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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 03.11.2000
Aktenzeichen: 4 W 3686/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 888
ZPO § 888 - Aufschub der Zwangshaft

1. Ein Schuldner, der zum Widerruf einer Äußerung verurteilt ist, darf in seiner Widerrufs-Erklärung klarstellen, daß er sich damit lediglich einem Richterspruch beugt; dieser Vorbehalt darf jedoch nach Form und Inhalt den Widerruf nicht entwerten.

2. Eine Zwangshaft zur Herbeiführung einer unvertretbaren Handlung kann - auch befristet - aufgeschoben oder unterbrochen werden, wenn die Aussicht besteht, daß der Schuldner in dieser Zeit seiner Handlungs-Pflicht nachkommen wird.

OLG Nürnberg, Beschluß vom 3.11.2000 Aktenzeichen: 4 W 3686/00


4 W 3686/00 14 O 11283/96 LG Nürnberg-Fürth

Nürnberg, den 3.11.2000

In Sachen

wegen Widerrufs u.a.,

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 4. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners wird der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21. September 2000 dahin geändert, dass die Zwangshaft frühestens nach Ablauf von sechs Wochen vollzogen werden darf. Die Frist beginnt am Tag nach der Zustellung dieses Beschlusses an den Schuldner.

II. Im übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

III. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

IV. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 10.000 DM.

Gründe

I.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 793 ZPO). Sie führt jedoch nicht - wie beantragt zur Aufhebung der Haftanordnung sondern nur zum Aufschub ihrer Vollstreckbarkeit.

1) Die Anordnung der Zwangshaft gegen den Schuldner erfolgte zu Recht (§ 888 Abs. 1 ZPO). Auf Grund seines bisherigen Verhaltens erscheint sie auch dem Senat als angemessenes und notwendiges Druckmittel, um den Schuldner endlich zu den beiden Widerrufs-Erklärungen zu veranlassen, zu denen ihn das Landgericht Nürnberg-Fürth rechtskräftig verurteilt hatte (Versäumnisurteil vom 21. August 1997) und die er trotz Aufforderung des Gläubigers und schließlich sogar Haftandrohung des Gerichts nicht abgegeben hatte (vgl. Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 12. Mai 2000, auf dessen Inhalt und zutreffende Ausführungen Bezug genommen wird).

a) Zwar hat der Schuldner inzwischen - zusammen mit seiner sofortigen Beschwerde - zwei Widerrufs-Erklärungen vom 10. Oktober 2000 vorgelegt (mit notarieller Unterschrifts-Beglaubigung vom 11. Oktober 2000): Zum einen an den Fernsehsender TV , zum anderen an die Church, jeweils in A-(Neuseeland). Die Schriftstücke stellen jedoch keine ordnungsgemäße Erfüllung der Widerrufs-Pflicht dar. Zwar enthalten sie - von einigen Umformulierungen des Schuldners abgesehen - die ihm auferlegten Erklärungen. Beide Widerrufs-Erklärungen sind jedoch eingebettet in eine Reihe abschweifender, mitunter geradezu abenteuerlich anmutender Ausführungen, die mit dem Kern des Widerrufs nichts oder allenfalls nur am Rande zu tun haben.

b) Unabhängig davon, ob die angeblichen Begebenheiten wahr sind oder nicht, mindern die Begleit-Ausführungen den Wert der darin eingestreuten Widerrufs-Erklärungen ganz erheblich. Das Beiwerk ist für den Widerruf völlig überflüssig, lenkt den Blick und die Aufmerksamkeit des Lesers von der eigentlichen "Botschaft" ab und verwässert auf diese Weise die Widerrufs-Erklärung. Damit wird der Zweck des Widerrufs, nämlich ein klar erkennbares Abrücken von der im rechtskräftigen Urteil als falsch eingestuften Tatsachenbehauptung, weitgehend verfehlt.

