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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 27.05.2002
Aktenzeichen: 5 U 4225/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
Übernimmt der ärztliche Vorstand eines Universitätsinstituts die dauernde Behandlung eines Patienten, der an einer seltenen (einmal pro 1 Million Geburten), in sein Fachgebiet fallenden, tödlichen Krankheit leidet, hat er den Patienten über eine neue im Laufe der Behandlung in wissenschaftlichen Fachzeitschriften erörterte und dort als heilende Therapie erachtete Behandlungsmöglichkeit aufzuklären, insbesondere wenn diese Therapie schon erfolgreich angewandt wurde, während die vom Arzt bisher vorgenommene Therapie nur symptombezogen und zeitlich hinauszögernd wirkt.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

5 U 4225/00

Verkündet am 27.05.2002

In Sachen

wegen Schadensersatzes,

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Richter am Oberlandesgericht Flach als Vorsitzenden und die Richter am Oberlandesgericht Schmitt und Kuhbandner aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25.03.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30.10.2000 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Tenor wie folgt gefasst wird:

1. Der Anspruch des Klägers auf Festsetzung eines Schmerzensgeldes gemäß Nr. I des Antrags des Klägers im Schriftsatz vom 28.10.1998 wegen fehlerhafter Behandlung von 1992 bis 12.05.1995 ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

2. Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die materiellen und immateriellen Schäden - letztere soweit sie nach dem 31.12.1998 aufgetreten sind und noch auftreten - aus den ärztlichen Behandlungsfehlern von 1992 bis 12.05.1995 zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 5000,-- Euro abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Beschluß:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 153.389 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt vom beklagten Arzt Schmerzensgeld und Schadenersatz wegen fehlerhafter Heilbehandlung und unterlassener Aufklärung.

Bei dem am 30.01.1971 geborenen Kläger wurde im Juni 1980 erstmals der Verdacht auf eine Erkrankung der familiären hämophagozytischen Lymphohistiozytose (Morbus Farquhar, abgekürzt FHL oder auch FEHL, FEL, FHLH, HLH; im folgenden FHL) diagnostiziert. Der Kläger litt damals unter Gelbsucht und einem Infekt der oberen Atemwege.

Zwei Brüder des Klägers starben in jungen Jahren. Der am 07.10.1969 geborene Bruder verstarb am 17.10.1972 unter der Verdachtsdiagnose einer akuten myeloischen Leukämie. Der am 27.01.1975 geborene Bruder verschied am 02.02.1981. Bei ihm war am 14.01.1980 FHL diagnostiziert worden, die dann zum Tode führte. Die Prozeßparteien gehen davon aus, daß auch für als Todesursache FHL. anzunehmen ist.

Bei der FHL handelt es sich um eine sehr seltene (ca. ein Fall pro einer Million Geburten), rezessiv vererbte Krankheit, von der 1998 weltweit weniger als 200 Fälle registriert waren. Die Krankheit ist durch eine Infiltration und schließlich Zerstörung aller Organe durch Histiozyten und Lymphozyten charakterisiert. Bei den Histiozyten, die im Knochenmark gebildet werden, handelt es sich um sog. "Freßzellen". Sie dienen an sich der Infektbekämpfung und Abwehr körperfremder Substanzen. Die Ursachen, die zu einer überschießenden Aktivierung des Immunsystems mit vermehrter Bildung dieser Zellen führen, konnten noch nicht nachgewiesen werden. Der Beklagte zählt die Erkrankung zu den hämatologisch-lymphatischen Tumoren. Die Krankheit tritt meist bereits im Säuglingsalter auf. Nach Veröffentlichungen des Vereins H e.V. gibt es eine hohe Dunkelziffer an Erkrankungen, da FHL unter Symptomen verläuft, die man auch bei banalen Infektionen finden kann. Oft wird die Erkrankung erst durch eine familiäre Häufung z. B. durch die Erkrankung eines Geschwisterkindes erkannt.

Als Symptome werden unter anderem anhaltendes Fieber, oft verbunden mit sog. Banalinfekten (Schnupfen, Mittelohrentzündung etc.), Leber- und Milzvergrößerung, Lymphknotenschwellungen und Gelbsucht, Symptome des zentralen Nervensystems (im folgenden ZNS) sowie reduzierter Allgemeinzustand und Blässe genannt.

Pathologisch ist FHL nicht immer nachweisbar, sodass oft nur der klinische Verlauf die Diagnose erhärtet.

Medikamentös ist FHL derzeit nicht zu heilen. Durch immunsupressive Medikamente, Zytostatika und Cortison kann jedoch ein vorübergehendes Zurückweichen der Krankheitssymptome erzielt werden. Die Krankheit selbst führt zum Tode.

In den achtziger Jahren wurden Heilversuche mit Knochenmarktransplantationen (im folgenden KMT) unternommen. 1992 wurde in Deutschland mit der KMT bei FHL begonnen. Das 1993 in 27. Auflage erschienene Lehrbuch der Kinderheilkunde von und schreibt auf Seite 440 zu FHL: "Die Knochenmarktransplantation scheint die einzige Heilungschance zu sein."

Der Beklagte ist Mediziner, Universitätsprofessor und Vorstand des Instituts und der Poliklinik für klinische Immunologie und Rheumatologie der Universität FHL fällt in sein Fachgebiet.

Im August 1985 übernahm er die privatärztliche dauernde Betreuung des Klägers und führte sie bis 12.05.1995 fort. Der Kläger wurde dem Beklagten erstmals am 03. August 1985 vorgestellt. Er litt unter anderem an Fieber und Gelbsucht. Nach weiteren Befunderhebungen am 27. und 30. August 1985 stellte der Beklagte beim Kläger die Diagnose FHL, die er nach einer zytogenetischen Untersuchung im Jahre 1986 dem Vater des Klägers bestätigte.

1987 äußerte der Beklagte gegenüber einem anderen Arzt, der Kläger habe keine Chance.

In den Folgejahren bis 1995 kam es beim Kläger immer wieder zu mehr oder weniger starken Krankheitsschüben, die medikamentös abgefangen wurden. Schließlich wurde der Kläger auch über längere Zeiträume mit Cortison behandelt.

Im Dezember 1987 wurde der Kläger, der sich anläßlich eines schweren Schubes in der Klinik des Beklagten befand, wegen Nieren- und Leberversagens ins Klinikum verlegt. Nachdem er dort gerettet worden war, wurde die FHL-Diagnose des Beklagten angezweifelt. Der Fall wurde 1988 fünf anderen Spezialisten brieflich geschildert, um eine wissenschaftliche Diskussion in Gang zu setzen. Der Beklagte ging auf die Zweifel an der Diagnose FHL insbesondere das späte Manifestationsalter, die lange Überlebenszeit und die Häufung in der Familie trotz rezessiven Erbgangs im Einzelnen ein und verteidigte seine Diagnose.

