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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 27.09.2000
Aktenzeichen: 4 U 2350/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 839 Abs. 1
1. Wird einem verkehrssicherungspflichtigen Amtsträger von einer kompetenten Stelle wie der Polizei eine vom Zustand der Fahrbahn ausgehende Gefährdung der Verkehrssicherheit gemeldet, so hat er den Verkehr durch Aufstellen geeigneter Schilder zu warnen, solange er nicht sicher sein kann, daß die Gefahrenmeldung zu Unrecht erfolgt ist.

2. Der Beweis des ersten Anscheins spricht dafür, daß solche Verkehrsschilder die Verkehrsteilnehmer zu einem die Gefahr vermeidenden Verhalten veranlaßt hätten.


Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

4 U 2350/99 4 O 7679/98 LG Nürnberg-Fürth

Verkündet am 27. September 2000

Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In Sachen

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht B und P aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. Juli 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 27. Mai 1999 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120.000,00 DM abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Entscheidung beschwert die Beklagte mit 87.256,17 DM.

Beschluß:

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird festgesetzt auf 87.256,17 DM.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls, den der Kläger erlitten hat, weil eine von der Beklagten ausgebrachte Calciumchlorid-Lösung dazu geführt hatte, daß die Fahrbahn des Frankenschnellwegs schmierig geworden war.

Der Kläger befuhr am 19. November 1997 gegen 14.35 Uhr in seinem PKW Porsche 911, amtl. Kennzeichen, den Frankenschnellweg in Nürnberg in südlicher Richtung. Am Kreuz Nürnberg-Hafen kam er auf der Überleitung zur A 73 ins Schleudern und prallte gegen die Leitplanke. Am Fahrzeug entstand Totalschaden.

Bereits zwischen 11.15 Uhr und 11.45 Uhr war einem Polizeibeamten, dem Zeugen T, aufgefallen, daß die Fahrbahn des Frankenschnellwegs schmierig war, und er hatte das Sprühfahrzeug der Beklagten gestoppt, weil er einen Zusammenhang zwischen der Sprühung und der Glätte vermutete. Nachdem über die Einsatzzentrale der Polizei gegen 12.00 Uhr das Stadtreinigungs- und Fuhramt der Beklagten von den Problemen, die bereits zu einem Unfall in der Ausfahrt Hafen geführt hatten, unterrichtet worden war, rief der Zeuge K der zuständige Beamte der Beklagten, das Sprühfahrzeug zur Kontrolle in den Betriebshof zurück und begab sich gegen 12.30 Uhr auf eine Kontrollfahrt entlang des Frankenschnellwegs, wobei er aber keinerlei Anzeichen für eine Glättebildung feststellte. Er kehrte gegen 13.15 Uhr in seine Dienststelle zurück, wo ihn gegen 14.00 Uhr Informationen der Polizei über weitere Unfälle erreichten. Daraufhin fuhr er erneut zur bereits erwähnten Ausfahrt Nürnberg-Hafen und stellte gegen 14.45 Uhr Glätte fest. Er veranlaßte zunächst den Einsatz von Ölbinder, dann von Streusalz zur Bekämpfung der Fahrbahnglätte und ließ Warnschilder aufstellen, die gegen 16.00 Uhr standen.

Die Bundesanstalt für Straßenwesen hatte bereits in einem Forschungsbericht aus dem Jahr 1989 von ihr durchgeführte Untersuchungen dokumentiert, die gezeigt hatten, daß die Fahrbahngriffigkeit durch das Ausbringen von Calciumchlorid-Lösungen reduziert wird, und zwar umso mehr, je höher die Taumittelkonzentration ist. Den Untersuchungen zufolge sind die Griffigkeitsabnahmen besonders groß, wenn das Calciumchlorid aus der Taumittellösung auf der Fahrbahn auskristallisiert, wozu es besonders bei relativ geringer Luftfeuchtigkeit von 40 % bis 45 % und Temperaturen um den Gefrierpunkt kommt. Die Auskristallisation erfolgt auch schneller, wenn die Fahrbahn wärmer als die Umgebung ist. In dem Merkblatt der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen für den Unterhaltungs- und Betriebsdienst an Straßen, Teil Winterdienst, ist dementsprechend die Anwendung "von Taustofflösungen allein in der Regel auf Taumittel-Sprühanlagen beschränkt. Dort kann der Empfehlung, die Gefahren für die Griffigkeit durch besondere Gestaltung des Straßenbelags zu minimieren, Rechnung getragen werden.

