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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 30.03.2006
Aktenzeichen: 14 U 119/05
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Die Gehaltszahlung eines GmbH-Geschäftsführers für den vertraglich vereinbarten "Krankheitsfall oder bei sonstiger unverschuldeter Verhinderung" ist jedenfalls dann mangels Verschulden zu leisten, wenn der Geschäftsführer auf ärztliche Atteste vertraut hat und aufgrund dieser Atteste von seiner Arbeitsunfähigkeit ausgegangen ist. Auf die Feststellung einer tatsächlichen Erkrankung kommt es bei gegebener Vertragsgestaltung entscheidungserheblich nicht mehr an.
Oberlandesgericht Oldenburg

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES !

14 U 119/05

Verkündet am 30.03.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Richter am Oberlandesgericht ... als Vorsitzenden und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... auf die mündliche Verhandlung vom 16.03.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 23.11.2005 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger schloss mit der C... GmbH am 26.06.2001 einen Geschäftsführeranstellungsvertrag mit dem Beginn des Anstellungsverhältnisses zum 01.08.2001. Der Vertrag wird inhaltlich in bezug genommen. Aus diesem Vertrag leitet der Kläger die mit der Klage verfolgten verschiedenen Zahlungsansprüche in Gesamthöhe von € 44.811,46 auf Gehaltsfortzahlung, Ersatz von PkwBetriebskosten, Zahlung eines 13. Monatsgehalts, Urlaubsabgeltung und Jahrestantieme sowie auf Ausstellung eines Zeugnisses und einer Arbeitsbescheinigung ab, nachdem die GmbH am 28.12.2001 in eine KG, die Beklagte, umgewandelt und dem Kläger am 05.11.2002 zum 30.06.2003 gekündigt worden war. Am 08.11.2002 und in der Zeit vom 11.11. bis 13.11.2002 nahm der Kläger Urlaub. Am 18.11.2002 schrieb ihn der in R... ansässige praktische Arzt B... für den Zeitraum vom 18.11. bis zum 23.11.2002 krank und stellte diesbezüglich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus. Ab dem 24.11.2002 schrieb sodann der in Berlin praktizierende Facharzt für Psychotherapie/Psychoanalyse Dr.K... den Kläger krank, und zwar wiederholt bis Ende 2003. Dr. K... stellte insoweit jeweils Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus. Die Beklagte zahlte noch bis einschließlich Januar 2003 das Gehalt des Klägers weiter. Die Gehaltszahlungen wurden ab Februar 2003 eingestellt, nachdem der Kläger am 19.01.2003 als Fahrer seines Dienstfahrzeuges geblitzt worden war. Im April 2003 betätigte sich der Kläger auf seinem Grundstück bei der Montage eines Sichtschutzzaunes.

Der Kläger macht die aus dem Anstellungsvertrag abgeleiteten Ansprüche geltend mit der Behauptung, er sei tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt gewesen, beruhend auf einer psychischen Erkrankung. Die Beklagte bestreitet, dass der Kläger tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Bei den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen habe es sich um Gefälligkeitsatteste gehandelt.