Zwischen der Familie des Klägers und dem Beklagten kam es im Laufe der Behandlungszeit zu einem tiefgreifenden Vertrauensverhältnis. Es wurden auch persönliche Angelegenheiten des Beklagten besprochen. Der Beklagte besuchte die Abiturfeier des Klägers. Der Beklagte hinterließ zeitweise bei Auslandsreisen eine ständige Kontaktadresse für den Kläger und seine Eltern.

Die Konsultationen der Mutter des Klägers mit dem Kläger beim Beklagten waren durch eine intensive Inanspruchnahme des Beklagten gekennzeichnet. Die Visiten der Familie S waren geprägt durch langanhaltende Diskussionen über mögliche Induktionsmechanismen von Krankheitsschubsituationen die Entwicklung des Krankheitsbildes des Klägers sowie über mögliche Therapieverfahren.

Zwischen dem Kläger, der nach dem Abitur Medizin studierte, und dem Beklagten bestand regelmäßiger Kontakt. Das Blutbild wurde in bestimmten Zeitabständen überprüft.

Regelmäßige Kontrollen des Liguor cerebralis mittels Lumbaipunktion fanden nicht statt. Bis Oktober 1994 wurde auch die intrathekale Gabe von Methotrexat dem Kläger nicht angeboten. Die letzte Vorstellung des Klägers beim Beklagten vor April 1994 fand am 18.11.1993 statt.

Der Beklagte brachte gegenüber dem Kläger und seinen Eltern zum Ausdruck, daß mit zunehmendem Alter die Möglichkeit und Annahme bestehe, die Erkrankung werde sich hinsichtlich ihrer Schubfrequenz verbessern. Durch wiederholte und alternierende immunsuppressive Therapie wolle er, wenn möglich, die Krankheit in einer Situation zu halten versuchen, die mit zunehmendem Alter hoffen lassen könnte, eine Langzeitremission ohne Therapie zu erzielen.

Im April 1994 traten beim Kläger starke Kopfschmerzen, Sehstörungen, Lähmungen und subjektiv empfundene Bewußtseinsstörungen auf. Er begab sich in Behandlung zum Beklagten, der ihn vom 29.04.1994 bis 05.05.1994 in seine Klinik aufnahm.

Hier wurden Liquorpunktionen und ein Kernspintomogramm durchgeführt. Es ergaben sich Veränderungen im Gehirn. Im Arztbrief vom 30.05.1994 an den Kläger hielt der Beklagte fest: "Die Veränderungen dürften einer Leucodystrophie entsprechen.". Der Beklagte wurde unter anderem mit hochdosiertem Cortison therapiert.

Von Mai bis August 1994 kam es beim Kläger regelmäßig zu kurzfristigen cerebralen Ausfallserscheinungen. Er konnte jedoch sein Medizinstudium im Sommersemester 1994 fortsetzen.

Am 23.09.1994 und 25.01.1995 kam der Kläger stationär in die neurologische Klinik wegen vorangegangener epileptischer Anfälle.

Im Mai 1995 verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Klägers rapide. Die Kernspintomographie zeigte eine Gehirnblutung rechts. Er wurde am 26. Mai 1995 mit einem Rettungshubschrauber in das Universitätskrankenhaus verlegt. Zwei Tage später kam es zu einer weiteren Gehirnblutung links, die mit rechtsseitiger Lähmung, Sprachstörungen und generalisierten Krampfanfällen verbunden war. Der Kläger befand sich in einem Zustand, daß die behandelnden Ärzte weitere therapeutische Maßnahmen nicht für sinnvoll hielten. Erst nach einer für alle überraschenden langsamen Erholung des Klägers wurde am 19.06.1995 eine immunsuppressive Therapie mit Methotrexat durchgeführt. Der Kläger kam dadurch in einen Zustand, daß am 25. Juli 1995 in Hamburg eine KMT durchgeführt werden konnte. Knochenmarkspender war der HLA-identische Bruder, geboren 25.10.1973, bei dem sich keine FHL-Symptome gezeigt hatten.

Seit der KMT sind Krankheitsschübe der FHL bisher nicht mehr aufgetreten. Es sind jedoch vor der KMT durch FHL entstandene cerebrale Schäden verblieben, insbesondere Epilepsie und Einschränkung der Sehfähigkeit.

Der Kläger hat das Medizinstudium mit der Prüfung zum Arzt im Praktikum erfolgreich abgeschlossen. Wegen der verbliebenen Beeinträchtigungen konnte er jedoch nicht klinisch tätig sein, sodass er ein Jurastudium aufgenommen hat.

Der Kläger hat vorgetragen, der Beklagte habe die richtigerweise diagnostizierte FHL falsch behandelt.

Er hätte mit regelmäßigen Liquoruntersuchungen eine beginnende cerebrale Beteiligung kontrollieren und ggf. diese rechtzeitig medikamentös unterdrücken müssen. Dann wären die auch nach der KMT verbliebenen Schäden vermieden worden.

Der Beklagte hätte ihn mit intrathekalem Methotrexat behandeln müssen. Die Langzeitbehandlung mit Cortison sei wegen der Nebenwirkungen und Spätfolgen verfehlt gewesen. Der Beklagte hätte ihn frühzeitig spätestens 1993 über die Möglichkeit der kurativen Heilung durch eine KMT aufklären müssen und diese vorbereiten und empfehlen müssen. Er (Kläger) hätte sich dann für eine KMT entschieden. Dann wäre es gar nicht zur cerebralen Beteiligung an der Krankheit gekommen und es wären keine Schäden verblieben. Der Beklagte habe ihn niemals richtig über die Malignität seiner Krankheit informiert, insbesondere nicht, daß seine Behandlung nur die Symptome betreffe und die Krankheit unweigerlich zum Tode führe.

Die Möglichkeit, daß eine KMT Heilung bringen könne, sei bereits Anfang der neunziger Jahre bekannt und ausreichend belegt gewesen. Es habe sich nicht mehr um eine experimentelle Therapie sondern um eine Standardtherapie gehandelt.

Er und seine Mutter hätten erstmals im Herbst 1994 von dritter Seite erfahren, daß bei FHL eine KMT als heilende Therapie in Betracht komme. Der Beklagte habe ihn nicht entsprechend aufgeklärt.

Hätte der Beklagte ihn rechtzeitig und richtig aufgeklärt, hätte er frühzeitig zu wesentlich besseren Bedingungen eine KMT durchführen lassen. Das zeige sich daran, daß er später bei wesentlich schlechteren Bedingungen der KMT zugestimmt habe.

