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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 30.04.2002
Aktenzeichen: 4 W 1171/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 406
ZPO § 97 Abs. 1
Scharfe, unter gewöhnlichen Umständen sogar überzogen formulierte Angriffe eines gerichtlichen Sachverständigen gegen die fachlichen Thesen einer Partei und des hinter ihr stehenden Privatgutachters rechtfertigen die Ablehnung des Sachverständigen dann nicht, wenn sie lediglich die Reaktion auf heftige Attacken der Partei darstellen, die ihm ihrerseits mit harschen Worten ("unsinnig", "willkürlich", "unprofessionell, ja geradezu hilfslos"), die Kompetenz auf seinem Fachgebiet abgesprochen hatte, - vorausgesetzt, die Entgegnung des Sachverständigen hält sich trotz aller Schärfe noch in einem angemessenen Rahmen.
4 W 1171/02

Nürnberg, den 30.4.2002

In Sachen

wegen Schadensersatzes u.a.,

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 4. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vom 14. März 2002 wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

III. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 37.000 Euro.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 406 Abs. 5 ZPO), jedoch unbegründet.

I.

Die Entscheidung des Landgerichts, den Ablehnungsantrag der Beklagten zurückzuweisen, ist nicht zu beanstanden, sondern entspricht der Sach- und Rechtslage. Die Schlussfolgerungen, zu denen es in der Begründung des angefochtenen Beschlusses gelangt, treffen zu und werden durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet.

a) Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass der Sachverständige nicht bei allen seiner Formulierungen das Maß an Zurückhaltung geübt hat, das auch bei einem kontroversen Meinungsaustausch möglich, wünschenswert und zweckmäßig wäre. Dass sich der Sachverständige der gelegentlichen Schärfe seines Tons durchaus selbst bewusst ist, lässt sich seiner Stellungnahme vom 1. Februar 2002 entnehmen, in der er angesichts der Angriffe der Beklagten ein Recht zu "scharfen Worten" beansprucht und seine "engagierte Ausdrucksweise" verteidigt. Es mag auch sein, dass sich die Beklagte - wenn auch letztlich unbegründet - durch die heftigen Angriffe des Sachverständigen gegen die fachlichen Thesen ihres Privatgutachters mittelbar auch persönlich angegriffen fühlt und dass sie befürchtet, der Sachverständige könne eventuelle Aversionen gegen seinen Kollegen auch auf sie selbst übertragen.

Andererseits hat das Landgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass die mitunter "drastischen" Formulierungen des Sachverständigen nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Sie sind vielmehr vor dem Hintergrund der nicht weniger scharfen Kommentare zu sehen, mit denen zuvor die Beklagte (gestützt auf ihren Privatgutachter) die Gutachten des Sachverständigen regelrecht abqualifiziert und ihm die fachliche Kompetenz abgesprochen hatte (z.B. "unsinnige Behauptungen", "völlig unsinnige Klimaannahmen", "willkürliche Eingabewerte", "improfessionell, ja geradezu hilflos", "Unfähigkeit").

Auch der Beklagten soll keineswegs das Recht streitig gemacht werden, ein als Fehlleistung empfundenes Gutachten mit sehr deutlichen oder gar überspitzten Formulierungen zu kritisieren, zumal im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung (Wahrnehmung berechtigter Interessen, vgl. § 193 StGB). Jedoch muss sie sich dann im Gegenzug gefallen lassen, dass auch der so heftig attackierte Sachverständige in seiner Entgegnung einen schärferen Ton anschlägt, als er ohne solche ins Persönliche gehenden Angriffe angebracht wäre (Zöller-Greger, ZPO, 23. Aufl., § 406 Rn 9).

Die Reaktion eines hart angegangenen Sachverständigen darf freilich nicht über das Ziel hinaus schießen und ins Unangemessene abgleiten. Davon kann jedoch im konkreten Fall noch keine Rede sein. Mag auch - wie dargelegt - die eine oder andere Formulierung des Sachverständigen unnötig scharf ausgefallen sein, so hält sich doch seine Entgegnung noch immer im Rahmen dessen, was eine Partei, die bei ihrem Angriff gegen den Sachverständigen selbst "mit harten Bandagen" kämpft, als Reaktion des Angegriffenen hinnehmen muss.

b) Nicht von der Hand zu weisen ist freilich die Kritik der Beklagten an der Schlussfolgerung, die der Sachverständige daraus gezogen hat, dass sie (bzw. der hinter ihren Fachausführungen stehende Privatgutachter) bei der Bewertung ihrer Leistungen wiederholt von "Stand der Technik" spricht, ohne hierbei ausdrücklich auf die "allgemein anerkannten technischen Regeln" einzugehen. Aus der Formulierung, ihre einschlägigen Leistungen entsprächen dem "Stand der Technik", glaubt der Sachverständige herauslesen zu können, dass die Beklagte damit mittelbar selbst einräume, die weiter gehenden - nämlich auch noch die Bewährung in der Baupraxis einschließenden - "allgemein anerkannten Regeln der Baukunst" nicht eingehalten zu haben (vgl. Ergänzungsgutachten - 507 - u.a.).

