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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 04.07.2006
Aktenzeichen: 4 U 535/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 406
ZPO § 42
1. Das Unterlassen der Benachrichtigung beider Parteien von einer Ortsbesichtigung rechtfertigt nicht die Ablehnung eines Sachverständigen.

2. Es begründet auch nicht die Besorgnis der Befangenheit, wenn ein Sachverständiger zur Beweisfrage (hier. Geeignetheit eines Flugplatzgeländes für Autorotationsübungen von Hubschraubern) Äußerungen von dritten Personen, die er hierzu befragt hat, in sein Gutachten aufnimmt.


4 U 535/05

Nürnberg, den 04.07.2006

In Sachen

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 4. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss:

Tenor:

Das Gesuch der Klägerin vom 8.5.2006, den Sachverständigen Dr. M V wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.

Gründe:

Am 7.3.2003 wurde bei einer "Autorotationsübung" im Rahmen eines Überprüfungsflugs auf dem Gelände des Flugplatzes H ein im Eigentum der Klägerin stehender Hubschrauber beschädigt. Sie macht deswegen Ersatzansprüche gegen die Beklagte geltend; diese habe für schuldhaftes Verhalten des mit hoheitlichen Aufgaben betrauten Sachverständigen H G einzustehen, welches zu dem Schaden geführt hätte. Das Verschulden wird u.a. damit begründet, dass eine Autorotationsübung über einem hierfür ungeeigneten Gelände angeordnet worden sei. Der Senat hat mit Beweisbeschluss vom 8.11.2005 ein Sachverständigengutachten hierzu in Auftrag gegeben. Als Sachverständiger wurde Dr. M V, N D bestimmt, der folgende Fragen zu beantworten hatte:

1. Existieren für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Vorschriften, über die Bodenbeschaffenheit des Geländes für Autorotationsübungen?

2. Falls derartige Vorschriften nicht existieren, gibt es eine allgemein übliche Praxis für die Auswahl des Übungsgeländes?

3. War das Gelände des Flughafens H für die Durchführung von Autorotationsübungen geeignet? Dabei ist davon auszugehen, dass in der Nacht des 6.3.2003 bis gegen 5.00 Uhr des 7.3.2003 3-5 1/m2 Regen gefallen war. Der 7.3.2003 verlief bei Temperaturen bis etwa 8° C niederschlagsfrei. Der Unfall ereignete sich am 7.3.2003 um 15.37 Uhr.

Auf das Gutachten des Deutschen Wetterdienstes (Anlage K 18) und die übergebenen Lichtbilder (Anlage K 17) wird hingewiesen. Nach der Darstellung des Klägers liegt die Aufsetzstelle im hinteren Drittel der von den Flughafengebäuden am weitesten entfernt liegenden rechteckigen Grünfläche zwischen Taxiway und Landebahn.

Ein Ablehnungsgesuch der Klägerin vom 28.11.2005 wegen in der Person des Sachverständigen liegender Gründe hat der Senat unter dem 3.1.2006 zurückgewiesen. Am 8.4.2006 erstellte der Sachverständige Dr. V das schriftliche Gutachten; dabei verwertete er Erkenntnisse aus einer eigenen Besichtigung des Flugplatzes H am 3.4.2006, ohne dass der Termin den Parteien vorher mitgeteilt worden war. Eine anlässlich dieses Termins ihm gegenüber gemachte Äußerung von Herrn A Sch (Luftaufsicht am Kontrollturm) über frühere Autorotationsübungen auf diesem Gelände fand Eingang in das Gutachten.

Die Klägerin stellte unter dem 8.5.2006 ein erneutes Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen. Sie begründete dies zum einen damit, dass er die Parteien vom Ortstermin nicht verständigt hatte. Zum anderen habe er angebliche Äußerungen der Luftaufsicht am Kontrollturm H in seinem Gutachten verwertet, womit er über seinen Gutachtensauftrag hinaus gegangen sei. Gleiches gelte für die durchgeführte Befragung ziviler und militärischer Behörden. Im Übrigen handele es sich bei dem Sachverständigen nicht um einen Piloten, so dass er für die anstehenden Fragen keine ausreichende Sachkunde aufweise; auch deswegen wäre die Ablehnung gerechtfertigt.

II.

Das erneute Ablehnungsgesuch der Klägerin gegenüber dem Sachverständigen Dr. V war zurückzuweisen, da die zur Begründung herangezogenen Umstände ein subjektives Misstrauen einer Partei an dessen Unparteilichkeit bei vernünftiger Betrachtungsweise nicht rechtfertigen können, §§ 406, 42 ZPO.

