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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 30.11.2004
Aktenzeichen: 5 W 3947/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 116 Satz 1 Nr. 1
I. Zu den wirtschaftlich Beteiligten i. S. d. § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO, denen grundsätzlich die Finanzierung der Prozesskosten zuzumuten ist, gehören mit Ausnahme der Minimalgläubiger i. d. R. alle Insolvenzgläubiger, auch die Finanzbehörden.

II. Die Zumutbarkeit ist immer dann zu bejahen, wenn die Gesamtheit dieser Gläubiger bei einem Prozesserfolg, in absoluten Zahlen gemessen, deutlich mehr erhält als sie an Prozesskosten aufzubringen hat.


5 W 3947/04

Nürnberg, den 30.11.2004

In Sachen

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 5. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 05. November 2004 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 127 Abs. 2 Satz 2, § 567 Abs. 1 ZPO). Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet, da das Erstgericht die beantragte Prozesskostenhilfe im Ergebnis zu Recht versagt hat. Die Voraussetzungen des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO liegen nicht vor.

1. Dabei kann dahinstehen, ob der Überlegung des Erstgerichts gefolgt werden kann, der Prozesskostenhilfeantrag müsse schon deswegen abgewiesen werden, weil Gläubiger öffentlicher Abgaben am Insolvenzverfahren beteiligt seien und diesen die Aufbringung der Prozesskosten stets zuzumuten sei. Denn der Antrag kann auch dann keinen Erfolg haben, wenn man diesen Gläubigern keine derartige Sonderstellung einräumt. Denn der Gesamtheit der am Prozess wirtschaftlich Beteiligten ist es jedenfalls zuzumuten, die erforderlichen Mittel für die Prozessführung aufzubringen. Alle wirtschaftlich Beteiligten bilden eine Risikogemeinschaft, die insgesamt herangezogen werden kann (KG AnwBl 2003, 244; Musielak/Fischer, ZPO, 4. Auflage, § 116 Rdnr. 9).

2. Das Prozesskostenhilfegesuch des Antragstellers kann allerdings nicht mit einem bloßen Hinweis auf § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO zurückgewiesen werden.

Denn diese Bestimmung gilt nur für die Dauer des bestimmungsgemäßen Betriebs der juristischen Person (BGH NJW 1991, 40/41; Musielak/Fischer, a.a.O., Rdnr. 11, Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Auflage, § 116 Rdnr. 17).

Nach dem Wortlaut des Gesetzes stehen beide in § 116 geregelten Fälle selbständig und gleichrangig nebeneinander. § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO soll dem Umstand Rechnung tragen, dass es sich bei juristischen Personen um künstliche Schöpfungen aus Zweckmäßigkeitsgründen handelt. Die zusätzliche Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, die § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO aufstellt, kann daher nur für die Dauer des bestimmungsgemäßen Betriebes der juristischen Person gelten. Denn mit der Konkurseröffnung entfällt ohne weiteres die für die Einschränkung vorausgesetzte Privatnützigkeit der juristischen Person. Von diesem Zeitpunkt an ist ihr Vermögen wie das jeder natürlichen Person zur geordneten Befriedigung der Gläubiger zu verwenden (BGH a.a.O.).

Vor allem verbietet es der Zweck des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Insolvenzverwalter zusätzlich von einem allgemeinen Interesse an der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung abhängig zu machen. Denn gerade der Rechtsverfolgung durch Insolvenzverwalter hat der Gesetzgeber mit der Schaffung dieser Vorschrift ein eigenständiges, schutzwürdiges öffentliches Interesse beigemessen. Die sehr zurückhaltende Bewilligung von Armenrecht bzw. Prozesskostenhilfe durch die Gerichte hatte dazu geführt, dass Geschäftspartner des Gemeinschuldners sich häufig rechtswidrige Vorteile in der Erwartung verschaffen, dem Insolvenzverwalter werde es nicht gelingen, die erforderlichen finanziellen Mittel zur Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes aufzubringen. Dieser Missstand sollte durch die Einführung des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO beseitigt werden. Darüberhinaus ist das Insolvenzverfahren im öffentlichen Interesse mit der Aufgabe betraut, die geordnete und rechtlich gesicherte Abwicklung eines - wenn auch massearmen oder masselosen - Unternehmens vor allem zum Schutz sozial Schwächerer herbeizuführen. Einer weiteren allgemeinen Rechtfertigung bedarf die Rechtsverfolgung oder -Verteidigung durch den Insolvenzverwalter nicht (BGH NJW 1991, 40/41; Pape ZIP 1988, 1293).