Der Kläger vertritt die Ansicht, daß es nicht Sache des Beklagten gewesen sei, zu entscheiden, wie viele irreversible Schäden der Kläger in Kauf nehmen muß. Vielmehr wäre er in die Entscheidung, ob eine KMT durchzuführen sei oder nicht, einzubinden gewesen. Ihm hätte nach richtiger Aufklärung die Entscheidung, ob er eine KMT mit ihren Risiken oder die Gefahr irreversibler Schäden und letztlich den Tod durch die Krankheit in Kauf nehme, überlassen werden müssen.

Der Beklagte hat vorgetragen, die Möglichkeit einer KMT sei rechtzeitig mit dem Kläger und seinen Eltern diskutiert worden. Die Behandlung sei nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt. Im übrigen hätte er über eine KMT gar nicht aufklären müssen, da es sich noch nicht um eine Standardtherapie gehandelt habe, sondern nur um eine experimentelle Therapie mit hohem Risiko.

Im Zeitraum bis Mai 1995 sei die immunmodulierende Therapie erfolgreich gewesen. Für eine über die Cortisonmedikation hinausgehende immunsuppressive Therapie hätte erst spät eine Einsicht des Klägers und seiner Eltern erreicht werden können. Aggressive therapeutische Maßnahmen seien abgelehnt worden.

Es sei allen Beteiligten klar gewesen, daß die Grunderkrankung selbst auch beim Kläger nicht gutartig sei. Wegen des späten Erstmanifestationsalters im Jahre 1980 sei allerdings zu vermuten gewesen, daß die Krankheit des Klägers einen ungewöhnlichen Verlauf nehmen würde.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand im ersten Rechtszug wird gemäß § 543 Abs. 2 ZPO auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat nach Beweiserhebung durch Grundurteil entschieden, daß der Anspruch des Klägers auf Ersatz des Schadens und Festsetzung eines Schmerzensgeldes infolge ärztlicher Behandlungsfehler dem Grunde nach gerechtfertigt ist.

Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte hätte den Kläger über die Möglichkeit einer heilenden Therapie der FHL durch KMT aufklären müssen. Etwa seit 1991 sei die kurative Wirksamkeit der KMT bei der Behandlung von FHL allgemein auch in Europa und Deutschland anerkannt gewesen.

Gegen die Entscheidung hat der Beklagte Berufung eingelegt.

Nach seiner Auffassung sei beim Kläger wegen des untypischen milden Verlaufs der FHL eine KMT nicht angezeigt gewesen. Die KMT sei für FHL ein experimentelles Therapieverfahren gewesen. Auch vor April 1994 habe eine ZNS-Beteiligung vorgelegen, die eine KMT ausgeschlossen hätte.

Wegen der Therapiefreiheit habe er nicht auf eine KMT hinweisen müssen. Der Kläger hätte sich wegen der Risiken nicht für eine KMT entschieden, sondern weiter die bisherige Therapie fortführen lassen. Er und seine Mutter hätten aggressive Behandlungsmethoden immer abgelehnt. Jede Blutentnahme hätte zu langen Diskussionen geführt. Er (Beklagter) hätte eine KMT nicht empfohlen. Der Kläger wäre ihm gefolgt.

Erst im Mai 1995 hätte - als letzte Alternative vor dem Tod - auf eine KMT hingewiesen werden müssen.

Er hätte als Partei darüber vernommen werden müssen, daß er den Kläger frühzeitig über die Möglichkeit einer KMT aufgeklärt habe.

Das Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. sei unzulänglich und nicht brauchbar.

Der Beklagte beantragt:

I. Das Grundurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30.10.2000 - 12 O 7867/96 - wird aufgehoben,

hilfsweise:

der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Nürnberg-Fürth (4. Zivilkammer als Spezialkammer für Arzthaftpflichtschäden) zurückverwiesen.

II. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte habe keine Indizien dafür dargetan und keinen Anfangsbeweis dafür erbracht, daß er den Kläger über die Möglichkeit der KMT aufgeklärt habe. Deshalb komme eine Parteivernehmung des Beklagten nicht in Betracht. Die Kürze des Gutachtens beruhe auf der Eindeutigkeit des Falles.

Soweit der vom Beklagten beauftragte Gutachter Prof. vom Gutachten der Sachverständigen Prof. abweiche, beruhe dies auf Zugrundelegung eines falschen Sachverhalts. Im übrigen ergebe das Parteigutachten von Prof., daß sich der Kläger bei einer Aufklärung in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze vom 04.12.2000, 13.02.2001, 01.03.2001, 05.03.2001, 23.04.2001, 31.05.2001, 11.06.2001, 03.07.2001, 08.10.2001, 05.11.2001, 26.11.2001, 03.12.2001, 14.02.2002, 21.02.2002, 28.02.2002, 22.03.2002, 28.03.2002, 08.04.2002, 25.04.2002 und 02.05.2002 sowie die Privatgutachten von Prof. (für den Beklagten) und Prof. (für den Kläger) Bezug genommen.

Das Berufungsgericht hat keinen Beweis erhoben.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat im Ergebnis keinen Erfolg.

A.

1. Hinsichtlich des mit einem Mindestbetrag bezifferten Schmerzensgeldanspruchs war der Erlaß eines Grundurteils gemäß § 304 ZPO zulässig, weil der Anspruch nach Grund und Betrag streitig ist. Für den Streit über einen Betrag genügt es, wenn die Bezifferung zulässigerweise ins Ermessen des Gerichts gestellt werden kann, wie dies beim Schmerzensgeldanspruch der Fall ist (vergl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Auflage, Rn 2 zu § 304 m.w.N.).

2. Hinsichtlich des Feststellungsanspruchs ist ein Grundurteil nach § 304 ZPO nicht zulässig, weil der Anspruch nicht nach Grund und Betrag in Streit steht, sondern hier nur dem Grunde nach hinsichtlich des Schadenersatz- und des weiteren Schmerzensgeldanspruches. Ist beim Feststellungsantrag nur der Grund des Anspruches im Streit, so ist über den Grund nicht mit Grundurteil, sondern mit Endurteil zu entscheiden, da die Klage durch die Entscheidung über den Grund abgeschlossen ist. Das Gericht deutet daher das Grundurteil, soweit es über den Feststellungsantrag entscheidet, als Teilendurteil (vergl. BGH NJW RR 1992/531). Die Parteien haben das Urteil augenscheinlich auch so verstanden, wie sich daraus ergibt, daß die insoweit unzutreffende Bezeichnung des Urteils als Grundurteil auch hinsichtlich des Feststellungsanspruchs nicht problematisiert wurde und sich die Parteien auf die Sache selbst konzentriert haben. Eine Änderung in der Sache ist mit der Behandlung des Urteils als Teilendurteil nicht verbunden.

