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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 20.09.2002
Aktenzeichen: Ws 1167/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 462 a I 1
StPO § 462 a I 2
Die sachliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer wird mit der Aufnahme des Verurteilten in eine Justizvollzugsanstalt begründet (im Anschluß an BGH NStZ 1984, 380; 2000, 111 a.A. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 462 a, Rn. 15).
Ws 1167/02 202 VRs 20506/00 StA Nürnberg-Fürth

Nürnberg, den 20. September 2002

In dem Strafverfahren

wegen Körperverletzung;

hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Versagung der Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung,

erläßt der Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts vom 23.08.2002 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

... wurde mit seit 12.01.2001 rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts vom 22.11.2000 - 50 Ds 202 Js 20506/00 - wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Er verbüßte in der Zeit vom 27.09.2001 bis zur Unterbrechung wegen Vollzugsuntauglichkeit gemäß § 455 Abs. 4 StPO einen Teil der Freiheitsstrafe bis zum 28.03.2002. Zwei Drittel der Strafe waren am 26.03.2002 verbüßt. Mit dem bei der Staatsanwaltschaft am 29.05.2002 eingegangenen Schreiben vom 27.05.2002 beantragte er die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung. Zuvor hatte bereits die Lebensgefährtin des Verurteilten mit Schreiben vom 28.04.2002 an die Staatsanwaltschaft und an das Amtsgericht die Vertretung des Verurteilten angezeigt und Antrag auf Strafaussetzung zur Bewährung gestellt.

Mit Beschluß vom 23.08.2002 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts den Antrag des Verurteilten auf Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts vom 22.11.2000 abgelehnt und eine Antragssperre von sechs Monaten angeordnet.

Gegen diesen am 28.08.2002 zugestellten Beschluß hat der Verurteilte mit dem beim Landgericht am 03.09.2002 eingegangenen Schreiben gleichen Datums sofortige Beschwerde eingelegt, weil die Strafvollstreckungskammer lediglich auf seine Vorstrafen abgestellt und sein weiteres Verhalten und insbesondere seine aktuelle Situation nicht berücksichtigt habe.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht beantragt, die sofortige Beschwerde des Verurteilten als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten (§§ 454 Abs. 3 S. 1; 306; 311 StPO) ist unbegründet.

Die Strafvollstreckungskammer war gemäß § 462 a Abs. 1 S. 1 und 2 StPO zur Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes gemäß § 57 Abs. 1 StGB sachlich zuständig, nachdem die Vollstreckung der o.g. Freiheitsstrafe unterbrochen ist. Zwar vertritt Kleinknecht/Meyer-Goßner (StPO, 45. Auflage, § 462 a Rn. 15) die Meinung, daß § 462 a Abs. 1 S. 2 StPO nur den Fall regele, daß der Verurteilte, nachdem bereits eine Strafvollstreckungskammer tätig geworden war, infolge der Unterbrechung der Strafvollstreckung auf freien Fuß gelangt ist. Aber den hierfür zitierten Beschlüssen des Bundesgerichtshofs (NJW 1975, 1130 und 1791) sowie des Oberlandesgerichts Düsseldorf (NStZ 1985, 333) läßt sich dies nicht entnehmen. In der Entscheidung vom 27.02.1975 (NJW 1975, 1130) hat der Bundesgerichtshof die Zuständigkeit einer Strafvollstreckungskammer damit verneint, daß diese nur dann zuständig sein konnte, wenn ihr nach § 462 a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 454 StPO 1975 auch schon die Zuständigkeit für die Aussetzung des Strafrestes zugefallen war. Das ergebe sich unmißverständlich aus dem Wort "bleibt" in § 462 a I 2 StPO 1975. Zuständig "bleiben" könne nur ein Gericht, das zuvor schon zuständig war. In dem Beschluß vom 02.07.1975 (NJW 1975, 1791) hat der Bundesgerichtshof an seiner Rechtsprechung festgehalten, daß die Strafvollstreckungskammer für nachträgliche Entscheidungen nach § 462 a I 2 abgesehen von dem in Abs. IV dieser Vorschrift geregelten Fall - nur dann zuständig ist, wenn dieser Kammer auch schon die Zuständigkeit nach § 462 a I 1 StPO zugefallen war. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (NStZ 1985, 333} und des Bundesgerichtshofs vom 02.04.1985 (NStZ 1985, 428) befassen sich damit, daß die Nachtragsentscheidung durch eine unzuständige Strafvollstreckungskammer auf die nach § 462 a I StPO begründete Zuständigkeit ohne Einfluß bleiben muß. Demgegenüber hat der Bundesgerichtshof in den Beschlüssen vom 08.03.1984 (NStZ 1984, 380) und vom 08.10.1999 (NStZ 2000, 111) ausgeführt, daß die Zuständigkeit einer Strafvollstreckungskammer bereits mit der Aufnahme des Verurteilten in eine Justizvollzugsanstalt ihres Bezirks begründet wird und nicht erst dann, wenn sie mit einer bestimmten Entscheidung befaßt ist. Letzteres verändere lediglich bis zur abschließenden Entscheidung den Wechsel der örtlichen Zuständigkeit. Ausgehend hiervon ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts zur Entscheidung über die Reststrafenaussetzung berufen, da der Verurteilte vom 27.09.2001 bis zum 28.03.2002 in einer zu ihrem Bezirk gehörenden Justizvollzugsanstalt die Strafe verbüßte. Der Senat schließt sich der vom Bundesgerichtshof vertretenen Meinung an, daß es für die Zuständigkeitsbegründung keine Rolle spielt, ob die Strafvollstreckungskammer während dieser Zeit eine der in § 462 a Abs. 1 S. 1 StPO aufgeführten Entscheidungen zu treffen hatte, weil die mit der Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt zur Strafverbüßung begründete Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer die des Gerichts des ersten Rechtszuges unabhängig von der Frage des Befaßtseins verdränge (BGH NStZ 2000, 111). Es kommt deshalb nicht darauf an, daß die Strafvollstreckungskammer an sich auch mit einer Aussetzungsentscheidung nach § 454 StPO während dieser Zeit deshalb befaßt i.S.d. § 462 a Abs. 1 S. 1 StPO gewesen ist, weil bereits vor der Entlassung des Verurteilten am 26.03.2002 zwei Drittel der Strafe verbüßt waren und vor diesem Zeitpunkt von Amts wegen über die Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB zu entscheiden war.

