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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 29.06.2007
Aktenzeichen: 8 U 158/07
Rechtsgebiete: AKB


Vorschriften:

AKB § 2 b Nr. 3 b
Zur Frage der Leistungsfreiheit der Kfz-Versicherung nach der sog. "Rennklausel" bei einer "Gleichmäßigkeitsprüfung".
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

8 U 158/07

Verkündet am 29. Juni 2007

In Sachen

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 22.12.2006 abgeändert.

II. 1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 53.051,73 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basis Zinssatz der EZP seit 30.6.2006 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 749,95 EUR (netto) nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 18.10.2006 zu erstatten.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstrecken den Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf 53.051,73 EUR.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht Ansprüche in Höhe von 53.051,73 EUR aus einer mit der Beklagten geschlossenen Fahrzeugvollversicherung geltend wegen eines Unfallschadens, den der Geschäftsführer der Klägerin mit einem (in deren Eigentum stehenden) Porsche 911 GT 3 bei einem Unfall anlässlich der Rennveranstaltung "A " des Porscheclubs B am 22.4.2006 auf dem S erlitten hat; außerdem verlangt sie Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 749,95 EUR netto.

Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit Endurteil vom 22.12.2006 die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sei leistungsfrei, da sich der streitgegenständliche Unfall bei einem "Rennen" im Sinne des § 2 IV. b (der zwischen den Parteien vereinbarten) AKB ereignet habe. Diese Ausschlussklausel greife ein, da der Charakter der Veranstaltung - einer sogenannten "Gleichmäßigkeitsprüfung" - geprägt sei von der Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit. Dies ergebe sich u.a. daraus, dass auf einem Kurs wie dem S es nur mit einer individuellen Höchstgeschwindigkeit möglich sei, gleichmäßige Geschwindigkeiten/Rundenzeiten zu erzielen. Wegen der Verhängung von Strafzeiten bei einem Rückstand von 2 Runden zum schnellsten Fahrzeug seien die Teilnehmer gehalten, "entsprechend schnell zu fahren". Das Interesse der Teilnehmer an einer solchen Veranstaltung könne gerade nicht das (möglichst gleichmäßige) Langsamfahren, sondern nur das (möglichst gleichmäßige) Schnellfahren sein. Wegen der weiteren Entscheidungsgrunde wird auf die Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen.

Gegen dieses ihren Prozessbevollmächtigten am 2. Januar 2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 22. Januar 2007 eingegangene Berufung der Klägerin, die innerhalb verlängerter Frist am 29.3.2007 begründet worden ist.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Klagebegehren weiter. Sie trägt vor, entgegen der Auffassung des Landgerichts habe es sich bei der streitgegenständlichen Gleichmäßigkeitsprüfung nicht um eine Veranstaltung gehandelt, bei der es auf die Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit angekommen sei. Gleichmäßige Rundenzeiten könnten nicht nur erzielt werden; wenn ein Teilnehmer sein Fahrzeug mit der individuellen Höchstgeschwindigkeit bewege. Wegen der im Reglement enthaltenen 2-Rundenregelung müsse zwar eine gewisse Mindestgeschwindigkeit erreicht werden, dies verleihe der Veranstaltung jedoch keineswegs den Charakter eines Rennens, das auf die Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit ausgerichtet ist. Die deswegen zu fahrende Mindestgeschwindigkeit liege "um Welten" unter der mit den betreffenden Fahrzeugen erreichbaren Höchstgeschwindigkeit.

Die Klägerin beantragt daher:

1. Das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 22.12.2006 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 53.051,73 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozent punkten über dem Basis Zinssatz der EZB ab 30.6.2006 zu bezahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin vorgerichtliche Anwalts kosten in Höhe von 749,95 EUR netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu ersetzen.

4. Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszuge zu tragen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Ersturteil als zutreffend. Die für Rennen geltende Ausschlussklausel in den AKB greife nicht nur ein, wenn die Erzielung von Höchstgeschwindigkeit das "Haupt- und Endziel" der Veranstaltung sei, sondern auch dann, wenn die Teilnehmer gehalten seien, die ihnen mögliche Höchstgeschwindigkeit zu erzielen, um in der Wertung zu bleiben. Nach der Rechtsprechung des BGH sei die Bewertung einer Veranstaltung "als Rennveranstaltung zumindest im weiteren Sinne" ausreichend. Derartige Veranstaltungen dienten dem einzigen Ziel, die Teilnehmer zu ermutigen, sich an die ihnen gerade noch mögliche Höchstgeschwindigkeit heranzuarbeiten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die von den Parteien vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

Eine Beweiserhebung durch den Senat ist nicht erfolgt.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin (§ 511 ff. ZPO) hat in der Sache auch Erfolg.