c) Zwar steht es dem Schuldner frei, in seiner Widerrufs-Erklärung darauf hinzuweisen, dass er sie lediglich in Erfüllung eines rechtskräftigen Urteils abgibt (BVerfGE 28, 1 fF. = NJW 1970, 651 ff.; BGH NJW 1977, 1288/1291). ES wird ihm also nicht zugemutet, seine innere Überzeugung aufzugeben und diesen (womöglich nur scheinbaren) Überzeugungs-Wandel nach außen hin kund zu tun. Die innere Einstellung des Schuldners soll nicht gebrochen, er selbst soll durch den Widerruf nicht gedemütigt werden (BVerfG aaO.; BGH aaO.). Deshalb wäre aus rechtlicher Sicht nichts dagegen einzuwenden, dass der Schuldner im Rahmen der Widerrufs-Erklärung den Grund seines Tätigwerdens nennt und zu erkennen gibt, dass er in Erfüllung eines Richterspruchs handelt und sich mit seiner Erklärung lediglich der Rechtsordnung beugt. Jedoch hat diese Klarstellung in einer angemessenen Weise zu geschehen, die auch dem Anliegen des Gläubigers gerecht wird und den Widerruf nicht leer laufen lässt.

Im vorliegenden Fall beschränken sich jedoch die weit ausholenden Begleit-Bemerkungen des Schuldners nicht auf eine solche zulässige Klarstellung, sondern lassen den eigentlichen Widerruf in den Hintergrund treten. Damit verfehlen die beiden Widerrufs-Erklärungen ihren Zweck. Schon deshalb können sie nicht als ordnungsgemäße und - wie es im Urteil heißt - "uneingeschränkte" Erfüllung der Widerrufs-Pflicht anerkannt werden.

d) Abgesehen davon sind die Widerrufs-Erklärungen gegenüber den beiden im Urteil genannten Empfängern abzugeben, nicht - wie der Schuldner offenbar meint - gegenüber dem Gericht. Es ist nicht Aufgabe des Landgerichts Nürnberg-Fürth oder des Oberlandesgerichts Nürnberg, die vom Schuldner vorgelegten Erklärungen an die neuseeländischen Empfänger weiter zu leiten. Dies muss der Schuldner laut Urteil selbst besorgen bzw. besorgen lassen.

e) Hinzu kommt, dass die an TV zu richtende Erklärung von einem vereidigten Gerichtsdolmetscher in die englische Sprache zu übertragen ist. Auch dies ist bislang nicht geschehen.

f) Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass die Anordnung der Zwangshaft durch das Landgericht gerechtfertigt war und trotz der jüngst vorgelegten Widerrufs-Erklärungen weiterhin gerechtfertigt ist.

2) Allerdings hat sich gezeigt, dass die drohende Zwangshaft den Schuldner nicht unbeeindruckt gelassen hat. Immerhin hat er sich - wie die vorgelegten Schriftstücke andeuten - mittlerweile dazu durchgerungen, die von ihm verlangten Widerrufs-Erklärungen doch noch abzugeben, wenn auch nicht "uneingeschränkt" und zudem nicht in der vorgeschriebenen Form. Sein Einlenken lässt hoffen, dass er die oben dargelegten Bedenken des Senats aufgreift und seine Erklärungen nunmehr endlich so abfasst, dass sie dem Wortlaut und dem Sinn des Widerrufs-Urteils gerecht werden.

a) Auf Grund der neuen Entwicklung hält es der Senat deshalb für sachgerecht, die Vollziehbarkeit der Zwangshaft noch einmal um einige Wochen hinauszuschieben. Dadurch soll dem Schuldner Gelegenheit gegeben werden, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um seine Widerrufs-Pflicht ordnungsgemäß zu erfüllen.

Ein solcher Aufschub ist zwar in § 888 ZPO nicht ausdrücklich vorgesehen. Unter den gegebenen Umständen gebietet ihn jedoch der rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG), der auch im Zwangsvollstreckungsverfahren und speziell bei der Festsetzung von staatlichen Zwangsmitteln zu beachten ist (vgl. Stein-Jonas-Brehm, ZPO, 21. Auflage, § 888 Rn. 23 FN 114). Wenn schon während des Vollzugs der Zwangshaft eine befristete Haftentlassung zulässig ist, um dem erfüllungswilligen Schuldner die Vornahme der Handlung zu ermöglichen (aaO., Rn 31), dann muss erst recht der befristete Aufschub der Haft zulässig sein, wenn Aussicht besteht, dass der Schuldner die gewonnene Zeit nutzt, um seine rechtskräftig festgestellte Pflicht zu erfüllen.

