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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 25.09.2001
Aktenzeichen: Ws 935/01
Rechtsgebiete: StGB, GG


Vorschriften:

StGB § 57 Abs. 3
StGB § 56 e
GG Art. 12 Abs. 1
Das Interesse des Verurteilten an einer freien Berufsausübung muss zurücktreten, wenn die Gefahr nicht ausgeschlossen werden kann, dass er seine berufliche Tätigkeit erneut für schwere Straftaten missbraucht.
Ws 935/01

Nürnberg, den 25. Sep. 2001

In der Strafvollstreckungssache

wegen sexuellen Mißbrauchs;

hier: Beschwerde des Verurteilten gegen die Nichtabänderung einer Weisung im Rahmen der Bewährung,

erläßt der Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Die Beschwerde des Verurteilten Dr. gegen den Beschluß der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 10.07.01 wird als unbegründet verworfen.

II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts München I vom 23.05.1995 wegen sexuellen Mißbrauchs Widerstandsunfähiger in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, daß der Verurteilte im Zeitraum von 1989 bis 1994 als Schönheitschirurg im Rahmen des ärztlichen Behandlungsverhältnisses durch die - medizinisch nicht veranlaßte - intravenöse Gabe von Brevimytal (Kurzzeitnarkotikum) die dadurch herbeigeführte Widerstandsunfähigkeit von 5 Patientinnen ausgenutzt hat, um den Geschlechtsverkehr mit ihnen durchzuführen.

Mit Bescheid vom 14.09.1999 ordnete die Regierung von den Widerruf der Approbation des Verurteilten an.

Nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafe setzte das Oberlandesgericht Nürnberg mit Beschluß vom 22.11.00 die Vollstreckung des Strafrestes mit Ablauf des 28.11.00 zur Bewährung aus. In Ziffer IV. des Beschlusses wurde dem Verurteilten mit seinem Einverständnis folgende Weisung erteilt:

Der Verurteilte wird angewiesen, für den Fall der Wiedererteilung der Approbation keine ärztliche Tätigkeit, die mit persönlichem Kontakt mit Patienten verbunden ist, auszuüben.

Mit Bescheid vom 26.06.01 hob die Regierung von den Widerruf der Approbation des Verurteilten auf und stellte das Verfahren auf Ruhen der Approbation unter verschiedenen Nebenbestimmungen ein. Danach darf der Verurteilte körperliche Untersuchungen und operative Eingriffe bei Personen weiblichen Geschlechts ausschließlich als Belegarzt in einer Klinik oder der Praxis eines anderen Arztes - in ununterbrochener Anwesenheit von Mitarbeitern, die zum Verurteilten in keinem Weisungs- und Abhängigkeitsverhältnis stehen - durchführen. Wegen des genauen Inhalts der einzelnen Auflagen wird auf den Bescheid der Regierung von Bezug genommen.

Mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 21.05.01 beantragte der Verurteilte, die im Beschluß des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 22.11.00 in Ziffer IV. erteilte Weisung entsprechend dem Bescheid der Regierung von wie folgt zu ändern:

"Dem Verurteilten wird die ärztliche Tätigkeit unter folgenden Bedingungen gestattet:

I. Die ärztliche Tätigkeit, Vorbesprechung und Beratung wird allgemein gestattet. Die operative Tätigkeit wird nach Maßgabe Ziffer II. erlaubt.

II. Operative Eingriffe werden, die in einer Klinik/Praxis auszuführen sind, in Kliniken oder Praxen niedergelassener Ärzte durchgeführt, in Anwesenheit von Personen, die nicht nur für den Antragsteller allein weisungsgebunden tätig sind oder nicht.

III. Die ärztliche Tätigkeit wird in dem berufsrechtlich vorgeschriebenen Umfang dokumentiert, wie auch die Anwesenheit von Personal, das nicht nur für den Verurteilten allein weisungsgebunden tätig ist, jeweils ausführlich dokumentiert wird. Die Dokumentation wird auf Anforderung vorgelegt. Der Verurteilte berichtet auf Anforderung unter Vorlage der Dokumente der Regierung."

Die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing hat den Antrag des Verurteilten mit Beschluß vom 10.07.01 zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluß hat der Verurteilte mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 31.07.01 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß durch die im Bescheid der Regierung von vom 26.06.01 äußerst eng gestalteten Rahmenbedingungen mit keiner Gefahr bei der Behandlung von Patientinnen zu rechnen sei.

II.

Die zulässige Beschwerde (§ 453 Abs. 2 Satz 1 StPO, §§ 57 Abs. 3, 56 e StGB) hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Beschwerde des Verurteilten kann gem. § 453 Abs. 2 S. 2 StPO nur darauf gestützt werden, daß eine getroffene Anordnung gesetzeswidrig ist und führt daher nur zu einer eingeschränkten Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung. Die Beschwerde ist im Ergebnis unbegründet, weil die Versagung der Abänderung der Bewährungsweisung weder gesetzeswidrig noch verfassungswidrig ist.