1. Die Beklagte ist der Klägerin wegen des Schadensereignisses vom 22.4.2006 nach § 12 Nr. 1. II. e, § 13 Nr. 1 1. AKB zur Leistung verpflichtet.

Eine Einstandspflicht der Beklagten ist nicht gem. § 2 IV b der zwischen den Parteien vereinbarten AKB ausgeschlossen (die genannte Regelung entspricht § 2 b Nr. 3 b der Muster-AKB). Nach dieser Bestimmung wird Versicherungsschutz nicht gewährt für Schäden, die bei Beteiligung an Fahrveranstaltungen entstehen, bei denen es auf Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit ankommt; dies ist vorliegend nicht der Fall.

2. Zwar besteht nach einer Entscheidung des BGH vom 4.12.1990 (NJW-RR 91, 472), die zu einem Bergrennen ergangen ist, gem. § 2 Abs. 3 b AKB "ein Risikoausschluss in der Kfz-Haftpflichtversicherung bei der Beteiligung an einem Autorennen. Dieser Risikoausschluss gilt für Rennveranstaltungen jeder Art."

Im Zusammenhang mit einer Gleichmäßigkeitsprüfung hat der BGH außerdem in der Entscheidung vom 1.4.2003 (BGH Z 154, 316) - ergänzend ("Hinzu kommt folgendes:...") ausgeführt, dass "der Zweck der ....erörterten Regelungen von Haftungsbeschränkungen bei Rennen darin" bestehe, "Veranstaltungen, bei denen Kraftfahrzeuge nicht - wie im öffentlichen Straßenverkehr - in einer den Verkehrsregeln angepassten Weise benutzt werden und dadurch in ungewöhnlichem Maße gesteigerte Risiken eintreten, einer gesonderten Behandlung zu unterziehen" sind. "Es kann nicht zweifelhaft sein, dass Veranstaltungen, wie die im Streitfall, solch ungewöhnliche Gefahren heraufbeschworen."

Aber allein mit diesen - teilweise von der Beklagten bemühten - auszugsweisen Belegstellen können jedoch die Voraussetzungen für einen Risikoausschluss gem. § 2 IV b AKB nicht begründet werden. Nach dessen eindeutigem - und für den Versicherungsnehmer auch maßgeblichen - Wortlaut muss es sich nämlich um Fahrveranstaltungen handeln, bei denen es auf die Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit ankommt.

Dies wird vom BGH auch nicht verkannt. Zum einen hatte er sich in der Entscheidung vom 01.04.2003 nicht nur mit den AKB, sondern auch mit § 29 Abs. 1 StVO zu befassen; nach dessen Vwv werden jedoch Rennen nicht nur definiert als Veranstaltungen zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten, sondern (generell) Prüfungen mit Wettbewerbscharakter. In den tragenden Gründen legt der BGH zudem explizit dar, dass Fahrveranstaltungen vom Anwendungsbereich der Ausschlussklausel (nur) dann erfasst seien, wenn für den Sieg im Wettbewerb die höchste Geschwindigkeit entscheidend oder zumindest mitbestimmend ist. Er bejahte für die dort streitgegenständliche Gleichmäßigkeitsprüfung das Vorliegen eines Rennens i.S.d. Ausschlusstatbestandes, weil es bei der Wertung auch auf die Höchstgeschwindigkeit angekommen sei: Für die Siegerermittlung sei es nämlich nicht nur darum gegangen, zwei beliebige Runden in der absolut gleichen Zeit zu fahren; es sei auch bei der Wertung auf die Höchstgeschwindigkeit angekommen, da bei Punktegleichheit, die höhere Zahl der Runden und bei gleicher Anzahl der Runden die höhere Durchschnittsgeschwindigkeit entscheidend gewesen sei.

3. Anders war es jedoch bei der Veranstaltung, an der sich der Geschäftsführer der Klägerin beteiligt hatte:

Nach dem Reglement dieser Gleichmäßigkeitsprüfung wurde von den zu wertenden Runden die Differenz zwischen der höchsten und der niedrigsten Rundenzeit ermittelt; Sieger sollte der Fahrer mit der niedrigsten Differenzzeit sein. Bei Gleichstand war entscheidend die Differenz zwischen der gewerteten zweithöchsten Rundenzeit und der zweitniedrigsten Rundenzeit (usw.). Grundsätzlich galt es also - ohne Hilfsmittel, wie z.B. Stoppuhr, Funk, Transpondersysteme, Signale o.a. - zwei von insgesamt 10 Runden über jeweils 4,255 km (von denen allerdings nur 6 gewertet wurden) möglichst mit der gleichen Zeit zurückzulegen.