Die Strafvollstreckungskammer ist mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden kann (§ 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Gegen eine günstige Sozialprognose sprechen vor allem die Vorstrafen des Beschwerdeführers und sein gesamtes Vorleben, das einen bedenklichen Mangel an sozialem Verantwortungsbewußtsein und ein erhebliches Maß an charakterlicher Labilität erkennen läßt. Der Verurteilte ist seit seinem 24. Lebensjahr immer wieder straffällig geworden, hat sich weder durch frühere Verurteilungen noch durch die Verbüßung längerer Freiheitsstrafen von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lassen und ist stets schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit wieder rückfällig geworden. Obwohl er erst am 07.07.2000 eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten verbüßt hatte, beging er bereits am 03.09.2000 ein Vergehen der vorsätzlichen Körperverletzung, das zu der verfahrensgegenständlichen Verurteilung führte. Strafaussetzung zur Bewährung bezüglich einer Reststrafe aus dem Urteil des Amtsgericht vom 29.03.1993 wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Raub und gefährlicher Körperverletzung, wegen zweier versuchter Diebstähle in Tatmehrheit mit Diebstahl in Tateinheit mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (zwei Jahre elf Monate) ist ihm bereits mit Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts bei dem Amtsgericht vom 15.05.1995 gewährt worden. Dies hielt ihn nicht davon ab, bereits am 02.04.1996 einen Raub mit gefährlicher Körperverletzung zu begehen, was zu seiner Verurteilung durch das Amtsgericht am 17.09.1996 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr neun Monaten führte. Soweit der Verurteilte vorbringt, daß er mit einer in Scheidung lebenden Frau zusammenlebe und einen Sohn im Alter von fast zwölf Monaten habe sowie arbeitssuchend gemeldet sei, rechtfertigt dies keine günstige Prognose, weil er bereits zu Beginn ihres Zusammenlebens am 25.01.2001 Leistungserschleichung in zwei Fällen beging und deshalb zu einer Geldstrafe durch das Amtsgericht verurteilt werden mußte. Darüber hinaus war sein Verhalten im Strafvollzug nicht immer beanstandungsfrei. Er mußte mit einer Disziplinarmaßnahme belegt werden, weil er in offenkundig alkoholisiertem Zustand mit zwei Mitgefangenen zusammen am 07.12.2001 das geordnete Zusammenleben gestört hatte.

Auch nach Überzeugung des Senats besteht deshalb keine reelle Chance dafür, daß der Verurteilte sich bei einer Aussetzung der Strafreste in Freiheit bewähren wird. Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Strafvollstreckung seit 29.03.2002 unterbrochen ist. Dabei ist zu bedenken, daß er schwer erkrankt war und sich längere Zeit in stationärer Behandlung befunden hat. Nach seinen eigenen Angaben war er bis Ende Juni 2002 krank, ist nunmehr arbeitssuchend gemeldet und verrichtet Aushilfstätigkeiten in einer Druckerei seiner Schwester. Da nicht bekannt ist, ab welchem Zeitpunkt die Reststrafe weiter vollstreckt wird, hat die Strafvollstreckungskammer zu Recht gemäß § 57 Abs. 6 StGB eine Antragssperrfrist von sechs Monaten angeordnet, weil auch nach Überzeugung des Senats der vollständige Vollzug der Freiheitsstrafe erforderlich ist, um den Verurteilten nachhaltig zu beeindrucken und ihm vor Augen zu halten, daß er im Falle eines erneuten strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens mit einer immer einschneidenderen Beschränkung seiner persönlichen Freiheit rechnen muß.

Kosten: § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.



Ende der Entscheidung

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