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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 19.04.2006
Aktenzeichen: 7 WF 266/06
Rechtsgebiete: ZPO, SGB XII, DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII


Vorschriften:

ZPO § 115 Abs. 3
SGB XII § 90 Abs. 2 Nr. 9
DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII § 1 Abs. 1 Nr. 1 b
Die Prozesskostenhilfe ist nicht mit Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII sondern mit Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII vergleichbar. Das Schonvermögen i.S.d. § 115 III ZPO beträgt daher 2.600,00 EUR.
Nürnberg, den 19.4.2006

7 WF 266/06

In der Familiensache

wegen Feststellung der Vaterschaft,

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 7. Zivilsenat und Senat für Familiensachen, durch die unterzeichnenden Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 13.01.2 006 wird der Beschluß der Rechtspflegerin bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Nürnberg vom 05.01.2006 (Az.: 111 F 782/03) in Ziffer 2. aufgehoben.

Gründe:

I.

Mit Schriftsatz vom 24.02.2003 hat der Kläger gegen den Beklagten Klage erhoben mit dem Antrag, festzustellen, daß der Beklagte sein Vater sei, und ihn zu verurteilen, seit seiner (des Klägers) Geburt an ihn monatlichen Unterhalt in Höhe von 100 % des Regelbetrages zu zahlen. Mit Schriftsatz vom 29.07.2003 hat der Kläger seine Klage zurückgenommen, nachdem ein Sachverständigengutachten ergeben hat, daß es offenbar unmöglich ist, daß der Beklagte der Vater des Klägers ist.

Mit Beschluß vom 26.09.2003 war dem Beklagten Prozeßkostenhilfe ohne Raten und ohne Anordnung der Zahlung eines Einmalbetrages unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. H K aus Sch bewilligt worden. Mit Beschluß vom 21.03.2005 hat die Rechtspflegerin bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Nürnberg die dem Beklagten bewilligte Prozeßkostenhilfe aufgehoben, weil dieser trotz entsprechender Aufforderung keine Erklärung abgegeben hatte, ob sich die für die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe maßgebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zwischenzeitlich geändert hätten. Gegen diesen am 08.04.2005 zugestellten Beschluß hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 12.04.2005, beim Amtsgericht Nürnberg eingegangen am 13.04.2005, sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er sich auf einen nunmehr von ihm vorgelegten Bescheid der Arbeitsagentur Nürnberg vom 15.02.2005 über die Bewilligung von Arbeitslosengeld berufen. Nach umfangreichen weiteren Ermittlungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beklagten hat die Rechtspflegerin bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Nürnberg mit Beschluß vom 05.01.2006 unter Ziffer 1. den Beschluß über die Aufhebung der Prozeßkostenhilfe vom 21.03.2005 aufgehoben und unter Ziffer 2. den ursprünglichen Bewilligungsbeschluß vom 26.09.2003 dahingehend abgeändert, daß der Beklagte auf die Kosten der Prozeßführung aus seinem Vermögen einen Betrag in Höhe von 760,96 Euro zu zahlen hat. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, daß der Aufhebungsbeschluß aufzuheben sei, da der Beklagte nunmehr Auskunft über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gegeben habe. Der Beklagte verfüge jedoch über einen Bausparvertrag mit einem angesparten Guthaben in Höhe von 2.861,41 Euro. Das Schonvermögen betrage grundsätzlich nur 1.600,-- Euro, so daß 1.261,41 Euro für die Verfahrenskosten zur Verfügung stünden. Nachdem aus der Staatskasse für den Beklagten 760,96 Euro verauslagt worden seien, habe der Beklagte diesen Betrag im Rahmen eines Einmalbetrages zu zahlen.

