Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 28.09.2006
Aktenzeichen: 2 U 1169/05
Rechtsgebiete: ZPO, StVG


Vorschriften:

ZPO § 313 a
ZPO § 513 I
ZPO § 529 Abs. 1
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 546
StVG § 7 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

2 U 1169/05

Verkündet am 28. September 2006

In Sachen

wegen Schadensersatzes,

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Guerrein, den Richter am Oberlandesgericht Schüssel und die Richterin am Oberlandesgericht Graf aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 07. September 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 13.04.2006 abgeändert.

II. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 2.4 76,16 € nebst Zinsen in Höhe von 14 % aus 2.070,93 € ab dem 13.06.2005 sowie 10,5 % aus 396,89 € seit dem 29.06.2005 sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 8,33 € seit dem 12.07.2005 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die Berufung der Klägerin und die weitergehende Berufung der Beklagten werden zurückgewiesen.

IV. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen haben die Klägerin 2/3, die Beklagten 1/3 zu tragen.

V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf 7.428.48 €.

Tatbestand

und

Entscheidungsgründe:

I.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a ZPO abgesehen. Insoweit wird auf den Tatbestand des Ersturteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Die ebenfalls zulässige Berufung der Beklagten führt dazu, dass der von den Beklagten gesamtschuldnerisch zu bezahlende Betrag entsprechend einer Haftungsquote der Beklagten von 1/3 statt der vom Landgericht angenommenen 50 %igen Haftung herabzusetzen ist.

1. Ohne Erfolg greift die Klägerin die Beweiswürdigung des Landgerichts an mit der Behauptung, aus den Bekundungen der Zeugen M und M W in Verbindung mit den eigenen Angaben des Beklagten zu 1) ergebe sich, dass der Beklagte bereits ca. 10 - 15 Sekunden hinter dem Fahrzeug der Klägerin vor dessen starkem Abbremsen gefahren sei. Das Landgericht hat demgegenüber nach Durchführung der umfassenden Beweisaufnahme festgestellt, dass der Nissan plötzlich nach rechts einscherte und sofort stark bremste. An diese Feststellungen des Erstgerichtes ist der Senat gebunden.

Das Berufungsverfahren eröffnet nach § 513 I ZPO keine umfassende zweite Tatsacheninstanz, sondern beschränkt die Überprüfungsmöglichkeit des erstinstanzlichen Urteils im Grundsatz auf Rechtsverletzungen. Dies wird regelungstechnisch durch den ausdrücklichen Verweis auf die entsprechende Vorschrift des Revisionsverfahrens, § 546 ZPO, klargestellt. Nach der Rechtsprechung (vgl. hierzu auch BGH NJW 2004, 2152 f; BGH NJW 2004, 1876 ff) ist somit die Bindung des Berufungsgerichts an die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen zunächst dann durchbrochen, wenn diesen Verfahrensfehler zugrunde liegen oder neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zuzulassen sind (§ 531 Abs. 2 ZPO). Die Geltung der erstinstanzlichen, tatsächlichen Feststellungen steht jenseits dieser Fallgruppen nicht allgemein zur Disposition einer eigenen, freien Beweiswürdigung des Berufungsgerichts (vgl. hierzu etwa OLG Rostock NJOZ 2004, 1466 ff; OLG Saarbrücken NJOZ 2003, 525 ff; OLG Dresden NJW-RR 2003, 210, 211). Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen können sich jedoch daraus ergeben, dass das Berufungsgericht zu einer von der ersten Instanz abweichenden Wertung des Beweisergebnisses gelangt (BVerfG NJW 2003, 2524; BVerfG NJW 2005, 1487), etwa daraus, dass es das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz (vgl. BGH NJW 2005, 1583, 1584). Erforderlich dafür ist, dass nach Auffassung des Berufungsgerichts eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sich im Fall einer erneuten Beweisaufnahme die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen herausstellt. Lediglich subjektive Zweifel, abstrakte Erwägungen und Vermutungen über die Unrichtigkeit, die nicht von tragfähigen, greifbaren Anhaltspunkten gestützt werden, reichen dafür nicht aus (vgl. BGH NJW 2006, 152, 153; BGH NJW 2004, 2828, 2829).

Die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts als solche ist nach diesen Grundsätzen nicht allgemein durch eine neue Beweiswürdigung des Berufungsgerichts zu ersetzen. In § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO kommt vielmehr im Gegenteil die grundsätzliche Bindung des Berufungsgerichts an die erstinstanzliche Tatsachenfeststellung zum Ausdruck; eine erneute Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht ist nach der Formulierung der Bestimmung nur als Ausnahme ("soweit nicht ...") vorgesehen (vgl. BGH, NJW 2005, 1583, 1584).

Eine § 529 Abs. 1 ZPO überwindende Rechtsverletzung liegt dann vor, wenn die Beweiswürdigung einen Rechtsfehler, etwa eine Unvollständigkeit, einen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze oder eine Fehlbewertung von Indiztatsachen aufweist.