3. Zu den wirtschaftlich Beteiligten im Sinne des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO, die vorrangig zur Finanzierung des beabsichtigten Rechtsstreits heranzuziehen sind, gehören, wenn der Insolvenzverwalter für den Gemeinschuldner prozessieren will, alle Gläubiger, die bei erfolgreichem Abschluss des konkreten Rechtsstreits wenigstens mit einer teilweisen Befriedigung ihrer Ansprüche aus der Masse rechnen können.

Ob die wirtschaftlich Beteiligten auch leistungsbereit sind, ist unerheblich (BGH MDR 98, 737; OLG Köln MDR 2000, 51; OLG Düsseldorf MDR 2002, 846, Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Auflage, § 116 Rdnr. 15 f.). Wirtschaftlich nicht beteiligt sind nur diejenigen Gläubiger, deren Ansprüche bestritten sind, sowie die Minimalgläubiger (OLG Naumburg ZIP 1994, 383; Musielak/Fischer, a.a.O., Rdnr. 6; Steenbuck MDR 2004, 1155/1156).

Die Finanzbehörden müssen dagegen grundsätzlich ebenfalls als wirtschaftlich beteiligt und damit potenziell vorschusspflichtig angesehen werden, ohne dass deshalb dem Insolvenzverwalter in keinem Fall Prozesskostenhilfe gewährt werden könnte, an dem der Steuerfiskus als Gläubiger beteiligt ist.

Die Einbeziehung der Finanzbehörden in den Kreis der wirtschaftlich Beteiligten im Sinne des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO entspricht spätestens seit dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24. März 1998 gefestigter Rechtsprechung, der sich auch der Senat anschließt (BGH NZI 1999, 450; OLG Schleswig MDR 1998, 1868; OLG Koblenz NZI 2000, 81; OLG Celle NJW-RR 2000, 728; OLG. Hamm OLGR 2001, 374). Hierfür sind folgende Überlegungen maßgebend:

a) Nach § 2 Abs. 1 GKG genießen Bund und Länder zwar Kostenfreiheit. Diese Vorschrift soll aber lediglich Zahlungen von einer Kasse in eine andere Kasse vermeiden; sie erfasst jedoch nicht Fälle der mittelbaren Prozessbeteiligung (BGH NJW 1998, 1868; NJW 1977, 2317). Ferner kann § 2 Abs. 1 GKG für die Auslegung von § 116 ZPO deshalb nicht von entscheidender Bedeutung sein, weil es hier nicht nur um Gerichtskosten, sondern auch um außergerichtliche Kosten geht.

b) Der Gesetzgeber hat in der Insolvenzordnung bewußt auf eine Rangfolge, wie sie früher in § 61 KO enthalten war, verzichtet, weil sie der Gleichbehandlung aller Gläubiger widersprach und - neben der Dominanz insolvenzfester dinglicher Sicherheiten - als eine der Hauptursachen für den schleichenden Konkurs des Konkurses angesehen wurde. Das Gleichbehandlungsprinzip spricht danach dagegen, im Rahmen des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO bestimmte Gläubiger von der Pflicht zur Finanzierung des beabsichtigten Rechtsstreits auszunehmen. Eine solche Ausnahme kommt nur dann in Betracht, wenn im Einzelfall bzw. für die betroffene Gläubigergruppe die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme dargetan werden kann. Es ist nicht ersichtlich, was für die Unzumutbarkeit im Falle des hier betroffenen Finanzamtes sprechen sollte.

c) Auch die Besonderheit der öffentlichen Hand, dass sie Ausgaben im allgemeinen nur im Rahmen bestehender Haushaltsansätze zu leisten vermag, vermag eine Sonderstellung des Steuerfiskus nicht zu rechtfertigen (OLG Düsseldorf ZIP 1993, 780; OLG Köln MDR 1994, 407; OLG Hamm NJW-RR 1994; 1342). Aufwendungen für die Durchsetzung von Steuerforderungen sind für die Finanzverwaltung nichts ungewöhnliches, wie § 201 AO zeigt, der die Niederschlagung solcher Forderungen wegen unverhältnismäßiger Kosten der Einziehung regelt. Im übrigen wäre es Sache des Steuerfiskus, insoweit Vorsorge zu treffen (OLG Hamm a.a.O.).

