Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 29.11.2001
Aktenzeichen: 4 W 3713/01
Rechtsgebiete: ZPO, BRAGO


Vorschriften:

ZPO § 91
BRAGO § 31
BRAGO § 32
1. Eine rechtskräftige Kostengrundentscheidung ist auch dann verbindlich, wenn sie mit der Erfolglosigkeit einer Klageerweiterung begründet wird, die der Kläger zwar ursprünglich eingereicht, aber noch vor Antragstellung zurückgenommen hatte.

2. Befaßt sich der Prozeßbevollmächtigte der beklagten Partei in der Zeit zwischen Zustellung einer Klageerweiterung und deren Rücknahme mit dem erweiterten Antrag, ohne daß dies aber nach außen sichtbar geworden ist, so steht ihm (nur) eine halbe Prozeßgebühr nach § 32 Abs. 1 BRAGO zu.

3. Fällt aus dem einen Teil des Streitwerts eine volle, aus dem anderen nur eine halbe Prozeßgebühr an, so wird die dem Rechtsanwalt zustehende Gesamt-Prozeßgebühr der Höhe nach auf eine volle Prozeßgebühr aus dem Gesamt-Streitwert begrenzt.


4 W 3713/01

Nürnberg, den 29.11.2001

In Sachen

wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld,

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 4. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde des Rechtsanwalts der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 6. Juni 2001 in der Fassung vom 10. Oktober 2001 dahin geändert, dass der Kläger dem Beklagten über die bereits festgesetzten Kosten hinaus weitere 1.044 DM zu erstatten hat nebst 4 % Zinsen aus 858,40 DM seit 26. April 2001 und aus 185,60 DM seit 28. September 2001.

Die weiter gehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.

III. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 1.044 DM.

Gründe:

I.

Der Rechtsbehelf, den der Prozessbevollmächtigte des Beklagten aus eigenem Recht eingelegt hat, stellt der Sache nach eine sofortige Beschwerde dar. Als solche ist das Rechtsmittel zulässig (§ 9 Abs. 2 BRAGO; § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO; § 11 Abs. 1 RPflG).

II.

Die sofortige Beschwerde hat im Ergebnis Erfolg.

1) Ausleser der Meinungsverschiedenheit über die Höhe der zu erstattenden Kosten sind unterschiedliche Vorstellungen darüber, welcher Streitwert für die Bemessung der Prozessgebühr heranzuziehen ist.

Die umstrittene Streitwert-Differenz wiederum beruht darauf, dass der Kläger mit Anwaltsschriftsatz vom 27.12.2000 eine Klageerweiterung eingereicht, diese jedoch mit Schriftsatz vom 8.1.2001 wieder "reduziert" hatte. Beide Schriftsätze wurden dem Beklagten zunächst nicht förmlich zugestellt, sondern nur formlos bekannt gegeben, der erste am 2.1.2001, der zweite kurz nach seinem Eingang bei Gericht. Förmlich zugestellt wurden beide Schriftsätze erst am 15.1.2001, und zwar zusammen mit der Terminsverfügung vom 9.1.2001. In der mündlichen Verhandlung vom 22.3.2001 wurden dann nur die ermäßigten Klageanträge gestellt.

Bis zum Erlass des Endurteils vom 25.4.2001 scheint schließlich das Gericht aus den Augen verloren zu haben, dass der Kläger den am 27.12.2001 angekündigten erweiterten Klageantrag nie gestellt, sondern sich in der mündlichen Verhandlung vom 22.3.2001 ausdrücklich auf den ermäßigten Klageantrag beschränkt hatte: Insoweit steht der im Urteilstatbestand wiedergegebene Klageantrag im Widerspruch zum Protokoll (vgl. § 314 ZPO) und zum übereinstimmenden Sachvortrag der Beteiligten (übrigens auch zum späteren Streitwert-Berichtigungsbeschluss vom 20.7.2001). Sinngemäß das Gleiche gut für den Klageabweisungsantrag des Beklagten. Auch hier ergibt sich aus dem Protokoll und dem Sachvortrag der Beteiligten eindeutig, dass sich der tatsächlich gestellte Abweisungsantrag nur auf den (zwischenzeitlich erhöhten, dann aber wieder) ermäßigten Klageantrag bezog, während der Urteilstatbestand in der Zusammenschau mit dem vorangestellten Klageantrag den gegenteiligen Eindruck erweckt.

