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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 31.01.2001
Aktenzeichen: 2 U 274/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 767 Abs. 1
1. Es erscheint zweifelhaft, ob eine Klage nach § 767 Abs. 1 ZPO mit dem Antrag, die Vollstreckung aus einem Titel über zukünftige monatliche Rentenleistungen für die Zeit "bis zum Abschluß der Nachprüfung der Berufsunfähigkeit" für unzulässig zu erklären, zulässig ist.

2. Im Nachprüfungsverfahren nach rechtskräftiger gerichtlicher Feststellung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit kommt es nur auf Umstände an, die nach der letzten mündlichen Verhandlung eingetreten sind. Ein Auskunftsverlangen nur über bis dahin bereits im Lauf des Rechtsstreits eingetretene Umstände ist nicht sachgerecht mit der Folge, daß der Versicherer nicht leistungsfrei werden kann, wenn der VN die verlangte Auskunft verweigert.


Urteil

Im Namen des Volkes !

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 31. Januar 2001 durch die Richter für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 12. Oktober 2000 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für den zweiten Rechtszug und der Wert der Beschwer der Klägerin betragen 30.000, DM.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dagegen bringt die Berufung nichts Erhebliches vor.

1. Es kann dahinstehen, ob die Klage nach § 767 Abs. 1 ZPO mit dem Antrag, die Vollstreckung nur für einen nicht nachvollziehbar zu bestimmenden Zeitraum - nämlich "bis zum Abschluß der Nachprüfung der Berufsunfähigkeit" - für unzulässig zu erklären, überhaupt hinreichend bestimmt und damit zulässig ist. Nichts anderes gilt für die Frage, ob die Voraussetzungen des § 767 Abs. 2 ZPO dargetan sind. Denn jedenfalls ist die - vom Landgericht als zulässig erachtete - Klage nicht begründet, weil für ein Nachprüfungsverfahren des Inhalts, wie es die Klägerin im Sinn hat, aus materiellrechtlichen Gründen, nämlich gemäß § 13 ihrer maßgeblichen "Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung (ER 3195)" kein Raum ist. Es ist daher durch die Weigerung des Beklagten im Anwaltsschreiben vom 15.05.2000, dem Schreiben der Klägerin vom 17.04.2000 zu entsprechen, auch keine Leistungsfreiheit der Klägerin für die Zukunft nach § 14 der Bedingungen eingetreten.

2. Die unter Nr. 2 der Berufungsbegründung angestellten Erwägungen versteht der Senat dahin, daß die Klägerin Bedenken hat, ob ihre nunmehr als maßgeblich bezeichneten Bedingungen identisch sind mit denen, die Grundlage des Senatsurteils vom 28.10.1998 waren. Derartige Bedenken sind nicht begründet: Die Berufung bezeichnet den Bedingungstext als einschlägig, der am linken unteren Seitenrand die "Druckkennung 1/1.95" trägt. Exakt diese Druckkennung findet sich auch auf dem Abdruck der Bedingungen, die Gegenstand des Vorprozesses waren. Im übrigen hat der Senat die in den beiden Rechtsstreitigkeiten vorgelegten Textwerke überprüft und festgestellt, daß sie in den hier interessierenden Teilen auch inhaltlich identisch sind.

3. Nach § 13 Nr. 1 der Bedingungen ist die Klägerin u.a. berechtigt, "nach Anerkennung oder Feststellung" ihrer Leistungspflicht das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihren Grad nachzuprüfen; dabei kann sie "erneut prüfen, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 Absatz 1 ausüben kann, wobei neu erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse zu berücksichtigen sind." Nach § 13 Nr. 2 kann sie "zur Nachprüfung ... jederzeit sachdienliche Auskünfte ... verlangen," und nach § 14 ist sie bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Nichterfüllung einer in § 13 geregelten Mitwirkungspflicht leistungsfrei.

Insoweit ist hier beachtlich und folgt daraus für die Entscheidung:

a) Mit Schreiben vom 17.4.2000 hat die Klägerin von dem Beklagten folgende Informationen und Unterlagen verlangt:

1. Den Umschulungsbescheid.

2. Den Lehrplan der Umschulungsmaßnahme mit der Angabe der einzelnen Fächer und dem zeitlichen Bezug auf den Studiengang bei der Technikerschule Northeim.

