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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 02.05.2006
Aktenzeichen: 8 U 597/06
Rechtsgebiete: VVG, BGB


Vorschriften:

VVG § 21
VVG § 22
VVG § 40 Abs. 1
BGB § 123
BGB § 142
BGB § 242
Das Oberlandesgericht Nürnberg gibt seine bisherige Rechtsprechung auf (Urteil vom 21.08.1997, VersR 19, 98, 72 ff.; Urteil vom 23.12.1999, VersR 2000, 437 ff.; Urteil vom 26.10.2000, VersR 2001, 1368 ff.), wonach der Versicherer für Versicherungsfälle vor der Anfechtung eintrittspflichtig ist, wenn sie unstreitig oder evident nicht mit dem arglistig verschwiegenen oder falsch angezeigten Umstand zusammenhängen.
8 U 597/06 Oberlandesgericht Nürnberg

Nürnberg, den 2.5.2006

In Sachen

wegen Forderung

Gründe:

Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg bietet, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und schließlich weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zulegende Tatsachen eine anderen Entscheidung rechtfertigen.

Das Berufungsgericht hat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen für eine Verhandlung und Entscheidung zugrundezulegen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung geboten ist.

Das Landgericht Amberg hat die Klage mit Urteil vom 14.02.2006 zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers ist zwar zulässig, hat aber in der Sache - offensichtlich - keinen Erfolg.

Das Landgericht Amberg hat in nicht zu beanstandender Weise zutreffend festgestellt, dass die entsprechenden Gesundheitsfragen seitens des verstorbenen Onkels des Klägers, des Versicherungsnehmers A O, falsch beantwortet wurden und hierin eine für das Zustandekommen des Versicherungsvertrages kausale arglistige Täuschung durch den Versicherungsnehmer lag.

Den Ausführungen des Klägers in der Berufungsinstanz zur arglistigen Täuschung und zu den rechtlichen Folgen einer solchen vermag der Senat nicht zu folgen.

1. Der Kläger trägt selbst weder vor, dass seinem verstorbenen Onkel die Fragen nicht vorgelesen worden wären, noch, dass der die Versicherung vermittelnde Versicherungsagent die von seinem Onkel gegebenen Antworten nicht korrekt im Antrag aufgenommen hätte. Der Kläger behauptet auch nicht, dass sein verstorbener Onkel den Antrag nur unterschrieben hätte, ohne ihn vorher durchzulesen und das vom Versicherungsagenten Eingetragene überprüft zu haben. Damit sind die Angaben unter Nummer 11 des Versicherungsantrages vom 03.11.2000 voll dem verstorbenen Onkel des Klägers zuzurechnen.

2. Unklarheiten in der Fragestellung, die zu Lasten der Beklagten gingen, liegen nicht vor. Unter Nummer 11.3 wird die Frage gestellt, ob der Antragsteller in den letzten 10 Jahren ärztlich untersucht, beraten, behandelt oder operiert worden ist. Diese Frage beantwortete der Onkel des Klägers mit ja. Unter Nummer 11.8 sollten dann Erläuterungen zu den bejahten Fragen bei den Ziffern 3 bis 7 gegeben werden, wobei ausdrücklich nach "Art der Erkrankung und Untersuchung, Beratung, Behandlung oder Operation" gefragt wurde. Im Antrag befindet sich hier die Eintragung "3 rechtes Knie op.". Weitere Eintragungen zu Untersuchungen, Beratungen, Behandlungen oder Erkrankungen befinden sich unter dieser Ziffer nicht. Durch diese Fragestellung werden die Anforderungen an einen Versicherungsnehmer als Laien nicht überspannt. Jedem Laien ist klar, dass er, wenn er nach ärztlichen Untersuchungen, Beratungen, Behandlungen oder Operationen in den letzten 10 Jahren gefragt wird, auch sämtliche Krankheiten, soweit es sich nicht um erkennbar belanglose Krankheits- oder Beschwerdebilder handelt, angeben muss. Zweifelsohne fallen die unstreitig beim Onkel des Klägers stattgefundenen fortlaufenden ärztlichen Behandlungen wegen Zuckerkrankheit, Bluthochdruck, Erhöhung des Harnsäurespiegels im Blut und Fettstoffwechselstörungen nicht unter diese belanglosen Erkrankungen. Im Versicherungsantrag wird auch nicht nach Krankheiten, sondern allgemein nach ärztlichen Untersuchungen, Beratungen und Behandlungen sowie Operationen gefragt. Eine Unterscheidung dahingehend, dass nur schwerwiegende Erkrankungen anzugeben sind, ergibt sich aus diesen gestellten Antragsfragen eben gerade nicht. Es ist somit kein Grund ersichtlich, weswegen hier eine Unklarheit bei der Fragestellung vorliegen sollte.