Das Landgericht hat der Klage nach durchgeführter Beweisaufnahme im Wesentlichen antragsgemäß stattgegeben, indem es die Beklagte zur Zahlung von insgesamt € 40.774,54 und zur Ausstellung eines qualifizierten Zeugnisses sowie einer Arbeitsbescheinigung verurteilt hat. Nur bezüglich des Urlaubsabgeltungsanspruchs hat es die Klage teilweise abgewiesen. Ergänzend wird wegen des dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Sachverhalts auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit der Berufung will die Beklagte weiterhin völlige Klagabweisung erreichen. Bezüglich des Anspruchs des Klägers auf Gehaltsfortzahlung bis zum 17.05.2003 habe der Kläger Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt, die die Beklagte bestritten habe. Gleichzeitig habe sie Indizien dafür vorgetragen, dass der Kläger tatsächlich nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Die Beklagte habe sich insoweit bereits in 1. Instanz ausdrücklich zum Beweis auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte und auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens berufen. Diesen Beweisanträgen der Beklagten sei das Landgericht nicht nachgegangen. Vielmehr sei es nur auf Grund der schriftlichen Aussagen der Zeugen von einer Arbeitsunfähigkeit des Klägers ausgegangen. Den Anträgen der Beklagten auf mündliche Anhörung der Ärzte als Zeugen habe das Gericht nicht entsprochen. Das Landgericht habe die Beweislast verkannt. Zudem habe es entscheidungserheblichen Sachvortrag und Beweisangebote der Beklagten übergangen. Ferner habe es gegen Denkgesetze verstoßen, indem es medizinische Fragen an Hand der Lebenserfahrung beurteilt habe. Der Kläger habe insoweit den Beweis zu führen, der sich seinerseits selbst auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte und auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens berufen habe. Das Landgericht habe nicht ausreichend Beweis über die behauptete krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit erhoben, sondern lediglich dazu, ob die von den Ärzten attestierte Arbeitsunfähigkeit auf einer psychischen Erkrankung des Klägers beruht habe. Diese Beweisfrage greife zu kurz, weil es nach dem Arbeitsvertrag auf das tatsächliche Vorliegen einer Krankheit ankomme. Das Landgericht hätte sich nicht mit den vorgelegten schriftlichen Zeugenaussagen begnügen dürfen. Ferner habe es übersehen, dass der Arzt B... keine Depression, sondern Rückenschmerzen bestätigt habe. Auch habe es den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen verkannt. Diese seien reine Privaturkunden im Sinn von § 416 ZPO. Selbst wenn man insoweit eine Indizwirkung zu Gunsten des Klägers annehmen wollte, wären diese Indizien durch den Vortrag der Beklagten bezüglich des Autofahrens über längere Strecken entkräftet worden. Jedenfalls sei nicht an Hand der "Lebenserfahrung" zu beurteilen, in welcher Weise sich eine Depression bezüglich der Tauglichkeit, ein Fahrzeug über längere Strecken zu führen, auswirke. Im Übrigen liege ein weiterer Rechtsfehler darin, dass das Landgericht davon ausgegangen sei, der Kläger sei nicht verpflichtet gewesen, seine Ärzte von der Verschwiegenheit zu entbinden. Dies möge zwar zutreffen. Gleichwohl sei im Rahmen der Beweiswürdigung aber zu berücksichtigen, dass der Kläger die Untersuchung durch einen Amtsarzt, wie von der Beklagten vorprozessual gefordert, verweigert habe. Im Ergebnis habe das Landgericht nicht von einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Klägers ausgehen dürfen. Neuer Sachvortrag in der Berufungsinstanz und die neuen Beweisangebote des Klägers bezüglich der behaupteten Arbeitsunfähigkeit seien unbeachtlich.

...

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 23.11.05 abzuändern und die Klage abzuweisen,

hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er behauptet weiterhin, in der Zeit vom 18.11.2002 bis mindestens 30.06.2003 krankheitsbedingt an der Ausübung seiner Berufstätigkeit gehindert gewesen zu sein. Er habe schwere Depressionen gehabt und unter Schlaflosigkeit und innerer Unruhe mit Zittern und Schweißausbrüchen gelitten. Auch seien Angstzustände und Panikattacken sowie Atemnot aufgetreten, ferner Rückenschmerzen und schwere Kopfschmerzen. Am 18.11.2002 seien zunächst permanente Rückenschmerzen aufgetreten, und erst später sei ärztlicherseits festgestellt worden, dass diese Rückenschmerzen mit starken Verspannungen tatsächlich ebenfalls psychische Ursachen gehabt hätten. Für alles berufe er sich weiterhin auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte und auf ein Sachverständigengutachten, wobei er die behandelnden Ärzte nunmehr umfassend ausdrücklich von deren Verschwiegenheitspflicht befreie. Das Landgericht sei den unzulässigen Beweisanträgen der Beklagten, die nur einen pauschalen Vortrag ins Blaue hinein bedeutet hätten, zutreffend nicht nachgegangen. Die Beklagte verkenne, dass der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich bereits durch lückenlose Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erbracht werde. Aus den vom Zeugen B... bestätigten Rückenschmerzen ergebe sich nichts anderes, weil diese tatsächlich ihre Ursachen in der psychischen Erkrankung des Klägers gehabt hätten. Auch sei es falsch, dass sich der Kläger erstinstanzlich geweigert habe, seine ihn behandelnden Ärzte von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden. Die nur teilweise Entbindung gehe zurück auf eine Einschätzung des Einzelrichters in 1. Instanz, so dass infolgedessen nur die teilweise Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht ins Protokoll aufgenommen worden sei. Auch habe der Kläger keine vertrauensärztliche Begutachtung seiner Arbeitsunfähigkeit verhindert. Er sei jeglichen Aufforderungen seiner Krankenkasse jederzeit sofort nachgekommen. Die Beklagte habe nicht substantiiert vorgetragen, welche angebliche vertrauensärztliche Untersuchung der Kläger wann verhindert haben soll.