Die Angriffe in der Berufungsbegründung zeigen derartige Fehler in der in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Beweiswürdigung nicht auf. Das Erstgericht hat bei seiner Beweiswürdigung auch den persönlich gewonnenen Eindruck von den Zeugen berücksichtigt. Die Angaben des Beklagten zu 1) im Termin vom 23.03.2006 sind entgegen der Meinung der Klägerin nicht dahingehend auszulegen, dass er längere Zeit ohne Gas zu geben und in Bremsbereitschaft hinter dem Fahrzeug der Klägerin her fuhr. Der Geschehensablauf war offensichtlich sehr schnell. Bei der Beurteilung der Rechtssituation ist also von dem vom Landgericht festgestellten Sachverhalt auszugehen.

2. Die Berufung der Beklagten hat Erfolg, soweit sie die vom Erstgericht der Entscheidung zugrunde gelegte Haftungsquote beanstanden. Der vom. Erstgericht festgestellte Sachverhalt, dessen zutreffende Ermittlung damit nicht in Frage gestellt wird, rechtfertigt nicht die vom Erstgericht angenommene Haftungsverteilung von 50 : 50. Ein Verschulden des Beklagten zu 1) ist im Ersturteil weder dargelegt noch aus der Beweisaufnahme oder sonstigen Umständen ersichtlich. Das Landgericht hat dem Beklagten als Verursachungsbeitrag nur die erhöhte Betriebsgefahr seines Fahrzeuges angelastet. Dem Beklagten ist es nämlich nicht gelungen, die Voraussetzungen darzulegen, die gemäß § 7 Abs. 2 StVG zum Ausschluss der Ersatzpflicht aus dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr führen. Gefordert wird hierfür nach der bereits zum Begriff des unabwendbaren Ereignisses im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG a.F. entwickelten Rechtsprechung, die nach allgemeiner Ansicht weiterhin Gültigkeit hat, zwar nicht absolute Unvermeidbarkeit für den Kraftfahrer, aber ein an durchschnittlichen Verhaltensanforderungen gemessenes ideales, also überdurchschnittliches Verhalten. Dazu gehört nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus, wobei alle möglichen Gefahrenmomente zu berücksichtigen sind (Janiszewski/Jagow, Kommentar zum StVG, 19. Aufl., 2006, Rn. 20 zu § 7 StVG m.w.H. auf die Rechtsprechung). Nach der Bekundung der vom Erstgericht für glaubwürdig erachteten Zeugin E M hatten bereits beim Einscheren des Fahrzeugs der Klägerin nach rechts an der Ecke der Bielefelder Straße Fahrzeuge auf der rechten Fahrspur gebremst, um Fußgängern das Überqueren der Bielefelder Straße zu ermöglichen. Bei vorausschauender Fahrweise wäre es demgemäß für den Beklagten zu 1) möglich gewesen, das alsbald erforderliche starke Abbremsen des Fahrzeugs der Klägerin nach dem Einscheren vorauszusehen und durch entsprechende Maßnahmen den Unfall zu vermeiden.

Bei Abwägung der gegenseitigen Verschuldens- bzw. Verursachungsbeiträge an dem Unfall hält der Senat eine Verteilung von 2/3 zu Lasten der Klägerin und von l/3 zu Lasten der Beklagten für geboten. Die vom Landgericht vorgenommene Quotelung von 50 : 50 allein aus dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs ist auch bei Berücksichtigung des Umstandes, dass dieses als Pkw mit Anhänger einen verlängerten Bremsweg hatte, nicht gerechtfertigt.

3. Bei der Berechnung des der Klägerin zu erstattenden Betrages ist - wie vom Landgericht geschehen - von einem Gesamtschaden von 7.428,47 € auszugehen. Die Angriffe der Beklagten gegen die Ansetzung einiger Positionen haben keinen Erfolg.

Der BGH hat in den letzten 2 Jahren laufend seine Rechtsprechung zu den sogenannten Unfallersatztarifen modifiziert. Danach hat der Geschädigte nachzuweisen, dass sich die Kosten des Mietwagens im Rahmen des Erforderlichen halten, was entweder durch Nachweis der betriebswirtschaftlichen Angemessenheit des bezahlten Tarifs oder der konkreten Unzugänglichkeit eines günstigeren Tarifs erfolgen kann (vgl. im Einzelnen Gerhard Wagner, "Unfallersatztarife", NJW 2006, S. 2289 m.w.H.). Im vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob der an die Firma U Autovermietung gezahlte Betrag wirtschaftlich als angemessen zu erachten ist, da der Klägerin ein günstigerer Tarif nicht zugänglich war. Der Senat hat die Klägerin im Termin vom 07.09.2006 hierzu angehört. Die Klägerin, die einen geschäftlich wenig erfahrenen Eindruck macht, gab dabei glaubhaft an, sie habe dringend einen Wagen benötigt, um damit ihrem Beruf als Zeitungsausträgerin nachgehen zu können. Sie sei nicht in Besitz einer Kreditkarte, bei ihrem Verdienst von 720 - 730 €/Monat habe sie keinen Dispo-Kredit bekommen können. Bei der Firma N habe sie das günstigste und kleinste Fahrzeug, das zur Verfügung gestanden habe, angemietet. Sie habe vorher nicht gefragt, was das koste und nicht bei anderen Mietwagenunternehmen nach der Preisgestaltung gefragt. Sie sei irgendwie im Stress gewesen, da das Auto für sie unheimlich wichtig gewesen sei.

