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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 24.06.2005
Aktenzeichen: 5 U 215/05
Rechtsgebiete: BGB, InsO


Vorschriften:

BGB § 812 Abs. 1
InsO § 100
InsO § 148
Bewohnt der Insolvenzschuldner gemeinsam mit seiner Familie ein zur Insolvenzmasse gehörendes Haus, so muss er selbst an die Insolvenzmasse eine Nutzungsentschädigung bezahlen, seine Angehörigen aber nur dann, wenn dies besonders vereinbart ist oder sie dem Insolvenzschuldner zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet sind.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

5 U 215/05

Verkündet am 24.06.2005

In Sachen

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Braun und die Richter am Oberlandesgericht Kimpel und Redel aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 03. Juni 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 30. Dezember 2004 abgeändert.

II. Die Klage wird abgewiesen.

III. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 17.969,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger ist seit 05.02.2002 der Insolvenzverwalter über das Vermögen von Frau Dr. ..., der Ehefrau des Beklagten zu 1) und Mutter des Beklagten zu 2). Der Beklagte zu 1) hat kein eigenes Einkommen, der Beklagte zu 2) bezieht eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 200,00 Euro. Die Insolvenzschuldnerin übt ihren Beruf als Zahnärztin auch nach der Insolvenzeröffnung weiter aus, wobei ihr von den verdienten Honoraren ein Betrag von 3.517,20 Euro als pfandfrei belassen wird.

Zur Insolvenzmasse gehört u. a. das auch schon vor Insolvenzeröffnung von den Beklagten gemeinsam mit der Insolvenzschuldnerin bewohnte Haus. Weder die Beklagten noch die Insolvenzschuldnerin entrichteten für die Benutzung des Hauses bis 31.07.2004 ein Entgelt. Die Insolvenzschuldnerin erklärte sich zwar am 09. August 2004 im Rahmen einer Besprechung beim Insolvenzgericht bereit, für die Zeit ab August 2004 für die Nutzung des Anwesens einen Ausgleich zu zahlen, weigerte sich aber, auch für die seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 05. Februar 2002 verstrichene Zeit ein entsprechendes Nutzungsentgelt zu leisten.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagten seien als Gesamtschuldner verpflichtet, für den Zeitraum vom 05.02.2002 bis 31.07.2004 eine Nutzungsentschädigung in Höhe von insgesamt 17.969,00 Euro zu zahlen, weil sie das streitgegenständliche, zur Insolvenzmasse gehörende Wohnhaus gemeinsam mit der Insolvenzschuldnerin benutzten. Er hat gemeint, dies ergebe sich aus § 148 InsO, wonach er verpflichtet sei, das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen in Besitz zu nehmen; dazu zähle auch die Nutzungsentschädigung für das von der Beklagten mitbewohnte Haus.

Die Beklagten haben sich demgegenüber darauf berufen, dass es für die vorliegende Klage keine gesetzliche Anspruchsgrundlage gebe. Ihr Besitzrecht ergebe sich aus ihrer gegenüber der Insolvenzschuldnerin bestehenden Unterhaltsberechtigung.

Das Landgericht hat der Klage mit Endurteil vom 30. Dezember 2004, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, mit der Begründung stattgegeben, die Beklagten seien um die Wohnungsnutzung ungerechtfertigt bereichert. Gegen dieses ihnen am 04. Januar 2005 zugestellte Urteil haben die Beklagten am 02. Februar 2005 Berufung eingelegt und diese mittels eines am 02. März 2005 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatzes begründet.

Die Beklagten machen geltend, § 148 InsO sei keine Anspruchsgrundlage. Sie nutzten das Wohnhaus auch nicht als unbeteiligte Dritte, sondern als Familienangehörige der Insolvenzschuldnerin. Das Ersturteil entziehe ihnen den Schutz des § 765 a ZPO bzw. des § 149 ZVG. Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Beklagten wird auf die Berufungsbegründung vom 02. März 2005 und den weiteren Schriftsatz vom 18. April 2005 verwiesen.

Die Beklagten stellen folgenden Antrag:

Das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 30.12.2004 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger stellt den Antrag,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Er trägt vor, den Beklagten immer schon gesagt zu haben, dass er Nutzungsentschädigung verlangen müsse. Er habe bewußt auf eine Räumungsanordnung verzichtet; das bedeute jedoch nicht, dass die Beklagten keine Nutzungsentschädigung zu zahlen hätten. In der Insolvenz sei alles zur Masse zu ziehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens des Klägers wird auf die Berufungserwiderung vom 05. April 2005 sowie den weiteren Schriftsatz vom 23. Mai 2005 verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Abweisung der Klage als unbegründet. Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung gegen die Beklagten zu.

1. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch ergibt sich nicht aus § 148 InsO.

a) § 148 Abs. 1 InsO gibt dem Insolvenzverwalter zwar den Auftrag, das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen sofort in Besitz und Verwahrung zu nehmen. Zur Insolvenzmasse gehört nach § 35 InsO das gesamte Vermögen des Schuldners, wobei die Schuldnerschutzvorschriften aus dem Recht der Einzelzwangsvollstreckung entsprechend gelten (§ 36 Abs. 1 InsO). Das Vermögen anderer Personen als des Insolvenzschuldners gehört nicht zur Insolvenzmasse. Die Insolvenzeröffnung ermöglicht es dem Insolvenzverwalter also nur insoweit, Ansprüche gegen Dritte geltend zu machen, als derartige Forderungen bereits zum Vermögen des Insolvenzschuldners gehören, wie dies zum Beispiel bei Mietzinsforderungen für vom Insolvenzschuldner vermietete Wohnungen der Fall ist. Die Vorschrift des § 148 Abs. 2 InsO bestätigt die Annahme, dass sich aus den hier einschlägigen Vorschriften der InsO keine Ansprüche des Insolvenzverwalters gegen Dritte ergeben, die nicht schon dem Insolvenzschuldner zugestanden haben. Denn dort heißt es, dass der Insolvenzverwalter aufgrund des Eröffnungsbeschlusses (nur) solche Gegenstände im Wege der Zwangsvollstreckung herausverlangen kann, die sich im Gewahrsam des Schuldners befinden.

b) Nach den Vorschriften der InsO steht dem Kläger mithin ein Anspruch gegen die Insolvenzschuldnerin, Frau Dr. ..., auf Herausgabe u. a. des von den beiden Beklagten mitbewohnten Hauses zu. Diesen Anspruch hat der Kläger aber bis heute nicht geltend gemacht. Der Insolvenzschuldnerin gegenüber hat er auch einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 BGB) auf Bezahlung einer Nutzungsentschädigung, da sie die Räume seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne rechtlichen Grund auf Kosten der Insolvenzmasse nutzt (BGH NJW 1985, 1082). Auch diesen Anspruch hat der Kläger bisher nicht geltend gemacht.

2. a) Von dem Ehegatten und anderen Familienangehörigen des Insolvenzschuldners kann der Insolvenzverwalter eine Nutzungsentschädigung aber nur verlangen, wenn dies besonders vereinbart ist oder der Ehegatte gegenüber dem Insolvenzschuldner zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet ist (LG Oldenburg, NJW 1967, 785; MünchKomm-InsO/Passauer, § 100, Rdnr. 15; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Auflage, § 129 Rdnr. 2; Hess, KO, 6. Auflage, Rdnr. 6 zu § 129; Kilger, KO, 16. Auflage, § 125 Aura. 1). Auch das OLG Hamm hat es in seinem Urteil vom 20.02.2002 (NZI 2002, 631) abgelehnt, einem Insolvenzverwalter einen Anspruch auf Nutzungsentschädigung gegen die Ehefrau eines Insolvenzschuldners zuzuerkennen, die dessen Miteigentumsanteil an einer Eigentumswohnung nutzte, während er sich in Strafhaft befand. Der Senat schließt sich dieser, soweit ersichtlich, einhellig vertretenen Meinung an.

Da der Kläger weder den Abschluss einer Vereinbarung noch das Bestehen einer Unterhaltspflicht der Beklagten gegenüber der Insolvenzschuldnerin behauptet, kann die Klage keinen Erfolg haben.

b) Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

aa) Dem Kläger steht kein Anspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative (Leistungskondiktion) BGB zu, weil er den Beklagten die streitgegenständliche Nutzungsmöglichkeit nicht geleistet hat.

Leistung ist jede auf bewußte und zweckgerichtete Vermögensmehrung gerichtete Zuwendung (st. Rspr., z. B.: BGHZ 40, 272; Palandt/Sprau, BGB, 64. Auflage, § 812 Rdnr. 3; MünchKomm-BGB/Lieb, 4. Auflage, § 812 Rdnr. 26 je m. w. N.). Kommen mehrere Personen als Leistungsempfänger in Betracht, so kommt es für die Bestimmung von Bereicherungsgläubiger und Schuldner in erster Linie auf die Zweckbestimmung, d. h. auf den Zweck an, den die Beteiligten im Zeitpunkt der Zuwendung nach ihrem zum Ausdruck gekommenen Willen mit der Zuwendung verfolgt haben (BGH NJW 2002, 2871; Palandt/Sprau, a. a. O., Rdnr. 41).

Der Kläger trägt nicht vor, dass er mit der stillschweigenden Nutzungsgewährung den Beklagten gegenüber einen Zweck verfolgt habe. Ein solcher ist auch sonst nicht ersichtlich.

