. 131; Kuckein in: Karlsruher Kommentar zur StPO 5. Aufl. § 345 Rn. 12; Meyer-Goßner a.a.O. Rn. 129). Im Ergebnis muss mit dem Namen des Unterzeichenden ein Mindestmaß an Ähnlichkeit in dem Sinne bestehen, dass ein Dritter, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, ihn aus dem Schriftbild noch herauslesen kann (so auch BGHSt 12, 317, 319; Meyer-Goßner a.a.O.). Diese gesteigerten Anforderungen dienen dazu, bei bestimmenden Schriftsätzen im Interesse eines gesicherten Verfahrensablaufs von vornherein möglichst jeden Zweifel darüber auszuschließen, dass die jeweils erklärte Prozesshandlung von einem Rechtsanwalt herrührt, der aufgrund seiner Sachkunde für den Inhalt des Schriftsatzes die volle Verantwortung übernommen hat (vgl. BGHSt 12, 317, 139; BGH NJW 1975, 1704).

bb) Diesen Anforderungen wird das Gebilde am Ende der Revisionsbegründung nicht gerecht.

Der wellenförmigen Linie lassen sich keine Buchstaben im Sinne der deutschen Schriftsprache entnehmen, so dass es offensichtlich bereits am Merkmal einer Schrift fehlt. Selbst wenn man aus dem Gebilde den entstellten Anfangsbuchstaben "..." des Namens des Verteidigers des Angeklagten herauslesen wollte, genügt ein derartiges Handzeichen bei bestimmenden Schriftsätzen den Ansprüchen an eine Unterzeichnung nicht; gleiches gilt, wenn man, was nach Auffassung des Senats selbst bei wohlwollenster Lesart nicht mehr vertretbar erschiene, in Anbetracht des Punktes am Ende des Gebildes das Vorliegen der Paraphe "..." oder, "... " annehmen wollte (vgl. BGH NJW 1967, 2310; NJW 1975, 1704; NJW 1982, 1467; NJW 1985, 1227; Kuckein a.a.O.; Meyer-Goßner a.a.O.).

Ohne rechtliche Bedeutung ist überdies, dass der Verteidiger des Angeklagten die wellenförmige Linie möglicherweise auch sonst als "Unterschrift" verwendet und diese daher bei anderen Gerichten und Behörden bekannt und anerkannt sein mag. Andernfalls hinge die Formgültigkeit der Revisionsbegründung von Zufälligkeiten ab und es wäre nicht sichergestellt, dass der Senat die Ordnungsgemäßheit der Unterzeichnung eigenständig nachprüfen kann (vgl. BGH NJW 1975, 1704, 1705).

cc) Unzumutbare oder unerfüllbare Anforderungen an die bei der Revisionsbegründung einzuhaltenenden Förmlichkeiten werden durch diese Auslegung des § 345 Abs. 2 StPO nicht aufgestellt (vgl. BVerfGE 112, 185, 208). Dem Rechtsanwalt des Angeklagten - Fachanwalt für Strafrecht - wäre es ohne Weiteres möglich gewesen, sich über die an die Auslegung und Anwendung des § 345 Abs. 2 StPO gestellten Anforderungen zu orientieren und diese zu beachten. Auch eine Verletzung sonstiger prozessualer Grundrechtspositionen liegt darin nicht, denn der Rechtsmittelführer hat zumutbare Schritte unterlassen, um seine Rechte zu wahren (BVerfG NJW 1998, 1853).

2.

Schließlich scheidet auch die Umdeutung des Rechtsmittels in eine nach Maßgabe von § 314 Abs. 1 StPO ohne Weiteres zulässige Berufung aus. Die ausdrückliche und gem. § 341 Abs. 1 StPO formwirksame Bezeichnung des gewählten Rechtsmittels als Revision durch den Verteidiger des Angeklagten ist mit Beginn der Revisionsbegründungsfrist bindend geworden (vgl. Meyer-Goßner a.a.O. § 335 Rn. 3). Nach diesem Zeitpunkt kommt die Behandlung der Revision als Berufung nur noch dann in Betracht, wenn - was hier nicht zutrifft - die Wahl des Rechtsmittels als solche unwirksam war; dies gilt auch für den Fall, dass die Form des § 345 Abs. 2 StPO nicht gewahrt ist (Meyer-Goßner a.a.O. § 335 Rn. 6). Die Entscheidung BGHSt 2, 63, 71 steht diesem Verständnis, worauf schon das KG (OLGSt Nr. 6 zu § 345 StPO) zutreffend hingewiesen hat, nicht entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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