Zur Unfallzeit herrschten solche problematischen Witterungsbedingungen. Die Luftfeuchtigkeit lag bei ca. 45 %, die Temperatur bei 2,2 Grad und ein kalter, trockener Nordostwind der Windstärke a Bft beschleunigte die Verdunstung der Lösung zusätzlich.

Aus dem von der Beklagten eingesetzten Sprühfahrzeug floss die Streusalzlösung bei geöffnetem Ventil allein durch die Schwerkraft aus. Die ausfließende Menge konnte nicht in Abhängigkeit von der Fahrtgeschwindigkeit geregelt werden; sie war nur durch die Füllhöhe und die Bohrungen in der Ausflußleitung bedingt.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe seinen Unfall amtspflichtwidrig herbeigeführt, weil die versprühte Taustofflösung für das vorbeugende Sprühen ungeeignet sei. Ihr Einsatz sei lediglich in stationären Taumittelsprühanlagen sinnvoll. Auch sei die von der Beklagten verwandte Menge zu hoch gewesen. Dies alles sei allgemein bekannt. Außerdem habe der Zeuge K nach Kenntnis von der Meldung der Polizei über die Glättebildung auf dem Frankenschnellweg zunächst fehlerhaft keine und dann unzureichende Maßnahmen ergriffen. Schon nach der ersten Meldung gegen 12.00 Uhr sei er verpflichtet gewesen, zumindest eine Notbeschilderung aufstellen zu lassen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 93.006,23 DM nebst 4 % Zinsen seit 19. November 1997 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, für die Glättebildung nicht verantwortlich zu sein, weil diese unvorhersehbar gewesen sei. Nachdem die Kontrollfahrt des Zeugen K keinerlei Hinweise auf Glätte ergeben habe, sei es nicht pflichtwidrig gewesen, zunächst nichts zu unternehmen. Es liege ein derart atypischer Geschehensablauf vor, daß sie für den Schaden des Klägers nicht verantwortlich gemacht werden könne. Im übrigen treffe den Kläger ein Mitverschulden wegen überhöhter Geschwindigkeit.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen T und K sowie durch Verwertung der beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, Az.: 75 AR 233096/97. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf diese Akten und die Sitzungsniederschrift vom 10. März 1999 verwiesen (Bl. 35 ff. d.A.).

Mit Endurteil vom 27. Mai 1999, auf das zur näheren Sachdarstellung verwiesen wird, hat das Landgericht der Klage bis auf einen Betrag von 5.750,06 DM stattgegeben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe die Gefahrenquelle für den Straßenverkehr geschaffen, indem sie die Calciumchlorid-Lösung ausgebracht habe, und dann zu wenig getan, um die Straßenverkehrsteilnehmer vor dieser Gefahr zu schützen, obwohl sie von der Polizei darauf aufmerksam gemacht worden sei.

Die Beklagte hat gegen dieses ihr am 12. Juni 1999 zugestellte Urteil am 2. Juli 1999 Berufung eingelegt, die sie mittels eines am 28. Juli 1999 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatzes begründet hat.

Sie macht geltend, der Zeuge K habe nicht anders reagieren können, weil ihm die Ursächlichkeit der Calciumchlorid-Lösung für die Glättebildung nicht bekannt gewesen sei und er bei seiner Kontrollfahrt auch keine Glätte habe feststellen können. Das über die Einsatzzentrale der Polizei vermittelte Wissen um einen bereits geschehenen Unfall ändere hieran nichts. Im übrigen sei die Beklagte gar nicht befugt, verkehrsregelnde Maßnahmen zu treffen; sie benötige dazu die Zustimmung der obersten Landesbehörde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 27. Juli 1999 (Bl. 90 ff. d.A.) und die Replik vom 30. August 1999 (Bl. 106 ff. d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt:

I. Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 27. Mai 1999 wird abgeändert.

II. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt:

Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 27. Mai. 1999 wird zurückgewiesen.