4. Damit ist jedoch - abgesehen von dem Ausnahmefall, in denen der beabsichtigte Prozess zur vollen Befriedigung der Insolvenzgläubiger führen kann - noch nicht gesagt, wann die Prozessfinanzierung für die Beteiligten zumutbar ist. Die Rechtsprechung bietet insoweit ein uneinheitliches Bild und stellt teils auf die zu erwartende Quote, teils auf das Verhältnis von Prozesskosten zur Gläubigerforderung und teils auf absolute Zahlen ab (vgl. die Nachweise bei Musielak/Fischer, a.a.O., Rdnr. 9).

Der Senat hält es mit dem Antragsteller für richtig, in erster Linie den konkreten, in absoluten Beträgen zu messenden Einsatz an Prozesskosten für das Verfahren, in dem Prozesskostenhilfe beantragt wird, und den ebenfalls in absoluten Beträgen zu messenden, für die Gesamtheit der zumutbar wirtschaftlich Beteiligten erwarteten Prozesserfolg gegenüberzustellen" (so auch OLG Nürnberg vom 12. Mai 2003, 4 W 1078/03; OLG Karlsruhe JurBüro 1999, 476; OLG Düsseldorf ZIP 2002, 1208; Zöller/Philippi, ZPO, 24. Auflage, § 116 Rdnr. 7; Steenbuck, a.a.O.). Anderenfalls würden Großgläubiger ungerechtfertigt bevorzugt, da sie relativ gesehen vom Prozess nur eine geringfügige Verbesserung ihrer Situation zu erwarten haben.

Ein Beitrag zu den Kosten des beabsichtigten Rechtsstreits erscheint dem Senat dann zumutbar, wenn die erforderlichen Mittel von den betroffenen Gläubigern unschwer aufgebracht werden können und der zu erwartende Nutzen bei vernünftiger, auch das Eigeninteresse sowie das Prozessrisiko angemessen berücksichtigender Betrachtungsweise bei einem Erfolg der Rechtsverfolgung voraussichtlich deutlich größer sein wird als die aufzubringenden Prozesskosten bzw. zu diesen nicht in einem Missverhältnis stehen wird (BGH NJW 1991, 40; Steenbuck, a.a.O.; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Auflage, § 116 Rdnr. 13).

Diese Voraussetzungen sind, wenn man die Angaben des Antragstellers zugrundelegt, im vorliegenden Fall erfüllt. Denn danach geht es im Streitfall um die Finanzierung von Prozesskosten in Höhe von nur 3.047,16 Euro. Zu deren Finanzierung können mit Ausnahme zweier Kleingläubiger und des Antragsgegners, der ebenfalls eine Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet hat, 12 Gläubiger mit Forderungen von insgesamt 215.803,95 Euro herangezogen werden. Auch der Antragsteller behauptet nicht, dass unter diesen Gläubigern solche wären, denen die Aufbringung der Prozesskosten nennenswerte Probleme bereiten würde. Diese Gläubiger können nach den Angaben des Antragstellers bei einem Prozesserfolg mit einer Befriedigung von 3 % ihrer Forderungen, also insgesamt mit 6.474,12 Euro rechnen. Das ist mehr als das Doppelte der einzusetzenden Prozesskosten.

Unter diesen Umständen muss für die Gesamtheit der Gläubiger ein zumutbares Kosten-Nutzen-Verhältnis bejaht werden (so auch Steenbruck, a.a.O., in Anlehnung an die Rechtsprechung zum auffälligen Missverhältnis im Sinne des § 138 BGB und die Lehre von der laesio enormis).

II.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht (Zöller/Philippi, a.a.O., § 127 Rdnr. 39). Gerichtskosten eines erfolglosen Beschwerdeverfahrens trägt der Beschwerdeführer ohnehin kraft Gesetzes. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§ 574 ZPO).

Ende der Entscheidung

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