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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 04.07.2006
Aktenzeichen: 1 Ws 343/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 143
Durch die Aufrechterhaltung einer Pflichtverteidigung auch nach der Beauftragung eines Wahlverteidigers ist der Angeklagte beschwert. Seine deshalb statthafte Beschwerde ist begründet, wenn nicht ausnahmsweise zwingende Gründe einer Fortführung der Pflichtverteidigerbestellung gebieten.
Oberlandesgericht Oldenburg 1. Strafsenat Beschluss

1 Ws 343/06

In dem Strafverfahren

gegen Herrn A...,

geboren am ...1951 in S...,

zurzeit in der Justizvollzugsanstalt O...

wegen Verstoßes gegen das BtmG

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 4. Juli 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgericht Aurich vom 31. Mai 2006 aufgehoben.

Die Bestellung von Rechtsanwalt T... zum Pflichtverteidiger wird zurückgenommen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit dem Angeklagten entstandenen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

Dem Angeklagten war vor der Eröffnung des Hauptverfahrens sein Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Durch Urteil des Amtsgerichts Leer vom 15. Februar 2006 war der Angeklagte sodann wegen mehrerer Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden.

Am 21. Februar 2006 hat die Wahlverteidigerin das ihr vom Angeklagten erteilte Wahlverteidigungsmandat dem Gericht mitgeteilt und Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegt. Mit Schriftsatz vom 4. Mai 2006 hat sie sodann darum gebeten, den Pflichtverteidiger zu entpflichten. Gleichzeitig hat sie versichert, dass sie den Termin zur Berufungshauptverhandlung als Wahlverteidigerin wahrnehmen und ihrerseits keinen Beiordnungsantrag stellen werde.

Dieser Antrag ist mit Beschluss des Landgerichts Aurich vom 12. Mai 2006 als unbegründet verworfen worden, weil "Gründe für die Notwendigkeit eines solchen Pflichtverteidigerwechsels" nicht dargetan seien.

Mit Schriftsatz der Wahlverteidigerin vom 19. Mai 2006 ist erneut unter Hinweis auf § 143 StPO die Entpflichtung des Pflichtverteidigers beantragt worden. Mit Beschluss des Landgerichts vom 31. Mai 2006 wurde der Antrag nunmehr mit der Begründung verworfen, die Fortführung der Pflichtverteidigung erscheine "zur Sicherstellung des Hauptverhandlungstermins" geboten.

Hiergegen ist mit Schriftsatz der Wahlverteidigerin vom 8. Juni 2006 Beschwerde eingelegt worden.

An der ungeachtet dessen am 12. Juni 2006 durchgeführten Berufungshauptverhandlung haben beide Verteidiger teilgenommen. Eingangs der Verhandlung hat der Pflichtverteidiger seine eigene Entpflichtung angeregt. Die Wahlverteidigerin hat dies erneut beantragt und wiederum erklärt, dass sie Wahlverteidigerin bleiben wolle. Den Antrag auf Entpflichtung des Pflichtverteidigers hat das Landgericht Aurich am 12.6.2006 "aus den Gründen des Beschlusses vom 31. Mai 2006" zurückgewiesen und über die Berufung durch Urteil entschieden. Der Angeklagte hat gegen das Urteil des Landgerichts Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden worden ist.

Das Landgericht hat sodann der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht vorgelegt.

Das eingelegte Rechtsmittel ist als Beschwerde des Angeklagten zu behandeln, denn die Wahlverteidigerin, die durch die Ablehnung der Entpflichtung des Pflichtverteidigers im Übrigen auch selbst nicht beschwert wäre (vgl. OLG Koblenz, StV 1981, 530), hat zum Ausdruck gebracht, dass sie das Rechtsmittel im Interesse des Angeklagten einlege.

Die Beschwerde ist zulässig, vgl. MeyerGoßner, StPO, 49. Aufl., § 143 Rdn. 7 m. w. Nachw. Insbesondere ist der Angeklagte beschwert, wenn das Gericht gegen sein Willen die frühere Pflichtverteidigung aufrecht erhält, obwohl er inzwischen einen Wahlverteidiger beauftragt hat. Das ergibt sich bereits daraus, dass der Angeklagte in einem solchen Falle durch die Entscheidung des Gerichts gezwungen wird, sich mit zwei statt mit einem Verteidiger abzustimmen, wodurch seine Verteidigung beeinträchtigt sein kann. Die eine Zulässigkeit der Beschwerde verneinende Entscheidung des OLG Düsseldorf (StV 1997, 576) betrifft den anders gelagerten Fall eines nachträglich beauftragten Wahlverteidigers, der seine künftige Bestellung als Pflichtverteidiger erstrebt. Schon deshalb kann hier offen bleiben, ob dem OLG Düsseldorf zu folgen wäre.

Die Beschwerde ist auch begründet. Gemäß § 143 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers zurückzunehmen, wenn demnächst ein anderer Verteidiger gewählt wird und dieser die Wahl annimmt. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Der von der Rechtsprechung anerkannte Ausnahmefall (vgl. MeyerGoßner, a.a.O. Rdn. 2 m. w. Nachw.) eines unabweisbaren Bedürfnisses für das Fortführen einer Pflichtverteidigung liegt nicht vor. Es sind namentlich keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Wahlverteidigung nicht für das ganze Verfahren erstrebt wurde, dass eine rechtsmissbräuchliche Verdrängung des bisherigen Pflichtverteidigers beabsichtigt war, oder dass mit der Wahlverteidigung verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollten. Das Landgericht hätte deshalb die Pflichtverteidigerbestellung von Amts wegen, jedenfalls aber auf Anregung des Pflichtverteidigers und erst Recht auf Antrag des Angeklagten zurücknehmen müssen.

Die Begründungen des Landgerichts für seine abweichende Entscheidungen sind nicht nachvollziehbar. Soweit es mit Beschluss vom 12. Mai 2006 den auf Beendigung der Pflichtverteidigung gerichteten Antrag abgelehnt hat, weil "Gründe für die Notwendigkeit eines solchen Pflichtverteidigerwechsels" nicht dargetan seien, geht dies an der Sachlage vorbei. Ein Pflichtverteidigerwechsel war ausdrücklich gerade nicht beantragt worden. Auch die spätere, nicht durch Angabe von Tatsachen gestützte, pauschale Begründung des Landgerichts, die Fortführung der Pflichtverteidigung erscheine "zur Sicherstellung des Hauptverhandlungstermins geboten", ist substanzlos und so nicht nachvollziehbar.

Dies gilt um so mehr, als die Wahlverteidigerin von vornherein und wiederholt ausdrücklich erklärt hatte, dass sie als Wahlverteidigerin an der Hauptverhandlung teilnehmen und keine Bestellung als Pflichtverteidigerin beantragen werde, sich sodann konsequent genau so verhalten hat und insbesondere in dem Hauptverhandlungstermin als Wahlverteidigerin erschienen und aufgetreten ist. Warum das Landgericht unter Berufen auf die Gründe seiner vorangegangenen Entscheidung, also "zur Sicherstellung des Hauptverhandlungstermins", selbst dann noch ein Fortführen der Pflichtverteidigung beschlossen hat, erschließt sich nicht.

Die Kostenentscheidung entspricht § 467 StPO.

Ende der Entscheidung

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