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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 31.10.2002
Aktenzeichen: 7 WF 3134/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 269 Abs. 3 S. 3
Eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO setzt voraus, daß die Klage durch Zustellung der Klageschrift rechtshängig geworden ist. Bei einer Rücknahme der Klage vor deren Zustellung besteht jedenfalls dann keine Veranlassung, die Anwendung des § 269 III 3 ZPO durch die nachfolgende Zustellung der Klageschrift zu ermöglichen, wenn der Kläger dies nicht wünscht.
7 WF 3134/02

Nürnberg, den 31.10.2002

In der Familiensache

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 7. Zivilsenat und Senat für Familiensachen, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Nürnberg vom 16.09.2002 wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Gegen die Entscheidung wird die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen.

IV. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 480 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beklagte ist die am 16.04.1992 geborene Tochter des Klägers aus dessen geschiedener Ehe mit C B.

In einer beim Jugendamt der Stadt N erstellten Urkunde vom 04.12.2001 hatte der Kläger sich verpflichtet, für die Beklagte einen Unterhalt in Höhe von 100 % des Regelbetrages zu bezahlen, auf den das Kindergeld nach Maßgabe des § 1612 b Abs. 5 BGB in der Fassung ab 01.01.2001 anzurechnen ist.

Im Anschluß an einen entsprechenden Antrag vom 06.02.2002 betrieb die Beklagte die Zwangsvollstreckung aus dem Titel vom 04.12.2001.

Am 22.03.2002 unterzeichnete der Kläger einen Auftrag zur Überweisung eines Betrages von 635,15 Euro an die Bevollmächtigten der Beklagten. Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 22.03.2002 ließ er die Beklagte unter Hinweis auf diese Zahlung sowie darauf, daß ab 01.04.2002 Kindesunterhalt freiwillig bezahlt werde, auffordern, die Zwangsvollstreckung einzustellen. Mit Schreiben vom 26.03.2002 antwortete der Bevollmächtigte der Beklagten, daß eine Einstellung der Zwangsvollstreckung erst mit Ausgleich sämtlicher rückständiger als auch laufender Unterhaltsforderungen erfolgen werde. Mit Schreiben vom 27.03.2002 forderte der Bevollmächtigte des Klägers daraufhin die Beklagte zur Vermeidung einer Zwangsvollstreckungsgegenklage letztmals auf, bis spätestens 02.04.2002 die Zwangsvollstreckung einzustellen.

Mit einem am 03.04.2002 beim Amtsgericht Nürnberg eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag hat der Antragsteller im Wege einer Zwangsvollstreckungsabwehrklage beantragt, die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde vom 04.12.2001 insoweit für unzulässig zu erklären, als die Beklagte im Wege der Zwangsvollstreckung geltend macht

a) für den Zeitraum vom 01.07.2001 bis 28.02.2002 einen höheren Kindesunterhalt als 568,15 Euro,

b) für den Monat März 2002 einen höheren Kindesunterhalt als 77 Euro und

c) für die Zeit ab 01.04.2002 einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 228 Euro.

Zur Begründung dieser Klage hat er sich auf die Überweisung vom 22.03.2002 sowie weitere Überweisungen vom 02.04.2002 an den Bevollmächtigten der Beklagten sowie an die Staatsoberkasse Bayern berufen.

Bei der Einreichung der Klage hat der Kläger 363 Euro an Gebühren (3 Gebühren á 121 Euro) bezahlt.

Mit einem am 04.04.2002 eingegangenen Telefax-Schreiben vom selben Tag hat der Kläger gebeten, von der Zustellung der Klage vom 03.04.2002 abzusehen und - den Rechtsstreit für erledigt erklärt, die Beklagte aufgefordert, eine entsprechende Erklärung bei Gericht abzugeben und beantragt, die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen.

Zur Begründung dieser Anträge hat der Kläger ein Schreiben des Bevollmächtigten der Beklagten vom 03.04.2002 vorgelegt, in dem dem Bevollmächtigten sowie dem Arbeitgeber des Klägers jeweils mitgeteilt wurde, daß die Pfändung gegen den Kläger aufgehoben werden könne, und vorgetragen, daß das an ihn gerichtete Telefax-Schreiben bei ihm am 03.04.2002 erst nach der am selben Tag erfolgten Einreichung der Klage bei Gericht eingegangen sei.

Mit Telefax-Schreiben vom 08.04.2002 hat der Kläger erklärt, daß er seine Klage zurücknehme und gleichzeitig um die Rückerstattung der eingezahlten Gerichtskosten in Höhe von 363 Euro gebeten.

In der Folgezeit wurden dem Kläger zwei Gerichtsgebühren in Höhe von insgesamt 242 Euro zurückerstattet.

