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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 20.01.2005
Aktenzeichen: 6 U 2657/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233
Zur Organisation des Fristenwesens in einer Anwaltskanzlei: Fristen sind auf der Handakte zu notieren; das muß frühestmöglich geschehen.
6 U 2657/04

Nürnberg, den 20.1.2005

In Sachen

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 6. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 29. Juni 2004 wird zurückgewiesen.

II. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 29. Juni 2004 wird als unzulässig verworfen.

III. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

IV. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 156.162,18 Euro festgesetzt und zwar auf 136.162,18 Euro im Verhältnis zwischen der Klägerin und den Beklagten sowie auf 20.000,-- Euro im Verhältnis zwischen der Beklagten und den Drittwiderbeklagten.

Gründe:

I.

Mit Endurteil vom 29. Juni 2004 hat das Landgericht Regensburg die Beklagte zur Zahlung von 136.162,18 Euro verurteilt und eine von ihr erhobene Widerklage abgewiesen.

Gegen dieses ihr am 1. Juli 2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30. Juli 2004 Berufung eingelegt. Am 2. September 2004 ist eine mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Berufungsbegründung eingegangen.

Wiedereinsetzung erstrebt die Beklagte mit der Begründung, die Fristversäumung sei darauf zurückzuführen, daß es eine bei ihrem Prozeßbevollmächtigten R beschäftigte Rechtsanwaltsgehilfin aus unbekannten Gründen unterlassen habe, von dem Prozeßbevollmächtigten am 30. Juli 2004 auf der Kopie der Berufungseinlegung verfügte Fristen (24. 8.; 30, oder 31. 8. 2004, insoweit divergieren die Anlagen B 1/5 und B 1/6) in den Fristenkalender einzutragen. Dem Prozeßbevollmächtigten sei das Fehlen eines Erledigungsvermerks betreffend die am 30. Juli 2004 verfügten Fristen erst bei einer Aktenvorlage am 2. September 2004 aufgefallen; er habe sich auf seine zuvor beanstandungsfrei arbeitende Mitarbeiterin verlassen dürfen und vor dem 2. September 2004 keinen Anlaß gehabt, die Ausführung seiner Verfügung vom 30. Juli 2004 zu überprüfen.

Die Berufungsbeklagten sehen das Wiedereinsetzungsgesuch als unbegründet an. Sie halten die Organisation der Fristenkontrolle in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten für unzulänglich. Ferner weisen sie darauf hin, daß den Beklagtenvertretern am 2. August 2004 zur Vorbereitung der Zwangsvollstreckung eine Prozeßbürgschaft zugestellt worden ist und daß das Landgericht Regensburg am 13. August 2004 über einen von der Beklagten gestellten Antrag auf Tatbestandsberichtigung mündlich verhandelt hat; jedenfalls bei diesen Gelegenheiten habe der fehlende Erledigungsvermerk betreffend die Fristnotierung auffallen müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist unzulässig. Sie ist erst am 2. September 2004 begründet worden, also nicht innerhalb der bis 1. September 2004 laufenden Frist gemäß § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO.

III.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Fristversäumung kann der Beklagten nicht gewährt werden, weil die Voraussetzungen des § 233 ZPO nicht vorliegen. Die Ursache für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist liegt nicht lediglich in einem Versehen einer Bürokraft, sondern in unzureichender Organisation des Fristenwesens durch die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, was sich die Beklagte gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß.

Unentbehrliches Hilfsmittel für die Fristenwahrung ist neben der Führung eines entsprechenden Kalenders die Notierung der Fristen auf den Handakten des Anwalts, die durch einen Vermerk über die Eintragung im Kalender zu ergänzen ist; ferner müssen die organisatorischen Maßnahmen so beschaffen sein, daß auch bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs die Fristwahrung gewährleistet ist, wozu gehört, die zur Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen frühestmöglicht und im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vorzunehmen (vgl. BGH NJW 2003, 1815). Diesen Anforderungen genügte die Handhabung in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten nicht:

Unzureichend war schon, daß die Frist und deren Notierung nicht auf der Handakte vermerkt wurde, sondern lediglich auf einem darin befindlichen Schriftstück, nämlich der Kopie der Berufungseinlegung. Wäre der erforderliche Fristeneintrag auf der Handakte erfolgt, hätte das Fehlen eines Vermerks über die Eintragung im Kalender aus Anlaß der Zustellung vom 2. August 2004 bzw. der Wahrnehmung des Termins vom 13. August 2004 ohne weiteres erkannt und der Eintrag im Fristenkalender nachgeholt werden können.

Außerdem war die Durchführung der Notierung von Fristen im Kalender nicht so organisiert, daß eine sichere Erledigung gewährleistet war. Die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im Kalender erfolgte nicht frühestmöglich bei Beginn des Fristenlaufs am 1. Juli 2004, sondern wurde erst Wochen später am 30. Juli 2004 vorgesehen. Dazu kommt, daß die Ausführung der am 30. Juli 2004 getroffenen Verfügung nicht zugleich mit Absendung der Berufungseinlegung per Telefax am selben Tag kurz nach 18.00 Uhr erfolgen konnte, sondern erst am folgenden Arbeitstag (Montag), weil die mit der Fristenkontrolle beauftragte Rechtsanwaltsgehilfin regelmäßig nur bis 14.00 Uhr arbeitete (Anlage B 1/4). Diese Praxis war mit dem Risiko einer Fristversäumung behaftet. Sie lief auf eine unnötige Aufspaltung des zusammengehörenden und einheitlichen Vorgangs der Fristenberechnung, -notierung und -eintragung hinaus und barg die Gefahr von Versehen bei der Fristbehandlung vor allem deshalb in sich, weil die Möglichkeit bestand, daß die bei der Absendung der Berufungseinlegung per Telefax tätige Person die Schriftsatzkopie mit der Verfügung des Fristeneintrags statt in die auf den Tisch der Fristenbuchführerin zu legende Unterschriftsmappe (vgl. hierzu S. 5 des Beklagtenschriftsatzes vom 14. Oktober 2004) in die nicht ausdrücklich als Fristsache gekennzeichnete Handakte legte und die Sache damit außer Kontrolle geriet.

Daß die unterbliebene Eintragung im Fristenkalender auf den hierin zu erblickenden Organisationsmangel zurückzuführen ist, läßt sich schon deshalb nicht ausschließen, weil dem Vorbringen der Beklagten nichts über Einzelheiten des Geschehensablauf und die konkrete Ursache der aufgetretenen Panne zu entnehmen ist.

IV.

Die Versagung von Wiedereinsetzung hat zur Folge, daß die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen ist und die Beklagte die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen hat (§ 97 ZPO).

Ende der Entscheidung

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