3. Der Feststellungsantrag des Klägers war auch zulässig. Zwar ist die Feststellungsklage in der Regel dann unzulässig, wenn Klage auf Leistung möglich ist. Ist bei der Klageerhebung aber erst ein Teil des Schadens entstanden, die Entstehung eines weiteren Schadens noch zu erwarten, so ist der Kläger grundsätzlich nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und eine Feststellungsklage aufzuspalten (BGH Versicherungsrecht 91/788).

So ist die Sachlage hier. Der Kläger macht geltend, wegen der zu spät vorgenommenen kurativen Behandlung habe er die Ausbildung zum Arzt vorzeitig beenden müssen und studiere nun Jura. Wie lange sich dadurch die Berufsausbildung insgesamt verlängert und in welchem Umfang vermögensrechtliche Nachteile eintreten, liegt noch in der Zukunft. Dasselbe gilt für weitere materielle und immaterielle Folgeschäden, die Gutachten zur Zukunftsprognose voraussetzen. Es ist auch wahrscheinlich, daß Schäden eingetreten sind.

4. Der Tenor des Urteils wurde präzisiert. Der Zeitraum, in dem die zur Zahlung verpflichtenden Geschehnisse sich ereignet haben, wurde eingefügt (BGH Versicherungsrecht 91, 788).

B.

Der Senat stimmt mit dem Landgericht im Ergebnis überein, daß der Beklagte wegen Verletzung des. Behandlungsvertrags dem Kläger zu Schadenersatz und aus unerlaubter Handlung zu Schmerzensgeld und Schadenersatz verpflichtet ist:

Der Beklagte hat - bei richtig gestellter Diagnose - den Kläger nicht im gebotenen Umfang auf die bereits ab 1992 auch in Deutschland mögliche KMT bei FHL hingewiesen und so eine frühere Heilung der Krankheit vereitelt. Bei einer KMT zwischen 1992 und April 1994 wären die ab April 1994 eingetretenen irreversiblen Schäden, die heute noch bestehen, vermieden worden.

Zutreffend hat das Landgericht diese Aufklärungsverpflichtung, deren medizinische Voraussetzungen und das Versäumnis des Beklagten bejaht.

Die vom Landgericht angesprochene Selbstbestimmungsaufklärung steht hier freilich nicht im Vordergrund, denn bei ihr geht es um die Frage, inwieweit der ärztliche Eingriff von einer durch Aufklärung getragenen Einwilligung des Patienten gedeckt sein muß, um als rechtmäßig zu gelten (vgl. Laufs, Handbuch des Arztrechts, 2. Auflage, § 63 Rn. 1). Die vom Kläger seinen Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen zugrunde gelegten Gesundheitsschaden sind jedoch nicht, jedenfalls nicht überwiegend, Folgen einer durchgeführten Eingriffsbehandlung, sondern Folgen der Unterlassung einer alternativen Behandlung.

Versäumnisse im Rahmen der therapeutischen Aufklärung über die Möglichkeit einer heilenden Behandlung sind als Behandlungsfehler zu behandeln und unterliegen der Beweislast des Patienten. Sie können als grobe Behandlungsfehler auftreten - wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat - mit der Folge von Beweiserleichterungen beim ebenfalls dem Patienten obliegenden Nachweis der Kausalität ärztlichen Fehlverhaltens für die beklagten Gesundheitsschäden.

Solcher Beweiserleichterungen bedarf es hier freilich nicht, weil der Senat vom Erfolg der KMT auch bei früherer Durchführung ausgeht.

Für die privatärztliche Behandlung haftet der Beklagte auch als Vorstand eines Universitätsinstitutes selbst (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Auflage, Anmerkung A 19).

I.

Der ärztliche Behandlungsvertrag verpflichtete den Beklagten, den Kläger über Art und Schweregrad von Krankheit und möglicher Behandlung - auch medikamentöser - aufzuklären, um ihm eine sinnvolle Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts und die Entscheidung zur Zustimmung für die Behandlung zu ermöglichen. Die Aufklärungspflicht soll den Patienten davor schützen, daß sich der Arzt ein ihm nicht zustehendes Bevormundungsrecht anmaßt (Geiß/Greiner a.a.O. Rn C 1).

Der Arzt muß dabei auch über Behandlungsalternativen aufklären, wenn die von ihm gewählte Behandlung und die Alternative jeweils unterschiedliche Erfolgschancen bieten und unterschiedliche Belastungen und Risiken aufweisen und daher der Patient sinnvollerweise mit entscheiden soll (BGH NJW 86, 780 m.w.N.).

Diese für die Eingriffs- und Risikoaufklärung entwickelten Grundsätze gelten sinngemäß auch für den vorliegenden Fall; Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit des Patienten sind auch im Rahmen der therapeutischen Aufklärung Richtschnur ärztlichen Verhaltens (vgl. Laufs, a.a.O., § 62, Rn. 6).

Unterläßt der Arzt die ihm auf Grund ärztlichen Behandlungsvertrages obliegende Pflicht, den Patienten über Heilungsmöglichkeiten aufzuklären und kommt es deshalb nicht zur gebotenen Heilbehandlung, sondern zur Fortdauer oder Verschlimmerung der krankheitsbedingten Gesundheitsschäden ist der Arzt wegen Verletzung der Gesundheit des Patienten durch Unterlassen schadenersatzpflichtig, mit der Folge, daß dem Patienten auch Schmerzensgeld zustehen kann §§ 823, 847 BGB.

1. Die getroffene Diagnose und die in den Jahren ab 1991 vorhandenen Erkenntnisse über Behandlungsmöglichkeiten verpflichteten den Beklagten spätestens 1992 zur Aufklärung über die Möglichkeit einer heilenden Behandlung mittels KMT.

a) Bei der vom Beklagten beim Kläger diagnostizierten FHL handelt es sich um eine unfehlbar tödliche Krankheit. Erst die Einführung der KMT bei FHL konnte Heilung bringen. Die Unheilbarkeit von FHL außer mit KMT ist im hiesigen Prozeß unbestritten.