Er ist der Auffassung, der Zeuge K habe seine Kontrollfahrt mit einer nicht nachvollziehbaren Leichtfertigkeit durchgeführt; andernfalls hätte ihm die Glättebildung auffallen müssen. Er sei verpflichtet gewesen, die Glätte beseitigen oder den Gefahrenbereich absperren zu lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten seines Vorbringens wird auf die Berufungserwiderung vom 5. August 1999 (Bl. 101 ff. d.A.) verwiesen.

Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beschluß vom 27. Oktober 1999, auf den Bezug genommen wird, durch Erholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. Ing. G vom 24. Januar 2000 (Bl. 127 ff. d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg, weil das Landgericht die Beklagte zu Recht wegen Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht verurteilt hat.

1. Mit dem Landgericht ist der Senat der Meinung, daß der verantwortliche Referatsleiter im Stadtreinigungs- und Fuhramt der Beklagten, der Zeuge K seine Amtspflichten dadurch verletzt hat, daß er erst weit nach 14.00 Uhr begonnen hat, verkehrssichernde Maßnahmen in die Wege zu leiten. Der Senat nimmt daher auf die diesbezüglichen Ausführungen in den Gründen des angefochtenen Urteils Bezug.

Auch wenn dem Zeugen K trotz seiner Stellung als für den Winterdienst einer Großstadt verantwortlicher Beamter die unstreitig vorhandenen, bei bestimmten Witterungsverhältnissen gefährlichen Eigenschaften der von ihm eingesetzter. Calciumchlorid-Lösung unbekannt gewesen sein sollten, hätte er auf die Meldung der Polizei anders reagieren müssen als geschehen.

a) Es war wohl noch vertretbar, daß der Zeuge sich um 12.00 Uhr am Unfalltag "nur" zu einer Kontrollfahrt entschloß, als er nach seiner eigenen Einlassung von der Einsatzzentrale der Polizei erfahren hatte, daß es mit dem Ausbringen einer Salzlösung im Bereich des Kreuzes Nürnberg-Hafen Probleme gebe, weil sich durch die Salzlösung stellenweise glatte Bereiche gebildet hätten und sich bereits ein Unfall in der Hafenausfahrt ereignet habe. Eine Pflicht zur Einleitung von Sofortmaßnahmen könnte zu diesem Zeitpunkt nur dann angenommen werden, wenn man dem Verantwortlichen ein bei ihm offenbar nicht vorhandenes Wissen über die Eigenschaften der Calciumchlorid-Lösung unterstellt.

b) Er hätte jedoch diese Kontrollfahrt sorgfältiger durchführen müssen. Dann wären ihm die Glättebildung und zumindest einer der bereits geschehenen Unfälle nicht verborgen geblieben und er hätte sogleich verkehrssichernde Maßnahmen einleiten können.

Der Zeuge K beschrieb seine Kontrollfahrt am 25. November 1997, also wenige Tage nach dem streitgegenständlichen Geschehen, gegenüber der Polizei folgendermaßen: "Ich fuhr dann mit einem PKW in den Bereich Nürnberg-Hafen und befuhr die Strecke vom Frankenschnellweg relativ zügig in Richtung Ausfahrt zur Hafenstraße. Dies war ungefähr gegen 12.30 Uhr. Im Bereich des Kreuzes Nürnberg-Hafen konnte ich keine Glättebildung feststellen. Die Sprühlösung war bereits abgetrocknet. Daraufhin fuhr ich, ohne etwas veranlaßt zu haben, zur Leitstelle zurück."

aa) Eine solche Vorgehensweise genügt nicht den Anforderungen, die hinsichtlich Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit an einen Amtsträger in der Stellung des Zeugen K gestellt werden müssen, dem nicht etwa von einem beliebigen Verkehrsteilnehmer, sondern von der Einsatzzentrale der Polizei mitgeteilt worden ist, daß die Sprühlösung, die er selbst hat ausbringen lassen, zu einem Glätteunfall geführt hat. Bei einer solch zügigen Befahrung ohne Bremsproben o.ä. können nähere Feststellungen kaum getroffen werden.