Nachdem von Seiten des Gerichtes unter Hinweis darauf, daß mit der Einreichung der Klageschrift eine - auch im Fall der Rücknahme der Klage - weiterhin geschuldete Gebühr fällig geworden sei, die von ihm verlangte Rückzahlung auch der restlichen 121 Euro verweigert wurde, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 30.07.2002 beantragt, gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Mit Beschluß vom 16.09.2002 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Nürnberg diesen Antrag des Klägervertreters abgelehnt.

Mit einem am 04.10.2002 eingegangenen Telefax-Schreiben vom selben Tag hat der Kläger gegen den ihm am 20.09.2002 zugestellten Beschluß sofortige Beschwerde eingelegt.

Mit dieser verfolgt er seinen Antrag, der Beklagten gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weiter.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Eine Zustellung der Klageschrift vom 03.04.2002 an den Beklagten ist weder erfolgt noch vom zuständigen Richter am Amtsgericht verfügt worden.

II.

Gegen einen Beschluß, mit dem, wie im vorliegenden Fall, ein Antrag nach § 269 Abs. 4 ZPO auf Erlaß einer bestimmten Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 ZPO abgewiesen wird, ist gemäß § 567 ZPO die sofortige Beschwerde statthaft (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 23. Auflage, § 269 Rdnr. 20). Ob sich die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde (auch) aus § 269 Abs. 5 ZPO ergibt, kann dahinstehen, da neben den sich aus §§ 567, 569 ZPO ergebenden allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen auch die Voraussetzungen des § 269 Abs. 5 ZPO erfüllt sind. Insbesondere übertrifft der - vom Amtsgericht mit Verfügung vom 09.04.2002 mit 4.782,08 Euro angegebene - Streitwert der Hauptsache die in § 511 a Abs. 2 ZPO festgesetzte Berufungssumme von 500 Euro.

Die zulässige Beschwerde hat allerdings in der Sache keinen Erfolg, weil der Senat mit dem Amtsgericht davon ausgeht, daß die beantragte Kostenentscheidung aus § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO eine Zustellung der Klage vom 03.04.2002 an die Beklagte vorausgesetzt hatte, die nicht erfolgt ist.

Nach der ganz überwiegenden Auffassung der Literatur und Rechtsprechung setzen auch nach der Änderung der ZPO zum 01.01.2002 eine wirksame Klagerücknahme im Sinne des § 269 Abs. 1 ZPO und damit auch die daran anknüpfende Kostenfolge des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO voraus, daß die Klage, in der Regel durch Zustellung der Klageschrift (vgl. §§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO), rechtshängig geworden und damit ein Prozeßrechtsverhältnis zwischen den Parteien begründet worden ist (vgl. etwa Zöller/Greger, a.a.O., § 269 Rdnr. 8 - 8 d, Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 24. Auflage, § 269 Rdnr. 4, Forste in Musielak, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 3. Auflage, § 269 Rdnr. 6, Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 60. Auflage, § 269 Rdnr. 5, OLG Nürnberg, FamRZ 2000, 36).

Ob sich an diesem Grundsatz durch die Einfügung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO zum 01.01.2002 etwas geändert hat, ist in der Kommentarliteratur umstritten.

Nach dieser Vorschrift bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen, wenn der Anlaß zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen ist und die Klage daraufhin unverzüglich zurückgenommen wird.

Forste in Musielak, a.a.O., § 269 Rdnr. 6 a.E. führt aus, daß im Fall des § 259 Abs. 3 Satz 3 ZPO auch eine "verfrühte" also vor Rechtshängigkeit eingegangene Klagerücknahme genügen solle. Reichold in Thomas-Putzo, a.a.O., § 269 Rdnr. 16, geht, ohne das Problem ausdrücklich anzusprechen, offensichtlich von der Anwendbarkeit des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auch im Fall einer Rücknahme der Klage vor Rechtshängigkeit aus.

Hartmann hat sich im Rahmen eines zusammenfassenden Überblickes über die Änderungen der Zivilprozeßordnung NJW 2001, 2577 ff., 2534, 2535 mit der Problematik des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auseinandergesetzt und zunächst ausgeführt, daß es jedenfalls unklar sei, ob nunmehr etwa eine Klagerücknahme schon vor Rechtshängigkeit wirksam sein könne, und hat daran anschließend, soweit ersichtlich, für eine Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auch in diesem Falle plädiert. Im Kommentar von Baumbach/Lauterbach zur ZPO, 60. Auflage, § 269 Rdnr. 38 und 39, vertritt er dagegen die Auffassung, daß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO die Zulässigkeit einer Klagerücknahme voraussetze und damit eine Kostenverteilung nach dieser Vorschrift in dem Fall ausscheide, daß nicht nur der Klageanlaß vor der Klagezustellung weggefallen, sondern auch die Rücknahmeerklärung vor der Rechtshängigkeit der Klage erfolgt sei. In diesem Fall liege nämlich überhaupt keine "Klagerücknahme" im Sinne des § 269 ZPO vor. Auch Greger vertritt in Zöller, a.a.O., § 269 Rdnr. 8 a, die Meinung, daß eine Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO nur möglich sei, wenn - in der Regel durch Klagezustellung - ein Prozeßrechtsverhältnis entstanden sei (so auch Greger, NJW 2002, 3050, und LG Münster, NJW-RR 2002, 1221).

Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an, daß auch die Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO die - eine Rücknahme im Sinne des § 269 erst ermöglichende - Rechtshängigkeit der Klage voraussetzt.

Er vermag der Neufassung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß mit der Einführung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO abweichend von der geschilderten vorherrschenden Auffassung zu § 269 ZPO im allgemeinen von der Möglichkeit der Rücknahme einer noch gar nicht rechtshängig gewordenen Klage ausgegangen werden sollte. Für § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO bleibt nämlich auch nach der hier vertretenen Auffassung noch ein weites Anwendungsfeld in den Fällen, in denen der Wegfall des Anlasses zur Klage, also etwa die Zahlung des Schuldners, nach Einreichung der Klage und vor deren Zustellung erfolgt, die Rücknahmeerklärung des Klägers, der von der Zahlung möglicherweise erst mit Verzögerung erfahren hat, aber erst nach der Zustellung der Klage eingeht oder trotz Eingangs der Rücknahmeerklärung vor Rechtshängigkeit die Zustellung der Klage noch erfolgt, etwa weil die Rücknahmeerklärung dem Richter bei Verfügung der Zustellung bzw. deren Ausführung noch nicht vorliegt.

Eine Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auch in den Fällen, in denen es, wie hier, zu einer Zustellung der Klage an den Beklagten infolge des frühen Eingangs der Rücknahmeerklärung nicht mehr kommt, hätte im übrigen zur Folge, daß der mit dem gerichtlichen Verfahren bis dahin noch nicht in Berührung gekommene "Beklagte" nunmehr im Rahmen des Verfahrens zur Findung einer Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO zu einer Stellungnahme - wohl auch zur Sache selbst - aufgefordert werden müßte, weil er jedenfalls vor einer ihn belastenden Kostenentscheidung Anspruch auf rechtliches Gehör hat und wohl nur so der "bisherige Sach- und Streitstand" festgestellt werden könnte, der nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ein wesentliches Kriterium für die zu treffende Kostenentscheidung ist. Eine derartige - im Fall der Einschaltung eines Rechtsanwalts auf Seiten des Beklagten auch mit zusätzlichen Kosten verbundene - Ausweitung des Verfahrens lediglich zur Klärung der Kostenfrage wäre nach Auffassung des Senates ein zu hoher Preis für die Vermeidung einer zwar möglichen, aber keinesfalls sicheren Durchsetzung eines eventuellen materiellen Kostenerstattungsanspruchs des Klägers in einem gesonderten Prozeß.

Anders als möglicherweise das LG Münster in einer Entscheidung vom 19.04.2002 vgl. NJW-RR 2002, 1221) vermag der Senat - jedenfalls im vorliegenden Fall - auch keine Verpflichtung des Amtsgerichts zu bejahen, die Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO durch eine Zustellung der Klage zu ermöglichen. Eine solche ist vom Kläger - mit Telefax-Schreiben vom 04.04.2002 - ausdrücklich abgelehnt worden, eine Berechtigung oder gar Verpflichtung des Amtsgerichts, eine Zustellung im Widerspruch zu dieser Erklärung zu veranlassen, ist auch unter Berücksichtigung der im ZPO-Verfahren herrschenden Dispositionsmaxime nicht ersichtlich. Ob in einem Fall, in dem der Kläger - zur Ermöglichung einer Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO - eine Klagezustellung auch nach Eingang seiner Rücknahmeerklärung wünscht, eine Verpflichtung des Gerichtes zur Zustellung bestehen kann (so möglicherweise Greger, NJW 2002, 3050), kann offen bleiben.

Der Senat hat gemäß §§ 574 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 2, 3 ZPO die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen, weil die entscheidungserhebliche Frage der Anwendbarkeit des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auch im Fall einer Rücknahmeerklärung vor Rechtshängigkeit streitig, soweit ersichtlich, obergerichtlich noch nicht entschieden, für die Rechtspraxis von erheblicher und grundsätzlicher Bedeutung und im übrigen eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichtes zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung wünschenswert ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Geschäftswertes orientiert sich an den in Frage stehenden Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Ende der Entscheidung

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