Der Beklagte hat beim Kläger schon 1985 FHL diagnostiziert. Diese Diagnose war objektiv richtig, wie sich aus dem weiteren Geschehensablauf bis heute ergibt. Die Gesamtbewertung der Krankheit des Klägers durch den Beklagten erlaubte ab 1985 die Diagnose FHL. Die 1987 durchgeführte Knochenmarkspunktion ergab einen Befund von Erythrophagozytose. Sie bestätigte die schon früher aufgrund der Familienanamnese und typischer FHL-Symptome wie Gelbsucht getroffene Diagnose FHL. Der Beklagte hat 1988 die vom Klinikum N vorgetragenen Zweifel an der Diagnose entkräftet und seine Diagnose in wissenschaftlicher Diskussion überzeugend verteidigt.

Daß es sich trotz der Besonderheiten beim Kläger (spätes Manifestationsalter, lange Überlebenszeit, zum Teil nur milde Schübe) um eine schicksalhaft tödliche Erkrankung des Klägers handelte, war dem Beklagten bewußt. Im vorgerichtlichen Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 28.12.1995 ließ der Beklagte ausführen: "Die FELH, deretwegen ihr Mandant in fortwährender, ambulanter und stationärer Behandlung bei unserem Mandanten stand, ist zu den hämatologisch-lymphatischen Tumoren zu zählen und stellt eine sehr seltene Erkrankung dar, für die noch keine allgemein akzeptierten, den Krankheitsverlauf nachgewiesenermaßen grundlegend positiv beeinflussenden Therapieformen erprobt sind."

Der Beklagte wußte, daß die von ihm vorgenommene Behandlung nur symptombezogen und nicht heilend war. Seine Hoffnung, daß sich mit zunehmenden Alter die Krankheit hinsichtlich ihrer Schubfreguenz verbessern werde und eine Langzeitremission erreicht werden könne, zeigt, daß er von einer Heilung durch seine Behandlung nicht ausging.

Die Hoffnung des Beklagten ist andererseits mit FHL nicht in Einklang zu bringen. Selbst ein asymptomatischer Verlauf nimmt der FHL nicht die Tödlichkeit. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus dem Gutachten der Sachverständigen Frau Prof., von der - emeritiert. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten ausgeführt, daß vom Tag der Diagnosestellung für FHL an klar gewesen sei, daß der Kläger vom Tode bedroht war, unabhängig davon, wie viele symtomfreie Jahre ihm gegeben waren und wie oft er durch minimale Therapie (Kortikosteroide und Plasmapherese) gerettet wurde. Alle Therapieformen vor der KMT hätten lediglich das Unabwendbare verzögert.

Das Gericht folgt dem überzeugenden Gutachten der Sachverständigen, die eine der weltweit wenigen Spezialisten für FHL ist. Die Einwände des Beklagten, das Gutachten sei kein Gutachten, weil es nicht wissenschaftlich sei, kann das Gericht nicht teilen.

Der Gutachtensauftrag war durch das Landgericht (Verfügung vom 09.02.1998) dahingehend erteilt worden, daß nur die Beweisfragen des Beweisbeschlusses zu beantworten seien und Ausführungen theoretischer Natur nicht veranlasst seien. Daran hat sich die Sachverständige mit ihrer zweieinhalbseitigen Beantwortung der Beweisfragen vom 16.07.1998 gehalten. Auf die Fragen der Parteien hin hat die Sachverständige ein 13-seitiges Ergänzungsgutachten erstellt, das von profunder Kenntnis der Materie und großer Überzeugungskraft gekennzeichnet ist und die bis dahin aufgrund des richterlichen Hinweises fehlenden theoretischen Grundlagen eindrucksvoll präzise und mit Literatur belegt nachgebracht hat.

Die Hoffnung des Beklagten, beim Kläger werde FHL ausnahmsweise von selbst nicht weiter fortschreiten, stellt sich damit lediglich als Hoffnung auf ein Wunder dar, die er dem Kläger als solche kenntlich machen musste. Sie hob die Verpflichtung des Beklagten, den Kläger über mögliche Heilungschancen aufzuklären, nicht auf.

Vielmehr hätte er durch eine sorgfältige und regelmäßige Kontrolle des Liquor cerefaralis dem Kläger die mögliche Heilung durch die KMT erhalten und eine ZNS-Beteiligung verhindern bzw. vermindern müssen.

b) Bei der KMT handelt es sich um eine Behandlungsalternative, die spätestens seit 1991 bei FHL keine experimentelle Therapie mehr war. Die Sachverständige Prof. hat in ihrem Gutachten präzise die Entwicklung der Therapien bei FHL dargestellt. Sie hat ausgeführt, daß 1981 französiche Forscher begannen, FHL mit allogener KMT von Geschwisterkindern zu behandeln. Im Jahre 1986 hätten die französischen Forscher ihre erfolgreiche Erfahrung mit allogener KMT bei FHL veröffentlicht. 1989 seien die Beiträge der Forscher, die an einem internationalen FHL-Symposium in 1988 teilgenommen hatten, veröffentlicht worden. Die französischen Forscher hätten ihre erfolgreiche Erfahrungsbilanz aktualisiert. 1990. habe sie persönlich angefangen, allogene KMT mit kompatiblen Geschwisterkindern als Spendern für alle FHL-Patienten (außer mit großer ZNS-Beteiligung) zu empfehlen, selbst wenn diese asymptomatisch waren. 1991 hätten weitere Berichte aus die KMT als kurative Therapie bei FHL bestätigt. Zu diesem Zeitpunkt sei die KMT weltweit der Behandlungsstandard für Patienten mit FHL gewesen. KMT sei die einzige kurative Therapie für FHL. Amerikanische Krankenkassen hätten ab diesem Zeitpunkt die Kosten für KMT bei FHL übernommen. In Deutschland sei 1992 die erste KMT für FHL in durchgeführt worden.

Diesen Ausführungen folgt der Senat. Es haben sich keine Erkenntnisse für deren Unrichtigkeit ergeben.

Der vom Beklagten beauftragte Sachverständige Prof. N hat in seinem Gutachten ausgeführt, daß aufgrund der Heilerfolge mit KMT bereits vor 1995 (ohne genauere Zeitangabe) eine ausreichende Datenbasis dafür vorlag, daß kein Zweifel mehr bestand, daß Patienten, die als Säugling oder Kleinkinder an FHL erkranken, nur durch eine KMT geheilt werden können.

Auch Prof. die international die deutsche Ansprechpartnerin für FHL ist, hat im Schreiben vom 08.05.1995 an den Beklagten ausgeführt, daß sie auch beim Kläger bei FHL die Indikation für KMT ohne Zögern stellen würde.

