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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 24.01.2007
Aktenzeichen: 2 St OLG Ss 280/06
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 318
StGB § 56
StGB § 69
StGB § 69a
StGB § 44
1. Eine Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung ist grundsätzlich möglich. Die dem Rechtsmittelberechtigten in § 318 Satz 1 StPO eingeräumte Verfügungsmacht über den Umfang der Anfechtung gebietet es, den in Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren.

2. Dennoch ist die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung im Einzelfall dann unzulässig, wenn zwischen der Aussetzungsfrage und der Verhängung der Maßregel nach den §§ 69, 69a StGB (wegen charakterlicher Mängel) eine untrennbare Wechselbeziehung besteht und deshalb ohne die Gefahr von Widersprüchen eine selbstständige Prüfung allein des angefochtenen Teils nicht möglich ist.

3. Eine Wechselwirkung zwischen der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung und der (isolierten) Sperrfristanordnung nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB besteht dann, wenn trotz des Vorliegens einer Katalogtat nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB Anlass dazu besteht, die Frage der charakterlichen Ungeeignetheit des Angeklagten im Einzelnen zu prüfen. Gleiches gilt in Bezug auf die Anordnung der Nebenstrafe des § 44 Abs. 1 StGB.

4. Ein solcher Anlass kann dann bestehen, wenn der Täter in fahruntüchtigem Zustand nur ein Leichtmofa geführt und mit diesem nur eine kurze Fahrtstrecke zurückgelegt hat und Auslöser der Fahrt eine altruistische Motivation gewesen ist.


Oberlandesgericht Nürnberg BESCHLUSS

2 St OLG Ss 280/06

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie der Richter am Oberlandesgericht ... und ... in dem Strafverfahren wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr

am 24. Januar 2007

einstimmig beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts ... vom 28. August 2006 aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts ... zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht ... hat den Angeklagten am 25.7.2006 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt, ihm für die Dauer von drei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen und der Verwaltungsbehörde untersagt, dem Angeklagten vor Ablauf von 22 Monaten eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Auf die auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht ... am 28.8.2006 das Urteil des Amtsgerichts im Rechtsfolgenausspruch insoweit abgeändert, als die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung entfällt.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 SPO) und hat (zumindest vorläufig) Erfolg; denn das Landgericht ist zu Unrecht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft ausgegangen.

1. Die Berufung der Staatsanwaltschaft konnte im vorliegenden Fall nicht wirksam auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt werden:

a) Auch ohne eine entsprechende Verfahrensrüge hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob ein mit der Revision angefochtenes Berufungsurteil über alle Entscheidungsbestandteile des vorausgegangenen amtsgerichtlichen Urteils befunden hat. Aus diesem Grund ist vom Revisionsgericht, wenn, wie hier, das Berufungsgericht wegen der vom Berufungsführer erklärten Berufungsbeschränkung (§ 318 StPO) sich nur mit einzelnen Teilen des Ersturteils befasst hat, auch nachzuprüfen, ob und inwieweit die Berufung rechtswirksam auf diese Teile beschränkt ist (stRspr. des Senats, vgl. OLG Nürnberg Beschl. v. 15.3.2005 - 2 St OLG Ss 13/05, S. 3 m.w.N.; Ruß in: KK-StPO 5. Aufl. § 318 Rn. 1).

Grundsätzlich ist der Rechtsfolgenausspruch oder auch ein Teil von diesem allein anfechtbar. Die dem Rechtsmittelberechtigten in § 318 Satz 1 StPO eingeräumte Verfügungsmacht über den Umfang der Anfechtung gebietet es, den in Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren. Deshalb kann und darf das Revisionsgericht regelmäßig diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird (BayObLG NStZ-RR 2004, 336 f.; OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 23).

b) Allerdings konnte die Berufung vorliegend deshalb nicht wirksam auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt werden, weil eine innere Abhängigkeit der genannten Frage von der Straf- und Maßregelfrage besteht.

aa) Unstreitig ist zwar, dass eine Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung unter den gleichen Voraussetzungen wie jede wirksame Rechtsmittelbeschränkung grundsätzlich - und nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 47, 32, 35) sogar regelmäßig - möglich ist.

Dennoch ist die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage der Strafaussetzung im Einzelfall dann unzulässig, wenn zwischen der Aussetzungsfrage und der Verhängung der Maßregel nach den §§ 69, 69a StGB (wegen charakterlicher Mängel) eine untrennbare Wechselbeziehung besteht oder wenn beiden Entscheidungen im Wesentlichen inhaltsgleiche Erwägungen zugrunde liegen und deshalb ohne die Gefahr von Widersprüchen eine selbstständige Prüfung allein des angefochtenen Teils nicht möglich ist. Das ist namentlich dann der Fall, wenn bestimmte Feststellungen - etwa zu Vorstrafen - doppelrelevant sind und sich der Beschwerdeführer nach dem erkennbaren Sinn und Ziel seines Rechtsmittels gegen diese Feststellungen wendet oder wenn die Bewährungsentscheidung mit der Maßregelanordnung »eng verzahnt« ist und deshalb die Gefahr besteht, dass die (stufenweise) entstehende Gesamtentscheidung nicht frei von inneren Widersprüchen bleiben würde (BGHSt 47, 32, 38; Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 318 Rn. 20a).

bb) So liegt es hier. Die vom Landgericht als bindend seiner Entscheidung über den Strafausspruch zu Grunde gelegten Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils lassen zwar den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat insoweit noch hinreichend erkennen, als sich dort - wenn auch nur im Rahmen der Strafzumessungserwägungen - Angaben zur im alkoholisierten Zustand zurückgelegten Wegstrecke und zum Anlass der Fahrt finden.