Gegen diesen am 11.01.2006 zugestellten Beschluß hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 13.01.2006, beim Amtsgericht Nürnberg eingegangen am 17.01.2006, sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung beruft er sich im wesentlichen darauf, daß er nicht verpflichtet sei, das angesparte Bausparguthaben einzusetzen. Das Schonvermögen betrage gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII grundsätzlich 2.3 01,-- Euro. Hinzu kämen weitere 255,-- Euro, da er einem minderjährigen Kind unterhaltspflichtig sei. Desweiteren handele es sich bei dem Betrag von 2.301,-- Euro um eine Untergrenze, die die Gerichte nicht binde. Bei einer vorzeitigen Kündigung des Bausparvertrages müßten voraussichtlich Wohnungsbauprämien und Arbeitnehmersparzulagen zurückgezahlt werden, was zu einer erheblichen Reduzierung der angesparten Summe führen würde.

Die Rechtspflegerin bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Nürnberg hat der sofortigen Beschwerde unter dem 22.02.2006 nicht abgeholfen und die Akten dem Familiensenat des Oberlandesgerichts Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist zulässig und begründet. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, das Guthaben aus dem ihm gehörenden Bausparvertrag zur Finanzierung der Prozeßkosten einzusetzen. Unter diesen Umständen war die angefochtene Entscheidung vom 05.01.2006 in Ziffer 2. aufzuheben. Nachdem die Ziffer 1. bestehen bleibt, mit der der Aufhebungsbeschluß vom 21.03.2005 aufgehoben worden ist, verbleibt es somit insgesamt bei dem ursprünglichen Bewilligungsbeschluß vom 26.09.2003. Zur Begründung ist - insbesondere im Hinblick auf die Beschwerdebegründung und die Stellungnahmen der Vertreterin der Staatskasse vom 06.09.2005 und 21.02.2006 - folgendes auszuführen:

Nach § 115 Abs. 3 ZPO hat die Partei ihr Vermögen einzusetzen, soweit dies zumutbar ist, wobei § 90 SGB XII entsprechend gilt. Nach § 90 Abs. 1 SGB XII ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte, wobei dabei eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen ist. Was unter kleineren Barbeträgen oder sonstigen Geldwerten im Sinne dieser Bestimmung zu verstehen ist, wird durch die "Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII" in der Fassung des Art. 15 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 30.12.2003 (BGBL I Seite 3022 ff. (Seite 3060 ff.)) näher geregelt. Danach beträgt das Schonvermögen 1.600,-- Euro bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des SGB XII, wobei sich der Betrag auf 2.600,-- Euro bei Vollendung des 60. Lebensjahres sowie bei Vollerwerbsgeminderten im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung erhöht (§ 1 Nr. 1 a der Verordnung). Bei den Leistungen nach dem fünften bis neunten Kapitel des SGB XII beträgt das Schonvermögen 2.600,-- Euro zuzüglich eines Betrages von 256,-- Euro für jede Person, die von der nachfragenden Person überwiegend unterhalten wird (§ 1 Nr. 1 b der Verordnung). Da die Verordnung somit für unterschiedliche Sozialleistungen ein unterschiedlich hohes Schonvermögen vorsieht, ist die lapidare Verweisung in § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO ("§ 90 SGB XII gilt entsprechend") wenig hilfreich. Denn es bedarf unter diesen Umständen einer Klärung der Frage, ob die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe eher mit der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des SGB XII oder eher mit den Leistungen nach dem fünften bis neunten Kapitel des SGB XII vergleichbar ist. In der Literatur wird im wesentlichen die Auffassung vertreten, daß die Prozeßkostenhilfe eine Hilfe in besonderen Lebenslagen darstellt bzw. mit derartigen Hilfe am ehesten vergleichbar ist (vgl. Fischer in: Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 115 Rn. 43; Kalthoener/Buttner/Wrobel-Sachs, Prozeßkostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl., Rn. 348). Das Oberlandesgericht Bamberg hat sich in einer unveröffentlichten Entscheidung dieser Auffassung angeschlossen (Beschluß vom 14.10.2005, Az.: 7 WF 184/05), die auch vom Oberlandesgericht Karlsruhe vertreten wird (Beschluss vom 11.5.2005, Az. 2 WF 51/05 FamRZ 2005, 1917). Die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des SGB XII umfaßt im wesentlichen Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens (§ 27 SGB XII), wobei dieser Bedarf im wesentlichen nach Regelsätzen erbracht wird (§ 28 SGB XII). Mit dieser Absicherung lebensnotwendiger Grundbedürfnisse kann die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nicht verglichen werden. Das Schonvermögen im Sinne des § 115 Abs. 3 ZPO ist daher grundsätzlich mit 2.600,-- Euro anzusetzen. Eine Erhöhung dieses Betrages - wie vom Beklagten geltend gemacht - wegen der bestehenden Unterhaltspflicht für ein minderjähriges Kind kommt nicht in Betracht. Die Vertreterin der Staatskasse hat in ihrer Stellungnahme vom 21.02.2006 zutreffend darauf hingewiesen, daß beim Bestehen einer ausschließlichen Barunterhaltspflicht (wie im vorliegenden Fall) die Unterhaltszahlungen für das Kind bei der Ermittlung des einzusetzenden Einkommens aber nicht beim Vermögen zu berücksichtigen sind.