Im übrigen verwundert es selbst dann, wenn die Fahrt so zügig durchgeführt wurde, wie dies der Zeuge bei der Polizei behauptete, daß er den bereits geschehenen Unfall der Zeugin D nicht feststellen konnte. Nach den von dieser gegenüber der Polizei am 1. Dezember 1997 gemachten Angaben befuhr sie gegen 12.35 Uhr mit ihrem Opel Omega Caravan den Frankenschnellweg in Richtung A 73 und geriet so ins Rutschen, daß sie zunächst rechts und dann links gegen die Leitplanke prallte und mit ihrem Fahrzeug liegen blieb. Da die Zeugin mindestens bis zum Eintreffen der Polizei gegen 14.15 Uhr an der Unfallstelle am Kreuz Nürnberg-Hafen, ca. 200 m nordwestlich der Hafenstraße blieb, hätte der Zeuge K sie schon bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit sehen müssen.

Der Zeuge W, ein Reinigungsarbeiter der Beklagten, der um 12.00 Uhr von der Einsatzzentrale der Polizei den Auftrag erhalten hatte, im Bereich Wiener-/Vorjurastraße eine Ölspur abzudecken, hat dieses Unfallfahrzeug gemäß seiner am 21. November 1997 bei der Polizei gemachten Aussage bemerkt. Der Zeuge W hat diese Wahrnehmung gemacht, obwohl er anders als der Zeuge K nicht unterwegs war, um die näheren Umstände einer ihm von der Polizei mitgeteilten Fahrbahnglätte und eines bereits erfolgten Unfalls aufzuklären.

bb) Aber auch dann, wenn man sich die Kontrollfahrt so vorstellt, wie der Zeuge K sie bei seiner Vernehmung durch das Landgericht geschildert hat - er selbst hält allerdings seine Aussage vor der Polizei für zuverlässiger, wie sein Hinweis zeigt, diese sei 5 Tage nach dem Geschehen gemacht worden - hat der Zeuge Km seinen Pflichten nicht genügt.

Die Brems- und Beschleunigungsproben, von denen er der Kammer erzählt hat, sind offenbar nicht in geeigneter Weise durchgeführt worden. Denn sonst hätte der Zeuge K die Fahrbahnglätte festgestellt.

Es ist kein Grund ersichtlich, warum ausgerechnet der Fachmann K diese Feststellungen nicht hätte treffen können sollen, obwohl eine ganze Reihe von Zeugen die Schmierigkeit der Fahrbahn bemerkt hatten. Es waren dies der Zeuge D kurz nach 12.00 Uhr am Frankenschnellweg, Kreuz Nürnberg-Hafen, die Zeuginnen D und B gegen 12.30 Uhr an derselben Stelle, der Zeuge F gegen 12.45 Uhr an der Kreuzung Rothenburger Straße/Frankenschnellweg, die Zeugin W gegen 13.15 Uhr an der Ausfahrt Nopitschstraße sowie der Zeuge G gegen 13.30 Uhr wiederum am Kreuz Nürnberg-Hafen. Neben diesen gewöhnlichen Verkehrsteilnehmern, die ihre Beobachtungen zur Zeit der Kontrollfahrt des Zeugen IM gemacht haben, hatte bereits der Zeuge P T in der Zeit zwischen 11.15 Uhr und 12.00 Uhr umfangreiche Feststellungen treffen können. Sein Fahrzeug reagierte instabil, das ABS-System sprach bei mehreren Bremsungen an und die Fahrbahn fühlte sich auch beim Begehen vollkommen schmierig an. Auch sah der Zeuge T mehrere Fahrzeuge mit blockierten Reifen ins Rutschen geraten, wenn sie verkehrsbedingt bremsen mußten.

Der Zeuge K hätte nach Überzeugung des Senats nur mit derselben Sorgfalt wie der Polizeihauptmeister T seine Pflichten erfüllen müssen; dann hätte er bei seiner Kontrollfahrt genügend Feststellungen zur Glättebildung treffen können, um geeignete Maßnahmen zur Abwendung der hieraus für den Verkehr resultierenden Gefahren treffen zu können. Es erscheint ausgeschlossen, daß andere Ursachen als die Nachlässigkeit des Zeugen K bei der Durchführung dieser Kontrollfahrt dazu geführt haben könnten, daß ihm keinerlei Glätte und kein Unfall aufgefallen sind. Nicht in Betracht kommt insbesondere eine etwa inzwischen - seit den Feststellungen des Zeugen T - eingetretene Abtrocknung der Fahrbahn. Denn die Griffigkeit der Fahrbahn konnte sowohl bei feuchter Fahrbahn reduziert sein - an solchen Stellen hatte der Zeuge T die Glätte vorgefunden - wie bei trockener Fahrbahn. Bei solchen Verhältnissen hatten die anderen oben genannten Zeugen ihre Beobachtungen gemacht. Nach den erwähnten Forschungsergebnissen der Bundesanstalt für das Straßenwesen trat die Gefahr sogar erst dann auf, wenn eine gewisse Mindestabtrocknung erfolgt war.