3. Es bestand auch keine Nachfragepflicht der Beklagten beim behandelnden Hausarzt. Allein die Tatsache, dass unter der Nummer 11.9 nach dem Hausarzt gefragt wird, bedeutet nicht, dass der Antragsteller annehmen durfte, die Versicherung werde grundsätzlich bei diesem Rückfrage halten.

Eine Versicherung ist stets nur gehalten nachzufragen, wenn sich hierfür irgendwelche Anhaltspunkte aus den Angaben im Antrag ergeben. Dies war vorliegend eben gerade nicht der Fall. Die Angabe der Operation des rechten Knies am 29.06.2000 bot für die Beklagte keine Veranlassung für eine Nachfrage. Auf Grund der alleinigen Angabe unter der Ziffer 11.8 ("Wann, wie lange, wie oft?"): 29.06.2000 musste die Beklagte nicht annehmen, dass es nach der Operation zu weiteren Komplikationen gekommen sein könnte. Im übrigen hätte dann die Beklagte allenfalls, so diese Operation Anlass für eine Nachfrage gewesen sein sollte, bei dem insoweit behandelnden Arzt, vorliegend Dr. S, nachfragen müssen. Auf Grund der Knieoperation ergab sich für die Beklagten somit keinerlei Veranlassung beim behandelnden Hausarzt eine Nachfrage zu stellen. Dies um so mehr, als der Hausarzt auch nicht unter der Nummer 11.8, sondern unter der allgemeinen Frage 11.9 ("Wer ist ihr Hausarzt"), ohne Bezug auf die unter der Nummer 8 angegebene Operation, bezeichnet wurde. Da weitere Erläuterungen unter der Nummer 11.8 fehlten, bestand somit insgesamt für die Versicherung keinerlei Veranlassung für eine Nachfrage.

4. Zutreffend führt der Kläger in seiner Berufungsschrift aus, dass Arglist grundsätzlich Vorsatz erfordert, das heißt, der Handelnde die Unrichtigkeit seiner Angaben kennen oder für möglich halten muss. Wie das Landgericht Amberg unter Berufung auf die Entscheidung des OLG Koblenz (VersR 2004, 849) ausführt, ist ein derartiges Bewusstsein in der Regel anzunehmen, wenn schwere Erkrankungen oder erkennbar chronische Erkrankungen oder Krankenhausaufenthalte verschwiegen worden sind. Das OLG Karlsruhe führt in seinem Urteil vom 07.04.2005 (VersR 2006, 205, 206) aus: "Auf Arglist als innere Tatsache kann regelmäßig nur auf der Grundlage von Indizien geschlossen werden. Voraussetzung für die Annahme einer arglistigen Täuschung somit ist, dass der Versicherungsnehmer mit wissentlich falschen Angaben von Tatsachen bzw. dem Verschweigen anzeige- und Offenbarungspflichtiger Umstände auf die Entschließung des Versicherers, seinen Versicherungsantrag anzunehmen, Einfluss nehmen will und sich bewusst ist, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er wahrheitsgemäße Angaben mache. Arglistig täuscht im Sinne des § 123 BGB damit nur derjenige, dem bei der Beantwortung der Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früherer Behandlungen auch bewusst ist, dass die Nichterwähnung der nachgefragten Umstände geeignet ist, die Entschließung des Versicherers über die Annahme des Vertragsangebots zu beeinflussen."