Diesen Umkehrschluss des Sachverständigen hält der Senat keineswegs für zwingend. Denkbar ist vielmehr auch, dass der Privatgutachter sich entweder unscharf ausgedrückt hat oder dass er im Gegenteil ganz bewusst zum Ausdruck bringen wollte, die von der Beklagten erbrachte Leistung entspreche nicht nur den bereits allgemein anerkannten Regeln der Technik, sondern zugleich auch dem neuesten Stand der Technik.

Andererseits ist der von der Beklagten gerügte Umkehrschluss aber auch nicht völlig aus der Luft gegriffen. Immerhin greift die Beklagte bei ihren Einwendungen gegen das Erstgutachten mit der Wendung "Stand der Technik" eine Formulierung auf, die nicht etwa von bautechnischen Laien ins Spiel gebracht worden ist, sondern wohl auf die Stellungnahme ihres Privatgutachters zurückgeht, - eines nach ihren eigenen Angaben renommierten Sachverständigen, der sich national wie international durch zahlreiche Veröffentlichungen als Praktiker und Wissenschaftler einen Namen gemacht hat. Wenn nun im Privatgutachten eines solchen Experten durchgängig die Wendung "Stand der Technik" auftaucht, obwohl dem Gutachter der Unterschied zu den "allgemein anerkannten Regeln der Technik" mit hoher Wahrscheinlichkeit geläufig ist, dann könnte man - wie der Gerichtssachverständige - in der Tat auf die Idee kommen, dass die etwas schillernde Wendung "Stand der Technik" ganz bewusst gewählt worden ist, - etwa um klarzustellen oder anzudeuten, dass die bewertete Leistung zwar noch nicht den allseits anerkannten Regeln der Baukunst entspricht, die sich in der Baupraxis bereits bewährt und durchgesetzt haben, wohl aber dem neuesten Stand der Bautechnik.

Entscheidend für die ablehnungsrechtliche Bewertung des vom Sachverständigen gezogenen Umkehrschlusses ist letztlich, dass der Sachverständige aus seiner Auslegung keinen Hehl gemacht, sondern sie klar zu erkennen gegeben und damit offen zur Diskussion gestellt hat. Dadurch hat er der Beklagten Gelegenheit geboten, seiner eigenen Auslegung entgegenzutreten und klarzustellen, was sie bzw. ihr Privatgutachter mit der Wendung "Stand der Technik" wirklich gemeint haben. Diese Klarstellung ist inzwischen erfolgt. Der Senat sieht keinerlei stichhaltigen Anhaltspunkt, dass der Sachverständige nicht bereit wäre, sich im Falle einer Gutachtensergänzung auf die von der Beklagten gegebene Deutung einzustellen und seine bisherige Schlussfolgerung zu überdenken.

c) Mit gewissem Recht kritisiert die Beklagte die Mutmaßung des Sachverständigen, die Herstellerfirma habe mit ihrer - nach seiner Meinung falschen Auskunft vom 17.2.2000 der Beklagten als ihrer Kundin "offensichtlich.... helfen" wollen. Zwar mögen die vom Sachverständigen aufgezeigten Widersprüche zu einer früheren Broschüre der Herstellerfirma - wie es der Sachverständige ausdrückt - "merkwürdig und bedenklich" sein. Mit seiner weiteren "Assoziation", die Herstellerfirma habe ihrem Kunden mit einer falschen Auskunft offensichtlich "helfen" wollen (Anführungsstriche auch im Gutachten), hat sich der Sachverständige jedoch auf Bewertungen und Spekulationen im subjektiven Bereich eingelassen, die von seiner Kompetenz als Sachverständiger kaum mehr gedeckt sind. Sie wären daher im Nachhinein betrachtet besser unterblieben.