Nach § 57 Abs. 3 StGB i.V.m. § 56 e StGB kann das Gericht eine Entscheidung nach den §§ 56 b bis 56 d StGB auch nachträglich treffen, ändern oder aufheben. Sinn dieser Vorschrift ist es, daß der Behandlungsplan, der in der Erteilung von Auflagen und Weisungen liege, im Laufe der Bewährungszeit den wechselnden Verhältnissen, insbesondere den Fortschritten und Rückschlägen angepaßt werden kann (Tröndle/Fischer, StGB, 50. Auflage, § 56 e Rn 1). Die Vorschrift will dem die Verantwortung für eine Strafaussetzung zur Bewährung tragenden Gericht Spielraum für eine möglichst flexible Handhabung bieten, auf sich verändernde Umstände in der Lebensführung des Verurteilten adäquat reagieren zu können.

Mit zutreffender Begründung hat die Strafvollstreckungskammer festgestellt, daß kein Anlaß besteht, die dem Verurteilten im Rahmen des Bewährungsbeschlusses erteilte Weisung, keine ärztliche Tätigkeit, die mit persönlichem Kontakt mit Patienten verbunden ist, auszuüben, nachträglich zu ändern. Zweck der dem Verurteilten erteilten Weisung ist es, durch die Vermeidung potentieller Risikosituationen zu verhindern, daß der Verurteilte während der Bewährungszeit in gleicher schwerwiegender Weise wieder strafbar wird. Im Hinblick auf Art und Umfang der Verbrechen des Verurteilten hatte der Senat die Weisung ausdrücklich so gefaßt, daß sie zum einen klare Vorgaben für den Verurteilten enthält, zum anderen aufgrund des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit auch die Nachprüfbarkeit gewährleistet ist. Nur aufgrund der so eng gefaßten Weisung war es überhaupt verantwortbar, die Reststrafe zur Bewährung auszusetzen.

Der Senat vermag keine Umstände in der Lebensführung des Verurteilten zu erkennen, die eine veränderte Beurteilung der Sach- und Rechtslage gegenüber dem Senatsbeschluß vom 22.11.00 zulassen. Der nicht-bestandskräftige Bescheid der Regierung von vom 26.O6.01 gibt keinen Anlaß für eine Anpassung der erteilten Weisung. Bei der Frage, ob eine nachträgliche Änderung der Weisung zu erfolgen hat, ist zu berücksichtigen, daß das Interesse der Allgemeinheit an der Resozialisierung des Straftäters, insbesondere daran, zu vermeiden, daß er künftig weitere schwerwiegende Straftaten begeht, ein überragendes Gemeinschaftsgut darstellt. Demgegenüber muß das Interesse des Verurteilten an einer freien Berufsausübung zurücktreten, wenn die Gefahr nicht ausgeschlossen werden kann, daß er seine ärztliche Tätigkeit erneut für sexuelle Handlungen an seinen Patientinnen mißbraucht. Nach Auffassung des Senats ist die vom Verurteilten beantragte Änderung der Weisung im Sinne des nicht-bestandskräftigen Bescheids der Regierung von nicht geeignet, eine Mißbrauchsgefahr auszuschließen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. im Gutachten vom 19.07.00 kann beim Verurteilten ein Rückfall in delinquentes Verhalten dann ausgeschlossen werden, wenn er nicht mehr die Möglichkeit hat, sich Patientinnen zu nähern, sich mit Kurzzeitnarkotika zu versorgen oder diese gar anzuwenden. Dem hatte der Senat dadurch Rechnung getragen, daß dem Verurteilten während der Bewährungszeit eine ärztliche Tätigkeit, die mit dem Kontakt mit Patientinnen verbunden ist, untersagt wurde. Demgegenüber bieten die Auflagen im Bescheid der Regierung von nach Auffassung des Senats keine Gewähr, daß eine Gefahr für die vom Verurteilten behandelten Patientinnen ausgeschlossen ist, da sie vor einer Umgehung nicht sicher schützen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß nach dem Bescheid der Regierung von für den verantwortlichen Arzt der Gemeinschaftspraxis, in der der Verurteilte seine Tätigkeit aufnimmt, eine Kontrollpflicht für die Hinzuziehung von Mitarbeitern durch den Verurteilten nicht besteht. Darüberhinaus soll bereits nach einem Jahr die Verpflichtung des ärztlichen Kollegen entfallen, für die ununterbrochene Anwesenheit von Mitarbeitern bei der Vornahme von körperlichen Untersuchungen und operativen Eingriffen bei Personen weiblichen Geschlechts durch den Verurteilten zu sorgen. Die Beachtung der ihm auferlegten Verpflichtungen ist damit letztlich überwiegend der Verantwortung des Verurteilten übertragen. Eine derartige Weisung ist aber angesichts der eingeschränkten Nachprüfbarkeit ungeeignet, die Lebensführung des Verurteilten spezialpräventiv so zu beeinflussen, daß die Gefahr künftiger Straftaten ausgeräumt werden kann. Es verbleibt ein hohes Risiko, das im Hinblick auf den Wert der bedrohten Rechtsgüter keinesfalls in Kauf genommen werden darf.

Kosten: § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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