Der Wechsel von glatten zu griffigen Fahrbahnstellen läßt sich mit Hilfe der unstreitigen Ergebnisse des vorliegenden TÜV-Gutachtens gut dadurch erklären, daß die Konzentration der vom Sprühfahrzeug ausgebrachten Sole auf der Fahrbahnoberfläche stark schwankte. Da dieses die Menge der ausfließenden Sole nicht geschwindigkeitsabhängig steuern konnte, wurde bei langsamer Fahrweise viel Sole und bei schneller Fahrt weniger Sole auf die gleiche Fahrbahnfläche verteilt. Entsprechend mehr oder weniger Calciumchlorid konnte mithin auskristallisieren und dabei die Griffigkeit der Fahrbahn mehr oder weniger beeinträchtigen.

c) Darüber hinaus ist dem Zeugen K noch eine weitere Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen.

Er wäre nach Meinung des Senats verpflichtet gewesen, vor Rückkehr in sein Büro mit der Einsatzzentrale der Polizei Kontakt aufzunehmen und sich die als glatt geschilderte Stelle näher lokalisieren oder sie sich sogar von einem Streifenwagen zeigen zu lassen. Angesichts der Verkehrsbedeutung des Frankenschnellwegs mußte er als derjenige, der für die Sicherheit des Verkehrs auf dieser Straße verantwortlich war, versuchen, die Frage näher aufzuklären, warum die Polizei Fahrbahnglätte und zumindest einen Unfall feststellen konnte, er aber nicht. Er durfte die Sache nicht auf sich beruhen lassen und Tausende von Kraftfahrern ohne Warnung eine Fahrbahn benutzen lassen, die er möglicherweise - wenn auch ungewollt - durch das Versprühen der Calciumchlorid-Lösung in einen verkehrsunsicheren. Zustand hatte versetzen lassen.

2. Der Beklagten war es auch tatsächlich und rechtlich möglich und zumutbar, Maßnahmen zur Verringerung oder Behebung der von ihr hervorgerufenen Glätte zu treffen.

a) Wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, wäre daran zu denken gewesen, Warnschilder mit einem Hinweis auf Glättegefahr aufzustellen, eine Geschwindigkeitsbeschränkung anzuordnen oder auch zu versuchen, durch Ausbringung von abstumpfenden Mitteln oder auch von Streusalz die Gefahr zu beseitigen.

Solche Maßnahmen hat die Beklagte dann später auch ab ca. 14.30 Uhr in die Wege geleitet. Mit Hilfe von Streusalz gelang es dann schließlich auch gegen 18.00 Uhr, die Glätte zu beseitigen.

Auch wenn nicht alle diese Maßnahmen geeignet gewesen wären, die Gefahr einer Straßenverkehrsgefährdung sofort und vollständig zu beseitigen, so waren sie doch in jedem Fall geeignet, die Gefahr zu verringern. Zumindest das Aufstellen von Warnschildern konnte auch angeordnet werden, wenn die genaue Ursache der Glättebildung noch nicht bekannt war.

Von solchen Warnschildern wird vertrautet, daß sie die Verkehrsteilnehmer zu angemessenem, die Gefahr vermeidendem Verhalten veranlaßt hätten (OLG Celle VersR 80,387; Palandt/Thomas, BGB, 59. Aufl., § 823 Rn. 125).

b) Entgegen ihrer in der Berufungsbegründung geäußerten Rechtsauffassung, war die Beklagte auch rechtlich in der Lage, verkehrsbeschränkende Maßnahmen nach der StVO zu treffen, ohne hierzu die Zustimmung der obersten Landesbehörde einholen zu müssen. Denn diese Zustimmung ist entbehrlich, wenn die Maßnahmen durch unvorhergesehene Ereignisse veranlaßt sind (Vwv III.3 zu § 45 Abs. 1 bis 1 d StVO, abgedruckt bei Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl.). Wie die nach dem streitgegenständlichen Unfall getroffenen Anordnungen der Beklagten, Schilder mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h (Zeichen 274 zu § 41 StVO) mit dem Hinweis "Ölspur" aufzustellen, zeigte, wußte die Beklagte auch damals, daß sie diese Befugnis besaß.