Infolge dieses Versehens unterscheidet das Endurteil vom 25.4.2001 nicht zwischen Kosten, die der Kläger nach § 91 ZPO als Unterlegener, und solchen, die er nach § 269 Abs. 3 ZPO wegen der Rücknahme seiner Klage zu tragen gehabt hätte. Vielmehr erlegt es dem unterlegenen Kläger pauschal "die Kosten des Rechtsstreits" auf und stützt diese Entscheidung ausschließlich auf § 91 ZPO.

Ein bewusstes Ausklammern derjenigen Kosten, die auf den zurückgenommenen Teil der Klage entfallen, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Im Gegenteil, der Wortlaut des Kostentenors in Verbindung mit dem Wortlaut der im Tatbestand wiedergegebenen Klageanträge, mit der Sachverhaltsdarstellung im Urteilstatbestand (speziell S. 3 unten), mit der zur Begründung der Kostenentscheidung allein zitierten Vorschrift § 91 ZPO und mit dem im Urteil enthaltenen ursprünglichen Streitwertbeschluss lässt keine andere Deutung zu als dass das Gericht dem Kläger tatsächlich die gesamten Kosten des Rechtsstreits auferlegen wollte und hierbei davon ausging, mit seinem Urteil über den vollen - also erweiterten - Klageantrag zu entscheiden.

2) Daraus folgt, dass das Landgericht im Endurteil vom 25.4.2001

- in der Sache selbst über den erhöhten, wenn auch nie formell gestellten Klageantrag,

- im Kostenausspruch über die gesamten Kosten des Rechtsstreits (einschließlich der durch den erhöhten Klageantrag verursachten) entschieden hat.

Obwohl das Landgericht damit hinsichtlich des Hauptsacheantrags über den tatsächlich gestellten Klageantrag hinausgegangen ist (§ 308 ZPO, vgl. BGH NJW 1991,1683), ist für die weitere Betrachtung von diesem rechtskräftig gewordenen Urteil auszugehen (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., § 308 Rn. 6, § 322 Rn. 14).

Das gilt für die umfassend formulierte und auch umfassend gemeinte Kostengrundentscheidung nach § 91 ZPO gleichermaßen. Auch sie ist rechtsverbindlich, unabhängig davon, ob die Belastung des Klägers mit denjenigen Verfahrenskosten, die auf den "reduzierten" Teil der Klageforderung entfielen, unter dem Blickwinkel des § 269 Abs. 3 ZPO prozessual geboten gewesen wäre oder nicht (was deshalb fraglich sein konnte, weil die bewusst formlose Bekanntgabe des Klageerweiterungsschriftsatzes vom 27.12.2000 noch keine Rechtshängigkeit des aufgestockten Betrages herbeigeführt hatte, § 261 Abs. 2 ZPO, vgl. BGHZ 7,268/270, FamRZ 1993,309, Zöller-Stöber, ZPO, 22. Aufl., § 187 Rn.2).

3) Mit der rechtskräftigen Kostengrundentscheidung steht aber zunächst einmal nur fest, dass der Kläger dem Beklagten dessen für den Rechtsstreit aufgewendete Kosten zu erstatten hat Welche Kosten erstattungsfähig sind und in welcher Höhe dies der Fall ist, richtet sich hingegen nach § 91 ZPO Danach hat der obsiegende Beklagte nur Anspruch auf Erstattung seiner "notwendigen" Kosten Erstattungsfähig sind somit diejenigen Kosten - aber auch nur sie -, die dem Beklagten im Zusammenhang mit der Klage tatsächlich erwachsen sind.

Streitig ist vorliegend allein die Prozessgebühr, und auch hier lediglich der Teilgesichtspunkt, aus welchem Streitwert sie zu berechnen ist. Aus 60.329,69 DM oder aus 179.920,51 DM.