Anders als beim Reglement der Gleichmäßigkeitsprüfung, die Gegenstand der Entscheidung des BGH vom 1.4.2003 war, war für den Sieg im streitgegenständlichen Wettbewerb die höchste Geschwindigkeit nicht mit entscheidend. Es war zwar - ersichtlich um die Erzielung gleichen Rundenzeiten im "Schneckentempo" zu vermeiden - vorgesehen, dass bis zu 2 Runden Rückstand ohne Nachteil gewertet "werden", was zur Folge hat, dass "bei mehr als 2 Runden Rückstand pro weiterer Runde 10 Sekunden zur Differenzzeit dazugezählt" werden.

Trotz dieser Regelung kann jedoch nicht angenommen werden, dass der Charakter der streitgegenständlichen Veranstaltung von der Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit geprägt war. Denn trotz dieser Regelung konnte gewinnen, wer 2 Runden weniger zurückgelegt hatte als derjenige, der als erster die zu fahrenden 10 Runden zurück gelegt hatte, wer also eine ca. 20 % geringere Durchschnittsgeschwindigkeit fuhr als der schnellste Fahrer; dieser langsamere Fahrer musste lediglich die geringste zeitliche Abweichung bei 2 gefahrenen Runden haben.

Nach dem Vortrag der Beklagten wurde anlässlich der streitgegenständlichen Gleichmäßigkeitsprüfung bei der schnellsten Runde eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 158 km/h erreicht. Sieger konnte also auch werden, wer 20 % langsamer, also durchschnittlich "nur" ca. 126 km/h fuhr - wobei noch nicht einmal berücksichtigt ist, dass bei dieser rechnerischen Betrachtung ausschließlich auf die überhaupt am schnellsten gefahrene Runde abgestellt und nicht berücksichtigt wurde, dass auch durchschnittliche Rundengeschwindigkeit von "lediglich" 138,7 km/h erzielt wurden. Hinzu kommt, dass nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Klägerin in der der Gleichmäßigkeitsprüfung nachfolgenden Sprintprüfung - zu der sich der Geschäftsführer der Klägerin nicht angemeldet hatte -Durchschnittsgeschwindigkeiten von ungefähr 180 km/h erreicht wurden; dies macht deutlich, dass in der streitgegenständlichen Gleichmäßigkeitsprüfung bei weitem nicht mit Höchstgeschwindigkeit gefahren wurde.

Überdies ist für die Frage, ob der Ausschlusstatbestand des § 2 IV. b AKB zur Anwendung kommt, dessen Wortlaut maßgeblich; danach ist nicht die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit entscheidend, sondern ausschlaggebend ist, ob es auf die Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit ankommt. Dies ist aber nach den vorstehenden Ausführungen, insbesondere deswegen, weil man auch Sieger des Wettbewerbs werden konnte, wenn man nur 8 von 10 Runden gefahren ist, also ca. 20 % langsamer als der schnellste Fahrer.

Entgegen dem Vorbringen der Beklagten findet sich im Reglement kein Hinweis darauf, dass die Veranstaltung erklärtermaßen dem Ziel dient(e), die Teilnehmer an den Grenzbereich ihres Fahrzeugs heran zu führen.

4. Der Senat setzt sich mit dieser Entscheidung nicht in Widerspruch zu seinem, von der Beklagten zitierten Hinweis vom 12.4.2006 (AZ: 8 U 2828/05). Im dortigen Verfahren fehlte es an einem, dem Vorbringen der beklagten Versicherung entgegenstehenden Tatsachenvortrag des Klägers, dass es nicht auf die Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit angekommen ist.

5. Eine Leistungsfreiheit der Beklagten nach §§ 23, 25 VVG kommt ebenfalls nicht in Betracht: Der Geschäftsführer der Klägerin hat keine Gefahrerhöhung herbeigeführt, da er mit der Teilnahme an der streitgegenständlichen Veranstaltung keinen gefährlichen Zustand von (gewisser) Dauer geschaffen hat (s. Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 23 Rn. 10, 11).

Die Teilnahme an einer Gleichmäßigkeitsprüfung der streitgegenständlichen Art stellt auch kein grob fahrlässiges Herbeiführen des Versicherungsfalles i.S.v. § 61 VVG dar; die Beteiligung an einem derartigen Wettbewerb beinhaltet keine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß erheblich übersteigt.

6. Die Forderungen der Klägerin sind der Höhe nach unstreitig.

Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus §§ 286, 288 Abs. 2, 291 BGB.

7. Den vorstehenden Ausführungen entsprechend war das Ersturteil abzuändern.

Kosten: § 91 ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 573 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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