Zwar mag für FHL-Patienten wie den Kläger keine ausreichende Datenbasis vorgelegen haben, weil bei der sowieso schon sehr seltenen Krankheit kaum ein Patient solange überlebt hat, wie der Kläger. Da nach den Grundsätzen der Logik bei derselben Wirkungsweise von FHL bei jüngeren wie älteren Patienten auch der Therapieansatz gleich sein dürfte und auch Prof. keinen Grund genannt hat warum - außer der fehlenden Datenbasis - die Wirkungsweise der KMT nicht auch bei dem älteren Kläger (22 Jahre) greifen sollte, geht das Gericht mit den Professorinnen und davon aus, daß damals auch beim Kläger die KMT als heilende Behandlungsmöglichkeit anzusehen war.

Auch in dem 1993 erschienen einschlägigen Lehrbuch stand, daß die KMT bei FHL die einzige Heilungschance zu sein scheint.

Schließlich ist, wie die Sachverständige Prof. ausführt, bei sehr seltenen Krankheiten zu berücksichtigen, daß der behandelnde Arzt bei seinen Therapieerwägungen nicht auf umfangreiche persönliche Erfahrung und größere klinische Studien zurückgreifen kann. Bei FHL stünden nur wenige Studien mit geringer Fallzahl zur Verfügung.

In ihnen sei aber die Erfahrung der wenigen internationalen Experten für FHL gebündelt. Um die Behandlung von FHL zu verbessern, hätten sich 1988 internationale Experten in der zusammengetan, um gemeinsam den jeweiligen Behandlungsstandard zu definieren und somit die bestmögliche Therapie für so viele Menschen wie möglich zugänglich zu machen. 1989 wurde von dieser Gesellschaft KMT als Standardtherapie bei FHL anerkannt.

Im übrigen braucht die wissenschaftliche Diskussion über eine anzuwendende Alternativtherapie noch nicht abgeschlossen sein (vergl. BGH Versicherungsrecht 96, 233; BGH Versicherungsrecht 2000, 725). Gerade bei tödlichen Krankheiten reicht eine begründete Heilungschance durch bereits erfolgreich angewandte Therapien aus, um den Arzt zur Aufklärung über neue Möglichkeiten zu verpflichten.

Der Beklagte war auch deshalb gehalten, den Kläger über KMT aufzuklären, weil der Kläger bzw. seine Eltern anläßlich der Konsultationen den Beklagten immer wieder - wie sich aus dem Vortrag des Beklagten ergibt - in fast schon lästiger, penetranter Weise über Therapiemöglichkeiten befragt haben und genaueste Aufklärung über jede einzelne Behandlungsmaßnahme begehrt haben.

c) Die Aufklärung über die Möglichkeit der KMT hätte vor der im April 1994 eingetretenen großen ZNS-Beteiligung erfolgen müssen, spätestens ab 1992, als auch in Deutschland FHL mit KMT behandelt wurde. Ob ein Arzt bereits über Therapien aufklären muß, die nur im Ausland angeboten werden, kann hier dahinstehen.

Eine große ZNS-Beteiligung hinderte nach damaligem Wissen eine KMT. Der Kläger wäre, wie die Sachverständige Prof. ausführt, bis zur ZNS-Beteiligung im April 1994 ein vorzüglicher Kandidat für KMT gewesen.

Nach Auftreten der ZNS-Beteiligung hätte die KMT eine höchst riskante Behandlungsform dargestellt. Damals seien zwar die ersten überzeugenden Berichte von erfolgreicher KMT bei FHL mit ZNS-Beteiligung erschienen. Wenn der Beklagte zwischen April 1994 und Mai 1995 Zurückhaltung gegenüber KMT bei Patienten mit großer ZNS-Beteiligung gezeigt habe, so sei dies durchaus im Rahmen des damaligen medizinischen Standards gelegen. Sie (Prof. ) selbst habe bis Ende 1996 FHL-Patienten mit ZNS-Beteiligung eine KMT nicht angeraten.

Der Beklagte hat im Lauf des Verfahrens vortragen lassen, bereits vor 1994 habe eine ZNS-Beteiligung vorgelegen. Deshalb habe über die KMT nicht aufgeklärt werden müssen. Dabei übersieht der Beklagte, daß nach den Darlegungen der Sachverständigen nur eine große ZNS-Beteiligung, wie sie ab April 1994 aufgetreten ist, zum Abraten von der KMT geführt hätte und zum anderen, daß mangels an sich gebotener Untersuchungen (Liquorkontrollen) vor April 1994 die eventuell damals vorhandene ZNS-Beteiligung nicht mehr nachweisbar ist, worauf sich der Beklagte aber nicht berufen kann (BGHZ 99, 391). Das Unterlassen der erforderlichen regelmäßigen Liquorkontrollen war ein den Kläger gefährdender Behandlungsfehler, worauf die Sachverständige Prof. zutreffend hingewiesen hat.

d) Das durch den Beklagten vorgelegte Gutachten von Prof. tritt in den entscheidenden Punkten nicht in Widerspruch zu dem Gutachten von Prof..

aa) Soweit Prof. einen Widerspruch zwischen dem Gutachten von Prof. und der HLH-94-Studie erkennen will, kann dem nicht gefolgt werden. Prof. hat in ihrem Gutachten nicht behauptet, der Kläger habe in den Behandlungsstandard der Studie gepaßt. Vielmehr hat die Sachverständige über eine Arbeit britischer Forscher aus dem Jahr 1994 (Hirst et al.) berichtet, die die KMT für familiäre Fälle oder bei Patienten mit Symptommanifestationen in den ersten beiden Lebensjahren empfahlen. Damit wird deutlich, daß nach diesen Forschern bei familiären Fällen immer KMT angezeigt sein sollte. Die HLH-94-Studie wurde im übrigen erst nach dem hier entscheidenden Zeitraum durchgeführt.

bb) Es trifft auch nicht zu, daß die Sachverständige Prof. ohne Zögern die Diagnose FHL gestellt hat. Die Sachverständige stützt sich insoweit auf die Diagnose des Beklagten. Sie legt diese Diagnose ihren Ausführungen zu Grunde. Sie führt ausführlich die Ungewöhnlichkeiten im Falle des Klägers (spätes Erstmanifestationsalter mit neun Jahren, Erstdiagnose mit 16 Jahren, ansprechen auf relativ geringe Therapie und recht guten Gesundheitszustand bis 1994) an und sieht auf Grund der Akten und Beweismittel in ihnen keinen Widerspruch zur Diagnose FHL.