Die Antwort hängt davon ab, ob der Prozessbevollmächtigte des Beklagten über seine unstreitige Tätigkeit hinsichtlich des Streitwerts 60.329,69 DM hinaus zusätzlich auch noch gebührenauslösende Tätigkeiten hinsichtlich des zeitweilig im Raum stehenden Streitwerts 179.920,51 DM entfaltet hat. Nach glaubhafter Darstellung des Beschwerdeführers hat er sich auch in der Zeit zwischen erstmaligem Erhalt des Klageerweiterungsschriftsatzes (formlose Bekanntgabe am 2.1.2001) und der "Reduzierung" der Klagesumme (formlose Bekanntgabe am oder nach dem 11.1.2001; förmliche Zustellung am 15.1.2001) mit der erweiterten Klage (förmliche Zustellung am 15.1 2001) inhaltlich befasst und war hierzu vom Beklagten auf Grund umfassender Mandatierung auch beauftragt.

Diese Aktivitäten zwischen dem 2.1. und dem 15.1.2001 blieben aber zunächst intern und wurden nicht nach außen sichtbar. Das aber wäre notwendig gewesen, um eine volle Prozessgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO entstehen zu lassen (Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, BRAGO, 14. Aufl., § 32 Rn. 2 m.w.N; Göttlich/Mümmler, BRAGO, 20. Aufl., "Prozeßgebühr" Anm. 2.1 m.w.N.). Wenn überhaupt, könnte man allenfalls dem Schriftsatz vom 24.1.2001 eine erste nach außen wirkende Manifestation dafür entnehmen, dass sich der Beschwerdeführer auch mit dem erweiterten Klageantrag beschäftigt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch dem Beschwerdeführer die "Reduzierung" der zwischenzeitlichen Erweiterung bereits bekannt, zumindest hätte sie ihm auf Grund des Schriftsatzes vom 8.1.2001 bekannt sein müssen. Insoweit unterscheidet sich die Fallgestaltung wesentlich von derjenigen, bei der in der kostenrechtlichen Rechtsprechung und Literatur dem Beklagten-Anwalt trotz Rücknahme einer Klage oder eines Rechtsmittels dann eine volle Prozessgebühr zuerkannt wird, wenn er in Unkenntnis der neuen prozessualen Entwicklung noch einen Sachantrag stellt (vgl. Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, aaO., § 32 Rn 5 m.v/.N., Göttlich/Mümmler, aaO., "Prozeßgebühr" Anm. 2.3 m.w.N.).

Somit steht dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten hinsichtlich des erweiterten Teils der Klageforderung wegen der vorzeitigen Beendigung des Prozessauftrags nur eine halbe Prozessgebühr zu (§ 32 Abs. 1 BRAGO; vgl. OLG Hamburg, JurBüro 1965. 1607). Hinsichtlich des Grundstreitwerts 60.329,69 DM bleibt es hingegen - insoweit unstreitig - bei der vollen Prozessgebühr (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO).

Das Ergebnis steht im Einklang mit dem vom Beschwerdeführer angeführten Beschluss des OLG Nürnberg - 13. Zivilsenat - vom 15.1.2001 (MDR 2001,535) in einem ähnlich gelagerten Fall. Auch dort hatte das Landgericht eine Kostengrundentscheidung erlassen (im Unterschied zum konkreten Fall allerdings nach § 269 Abs. 3 ZPO), obwohl bei Lichte betrachtet die vollständig "zurückgenommene" Klage überhaupt nicht rechtshängig geworden war. Gleichwohl vertrat der 13. Zivilsenat den Standpunkt, dass die Beteiligten an die rechtskräftige Kostengrundentscheidung gebunden seien, billigte jedoch der kostenerstattungsberechtigten Partei in Anlehnung an § 32 Abs. 1 BRAGO nur eine halbe Prozessgebühr zu.