Nach der vorgelegten Bescheinigung der Bausparkasse vom 18.01.2006 hat der Bausparvertrag am 17.01.2006 ein Guthaben von 3.369,59 Euro aufgewiesen. Ob ein den Freibetrag übersteigendes Bausparguthaben trotz der damit verbundenen Nachteile verwertet werden muß ist umstritten (vgl. hierzu Fischer in: Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 115 Rn. 44 m.w.N.). Nach den vorliegenden Unterlagen muß davon ausgegangen werden, daß das vorhandene Guthaben nahezu ausschließlich auf vermögenswirksamen Leistungen beruht. Das Guthaben übersteigt die Untergrenze des Schonvermögens um 769,59 Euro. Die Rückzahlungsverpflichtung des Beklagten gegenüber der Staatskasse würde sich auf 760,96 Euro belaufen. Unter diesen Umständen könnte die angefochtene Entscheidung derzeit ohnehin nicht in vollem Umfang aufrechterhalten werden, da unter Berücksichtigung der prämienschädlichen und steuerschädlichen Auswirkungen einer vorzeitigen Auflösung des Vertrages der das Schonvermögen übersteigende Betrag voraussichtlich nicht ausreichen würde. Angesichts der Höhe des Rückforderungsbetrages erscheinen weitere Ermittlungen jedoch auch nicht vertretbar. Unter Berücksichtigung aller Umstände ist es dem Beklagten daher jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht zuzumuten, den vorhandenen Bausparvertrag zur Finanzierung der Prozeßkosten einzusetzen. Insoweit ist es unerheblich, daß der Beklagte in der Vergangenheit seiner Mitwirkungsverpflichtung nicht ausreichend nachgekommen ist und zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen teilweise unvollständige und teilweise unglaubwürdige Angaben gemacht hat.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Die Vertreterin der Staatskasse hat sich auf eine unveröffentlichte Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg berufen, wonach das Schonvermögen lediglich 1.600,-- Euro betrage (Beschluß vom 25.07.2005, Az.: 11 WF 544/05). Hierzu ist zu bemerken, daß es sich insoweit lediglich um ein "obiter dictum" handelt, da es in diesem Fall nicht darauf ankam, ob die Höhe des Schonvermögens 1.600,-- Euro oder 2.600,-- Euro beträgt. Darüber hinaus ist in dieser Entscheidung lediglich ausgeführt, daß das Schonvermögen nach § 1 Nr. 1 a der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII 1.600,-- Euro betrage. Die Entscheidung setzt sich jedoch nicht mit der Frage auseinander, ob das Schonvermögen nicht unter Berücksichtigung des § 1 Nr. 1 b der genannten Verordnung mit 2.600,-- Euro anzusetzen ist.

Ende der Entscheidung

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