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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 23.07.2001
Aktenzeichen: Ws 760/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 142 Abs. 1
Der Grundsatz, dass die Beiordnung eines Verteidigers gleichen Rechtsschutz gewähren soll wie die Wahlverteidigung wird nicht tangiert, wenn die Bestellung eines Vertrauensanwalts, der in größerer Entfernung sowohl vom Gerichtsort als auch vom Haftort ansässig ist, abgelehnt wird.
Ws 760/01

Nürnberg, den 23. Juli 2001

In dem Ermittlungsverfahren

wegen Bildung krimineller Vereingungen;

hier: Beschwerde der Beschuldigten gegen die Ablehnung der Bestellung des auswärtigen Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger,

erläßt der Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

Die Beschwerde der Beschuldigten des Vorsitzenden der 13. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 13.06.2001 wird auf ihre Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

T ist dringend verdächtig, zusammen mit den Beschuldigten und in Deutschland mit Schwerpunkt eine Organisation aufgebaut zu haben, die sich vor allem mit dem betrügerischen Anmieten von hochwertigen Kraftfahrzeugen befaßt. Dabei treten die Beschuldigten und vornehmlich als Hintermänner auf, die die Anmietung der Fahrzeuge und deren anschließende Verwertung organisieren. Die Beschuldigte ist dringend verdächtig, zusammen mit dem Beschuldigten mindestens 6 Pkw Daimler Benz angemietet zu haben und diese dann über die Beschuldigten und widerrechtlich verwertet haben zu lassen.

Wegen dieses Sachverhalts erließ der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Nürnberg am 19.01.2001 Haftbefehl gegen die Beschuldigten wegen Gründung bzw. Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in Tatmehrheit mit gemeinschaftlichem und gewerbsmäßigem Bandenbetrug in mindestens 6 Fällen gemäß §§ 129 Abs. 1, 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 25 Abs. 2, 53 StGB, gestützt auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Die Beschuldigte T wurde am 19.01.2001 in festgenommen. Sie wurde am 25.01.2001 in die JVA verlegt.

Mit undatiertem Schriftsatz, eingegangen beim Amtsgericht Nürnberg am 30.01.2001, zeigte sich Rechtsanwalt aus als Verteidiger der Beschuldigten T an. Mit Schriftsatz vom 23.04.2001 und ergänzendem Schriftsatz vom 05.06.2001 beantragte er seine Beiordnung als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO.

Mit Beschluß vom 13.06.2001 hat der Vorsitzende der 13. Strafkammer den Antrag des Rechtsanwalts ihn zum Pflichtverteidiger der Beschuldigten zu bestellen, abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Rechtsanwalts vom 21.06.2001, auf deren Inhalt ebenso wie auf die Gründe des Beschlusses vom 13.06.2001 Bezug genommen wird.

II.

Die zulässige Beschwerde gegen die Versagung der Pflichtverteidigerbestellung (§ 304 Abs. 1 StPO) bleibt ohne Erfolg.