Im Gegenteil erkennt sie ausdrücklich die Leistung des Beklagten an, daß er trotz dieser Abweichungen die (richtige) Diagnose gestellt hat, wobei sie darauf hinweist, daß viele Patienten mit atypischem Verlauf vor der richtigen Diagnosestellung versterben und daß Ärzte manchmal gar nicht an FHL denken, weil sie diese Krankheit nicht kennen.

cc) Wenn Prof. an anderer Stelle seinem Gutachten zu Grunde legt, die Sachverständige Prof. habe selbst Zweifel an der Diagnose FHL gehabt, sodass die Indikation für KMT nicht vorgelegen habe, so widerspricht er sich damit selbst (zu obigem Punkt bb).

dd) Auch der von Prof. gemeinte Gegensatz zwischen Frau Prof. und Prof. hinsichtlich der Indikation der KMT bei FHL besteht nicht, wie bereits oben dargestellt. Der Unterschied zwischen beiden liegt lediglich darin, daß Prof. damals mit der Diagnose der FHL beim Kläger befasst war und auf Grund unvollständiger Krankenunterlagen (so fehlten z. B. immunologische Verlaufsuntersuchungen im Schub und Intervall, die für sie von hohem Interesse gewesen wären) die Diagnose FHL zwar als möglich, nicht jedoch als sicher angesehen hat, während Prof. davon ausgeht, daß die tatsächlich getroffene Diagnose zutreffend war, wie sich ja auch später bestätigt hat. Auch Prof. hätte bei sicherer FHL-Diagnose ohne Zögern die Indikation für KMT gestellt.

ee) Eines weiteren Gutachtens zur Klärung von Divergenzen zwischen dem Gutachten der Sachverständigen Prof. und dem Gutachten des vom Beklagten beauftragten Gutachters Prof. bedarf es mangels entscheidungserheblicher Unterschiede nicht.

Beide gehen davon aus, daß auch schon vor 1994 bei FHL die KMT eine Heilungschance bot. Beide gehen davon aus, daß die Diagnose FHL zum damaligen Zeitpunkt möglich und nicht falsch war.

Der Unterschied beider liegt lediglich darin, daß sich Prof. auf Zweifel von Prof. an der Diagnose FHL stützt, die jedoch im Zeitraum 1992 bis April 1994 nicht bestanden und auf unvollständigen Krankenunterlagen 1995 beruhten.

Aber selbst für die von Prof. auf Grund der ihr zur Verfügung stehenden unvollständigen Krankenunterlagen als möglich diagnostizierten anderen Erkrankung hat sie die KMT als Behandlungsalternative bezeichnet, da eine systemische immunsuppressive Therapie nicht auf Dauer wirken würde. Auch für diese Erkrankung hätte daher eine Aufklärung über KMT als heilende Therapie erfolgen müssen.

2. Der Kläger hat nachgewiesen, daß er vom Beklagten nicht über die Möglichkeit einer Heilung durch KMT und die Folgen einer Unterlassung der KMT vor der ZNS-Beteiligung im April 1994 aufgeklärt wurde.

Eine konkrete Situation, in der der Beklagte den Kläger aufgeklärt haben will, hat der Beklagte nicht dargetan. Eine Dokumentation der Aufklärung liegt nicht vor. Die Beweisaufnahme beim Landgericht hat den Beweis nicht erbracht.

Daß der Beklagte den Kläger nicht zutreffend über die Möglichkeit der Heilung durch KMT und über Erfolgschancen und Risiken nach dem damaligen Stand der Wissenschaft aufgeklärt hat, ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus dem Verhalten des Beklagten im vorgerichtlichen Verfahren und im hiesigen Rechtsstreit: Im Vorgerichtlichen Schreiben vom 28.12.1995 (siehe oben 5) ließ der Beklagten noch ausführen, daß für FHL noch keine allgemein akzeptierten, den Krankheitsverlauf nachgewiesenermaßen grundlegend positiv beeinflussende Therapieformen erprobt sind. Diese Auffassung hat der Beklagte im Prinzip auch während des hiesigen Rechtsstreits vertreten und immer wieder die KMT als nur experimentelle Therapie bezeichnet. Es erscheint völlig fernliegend, daß der Beklagte bei dieser festen aber unzutreffenden Meinung den Kläger abweichend davon über die entscheidende Bedeutung der KMT bei FHL als Standardtherapie zutreffend aufgeklärt hat, wie es nach allen im hiesigen Verfahren vorliegenden Gutachten dargestellt wurde, selbst wenn vom Beklagten irgendwann gesprächsweise die KMT erwähnt worden sein sollte. Dies wird dadurch untermauert, daß der Beklagte weder geklärt hatte, ob ein für die KMT kompatibler Spender zur Verfügung stand, was für das Risiko der KMT eine große Bedeutung gehabt hätte, noch daß er die nach dem Gutachten von Prof. erforderliche Vorbereitung auf eine KMT mit regelmäßiger, sorgfältiger Liquorkontrolle in Angriff genommen hatte. Insgesamt ist das Gericht davon überzeugt, daß der Beklagte den Kläger nicht rechtzeitig und nicht zutreffend über die Möglichkeit der erfolgreichen Therapie durch KMT aufgeklärt hat. Eine Vernehmung des Beklagten als Partei gemäß § 448 ZPO hielt das Gericht daher nicht für angezeigt.

II.

Für den Fall, daß eine zutreffende Aufklärung nicht erfolgt sein sollte, hat sich der Beklagte darauf berufen, daß sich der Kläger, wie vom Beklagten empfohlen, wegen des tiefen Vertrauenverhältnisses dazu entschlossen hätte, die KMT nicht durchzuführen und weiter die ihm vom Beklagten empfohlene medikamentöse Therapie gewählt hätte.

1. Dieser Einwand setzt voraus, daß der Beklagte den Kläger richtig und vollständig aufgeklärt hätte. Dazu hätte der Beklagte den Kläger darüber aufklären müssen, daß er an einer unfehlbar tödlichen Krankheit litt, daß die durchgeführte Behandlung nur die Symptome betraf, daß und welche Schäden diese Behandlung hervorruft und daß mit hoher Wahrscheinlichkeit eine ZNS-Beteiligung eintritt, die irreversible Schäden hinterläßt, selbst wenn der Kläger sich später doch noch für eine heilende Therapie mit KMT entscheiden würde. Ebenso hätte dargelegt werden müssen, daß bei ZNS-Beteiligung eine KMT nicht mehr möglich sein würde. Dagegen wären die Risiken einer KMT darzustellen gewesen und das Erfordernis eines HLA-kompatiblen Spenders. Es hätte auch einfließen können, daß der Beklagte die Hoffnung hegte, daß ganz ausnahmsweise eine einmalige Variante von FHL vorliegen könnte, die möglicherweise nicht tödlich sei. Eine solche vollständige Aufklärung behauptet der Beklagte selbst nicht.