Andererseits misst die Beklagte dieser Äußerung des Sachverständigen einen zu hohen Stellenwert bei, wenn sie den unterschwelligen Vorwurf unlauterer Machenschaften (die Beklagte spricht sogar von "Betrug") auch auf sich selbst bezieht. Der Sachverständige greift allein das nach seiner Meinung widersprüchliche und bedenkliche Verhalten der Herstellerfirma an. Mit keinem Wort unterstellt er hingegen der Beklagten selbst, dass sie eine bewusst falsche Auskunft wider besseres Wissen in den Rechtsstreit eingeführt oder sie gar "bestellt" habe.

d) Zu Unrecht wirft die Beklagte dem Sachverständigen (erkennbar gemeint: bewusste) Unwahrheiten im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zum Gebäude vor.

Der Sachverständige hat nicht etwa behauptet, das Gebäude oder dessen Nutzung seien schlechthin bedeutungslos (die eidesstattlich versicherten Ausführungen des Sohnes des Beklagten über die Einlagerung hochwertiger Waren und den hochwertigen Innenausbau führen daher nicht weiter). Vielmehr hat der Sachverständige lediglich die Größe jenes Gebäudes als "bedeutungslos" bezeichnet und sie zusammen mit anderen Merkmalen zum Anlass genommen, die von der Beklagten behauptete Vergleichbarkeit beider Objekte zu bestreiten (Gutachten - 550 -).

Auch hat der Sachverständige nicht fälschlich "so getan", als sei ihm der Dachaufbau unbekannt geblieben. Es mag zwar sein, dass ihm im Jahr 1997 der Sohn des Beklagten den Aufbau des Daches mit Worten beschrieben hat. Das hat der Sachverständige jedoch auch gar nicht bestritten. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten lediglich dargelegt, dass seinerzeit in der von der Beklagten benannten Dachfläche "keine Bauteilöffnungen ... durchgeführt wurden". Dass diese Auskunft falsch sei, wird von der Beklagten selbst nicht behauptet.

d) Die bloße Fehlerhaftigkeit, insbesondere Unvollständigkeit des Gutachtens, aber auch die mangelnde Qualifikation des Sachverständigen - selbst wenn diese Einwendungen der Beklagten zuträfen - würden für sich allein genommen noch keine Ablehnung wegen Befangenheit rechtfertigen (Senat, BauR 2002, 129; Thomas-Putzo, ZPO, 24. Aufl., § 406 Rn. 3).

Sollten in dieser Richtung Bedenken gegen das Gutachten oder gegen den Sachverständigen bestehen, kann das Gericht, wenn es dies für erforderlich hält, eine weitere Ergänzung des Gutachtens anordnen oder einen neuen Sachverständigen beauftragen. Den Parteien steht es frei, eine solche Maßnahme zu beantragen (§ 411 Abs. 3 und 4, § 412 ZPO).

e) Abschließend bleibt festzustellen, dass nach einer Würdigung aller von der Beklagten aufgezeigten Umstände - sowohl einzeln als auch in ihrer Gesamtheit - kein stichhaltiger Grund vorliegt, an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu zweifeln (§ 406 Abs. 1, § 42 Abs. 2 ZPO). Der von der Beklagten kritisierte "Ton des Eifers", der sich durch die gesamten Ausführungen des Sachverständigen ziehe, gilt erkennbar nicht ihrem Unternehmen, sondern ihrer Leistung, nämlich einem nach seiner Meinung verfehlten Dachaufbau, der eine Totalerneuerung erfordere. Eine solche sachverständige Einschätzung abzugeben, war die Aufgabe des Sachverständigen. Ob ihr zu folgen ist, muss das Gericht entscheiden.

II.

1) Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Kosten einer erfolglosen Beschwerde im Ablehnungs-Verfahren gehören nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht zu den gewöhnlichen Kosten des Rechtsstreits. Über sie ist daher bereits im Beschwerde-Beschluss zu entscheiden, unabhängig vom späteren Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache (vgl. Senat, BauR 2002, 129/130: Thomas-Putzo, ZPO, 24. Aufl., § 46 Rn 9; aM Zöller-Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 46 Rn 20; zum Meinungsstand siehe auch Schneider, MDR 2001, 130).

Die umstrittene Frage, ob eventuelle notwendige Kosten des Beschwerdegegners erstattungsfähig sind, stellt sich bei der Kostengrundentscheidung noch nicht; hierüber wird gegebenenfalls im Rahmen der Kostenfestsetzung zu entscheiden sein (Senat, Beschluss vom 3.8.2001, Az. 4 W 2481/01).

2) Als Wert des Beschwerdegegenstandes hat der Senat rund ein Drittel des derzeitigen Hauptsache-Streitwertes angesetzt (§ 12 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO; vgl. Senat, BauR 2002, 129/130).

3) Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 3 ZPO n.F.) besteht kein Anlass, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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