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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 11.10.2005
Aktenzeichen: 3 U 1622/05
Rechtsgebiete: ZPO, UWG, MPG


Vorschriften:

ZPO § 522
ZPO § 522 Abs. 2
UWG § 4 Nr. 11
UWG § 8 Abs. 1
UWG § 8 Abs. 3
MPG § 3
MPG § 5
MPG § 6
MPG § 7
MPG § 27
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
3 U 1622/05

Nürnberg, den 11.10.05

In Sachen

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 3. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss:

Tenor:

Hinweis nach § 522 ZPO:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung einstimmig durch Beschluss zurückzuweisen. Er ist nämlich davon überzeugt, dass das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg und die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung hat. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts (§ 522 ZPO). Es sind auch keine neuen berücksichtigungsfähigen Tatsachen vorgetragen noch konkrete Anhaltspunke aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts begründen können (§ 529 ZPO). Daher ist von dem im angefochtenen Urteil zugrundegelegten Sachverhalt auszugehen. Dieser rechtfertigt weder eine andere Entscheidung noch ist eine Rechtsverletzung vorgetragen, auf der die erstinstanzliche Entscheidung beruhen würde (§ 513 Abs. 1 ZPO).

Gründe:

Zu Recht hat das Landgericht seine Beschlußverfügung vom 14.03.2005 aufrecht erhalten. Denn der Verfügungsklägerin steht gegenüber der Verfügungsbeklagten der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus den §§ 8 Abs. 1, Abs. 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. §§ 3, 5, 6, 7 MPG zu.

1. Die streitgegenständlichen Lesehilfen sind Medizinprodukte im Sinne des Medizinproduktegesetzes.

a) Medizinprodukte sind alle einzeln oder miteinander verbundenen verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegenstände einschließlich der für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinprodukts eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktion zum Zwecke

aa) der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten,

bb) der Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen

......

zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht werden kann, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.

Bei der Altersweitsichtigkeit handelt es sich um eine Behinderung.

Die Lesefähigkeit ist hierbei im Vergleich zu anderen Menschen eingeschränkt. Dies stellt eine Behinderung dar. Dass dies vielfach eine auf den Alterungsprozeß zurückzuführende Eigenschaft ist, ist nach Ansicht des Senats unerheblich.

Insoweit ist nicht der Behinderungsbegriff des SGB zugrunde zu legen, da das SGB eine völlig andere Zielrichtung hat, als das Medizinproduktegesetz. Während das SGB Fragen des Sozialrechts, so zum Beispiel der Erwerbsminderung, der Schwerbeschädigteneigenschaft zum Ziel hat, ist das Medizinproduktegesetz Verbraucherschutzvorschrift. Es dient nämlich der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Patienten, der Anwender und Dritter (vgl. EG-Richtlinie 93/42).

Viele Behinderungen, Krankheiten und Beschwernisse sind auf den Alterungsprozeß zurückzuführen. Folgte man der Argumentation der Verfügungsbeklagten, würden alle Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe und Zubereitungen, die der Linderung oder Kompensation von Altersbeschwerden, wie zum Beispiel Gebrechlichkeit, Schwerhörigkeit, Knochenschwäche usw. dienen, aus dem Anwendungsbereich des MPG herausfallen. Dies kann angesichts der Schutzrichtung des Gesetzes nicht richtig sein.

Daher gehören nach ganz gängiger Meinung auch Sehhilfen und Hörhilfen zu den Medizinprodukten (Schorn, Medizinprodukterecht M 2 - 1/26 = § 2 MPG, Rn 48).

b) Die Mitteilung der Regierung von Oberbayern, dass nicht für den Patienten angepasste Lesehilfen keine Medizinprodukte seien, bindet die Zivilgerichte bei der Beurteilung, ob es sich um solche handelt, nicht.

aa) Zwar ist der Tatbestand des § 4 Nr. 11 UWG nicht erfüllt, wenn ein Marktverhalten durch einen Verwaltungsakt ausdrücklich erlaubt ist und der Verwaltungsakt nicht nichtig ist (BGH NJW 2005, 2705 = GRUR 2005, 778 m.w.N.).

Vorliegend wurde aber kein Verwaltungsakt erlassen, sondern nur eine allgemeine Rechtsauskunft erteilt. Denn die Äußerung der Regierung von Oberbayern enthält keine Regelung, wie dies für einen Verwaltungsakt mit Tatbestandswirkung unverzichtbar ist (BGH a.a.O.).

Ob insoweit eventuell ein Verschulden, wie es für einen Schadensersatzanspruch erforderlich wäre, bei der Berufungsbeklagten fehlt, kann dahin stehen, da vorliegend allein Unterlassungs-ansprüche geltend gemacht werden. Dafür ist ein Verschulden jedoch nicht erforderlich.

bb) § 27 MPG regelt den Fall, dass eine CE-Kennzeichnung unrechtmäßig angebracht wurde oder ein Produkt unzulässigerweise die CE-Kennzeichnung als Medizinprodukt trägt. Dann hat die Behörde die entsprechenden Maßnahmen zu treffen. Dies wäre dann ein Verwaltungsakt. Diese Maßnahmen sind vorliegend gerade aber nicht getroffen worden.

cc) Ein Gutachten ist nicht erforderlich, da es vorliegend nicht, wie im von den Beklagtenvertretern zitierten Urteil des BGH (Az: 1 ZR 194/02) um eine Fachfrage, sondern um eine Rechtsfrage geht. Für deren Beurteilung sind aber die Gerichte zuständig.

2. Die einschlägigen Voorschriften des MPG sind dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln (Baumbach/Hefermehl/Köhler, Wettbewerbsrecht, 23. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 125).

3. Die Vorschriften, die einen Unterlassungsanspruch begründen, hat das Landgericht zutreffend dargestellt.

Weitere Ausführungen sind insoweit nicht erforderlich.

Die Berufung erweist sich insgesamt ohne Aussicht auf Erfolg. Der Senat empfiehlt deshalb, nicht zuletzt aus Kostengründen die Berufung zurückzunehmen. Die Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO löst nämlich 4 Gerichtsgebühren aus, selbst wenn der Beschluss nur auf die oben mitgeteilten Gründe Bezug nimmt (KV 1413). Im Falle der Rücknahme des Rechtsmittels ermäßigt sich die gerichtliche Verfahrensgebühr um 2,0 (KV 1415).

Es wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen gegeben.

Ende der Entscheidung

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