Es erscheint fernliegend, daß sich der Kläger bei richtiger Aufklärung für die Fortsetzung der neben- und folgewirkungsbelasteten medikamentösen Therapie entschieden hätte, wenn ihm die einzige erfolgversprechende Heilungschance durch KMT mit einem HLA-kompatiblen Spender bekannt gewesen wäre und ihm auch bewußt gemacht worden wäre, daß diese Behandlung als Standardtherapie für FHL durch die anerkannt war.

Zwischen den Alternativen einer den Tod nur zeitlich hinauszögernden Symptombehandlung einer sonst unheilbaren Krankheit, deren Verschlimmerung im Laufe der Symptombehandlung mit Eintreten von ZNS-Beteiligung wahrscheinlich und deren Umfang unkalkulierbar ist einerseits, und einer mit Risiken behafteten, allerdings heilenden Behandlung andererseits, befindet sich ein junger Patient in einem bereits auf Grund der Sachlage plausiblen Entscheidungskonflikt, insbesondere wenn die während der Symptombehandlung eintretenden Schäden irreversibel sein können und auch bei einer späteren Entscheidung für die heilende Behandlung nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

Dieser Entscheidungskonflikt war - in Übereinstimmung mit der Sachverständigen Prof. - dahingehend sinnvoll zu lösen, daß der Kläger frühzeitig eine KMT durchführen ließ.

Der Senat hat keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Kläger - richtig aufgeklärt - die Durchführung der KMT verweigert hätte, zumal er sich später, als die KMT ein wesentlich höheres Risiko darstellte, für die KMT entschieden hat.

2. Der Behauptung des Beklagten, der Kläger und seine Eltern seien Eingriffen ablehnend, gegenüber gestanden und hätten deshalb einer KMT nicht zugestimmt, ist entgegenzuhalten, daß konkrete notwendige Eingriffe, die verweigert worden wären, nicht aufgeführt sind. Wenn der Beklagte am 10.08.1988 an die Privatdozenten Dr. und Dr. vom Klinikum schreibt: "Es ist übrigens bedauerlich, daß Sie bei der verständlichen Rigidität der Familie gegenüber Eingriffen aller Art uns kein Material für eine immunzytologische Analyse zukommen lassen," zeigt dies zum einen, daß es sich auch nach Meinung des Beklagten nicht um unverständliche Weigerungen handelte und daß zum anderen vom Klinikum durchaus Zustimmung zur Knochenmarkbiopsie erlangt werden konnte. Dies bedeutet aber auch, daß der Kläger sich eben gerade nicht den notwendigen Eingriffen widersetzte, sondern durchaus mitarbeitete, wenn die Notwendigkeit erläutert wurde.

Zwar lehrt die Lebenserfahrung, daß ein Patient eine Operation oder eine Krankenhausbehandlung manchmal solange verweigert, wie er meint, es gehe auch anders. Wenn ihm aber die Ernstlichkeit der Gefahr und die Dringlichkeit der Behandlung pflichtgemäß vor Augen geführt werden, überdenken solche Patienten in der Regel ihre Verweigerungshaltung (vgl. Frahm/Nixdorf Arzthaftungsrecht Rd. Nr. 146). Der Arzt hat alles nach Sachlage gebotene zu unternehmen, damit der Patient die Einwilligung zu notwendigen ärztlichen Eingriffen erteilt (Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 2. Auflage, Rn. 3 zu § 63).

Daß der Kläger - richtig aufgeklärt - sich gegen eine KMT entschieden hätte, ist nicht ersichtlich. Unvernünftiges Verhalten ist beim Kläger und seiner Familie gerade nicht aufgetreten.

In einem solchen Fall wäre es im übrigen Sache des Beklagten gewesen zu beweisen, daß der Kläger nicht die Heilungschance, sondern den sicheren Tod gewählt hätte. Der Schutzzweck der Aufklärung würde geleugnet, wenn der Kläger einen Sachverhalt ausschließen müsste, der sich im Licht der geschuldeten Aufklärung als Entschluß zur Selbstgefährdung und zur Aufgabe seines Integritätsanspruches darstellt (vgl. 'Steffen in RGRK, Rn. 527 zu § 823 BGB m.w.N.).

III.

Die unterlassene Therapieaufklärung für die KMT hatte zur Folge, daß nicht rechtzeitig vor April 1994 eine KMT durchgeführt wurde. Dadurch kam es zum Fortschreiten der FHL und zur ZNS-Beteiligung, deren Folgen teilweise irreversibel sind. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß die bleibenden Schäden Folgen der FHL sind.

Da nach jetzigem Wissen beim Kläger die FHL durch KMT geheilt wurde, kann davon ausgegangen werden, daß bei früherer KMT vor Eintritt der cerebralen Schädigung letztere gar nicht entstanden wäre. Durch die KMT konnte sogar der Rückgang einiger cerebraler Schäden bewirkt werden, ein Vorgang wie ihn auch eine israelische Studie bestätigt (Shuper 1998, J Pediatr 133 [1] 126-128 zitiert nach Gutachten Prof. ), nämlich daß eine erfolgreiche KMT die ZNS-Symptomatik lindern kann.

Zwar kann wegen der allgemeinen Unwägbarkeiten einer Behandlung am lebenden Organismus keine absolute oder unumstößliche Gewissheit dafür erlangt werden, daß bei früherer KMT diese ebenso erfolgreich gewesen wäre und damit die ab April 1994 eingetretenen ZNS-Schäden verhindert hätte. Das Gericht ist jedoch unter Anlegung des für das praktische Leben brauchbaren Grades an Gewißheit davon überzeugt, daß bei früherer Anwendung der KMT die jetzt noch bestehenden Schäden des Klägers nicht eingetreten wären (vgl. BGH VersR 94, 52). Es sind nämlich keine Umstände und Hinweise aufgetreten, die dafür sprächen, eine frühere KMT wäre weniger erforderlich gewesen.

Für die beim Kläger infolge der unterlassenen therapeutischen Aufklärung und der deswegen nicht rechtzeitig vorgenommenen KMT entstandenen Gesundheitsschäden ist der Beklagte zu Schmerzensgeld und Schadensersatz dem Grunde nach verpflichtet. Deren Höhe ist in den jeweiligen Betragsverfahren geltend zu machen. Im übrigen hat die unzutreffende therapeutische Aufklärung über die Behandlungsalternative KMT dazu geführt, daß die Zustimmung des Klägers zu der mit Nebenwirkungen und Spätfolgen belasteten medikamentösen Therapie (z.B. Cortison) ab 1992 unwirksam war. Für die durch die medikamentöse Therapie eingetretenen und eintretenden Schäden haftet der Beklagte dem Grunde nach ebenso.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt § 97 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

V.

Die Revision wird nicht zugelassen (§ 543 ZPO n.F.).

Ende der Entscheidung

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