3. Der Senat geht davon aus, daß der Unfall des Klägers hätte vermieden werden können, wenn die Beklagte auch nur Warnschilder wie das vom Landgericht angesprochene Zeichen 114 zu § 40 StVO "Glättegefahr" aufgestellt hätte.

Zwar kann nicht mit allerletzter Sicherheit ausgeschlossen werden, daß der Kläger solche Warnungen ignoriert hätte oder daß seine Reaktion nicht ausgereicht hätte, um den Unfall zu vermeiden. Diese Ungewißheit geht aber zu Lasten der Beklagten. Denn der Beweis des ersten Anscheins spricht dafür, daß die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ursächlich für den Unfall war, daß der Kläger nicht unabhängig von der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht verunfallt wäre (Palandt, a.a.O., § 823, Rn. 168, 61 m.w.N.).

4. Die Beklagte haftet demnach schon wegen der Amtspflichtverletzung ihres Mitarbeiters K, die in der unzureichenden und verspäteten Reaktion auf die Meldung der Polizei über die von der versprühten Sole hervorgerufene Glättebildung liegt. Es kann daher offen bleiben, ob ihm nicht schon deshalb eine Verletzung seiner Amtspflichten vorzuwerfen ist, weil er diese Sole überhaupt vorbeugend auf die trockene Fahrbahn hat sprühen lassen und dabei auch noch ein Fahrzeug eingesetzt hat, das über eine hierfür allenfalls bedingt geeignete technische Ausrüstung verfügte,, die es nicht ermöglichte, eine gleichmäßige Verteilung der Sole auf der gesamten Fahrbahn zu gewährleisten.

Immerhin steht aufgrund des Gutachtens der TÜV Anlagen- und Umwelttechnik GmbH vom 21. Januar 1998 fest, daß das vorbeugende Ausbringen von Streusalz-Lösung solcher Konzentration auf den trockenen Asphalt in Deutschland unüblich ist, weil es im In- und Ausland bereits mehrfach zu Glätteunfällen aufgrund solcher Lösungen gekommen ist. Dieses Gutachten wurde von der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth erholt und kann im vorliegenden Verfahren im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden (Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 286, Rn. 11, m.w.N.).

Bevor von einer Amtspflichtverletzung des Zeugen K= auch in dieser Hinsicht gesprochen werden könnte, müßte aber noch weiter aufgeklärt werden, ob der Zeuge in der Lage war, sich über die Ergebnisse der von der Bundesanstalt für das Straßenwesen in den Jahren 1988/1989 angestellten Untersuchungen und den Inhalt des Merkblatts der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen für den Unterhaltungs- und Betriebsdienst an Straßen, Teil Winterdienst, Ausgabe 1997, zu unterrichten, obwohl es sich bei beiden Stellen nicht um Einrichtungen der Stadtverwaltung Nürnberg handelt.

5. a) Die Beklagte hat dem Kläger seinen gesamten Schaden zu ersetzen. Sie kann sich nicht auf ein mitwirkendes Verschulden des Klägers etwa in Gestalt von überhöhter Geschwindigkeit berufen.

Denn das zu dieser Frage vom Senat erholte Gutachten des Sachverständigen Dr. Ing. G vom 24. Januar 2000 hat ergeben, daß der Kläger nur mit einer Geschwindigkeit von 61 km/h bis 71 km/h unterwegs war. Da an der Unfallstelle aber eine Geschwindigkeit von 80 km/h zulässig gewesen wäre, kann dem Kläger insoweit kein Vorwurf gemacht werden.

b) Dem Kläger ist auch ein Schaden in Höhe von 87.256,17 DM entstanden. Der Zinsanspruch beruht auf den §§ 284 Abs. 1 Satz 1, 288 BGB.

Auch die Berufung erhebt insoweit keine Einwendungen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Beschwer war gemäß den §§ 3, 546 Abs. 2 ZPO festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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