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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 24.09.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 584/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 116 Abs. 4 Nr. 3
Die Verurteilung zu einer hohen Freiheitsstrafe rechtfertigt nicht ohne weiteres die Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls bei der Urteilsverkündung.
Oberlandesgericht Oldenburg Beschluss

1 Ws 584/08

In der Strafsache

wegen Vergewaltigung,

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 24. September 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Aurich vom 11. September 2008 aufgehoben. Es verbleibt bei dem Haftverschonungsbeschluss des Senats vom 2. Januar 2008 mit der Maßgabe, dass die dort unter 1. genannte Auflage entfällt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

Der damalige Beschuldigte und jetzige Angeklagte befand sich aufgrund des vom Amtsgericht Leer am 4. Dezember 2007 erlassenen Haftbefehls seit dem 17. Dezember 2007 bis zum 2. Januar 2008 in Untersuchungshaft. In dem Haftbefehl wird ihm zur Last gelegt, zwischen Sommer 2001 und Herbst 2003 in Westoverledingen seine damalige Lebensgefährtin S... in 5 Fällen vergewaltigt zu haben. Als Haftgründe sind in dem Haftbefehl Fluchtgefahr und Wiederholungsgefahr angegeben. Mit dem auf die Haftbeschwerde des Beschuldigten ergangenen Beschluss des Landgerichts Aurich vom Beschluss vom 21. Dezember 2007 ist statt Wiederholungsgefahr der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr angenommen worden. Auf die hiergegen gerichtete weitere Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 2. Januar 2008 die Außervollzugsetzung des Haftbefehls unter Auflagen angeordnet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die genannten Beschlüsse und den Haftbefehl Bezug genommen. Am 11. September 2008 ist der Angeklagte von der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Aurich wegen Vergewaltigung in 7 Fällen, u. a. der im Haftbefehl bezeichneten Taten, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt worden. das Urteil ist wegen der vom Angeklagten eingelegten Revision noch nicht rechtskräftig. Mit Beschluss vom selben Tage hat das Landgericht den Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt. Es hat dies damit begründet, es bestehe nach Maßgabe der Verurteilung dringender Tatverdacht und wegen des sich aus der hohen Freiheitsstrafe ergebenden Fluchtanreizes der Haftgrund der Fluchtgefahr.

Der hiergegen gerichteten Haftbeschwerde, mit welcher der Angeklagte die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise seine Außervollzugsetzung erstrebt, hat das Landgericht mit Beschluss vom 16. September 2008 nicht abgeholfen

Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.

Allerdings ist der Angeklagte ist der Straftaten, die ihm im Haftbefehl zur Last gelegt werden, weiterhin dringend verdächtig, weil er ihretwegen verurteilt worden ist. Es besteht auch aus den vom Landgericht angegebenen Gründen der Haftgrund der Fluchtgefahr. Die von der Verteidigung in erster Linie beantragte Aufhebung des Haftbefehls kam deshalb nicht in Betracht.

Der angefochtene Beschluss kann gleichwohl keinen Bestand haben, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Invollzugsetzen des Haftbefehls nicht gegeben sind. Nach dem insoweit ausschließlich anzuwendenden (vgl. BverfG StV 2006, 139) § 116 Abs. 4 StPO ist dies nur möglich, wenn der Beschuldigte den ihm auferlegten Pflichten oder Beschränkungen zuwiderhandelt, wenn er Fluchtanstalten trifft, unentschuldigt ausbleibt oder auf andere Weise zeigt, dass das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war, oder wenn neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen. Für die ersten beiden Voraussetzungen sind hier keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich. Insbesondere hat der Angeklagte die Auflagen aus dem Haftverschonungsbeschluss eingehalten und ist zur Hauptverhandlung erschienen. Es liegen aber auch keine neu hervorgetretenen Umstände vor, die eine Verhaftung des Angeklagten erforderlich machten.

Das Landgericht, das auf die gesetzlichen Voraussetzungen der Aufhebung einer Haftverschonung nicht ausdrücklich eingegangen ist, sieht einen solchen neuen Umstand offenbar in der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren. Das träfe aber nur zu, wenn diese Verurteilung weit höher ausgefallen wäre, als im Zeitpunkt der Außervollzugsetzung des Haftbefehls erwartet wurde, vgl. BGH NStZ 2005, 279. Dergleichen ist hier aber weder dem angefochtenen Beschluss zu entnehmen, noch ansonsten ersichtlich. Schon seinerzeit war wegen der Vielzahl der dem Angeklagten vorgeworfenen schweren Sexualstraftaten mit einer Gesamtfreiheitsstrafe im Bereich der jetzt ausgeurteilten zu rechnen. Hat sich aber somit nur die damalige Straferwartung realisiert, so rechtfertigt dies keine Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls, vgl. BverfG a.a.O.. OLG Frankfurt StV 2004, 493.

Soweit das Landgericht darauf abstellt, der Angeklagte verfüge nicht über eine intakte soziale Einbindung, so vermag auch dies die angefochtene Entscheidung nicht zu rechtfertigen. Dass sich insoweit eine wesentliche Änderung ergeben habe, ist dem Beschluss des Landgerichts nicht zu entnehmen und auch sonst nicht ersichtlich. Vor allem ist der Angeklagte weiterhin bei seinem damaligen langjährigen Arbeitgeber beschäftigt und verfügt weiterhin über seinen festen Wohnsitz. Die vom Landgericht vorgenommene andere Beurteilung der im Wesentlichen unveränderten sozialen Umstände des Angeklagten rechtfertigt angesichts der Sperrwirkung von § 116 Abs. 4 StPO keine Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls. Auf die familiären Bindungen des Angeklagten war - entgegen dem Landgericht - die Haftverschonung vom Senat nicht gestützt worden. Im Übrigen ist auch insoweit keine wesentliche ungünstige Veränderung ersichtlich.

Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben, so dass der Haftverschonungsbeschluss des Senats vom 2. Januar 2008 wieder gilt. Da nach der Urteilsverkündung Anhaltspunkte für eine Verdunkelungsgefahr nicht mehr gegeben sind, hat das Landgericht zu Recht diesen Haftgrund entfallen lassen. Das zu seiner Eindämmung angeordnete Kontaktverbot hatte deshalb ebenfalls zu entfallen.

Das vom Verteidiger am 22. September 2008 auch eingelegte Rechtsmittel gegen den Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts vom 16. September 2008 hat keine eigenständige Bedeutung und war nicht gesondert zu bescheiden. Die Kosten des erfolgreichen Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten waren entsprechend § 467 StPO der Staatskasse aufzuerlegen.

Ende der Entscheidung

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