Vorliegend bestand aber - bezogen auf den Zeitpunkt des Beratungsergebnisses bei Erlass des Berufungsurteils (vgl. BGHSt 47, 32, 38) - eine Wechselwirkung zwischen der Aussetzungsfrage und der (isolierten) Sperrfristanordnung nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB schon deshalb, weil trotz des Vorliegens einer Katalogtat nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB Anlass dazu bestanden hätte, die Frage der charakterlichen Ungeeignetheit des Angeklagten genauer zu erörtern. Aus dem Führen eines Leichtmofas in fahruntüchtigem Zustand kann jedenfalls bei einer nach den tatrichterlichen Feststellungen "kurze(n) Fahrtstrecke" (UA S. 4) und altruistischer Motivation des Täters, der nach den Feststellungen des Amtsgerichts "offensichtlich abends um Hilfe gerufen wurde" (UA S. 4), als Auslöser der Trunkenheitsfahrt nicht generell auf die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden. In einem solchen Fall muss deshalb die Täterpersönlichkeit besonders eingehend geprüft und unter Berücksichtigung der gesetzlich bereits vorgenommenen Prognose untersucht werden, ob der Täter nach den Gesamtumständen als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist (LG Oldenburg DAR 1990, 72; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 69 Rn. 25 f.). Die Entscheidung über die Maßregelfrage hängt somit von Tatsachen und Erwägungen ab, die auch für die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung von maßgebender Bedeutung sind. Dies gilt - ungeachtet der von § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB aufgestellten Regelvermutung - damit auch für die Frage der Anordnung des Fahrverbots (Tröndle/Fischer a.a.O. § 44 Rn. 12).

Die Doppelrelevanz entsprechender Feststellungen wird auch darin deutlich, dass die Staatsanwaltschaft in ihrer Berufungsbegründung vom 31.7.2006 den angestrebten Wegfall der Strafaussetzung zur Bewährung gerade mit dem Gesichtspunkt der Begehung straßenverkehrsrechtlicher Delikte durch den Angeklagten "mit steter Regelmäßigkeit" (Bl. 33 d.A.) gerechtfertigt hat. Dieser Gesichtspunkt kann - etwa in Bezug auf Rechtsfeindlichkeit und/oder Gleichgültigkeit gegenüber allgemein geltenden Regeln -ebenso für die Beurteilung der Maßregelfrage (und der Frage, ob ein Fahrverbot zu verhängen ist) belangreich sein (vgl. Tröndle/Fischer a.a.O. § 69 Rn. 18).

2. Angesichts dieser Sachlage war die Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung unwirksam.

III.

Wegen des aufgezeigten Mangels (§ 337 StPO) ist das angefochtene Urteil auf die Revision des Angeklagten mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts ..., die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben wird, zurückverwiesen.

IV.

Für das weitere Verfahren wird bemerkt:

Im Falle einer erneuten Verurteilung des Angeklagten wird sich das Berufungsgericht eingehender als bisher mit der Vorschrift des § 56 Abs. 1 StGB auseinanderzusetzen haben.

Unerlässlich für die nach dieser Vorschrift anzustellenden prognostischen Erwägungen ist es, dass der Tatrichter die wesentlichen, nach Sachlage in seine Entscheidung einzubeziehende Umstände im Urteil darlegt (BayObLG NStZ-RR 2004, 42 f.). Hierzu hat er eine erschöpfende individuelle Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen, welche Rückschlüsse auf das künftige Verhalten des Täters zulassen, wobei mit besonderer Sorgfalt vorzugehen ist, wenn der Täter - wie hier - einschlägig vorbestraft und Bewährungsversager ist (OLG Nürnberg Beschl. v. 25.10.2005 - 2 St OLG Ss 150/05 = OLGSt StGB § 47 Nr. 10). In einem solchen Fall bedarf es besonderer Feststellungen, um gleichwohl zu einer positiven Prognose zu kommen.

Um diesen Anforderungen zu genügen, ist es allerdings nicht ausreichend, aus einer längeren Kette von einschlägigen Vorverurteilungen nur einzelne tatrichterliche Feststellungen ohne erkennbares chronologisches oder sonst inhaltliches Ordnungsprinzip im Wortlaut mitzuteilen und diese Umstände im Rahmen der Prognoseentscheidung nur fragmentarisch zu würdigen.

Ende der Entscheidung

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