Auch bei Beachtung der neuesten Rechtsprechung des BGH, z.B. im Urteil vom 04.07.2006 (Az. VI ZR 237/05) und der dort angesprochenen Erkundigungspflicht des Geschädigten, ist nicht davon auszugehen, dass der Klägerin ein günstigerer Tarif zugänglich gewesen wäre. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Klägerin wegen der Streitigkeit der Unfallverursachung von der Beklagten zu 2) keine Deckungszusage erhalten hätte und ihr des Weiteren keine Kreditkarte zur Verfügung stand. Sie hätte demgemäß bei keinem Autovermieter Zugang zum günstigsten Tarif gehabt, sondern wäre in irgendeiner Art und Weise auf einen Unfallersatztarif oder sonst erhöhten Tarif verwiesen worden. Die Anmietung bei der Firma U Autovermietung erfolgte auch nicht zu einem so auffallend hohen Preis, dass eine Erkundigung nach Tarifen von anderen Mietwagenunternehmen nahe gelegen hätte. Der BGH hat eine Erkundigungspflicht bei einem angebotenen Tarif nahezu um das Dreifache über dem sonst üblichen Tagespreis (Entscheidung vom 04.07.2006, VI ZR 237/05) oder bei einem "Unfallersatztarif" von ca. 245 % über dem Durchschnitt (Urteil vom 09.05.2006, VI ZR 117/05) bejaht. Im vorliegenden Fall ist demgegenüber zu sehen, dass die Beklagten 2war nunmehr im Laufe der Berufungsinstanz angemessene Mietkosten unter Zugrundelegung eines "Normaltarifes" von brutto 661 € behaupten, in der Klagebeantwortung vom 25.10.2005 hielten die Beklagten aber noch 944,23 € für angemessen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Beklagte zu 2) sicherlich einen sehr guten Marktüberblick hat. Die Klägerin macht Mietwagenkosten in Höhe von 1.234,24 € geltend, also ca. 30 % mehr als von den Beklagten in erster Instanz zugebilligt wurde. In der Rechtsprechung ist zwar noch nicht abschließend geklärt, in welchem Umfang die Besonderheiten des sogenannten Unfallersatztarifes (Vorfinanzierungsrisiko, Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen u.a.) gegenüber anderen Tarifen aus betriebswirtschaftlicher Sicht eine Erhöhung rechtfertigen, ein Mehraufwand im Bereich von 10 - 30 % wird aber nicht für unangemessen erachtet (Palandt, Kommentar zum BGB, 65. Aufl., Rn. 31 zu § 249 BGB m.w.H. auf die Rechtsprechung). Unter Berücksichtigung dieses Aufschlages ergibt sich ein relativ geringer Unterschied zwischen den von der Klägerin geltend gemachten Mietwagenkosten und dem eventuell durch Nachforschungen auf dem Markt erzielbaren Tarif. Der Klägerin ist es somit nicht anzulasten, dass sie keine derartigen Erkundigungen einzog, bei Abwägung aller Umstände des vorliegenden Falles ist davon auszugehen, dass ihr kein günstigerer Tarif zur Verfügung stand.

Zutreffend hat das Landgericht von den eingeklagten Mietwagenkosten nicht 10 %, sondern nur die von der Klägerin anhand der Schwacke-Liste errechnete Eigenersparnis in Höhe von ca. 3.5 % abgezogen. Zutreffend weisen zwar die Beklagten darauf hin, dass von der Rechtsprechung weitgehend eine Eigenersparnis von 10 % angenommen wird, im Hinblick auf die inzwischen geänderten maßgebenden wirtschaftlichen und technischen Verhältnisse, insbesondere die erheblich erhöhte Laufleistung moderner Fahrzeuge, wird von den meisten Gerichten des hiesigen Bezirkes in Übereinstimmung mit der sich insgesamt immer mehr durchsetzenden Ansicht in der Rechtsprechung ein Abzug von 3 % für ausreichend erachtet (Palandt, a.a.O., Rn. 32 zu § 249 m.w.H. auf die Rechtsprechung u.a. des OLG Nürnberg).

Aufgrund der glaubhaften Angaben der Klägerin bei ihrer Anhörung ist davon auszugehen, dass ihr keine günstigere Finanzierungsmöglichkeit des Schadens zur Verfügung stand. Die Zuerkennung von 14 % Zinsen auf die Reparatur- und Sachverständigenkosten sowie 10,5 % Verzugskosten auf die Mietwagenkosten ist demgemäß gerechtfertigt.

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO sind nicht gegeben, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

Ende der Entscheidung

Zurück