...

II.

Die Berufung des Beklagten ist form und fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg, weil das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis zutrifft und auch das Berufungsvorbringen keine andere Betrachtungsweise rechtfertigt.

1.) Der Kläger hat einen Anspruch auf Gehaltsfortzahlung in der vollen geltend gemachten Höhe von € 25.127,51. Dieser ergibt sich aus dem Geschäftsführer-Anstellungsvertrag vom 26.6.2001. Dort ist zu den Bezügen des Geschäftsführers in § 3 Abs. (4) vereinbart:

"Im Krankheitsfall oder bei sonstiger unverschuldeter Verhinderung bleibt der Gehaltsanspruch für die Dauer von sechs Monaten bestehen. Ansprüche des Geschäftsführers auf Krankengeld aus der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung sind anzurechnen. Dauert die Verhinderung länger als sechs Monate an, so wird der Tantiemeanspruch entsprechend der sechs Monate übersteigenden Dauer zeitanteilig gekürzt."

Diese anspruchsbegründende Formulierung des Vertrages muss sich die Beklagte entgegen halten lassen. Dabei ergibt sich die Berechtigung des Anspruchs nach Auffassung des Senats bei verständiger Auslegung dieser Vertragsbestimmung schon im Hinblick darauf, dass jedenfalls - möglich unabhängig von einem Krankheitsfall , aber auch im Hinblick auf eine Krankheit - hier ein Fall einer "sonstigen unverschuldeten Verhinderung" gegeben ist. Davon geht der Senat aus, nachdem zwei ärztliche Atteste erteilt wurden, welche zunächst kurzfristig Rückenschmerzen, anschließend durchgängig aber eine Depression des Klägers und seine daraus folgende langanhaltende - sogar deutlich über das Vertragsende hinaus andauernde - Arbeitsunfähigkeit bestätigt haben. Die Grundlagen der Atteste sind durch die schriftlichen Zeugenaussagen beider behandelnder Ärzte in ausreichender Weise bestätigt, und die Beweisaufnahme ist vom Landgericht zutreffend gewürdigt worden. Zumindest kann dem Kläger insoweit jedenfalls kein Verschulden angelastet werden, wenn er den Attesten folgend selbst von seiner Arbeitsunfähigkeit ausgegangen ist. Deshalb kommt es nach Auffassung des Senats entscheidungserheblich nicht darauf an, ob durch eine ergänzende Beweisaufnahme noch geklärt werden kann, ob der Kläger in der fraglichen Zeit tatsächlich krank war, weil er in diesem konkreten Fall berechtigterweise selbst davon ausgehen durfte. Das reicht nach der Vertragsgestaltung aus. Deshalb kommt es auch nicht mehr darauf an, dass der Kläger nunmehr in 2. Instanz seine Ärzte vollständig von der Verschwiegenheit entbunden hat.

Hinsichtlich der Höhe des Gehalts ist in ... erster Instanz, was das Landgericht im angefochtenen Urteil zutreffend erkannt hat, kein anzurechnendes Krankengeld erhalten, so dass der Anspruch ungekürzt berechtigt ist.

2.) Auch der Anspruch des Klägers auf Ersatz von PkwBetriebskosten ist ... begründet. ...

3.) Der Kläger hat ferner Anspruch auf anteilige Zahlung des 13. Monatsgehalts ...

4.) Dem Kläger steht zudem ein Urlaubsabgeltungsanspruch zu ...

...

5.) Der Anspruch des Klägers auf die Jahrestantieme ... ist ebenfalls begründet.

...

Ende der Entscheidung

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