3. Das AbschlussZeugnis zum Metallbautechniker aufgrund der Umschulung.

4. Den Anstellungsvertrag.

5. Die Gehaltsabrechnungen für Januar, Februar und März 2000 mit der genauen Anschrift Ihres Arbeitgebers.

6. Den Tätigkeitsnachweis.

b) Das so formulierte Auskunftsverlangen war insgesamt nicht sachdienlich im Sinn von § 13 Nr. 2 der Bedingungen, so daß die Weigerung des Beklagten, diesem Verlangen zu entsprechen, nicht zur Leistungsfreiheit nach § 14 führen konnte. Denn durch das Schreiben vom 17.04.2000 hatte die Klägerin letztlich nur Auskunft über die im Lauf des Vorprozesses abgeschlossene Umschulung des Klägers und damit über Umstände verlangt, die den Zeitraum vor der letzten mündlichen Verhandlung am 28.10.1998 im Vorprozeß betrafen, der durch rechtskräftiges Urteil vom selben Tage abgeschlossen worden war. Auf solche Umstände durfte sie aber ihr Nachprüfungsverlangen nach § 13 ihrer Bedingungen nicht - mehr - erstrecken.

c) Für die Auslegung von Versicherungsbedingungen ist entscheidend die Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, der die Bedingungen aufmerksam liest und verständig - unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs - würdigt (PrölssMartin, VVG, 26. Aufl., Vorbem. III, Rdn. 2, m.w.N.).

Davon ausgehend kann nach Auffassung des Senats ein unbefangener Versicherungsnehmer den Eingangssatz in § 13 Nr. 1 der Bedingungen: "Nach Anerkennung oder Feststellung unserer Leistungspflicht sind wir berechtigt, ..." nicht anders verstehen, als daß im Gesundheitszustand des Versicherten tatsächlich neue Änderungen gegenüber dem Anerkennungs oder Feststellungszeitpunkt eingetreten sein müssen (so auch BenkelHirschberg, Berufsunfähigkeits und Lebensversicherung, § 7 BUZ, Rdn. 12, 13).

Nichts anderes gilt, soweit nach Satz 2 dieser Bestimmung "neu erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse zu berücksichtigen sind." Mangels einer anderen normierten Anknüpfungszeit kann ein verständiger, unbefangener Leser auch das entsprechend dem Sinnzusammenhang nicht anders verstehen, als daß die erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse "neu" gegenüber dem Zeitpunkt der Anerkennung durch den Versicherer oder der gerichtlichen Feststellung bei Meinungsverschiedenheiten sein müssen.

Danach kann die Klägerin den Beklagten im Nachprüfungsverfahren nicht mehr auf seine unstreitig vor dem 28.10.1998 beendete Umschulung und die dadurch erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse verweisen. Allein auf diese Umstände zielten aber die Fragen 1 - 6 des Schreibens vom 17.04.2000, so daß sie nicht sachdienlich im Sinn von § 13 Nr. 2 der Bedingungen waren. Nichts anderes gilt, soweit die Klägerin im Schlußsatz jenes Schreibens auf den Gesundheitszustand des Beklagten für die Zeit ab 12.06.1997 abgehoben hatte. Dieser konnte sie allenfalls für die Zeit nach dem 28.10.1998 interessieren, und danach hätte sie nach der anwaltlichen Stellungnahme des Beklagten gemäß Schreiben vom 15.05.2000 gegebenenfalls neu gezielt fragen müssen. In der Fassung des Schreibens vom 17.04.2000 war die Gesundheitsfrage ebenfalls nicht sachdienlich im Sinn von § 13 Nr. 2 der Bedingungen.

d) Entgegen der Auffassung der Berufung ist diese Lösung auch nicht unbillig. Sie bedingt zwar (siehe auch BenkelHirschberg, a.a.O., Rdn. 10), daß ein Versicherer, der im Zeitpunkt seines Leistungsanerkenntnisses (oder der gerichtlichen Feststellung) bereits die Verweisung des Versicherten auf eine andere Tätigkeit hätte prüfen und aussprechen können, dies aber nicht getan hat, nicht mehr berechtigt ist, im Nachprüfungsverfahren den Versicherten auf einen Vergleichsberuf zu verweisen, der schon im Zeitpunkt des Leistungsanerkenntnisses (oder der Feststellung) in Betracht kam. Dieser Folge ist aber der Versicherer nicht schutzlos ausgeliefert, und sie beruht vorliegend auch nur auf einem falschen prozeßtaktischen Verhalten der jetzigen Klägerin im Vorprozeß. Sie hätte die Berufsunfähigkeit des damaligen Klägers in seinem zuletzt ausgeübten Beruf als Schlosser anerkennen und nach Beendigung der - ihr bekannten - Umschulung (zwischen den Instanzen des Vorprozesses) zugleich das Nachprüfungsverfahren einleiten können. Dann wären ihr die nunmehr eingetretenen Nachteile nicht entstanden.

4. Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 und 546 Abs. 1 und 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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