Vorliegend ist ein nochmaliger Aufschub um so eher gerechtfertigt, als gegen den Schuldner nicht erst das mildere Mittel des Zwangsgelds verhängt worden ist, sondern von vornherein Zwangshaft (§ 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO), und auch diese sogleich bis zum Höchstmaß von sechs Monaten (§ 913 i.V.m. § 888 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Die Festsetzung und Bemessung der Zwangshaft waren zwar aus den im landgerichtlichen Beschluss vom 12. Mai 2000 dargelegten Gründen und auf Grund des Vorverhaltens des Schuldners ohne weiteres vertretbar. In Zusammenschau mit dem zwischenzeitlichen Einlenken des Schuldners und der Aussicht einer ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Widerrufs-Pflicht bestärken sie jedoch die Entscheidung, dem Schuldner eine weitere - möglicherweise die letzte Erfüllungs-Chance einzuräumen, um die Vollstreckung der Zwangshaft doch noch abzuwenden.

Letztlich liegt dieser Aufschub auch im wohlverstandenen Interesse des Gläubigers. Seinem Rehabilitierungs-Interesse ist durch den tatsächlichen Widerruf mehr gedient als durch den möglicherweise fruchtlosen Vollzug der Zwangshaft. Vor dem geschilderten Hintergrund steht der Aufschub auch im Einklang mit der Zielrichtung des Zwangsmittels. Zwangshaft nach § 888 ZPO ist nicht als Strafe für vorangegangenes Fehlverhalten gedacht, sondern als zweckgerichtetes Druckmittel zur Durchsetzung der im Urteil auferlegten Handlung.

b) Das Erstellen formgerechter Widerrufs-Erklärungen und ihre Übermittlung an die beiden Empfänger in Neuseeland ist nicht von Heute auf Morgen zu erwarten. Der Beklagte soll vielmehr Gelegenheit erhalten, seine neuen Erklärungen sorgfältig und ohne übermäßigen Zeitdruck zu formulieren (wobei ihm zu empfehlen ist, sich an den Wortlaut des Urteils zu halten, ohne dass er freilich gezwungen wäre, auch den von ihm bemerkten Schreibfehler des Urteils zu übernehmen, - schon gar nicht in der kleinlich wirkenden Weise, wie dies in seiner vorliegenden Erklärung an die Church geschehen ist). Der Schuldner soll darüber hinaus genügend Zeit haben, seinen Text mit seinem Rechtsanwalt abzustimmen. Sodann muss der Schuldner seine Unterschrift unter die an TV gerichtete Erklärung noch öffentlich beglaubigen und den Inhalt der Erklärung von einem vereidigten Gerichtsdolmetscher in die englische Sprache übertragen lassen. Zum Schluss muss er seine Erklärungen an die zwei neuseeländischen Empfänger übermitteln, - zweckmäßigerweise in einer Art und Weise, die es ihm ermöglicht, dem Gläubiger und notfalls auch dem Gericht die Erfüllung seiner Verpflichtung nachzuweisen.

Besteht der Gläubiger dann weiterhin auf dem Vollzug der Zwangshaft, dann müsste der Schuldner den Erfüllungs-Einwand durch Vollstreckungsabwehr-Klage nach § 767 ZPO geltend machen (also nicht etwa mit Rechtsbehelfen gegen die nunmehr rechtskräftige Haftanordnung; vgl. Stein-Jonas-Brehm, aaO., § 888 Rn. 32/48; Zöller-Stöber, ZPO, 21. Aufl., § 888 Rn 11 a.E.; Thomas-Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 888 Rn 20, 7). Die Erhebung der Vollstreckungs-Abwehrklage würde den Vollzug der Haftanordnung für sich allein genommen nicht hindern; um die drohende Verhaftung abzuwenden, könnte der Schuldner jedoch nach §§ 769, 767 ZPO die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragen.

Um dem Schuldner genügend Zeit einzuräumen, seinen Pflichten aus dem Widerrufs-Urteil sorgfältig nachzukommen und anschließend - falls nötig - rechtliche Vorkehrungen gegen eine trotzdem drohende Verhaftung zu treffen, hält der Senat eine Frist von sechs Wochen für angemessen, aber auch ausreichend.

Ende der Entscheidung

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