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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 16.10.2007
Aktenzeichen: 1 Ws 549/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 111g Abs. 2 S. 2
StPO § 111k S. 3
Überlässt ein Angeklagter freiwillig eine frühere Haftkaution und zunächst sichergestellte Geldbeträge dem Staat zur unbürokratischen Entschädigung der Tatopfer, so ist für das gerichtliche Verfahren zur Zulassung der Zwangsvollstreckung in direkter oder analoger Anwendung von § 111g Abs. 2 Satz 2 StPO kein Raum.
Oberlandesgericht Oldenburg 1. Strafsenat Beschluss

1 Ws 549/07

In der Strafsache

hier: Antrag auf Zulassung der Zwangsvollstreckung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ...

am 16. Oktober 2007

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landgerichts Osnabrück vom 1. September 2007 wird als unbegründet auf Kosten der Staatskasse verworfen.

Gründe:

Der Angeklagte ist u. a. wegen Computerbetruges, begangen durch Einsatz heimlicher Computer-Einwahlprogramme zum Nachteil einer Vielzahl von Personen, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. In der Hauptverhandlung hat er erklärt, auf die Rückerstattung einer Haftkaution von 85.000 € und eines bei ihm sichergestellten Bargeldbetrages von 17.615,98 € zu verzichten, damit diese Beträge zur Befriedigung der Geschädigten zur Verfügung ständen. Die Staatsanwaltschaft hat die Verzichterklärung zugunsten des Fiskus angenommen um zu verhindern, dass die Beträge an den Verurteilten ausgekehrt würden. Ein in einem früheren Verfahrensstadium erlassener dinglicher Arrest in das Vermögen des Angeklagten ist inzwischen aufgehoben worden.

Die Antragstellerin hat den Angeklagten wegen ihrer Schadensersatzansprüche aus der Straftat zivilgerichtlich in Anspruch genommen und einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid gegen diesen erwirkt. Sie hat bei der Staatsanwaltschaft die Freigabe von beschlagnahmten Geldbeträgen in Höhe ihrer Forderung beantragt. Die Staatsanwaltschaft hat dies als Antrag auf Zulassung der Zwangsvollstreckung nach § 111g Abs. 2 StPO aufgefasst und den Antrag dem Landgericht zur Entscheidung zugeleitet. Dieses hat den Antrag mit Beschluss vom 1. September 2007 abgelehnt, weil es an den gesetzlichen Voraussetzungen für eine gerichtliche Zulassung der Zwangsvollstreckung fehle.

Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist nach § 111g Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Der angefochtene Beschluss, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, trifft in Ergebnis und Begründung zu. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

Das Landgericht hat insbesondere zu Recht darauf abgestellt, dass eine gerichtliche Zulassung der Zwangsvollstreckung in unmittelbarerer Anwendung von § 111g Abs. 2 StPO nicht möglich ist, weil die ursprünglich vom Angeklagten stammenden Geldbeträge, in die eine Zwangsvollstreckung gerichtlich für zulässig erklärt werden soll, nicht beschlagnahmt sind, wie es diese Norm voraussetzt.

Dem Landgericht ist ferner darin zuzustimmen, dass auch eine analoge Anwendung von § 111g Abs. 2 StPO oder § 111k StPO im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt. Dazu ist die hier gegebene Sachlage von der gesetzlich geregelten allzu verschieden. Denn die in Rede stehenden Gelder sind vom Angeklagten aus eigenem Entschluss und freiwillig dem Staat zur Verfügung gestellt worden, womit er eine unbürokratische Verteilung der Mittel zugunsten der Geschädigten erstrebte. Nach Angabe des Verteidigers im Schriftsatz vom 14. Juni 2007 sollten die Geschädigten durch die freiwillige Bereitstellung der Vermögenswerte die Möglichkeit erhalten, "auch ohne kostenauslösende und zeitaufwendige Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und vor allem ohne das komplizierte Zulassungsverfahren" eine Entschädigung zu erhalten. Ein solcher Sachverhalt ist gesetzlich nicht erfasst.

Diese Regelungslücke reicht aber nicht aus, um eine analoge Anwendung von § 111g Abs. 2 StPO oder § 111k StPO zu rechtfertigen. Diese Normen haben zur Grundlage, dass der Staat Vermögen des Beschuldigten durch Hoheitsakt diesem entzogen und gesichert hat. Daraus ergibt sich zwingend die Notwendigkeit einer Regelung, wie hoheitlich weiter mit diesem Vermögen zu verfahren ist. Das gilt insbesondere für den Fall, dass Vermögensteile anderen Personen als dem Beschuldigten zur Verfügung gestellt werden. Denn dies bedeutet zugleich eine entsprechende Vermögenseinbuße des Beschuldigten sowie u. U. eine Benachteiligung anderer Anspruchsteller. Vor diesem Hintergrund ist die in § 111g Abs. 2 StPO und § 111k StPO vorgesehene gerichtliche Entscheidung zu sehen, die nach einer genauen Prüfung der Rechtsverhältnisse zu erfolgen hat und durch Rechtsmittel überprüft werden kann. Im vorliegenden Fall liegt indessen gerade kein durch Hoheitsakt in die Verfügungsgewalt des Staates gelangtes Vermögen vor. Des aufwendigen gerichtlichen Verfahrens bedarf es deshalb nicht. Eine entsprechende Anwendung der strafprozessualen Regelungen für den Zugriff Geschädigter auf beschlagnahmte Vermögenswerte ist hier auch schon deshalb nicht angezeigt, weil dadurch ohne Not und gesetzliche Grundlage die ohnehin knappen Justizressourcen in Anspruch genommen und damit anderen Aufgaben entzogen würden, bei dem vorliegenden Umfangsverfahren sogar in einem sehr großen Maße.

Der Anregung des Verteidigers folgend sollte die Staatsanwaltschaft ein unbürokratisches Procedere für die Verteilung des Entschädigungsfonds etablieren. Dabei könnte auch die Einsetzung eines Treuhänders aus dem Bereich der Opferhilfeorganisationen zu erwägen sein.

Die Kostenentscheidung entspricht § 473 Abs. 1 Satz 1. Einer Auslagenentscheidung nach § 473 Abs. 2 StPO bedurfte es nicht.

Ende der Entscheidung

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