Hiervon kann in vorliegendem Fall ohne Zweifel ausgegangen werden. Wem die tägliche Einnahme von Tabletten vom Arzt wegen seiner Zuckerkrankheit verordnet wird, wer wegen Bluthochdruck, einer Erhöhung seines Harnsäurespiegels im Blut sowie wegen Fettstoffwechselstörungen behandelt wird, muss davon ausgehen, dass diese Erkrankungen beim Antrag auf Abschluss einer Lebensversicherung anzugeben sind, da sie Einfluss auf die Entscheidung der Versicherung haben, ob sie den Antrag überhaupt oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde. Wenn, wie im vorliegenden Fall durch den verstorbenen Onkel des Klägers, bei den Gesundheitsfragen gerade nur eine offensichtlich folgenlos verheilte Knieoperation angegeben wird und sonstige Erkrankungen verschwiegen werden, ist ohne weiteres der Schluss möglich, dass dies bewusst getan wurde, um die Versicherung zur Annahme dieses Versicherungsantrages zu veranlassen. Wie das OLG Karlsruhe unter Berufung auf die entsprechende Rechtsprechung des BGH ausführt, muss dies nicht in betrügerischer Absicht erfolgen. Das OLG Karlsruhe führt in dem zitierten Urteil a.a.O. insoweit aus: "Von einem arglistigen Verhalten ist auszugehen, wenn der Täuschende weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass er unzutreffende Angaben macht und dass dadurch bei dem Empfänger seiner Erklärung eine falsche Vorstellung entsteht und diese ihn zu einer Erklärung veranlasst, die er bei richtiger Kenntnis der Dinge nicht oder nicht so abgegeben haben würde. Das Tatbestandsmerkmal der Arglist erfasst damit nicht nur ein Handeln, das von betrügerischer Absicht getragen ist, sondern auch solche Verhaltensweisen, die auf bedingten Vorsatz im Sinne eines "Fürmöglichhaltens" reduziert sind und mit denen kein moralisches Unwerturteil verbunden sein muss."

Das Erstgericht hat damit zutreffend auf Grund der festgestellten äußeren Tatumstände auf ein zumindest bedingt vorsätzliches Handeln des verstorbenen Onkels des Klägers im Sinne von § 123 BGB geschlossen.

5. Der Senat gibt seine bisherige Rechtsprechung (Urteil vom 21.08.1997, VersR 1998, 217 ff.; Urteil vom 23.12.1999, VersR 2000, 437 ff.; Urteil vom 26.10.2000, VersR 2001, 1368 ff.), wonach der Versicherer für Versicherungsfälle vor der Anfechtung eintrittspflichtig ist, wenn sie unstreitig oder evident nicht mit dem arglistig verschwiegenen oder falsch angezeigten Umstand zusammenhängen, auf Grund der nunmehrigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf.

Der Bundesgerichtshof hält in seinem Urteil vom 01.06.2005 (VersR 2005, 1065) § 40 Abs. 1 VVG auch in der Alternative der Anfechtung des Versicherungsvertrages nicht für verfassungswidrig. Eine entsprechende Anwendung des § 21 VVG im Falle der Anfechtung nach § 22 VVG kommt für den Bundesgerichtshof daher nicht in Betracht, so dass eine Anfechtung des Versicherungsvertrages nach § 22 VVG in Verbindung mit § 123 BGB stets zu einer Nichtigkeit des Versicherungsvertrages von Anfang an (ex tunc) führen muss (§ 142 BGB). Auf Grund dieser BGH-Rechtsprechung ist für die abweichenden Erwägungen des Senats zu diesen Fällen kein Raum mehr. Die bisherige Rechtsprechung des Senats zu dieser Rechtsfrage wird nicht weiter aufrechterhalten.

Nachdem das Landgericht Amberg der bisherigen Rechtsprechung des Senats in seinem Urteil vom 14.02.2006 nicht gefolgt ist, sondern auf Grund der Anfechtung eine Nichtigkeit des Vertrags ex tunc angenommen hat, kann dies nicht beanstandet werden.

Das Landgericht hat daher zu Recht die Klage abgewiesen.

Der Senat legt zur Vermeidung der Rechtsfolgen des § 522 Abs. 2 und 3 ZPO und aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe, denn in diesem Falle ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 (KV 1222).

Vor einer Entscheidung des Senates wird dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben bis spätestens 24. Mai 2006.

Ende der Entscheidung

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