Zweck jeder Pflichtverteidigerbestellung ist es, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, daß ein Beschuldigter in den vom Gesetz bestimmten Fällen einen rechtskundigen Beistand erhält und ein ordnungsgemäßer Verfahrensablauf gewährleistet wird. Dabei handelt es sich um eine Maßnahme staatlicher Fürsorge, bei der zwar den Wünschen des Beschuldigten möglichst Rechnung zu tragen ist, wobei dem Staat jedoch die Entscheidung darüber vorbehalten bleibt (BVerfGE 9, 36, 38). Deshalb gibt § 142 Abs. 1 StPO dem Beschuldigten keinen Rechtsanspruch auf Bestellung einer bestimmten (von ihm ausgewählten) Person als Verteidiger. Die Auswahl des Verteidigers liegt allein im Ermessen des Vorsitzenden, wobei dieses Ermessen lediglich dahin eingeschränkt worden ist, daß bei der Auswahl des Verteidigers auch dem Interesse des Beschuldigten, von einem Anwalt seines Vertrauens verteidigt zu werden, ausreichend Rechnung getragen werden muß. Mit der Beiordnung eines Verteidigers seines Vertrauens soll der Beschuldigte grundsätzlich demjenigen gleichgestellt werden, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat (BVerfG a.a.O.). Damit wird dem grundgesetzlich geschützten Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren Genüge getan. Der Beschuldigte erhält deshalb nach § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO Gelegenheit, einen Anwalt zu benennen. Diesen muß der Vorsitzende dann beiordnen, sofern nicht gewichtige Gründe dieser Auswahl entgegenstehen (§ 142 Abs. 1. Satz 3 StPO). Ein gesetzlich normiertes Regelbeispiel für einen wichtigen Grund nennt § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO (BGH StV 97, 564). Danach soll der zu bestellende Verteidiger durch den Vorsitzenden des Gerichts möglichst aus der Zahl der bei einem Gericht des betreffenden Gerichtsbezirks zugelassenen Anwälte bestimmt werden, denn die Gerichtsnähe des Verteidigers ist in der Regel eine wesentliche Voraussetzung für eine sachdienliche Verteidigung des Beschuldigten und garantiert einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 142 Rn 5). Im Falle des Vollzugs von U-Haft ist die Ortsnähe des Verteidigers zur JVA besonders wichtig. Dabei steht § 142 Abs. 1 StPO der Beiordnung eines auswärtigen Rechtsanwalts grundsätzlich nicht entgegen, sofern der Beschuldigte am Ort des Kanzleisitzes des Verteidigers inhaftiert ist (München StV 84, 87). Dies gilt auch, soweit der Gerichtsort weiter entfernt ist, denn würde der Beschuldigte in diesem Stadium bereits einen am Gerichtsort ansässigen Verteidiger bemühen, würden hohe Reisekosten für Besuche in der Haftanstalt anfallen (BGH StV 97, 565). Auch wenn der Gerichtsort und der Sitz des gewählten Verteidigers nicht weit voneinander entfernt sind, hat das Interesse des Beschuldigten an der Auswahl des Vertrauensanwalts Vorrang vor der Gerichtsnähe (Düsseldorf StV 90, 254). Die Beiordnung des in relativer Nähe zum Haft- oder Gerichtsort ansässigen Vertrauensanwalts dient in diesen Fällen zugleich der Vermeidung höherer Kosten. Auch ein mit ausreichenden Mitteln ausgestatteter Beschuldigter wird jedoch in aller Regel keinen weit vom Haft- oder Gerichtsort ansässigen Verteidiger beauftragen, weil dessen zusätzliche Kosten den Vorteil, der aus dem Vertrauensverhältnis erwächst, regelmäßig bei weitem übersteigt. Der Grundsatz, daß die Beiordnung eines Verteidigers gleichen Rechtschutz gewähren soll wie die Wahlverteidigung, wird also nicht tangiert, wenn die Bestellung eines Vertrauensanwalts, der in größerer Entfernung sowohl vom Gerichtsort als auch vom Haftort ansässig ist, abgelehnt wird.

Ausgehend von diesen Überlegungen stellt sich der Beschluß des Vorsitzenden der 13. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Rechtsanwalt aus nicht als Pflichtverteidiger der Beschuldigten zu bestellen, unter Würdigung sämtlicher bekannter Umstände des bisherigen Verfahrens als ermessensfehlerfrei dar. Die Verfügung geht weder von falschen oder sachwidrigen Voraussetzungen aus, noch liegen besondere Umstände vor, die praktisch nur eine einzige ermessensfehlerfreie Entscheidung in Betracht kommen lassen.