Indem er auf eine Verwertung des von den Beklagten gemeinsam mit der Insolvenzschuldnerin bewohnten Hauses verzichtete, verfolgte der Kläger dieser gegenüber bestimmte Zwecke. Der Kläger erklärte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in diesem Zusammenhang, er habe damit, dass er ihr und ihrer Familie das streitgegenständliche Anwesen zur Nutzung überließ, die Insolvenzschuldnerin zur weiteren Ausübung ihres Berufes motivieren wollen. Liegt aber - wie im Streitfall - nur in Richtung der Insolvenzschuldnerin eine erkennbare Zwecksetzung vor, dann kann sich eine Leistungskondiktion des Klägers auch nur gegen die Insolvenzschuldnerin richten.

Es wäre Sache des Klägers als Kondiktionsgläubiger, die Voraussetzungen seines Anspruchs, also auch den gegenüber den Beklagten verfolgten Leistungszweck darzulegen und zu beweisen (Palandt/Sprau, a. a. O., Rdnr. 103 ff. m. w. N.). Diesbezüglichen Sachvortrag hat der Kläger weder im ersten noch im zweiten Rechtszug gebracht.

bb) Dem Kläger steht gegenüber den Beklagten aber auch kein Anspruch wegen Bereicherung in sonstiger Weise zu.

(1) Diesem Anspruch steht zunächst der Vorrang der Leistungsbeziehung (Palandt/Sprau, a. a. O., Rdnr. 43. ff. m. w. N.) entgegen. Die Beklagten nutzten das streitgegenständliche Wohnhaus, weil ihnen die Insolvenzschuldnerin diese Nutzung gestattet, um so ihre Unterhaltspflicht zu erfüllen. Damit liegt hinsichtlich der Nutzung des Hauses eine Leistung der Insolvenzschuldnerin an die Beklagten vor. Was die Beklagten durch Leistung der Insolvenzschuldnerin erhalten haben, müssen sie nicht auf eine Eingriffskondiktion hin herausgeben.

[2) Ein Anspruch wegen Bereicherung in sonstiger Weise scheitert aber zumindest daran, dass die Beklagten nicht "auf Kosten" der Insolvenzmasse, sondern auf Kosten der Insolvenzschuldnerin bereichert sind. Das Tatbestandsmerkmal "auf dessen Kosten" hat jedenfalls im Bereich der Nichtleistungskondiktion Bedeutung (Palandt/Sprau, a. a. O., Rdnr. 31). Dem Vermögensnachteil des Entreicherten, hier der vom Kläger vertretenen Masse, muss ein unmittelbarer Vorteil der Beklagten gegenüberstehen, woran es hier fehlt. Es fehlt am notwendigen Zurechnungszusammenhang zwischen der Erlangung des Vermögensvorteils seitens der Beklagten und dem Vermögensnachteil der entreicherten Masse. Denn die Beklagten haben die streitgegenständlichen Gebrauchsvorteile auf dem Umweg über das Vermögen der Gemeinschuldnerin erlangt.

Der Fall liegt ähnlich wie der mehrfach entschiedene der (unberechtigten) Untervermietung (BGHZ 131, 297). Ähnlich wie sich der Vermieter der Gebrauchsmöglichkeit durch den Abschluss eines Mietvertrages vollständig begeben hat, hat sich der hiesige Kläger der Gebrauchsmöglichkeiten für den streitgegenständlichen Zeitraum durch die stillschweigende Überlassung an die Insolvenzschuldnerin begeben.

Für dieses Ergebnis spricht u. a. der Umstand, dass vor der Insolvenzeröffnung der Beklagte zu 1) als Ehegatte der Alleineigentümerin zwar Mitbesitzer war, sein Besitz aber nur ein von der Eigentümerin abgeleiteter Fremdbesitz war. Der Beklagte zu 1) war Besitzmittler seiner Ehefrau (Palandt/Bassenge, a. a. O., § 854 Rdnr. 16; Palandt/Brudermüller, a. a. O., § 1353 Rdnr. 6 je m. w. N.).

Noch deutlicher wird dies beim Blick auf den Beklagten zu 2). Dieser ist nach allgemeiner Meinung schon kein (Mit-) Besitzer, da ihm die Räume nicht zu selbstständigem Gebrauch überlassen sind. Auch wenn der Beklagte zu 2) bereits volljährig ist, benutzt er die fraglichen Räume ohne eigenen Besitzwillen (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Auflage, § 885 Rdnr. 7 m. w. N.) ausschließlich aufgrund einer Überlassung seitens seiner Eltern.

Für die Annahme, die Beklagten nutzten die streitgegenständlichen Räume auf Kosten der Insolvenzschuldnerin und nicht unmittelbar auf Kosten der Masse, spricht schließlich auch noch die Berücksichtigung der Unterhaltspflichten der Insolvenzschuldnerin bei der Bemessung des ihr nach § 36 Abs. 1 InsO i. V. m. § 850 i ZPO als nicht zur Insolvenzmasse gehörend zu belassenden Beträge.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, da die Entscheidung des Senats im Einklang mit der in Rechtsprechung und Literatur einhellig vertretenen Meinung steht.

Ende der Entscheidung

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