4) Legt man den oben entwickelten Maßstab zugrunde, hat der Beklagte zusätzlich zu der bereits im Kostenfestsetzungsbeschluss angesetzten vollen Prozessgebühr aus dem Streitwert 60.329,69 DM auch noch Anspruch auf Erstattung einer halben Prozessgebühr aus dem Mehrbetrag, um den der Streitwert zeitweilig erhöht war, somit aus 119.591,82 DM (= 179.920,51 DM - 60.329,69 DM).

Die Summe der vollen Prozessgebühr aus dem niedrigeren und der halben Prozessgebühr aus dem überschießenden Streitwert darf jedoch nicht höher sein als eine volle Prozessgebühr aus dem erhöhten Gesamtstreitwert (§ 13 Abs. 3 BRAGO; vgl. Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, aaO., § 32 Rn 6, Göttlich/Mümmler, aaO., "Prozeßgebühr" Anm. 2.7).

Daraus folgt hinsichtlich der Prozessgebühr(en) des Beschwerdeführers:

10/10 Prozessgebühr (§ 31 Abs.1 Nr. 1 BRAGO) aus 60.329,69 DM 1.705,00 DM 5/10 Prozessgebühr (§ 32 Abs. 1 BRAGO) aus 119.591,82 DM 1.142.50 DM Zwischensumme: 2.847,50 DM Jedoch höchstens: 10/10 Prozessgebühr (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) aus 179.920,51 DM 2.605.00 DM Im Kostenfestsetzungsbeschluss bereits angesetzt: ./. 1.705,00 DM Zusätzlich noch anzusetzen: 900,00 DM Zuzüglich 16 % Mehrwertsteuer: 144,00 DM Zusätzlich zu erstattender Betrag: 1.044,00 DM

Damit erhöht sich der vom Kläger insgesamt an den Beklagten zu erstattende Betrag auf (4.786,90 DM + 1.044,00 DM =) 5.830,90 DM.

5) Auch der Erhöhungsbetrag ist gemäß § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO mit 4 % zu verzinsen. Beim Beginn der Verzinsung ist jedoch zu unterscheiden:

a) In Höhe von 858,40 DM ist der vom Senat zugesprochene Mehrbetrag - ebenso wie der bereits vom Landgericht zuerkannte Hauptbetrag - bereits ab 26.4.2001 zu verzinsen.

Dieser Teilbetrag entspricht dem Unterschied zwischen den mit Kostenfestsetzungsantrag vom 1.6.2001 geltend gemachten 5.631,80 DM zuzüglich 13,50 DM Portoauslagen (vgl. Schriftsatz vom 11.5.2001) - somit 5.645,30 DM - und dem mit dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss zugesprochenen Betrag 4.786,90 DM (der die 13,50 DM bereits enthält). In Höhe des Teilbetrages 858,40 DM hatte der Beklagte die Mehrforderung im Ergebnis, wenn auch mit einer etwas anderen Berechnungsmethode, bereits mit Kostenfestsetzungsantrag vom 25.4.2001 geltend gemacht und sie im Berichtigungsantrag vom 1.6.2001 aufrecht erhalten.

b) In Höhe von 185,60 DM ist der vom Senat zugesprochene Mehrbetrag hingegen erst ab 28.9.2001 zu verzinsen.

Zwar hatte der Beklagte ursprünglich einen noch höheren Gesamt-Erstattungsbetrag angemeldet (Schriftsatz vom 25.4.2001), hatte seinen Antrag dann aber im Berichtigungsantrag vom 1.6.2001 teilweise zurückgenommen (vgl. a) und ihn erst mit Schriftsatz vom 27.9.2001 wieder aufgestockt.

III.

1) Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Gerichtsgebühren fallen ohnehin nicht an, weil die Beschwerde im Wesentlichen Erfolg hatte (Nr. 1953 KV). Die geringfügige Zinsmehrforderung fällt kostenmäßig nicht ins Gewicht und kann daher außer Betracht bleiben (nach § 92 Abs. 2 ZPO).

2) Der Wert des Beschwerdegegenstandes besteht im Unterschied zwischen der erstrebten und dem vom Landgericht festgesetzten Kostenerstattungsbetrag.

Ende der Entscheidung

Zurück