Maßgeblich ist bei der Interessenabwägung, daß der Beschuldigten zur Last liegt, an einer kriminellen Organisation, die ihren Schwerpunkt in hat, beteiligt zu sein. Daher werden die weiteren Ermittlungen ebenso wie die die Frage der Haftfortdauer betreffenden Entscheidungen in Nürnberg erfolgen, die U-Haft wird in Nürnberg vollzogen und schließlich wird auch die Hauptverhandlung nach derzeitiger Sachlage vor der 13. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth erfolgen. Im Hinblick hierauf bedarf die Beschuldigte eines geeigneten Verteidigers in praktischer Nähe, den sie zu Raten ziehen kann. Herr Rechtsanwalt residiert in. Sein Kanzleisitz ist somit rund 600 Kilometer einfache Wegstrecke von Nürnberg entfernt. Eine Bestellung eines solchen Pflichtverteidigers, dessen Mandatsbetreuung sich im wesentlichen auf postalischem Weg vollziehen wird, stellt bereits aus objektiver Sicht eine erhebliche Benachteiligung der Beschuldigten dar. Die Entfernung von Nürnberg nach Hamburg übersteigt ersichtlich auch die Entfernungen, die bisher von der Rechtsprechung im Interesse einer sachdienlichen Betreuung des Beschuldigten durch einen auswärtigen Verteidiger als noch vertretbar angesehen wurden. Hinzukommt, daß die Beiordnung des Rechtsanwalts aus Hamburg nicht nur für das laufende Ermittlungsverfahren äußerst problematisch erscheint, sie wird auch durch die Gerichtsferne - wie der Strafsenat aus eigener Erfahrung weiß - zu erheblichen Verzögerungen bei der Vereinbarung und Abfolge der späteren Hauptverhandlungstermine führen und damit die Dauer des Strafverfahrens verlängern. Dies widerspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verfahrensbeschleunigung, auf dessen Einhaltung auch im Interesse der Beschuldigten nicht verzichtet werden kann. Es liegt auf der Hand, daß selbst bei Benutzung modernster Beförderungsmittel wie ICE oder gar Flugzeugen mehrfache An- und Heimreisen von jeweils über 1.200 Kilometer auch für eine gut organisierte Kanzlei einen erheblichen Zeitaufwand, zudem einen außergewöhnlich hohen Kostenaufwand für Fahrt- und Abwesenheitsgelder erfordern. Eine Bestellung von Rechtsanwalt würde bei weitem den sachlichen Aufwand übersteigen, der bei einer Vertretung des Beschuldigten durch einen der qualifizierten Strafverteidiger im hiesigen Gerichtsbezirk zu Lasten der Staatskasse anfallen würde. Der Grundsatz des fairen Verfahrens würde bei einer solchen Entscheidung für einen auswärtigen Pflichtverteidiger zusätzlich die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers erforderlich machen, der seinen Kanzleisitz nahe der Haftanstalt und dem Gerichtsort Nürnberg hätte und damit jederzeit für die Beschuldigte persönlich ansprechbar wäre. Dies würde im Ergebnis bedeuten, daß ein mittelloser, von vorneherein ohne jedes Kostenrisiko handelnder Beschuldigter letztlich einen auswärtigen Pflichtverteidiger wählen könnte und zusätzlich einen ortsnahen Pflichtverteidiger erhalten müßte, während ein mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestatteter vernünftig kalkulierender Beschuldigter bei Abwägung seiner Interessen für das Ermittlungsverfahren und die spätere Hauptverhandlung schon aus Kostengründen einem im Gerichtsbezirk ansässigen, mit den hiesigen Verhältnissen vertrauten Verteidiger das Mandat erteilen würde.

Entscheidend kommt hinzu, daß das Bestehen eines besonders schutzwürdigen Vertrauensverhältnisses zwischen der Beschuldigten und Rechtsanwalt nicht nachvollziehbar dargetan ist. Wenn ein Beschuldigter erreichen will, daß ihm ein auswärtiger Pflichtverteidiger beigeordnet wird, muß er, wenn ein solches besonderes Vertrauensverhältnis nicht auf der Hand liegt, substantiiert darlegen wieso ihn gerade mit diesem Verteidiger das erforderliche Vertrauensverhältnis verbindet (Nürnberg, NStZ 1997, 52). Allein der Umstand, daß die Beschuldigte von Rechtsanwalt in der U-Haft persönlich aufgesucht und Übereinstimmung zwischen Mandantin und Anwalt über das weitere Vorgehen erzielt wurde, sowie die - nicht näher erläuterte - Kontaktaufnahme zum kanadischen Konsulat sowie zu Familienangehörigen im Ausland, rechtfertigen nicht die Annahme eines besonders schutzwürdigen Vertrauensverhältnisses. Sonstige Verfahren, in denen Rechtsanwalt bisher die Beschuldigte vertreten hat, die zu einem schutzwürdigen besonderen Vertrauensverhältnis hätten führen können und denen eine Beiordnungsentscheidung Rechnung tragen müßte, sind nicht behauptet.

Auch im übrigen sind keinerlei Gesichtspunkte vorgetragen oder ersichtlich, die den Schluß zulassen würden, daß Rechtsanwalt aus Hamburg über besondere Fachkenntnisse verfügen würde, die zu einer ordnungsgemäßen Verteidigung der Beschuldigten erforderlich sind.

Da insgesamt bei einer Gesamtwürdigung die Entscheidung des Vorsitzenden der 13. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth ermessensfehlerfrei ist, war die Beschwerde der Beschuldigten als unbegründet kostenfällig zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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