1. Der Sachverständige hat in seiner Stellungnahme eingeräumt, dass er den Ortstermin kurzfristig ohne Verständigung beider Parteien durchgeführt habe, weil er die Witterungslage als mit dem Unfalltag vergleichbar erkannt hätte. Um diesen "günstigen" Zeitpunkt nicht verstreichen zu lassen, habe er davon abgesehen, die Parteien zu informieren.

a) Zwar ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass aus dem rechtsstaatlichen Anspruch auf ein faires Verfahren den Parteien ein Recht auf Benachrichtigung und Anwesenheit zusteht, wenn für ein Sachverständigengutachten eine vorbereitende Ortsbesichtigung durchgeführt wird (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 25. Aufl., § 357, Rn. 1 m.w.N.). Dieses Versäumnis rechtfertigt es jedoch allenfalls, die bei diesem Ortstermin gewonnenen Erkenntnisse anzuzweifeln und ggfs. erneut überprüfen zu lassen (vgl. Zöller a.a.O., § 398 Rn. 5). Ein Misstrauen in die Unparteilichkeit des Gutachters kann dadurch aber nicht begründet werden. Dies wäre dann der Fall, wenn der Sachverständige die Parteien unterschiedlich behandelt hätte. Dies ist aber nicht geschehen, denn keine der beiden Parteien wurde informiert.

Die Ortsbesichtigung hat nicht an einem Ort stattgefunden, an dem eine der Parteien ohnehin präsent gewesen wäre; der Sachverständige hat auch nicht einseitig Unterlagen aus dem Zugriffsbereich einer der Parteien verwendet. Mit dem vom BGH am 14.5.1975 (NJW 75, 13 63) entschiedenen Fall ist die vorliegende Sachlage nicht vergleichbar.

b) Einem Sachverständigen kann es nicht verwehrt sein, ggfs. auch neue Tatsachen festzustellen, die er für eine ordnungsgemäße Beurteilung der gestellten Frage für erforderlich hält. Dies ist jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn die tatsächlichen Grundlagen seines Gutachtens erkennbar gemacht werden und die Parteien dadurch Gelegenheit haben, seine Feststellungen ggfs. anzugreifen und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen anzuzweifeln. Es wird dann Sache des Gerichts sein, die dem Gutachten zugrunde liegenden tragenden Feststellungen im Rahmen einer ordnungsgemäßen Beweisaufnahme zu überprüfen (vgl. OLG München, Rpfleger 1983, 319).

c) Hier hat der Sachverständige nicht nur die Tatsache offen gelegt, dass er einen Ortstermin am Flugplatz H durchgeführt hat, sondern auch die von ihm dabei konkret festgestellten Umstände aufgezeigt. Soweit eine Partei es für sachdienlich und erforderlich hält, nähere Umstände der vom Sachverständigen getroffenen Maßnahmen aufklären zu lassen, können hierzu entsprechende Nachfragen an den Sachverständigen gerichtet werden.

2. Der Sachverständige Dr. V ist mit seinen Ermittlungen und Feststellungen nicht über den gerichtlichen Gutachtensauftrag hinausgegangen. Die unter Nr. 3 des Beweisbeschlusses gestellte Frage der Geeignetheit des Geländes am Flugplatz H für Autorotationsübungen legt es sogar nahe, Informationen vor Ort einzuholen. Für die Frage, ob die ihm gegebenen Auskünfte inhaltlich zutreffend sind, gilt das oben unter Nr. 1 b) Gesagte entsprechend.

3. Zur Beantwortung von Beweisfragen ist es nicht erforderlich, dass der Sachverständige selbst Pilot ist. Diese Thematik wurde im Übrigen bereits mit Beschluss vom 3.1.2006 (dort Nr. 4.) abgehandelt; der Senat nimmt auf die dortigen Ausführungen Bezug.

III.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung; weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 3 ZPO). Die im Ablehnungsgesuch zitierte Entscheidung des Kammergerichts vom 29.4.1982 (MDR 82, 762) hat in der veröffentlichten Rechtsprechung keine Bestätigung gefunden. Die vom Senat vertretene Rechtsauffassung entspricht vielmehr derjenigen des OLG Dresden, welches sich im Beschluss vom 25.11.1996 (NJW-RR 1997, 1354) ausführlich mit der genannten Entscheidung auseinandergesetzt und diese mit zutreffender Begründung abgelehnt hat. Diese und eine vergleichbare Entscheidung des LG Konstanz (BauR 95, 887; bestätigt vom OLG Karlsruhe in der Beschwerdeinstanz) sind in der Literatur auf Zustimmung gestoßen (Musielak-Huber, ZPO, 3. Aufl., § 406, Rn. 11; Zöller-Greger, ZPO, 25. Aufl., § 406, Rn. 9 jeweils m.w.N.).

Der Beschluss des Kammergerichts vom 29.4.1982 ist, soweit ersichtlich, eine Einzelfallentscheidung geblieben. Zwar hat das OLG Dresden (a.a.O.) ausgeführt, dass das Kammergericht an seiner Rechtsauffassung festgehalten habe. Die hierfür zitierte Entscheidung (KG Report 1996, 191) betrifft aber einen Sachverhalt, bei dem beide Parteien nicht vom Sachverständigen zur Besichtigung eingeladen wurden, jedoch eine der Parteien trotzdem daran teilgenommen hat. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Problematik ist im Münchener Kommentar (vgl. MüKo-Damrau, ZPO, 2. Aufl., § 406, Rn. 5) nicht erhalten, so dass von einer zustimmenden Argumentation nicht ausgegangen werden kann. Die in der Fußnote der Kommentarstelle weiter zitierten Entscheidungen betreffen ausnahmslos Fälle der einseitigen Benachrichtigung einer Partei.

Ende der Entscheidung

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