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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 22.09.2004
Aktenzeichen: 3 U 80/04
Rechtsgebiete: VVG, AKB


Vorschriften:

VVG § 62
VVG § 63
AKB § 12 (1) Id
Weicht ein teilkaskoversicherter Versicherungsnehmer mit seinem Fahrzeug einem plötzlich auftauchenden Reh aus, so kann der Ersatz von Rettungskosten weder mit der Begründung versagt werden, der Versicherungsnehmer habe nicht planvoll gehandelt, sondern lediglich reflexhaft, d.h. unwillkürlich-automatisch, reagiert, noch mit der Erwägung, die Vermeidung von Schäden am versicherten Fahrzeug stelle im Verhältnis zur Vermeidung von Personenschäden stets ein nachrangig zurücktretendes Nebeninteresse dar, dessen Rettung nur als Reflexwirkung der Rettung des Hauptinteresses angesehen werden könne.
Oberlandesgericht Oldenburg Urteil Im Namen des Volkes

3 U 80/04

Verkündet am 22.09.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... , den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 26. Mai 2004 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger hat bei der Beklagten einen PKW Audi A3 teilkaskoversichert. Wirtschaftlicher Eigentümer ist sein Sohn, der Zeuge T ... . Dieser befuhr mit dem Fahrzeug am 27. November 2003 gegen 18.00 Uhr die durch ein Waldgebiet verlaufende Landstraße von Dalum in Richtung Füchtenfeld. Kurz vor Füchtenfeld kam der Wagen nach rechts von der Fahrbahn ab und prallte frontal gegen einen Baum.

Der Kläger hat behauptet, sein Sohn sei mit einer Geschwindigkeit von ca. 60 km/h gefahren, als plötzlich von links kommend ein Reh auf die Straße gelaufen sei. Sein Sohn habe, um dem Reh auszuweichen, zunächst nach links und dann wieder nach rechts gelenkt, wobei er das Reh noch berührt habe. Anschließend habe er die Gewalt über sein Fahrzeug verloren.

Mit seiner Klage hat der Kläger den am PKW entstandenen Sachschaden von 9.743,91 € abzüglich eines Abzugs "neu für alt" von 141,15 € und der vereinbarten Selbstbeteilung von 150 €, mithin 9.452,76 € geltend gemacht.

Die Beklagte hat bestritten, dass überhaupt ein Reh auf der Straße war. Selbst wenn dem so gewesen sein sollte, fehle es an einer Einstandspflicht aus § 12 (1) I d) AKB (Stand 1. Oktober 2002), weil es nicht zu einem Zusammenstoß mit dem Reh gekommen sei. Bei den vom Sachverständigen D ... rechtsseitig am PKW im Bereich der vorderen Beleuchtung festgestellten Haarresten handele es sich nach den Feststellungen des von ihr beauftragten Sachverständigen für Wildschadensregulierung W ... nicht um Haare von Rot, Dam, Schwarz oder Rehwild. Im übrigen habe der Sohn des Klägers selbst am Unfallort gegenüber der Polizei angegeben, dass das Reh vom PKW nicht erfasst worden sei. Ein Ersatz des Schadens als Rettungskosten nach §§ 62, 63 VVG komme ebenfalls nicht in Betracht. In Anbetracht dessen, dass dem Sohn des Klägers nur Bruchteile einer Sekunde zum Reagieren zur Verfügung gestanden hätten, habe es sich nicht um ein geplantes Rettungsmanöver, sondern lediglich um eine Reflexhandlung gehandelt, für deren Folgen sie nicht einzustehen habe.

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 9.302,73 € nebst Zinsen stattgegeben.

Mit ihrer gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung rügt die Beklagte die Beweiswürdigung des Landgerichts und beantragt, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

I. Zwar ergibt sich kein Anspruch aus § 12 (1) I d AKB, weil der Kläger nicht bewiesen hat, dass der Schaden durch einen Zusammenstoß des Fahrzeugs mit einem Tier verursacht worden ist. Dem Kläger steht aber ein Anspruch auf Ersatz der sogenannten Rettungskosten aus §§ 62, 63 VVG zu.

1. Der Zeuge T ... hat bekundet, er sei am Vorfallstage gegen 18.00 Uhr bei Dunkelheit mit dem Fahrzeug von Dalum in Richtung Füchtenfeld gefahren. Die Straße sei nass gewesen. Geregnet habe es aber nicht mehr. Etwa 200 m - 300 m vor dem Kreisverkehr am Ortseingang von Füchtenfeld habe er plötzlich unmittelbar vor sich, d.h. ca. 20 - 30 m entfernt, ein Reh auf seiner Fahrbahnseite stehen sehen. Zu diesem Zeitpunkt habe er wegen des Kreisverkehrs seine Geschwindigkeit bereits auf ca. 60 km/h herabgesetzt gehabt. Um einen Zusammenstoß mit dem Reh zu vermeiden, habe er den Wagen zunächst nach links und anschließend wieder nach rechts gelenkt. Er habe so um das Tier herumfahren wollen. Beim Gegenlenken habe er dann allerdings auf der nassen Straße die Gewalt über das Fahrzeug verloren und sei rechts gegen einen Straßenbaum geprallt. Das Reh sei nach rechts in den Wald gelaufen. Er habe keinen Zusammenstoß mit dem Tier bemerkt und dies auch am Unfallort der Polizei erklärt. Nachdem dann am nächsten Tag der Sachverständige D ... am rechten Scheinwerfer Haare sichergestellt hatte, die von einem Reh hätten stammen können, sei er zu der Überzeugung gekommen, dass er das Reh wohl doch gestreift haben müsse, ohne dass er dies in der Hektik des Augenblicks bemerkt habe. Dementsprechend habe er dem Versicherungsagenten, der die Schadensmeldung ausgefüllt habe, dann auch erklärt, dass er das Tier noch berührt habe. Soweit es zu Zif. 12 der Schadensmeldung heiße, das Tier sei beim ersten Erkennen ca. 2 m entfernt gewesen, treffe dies nicht zu. Er habe dem Versicherungsagenten gesagt, das Reh sei beim ersten Erkennen unmittelbar vor ihm gewesen und er habe damit eine Entfernung von ca. 20 m gemeint, ohne aber Zahlen zu nennen. Der Versicherungsagent habe dies offensichtlich anders interpretiert und dann von sich aus 2 m eingetragen.

Diese Aussage ist zur Überzeugung des Senats glaubhaft. Der Senat verkennt nicht, dass der Zeuge als Fahrer und wirtschaftlicher Eigentümer des Unfallfahrzeugs ein massives Interesse am Ausgang des Verfahrens hat. Er hat jedoch den Unfallhergang und auch das Zustandekommen der späteren widersprüchlichen Unfalldarstellungen nachvollziehbar geschildert. Durchgreifende konkrete Anhaltspunkte, die auf eine Falschaussage hindeuten könnten, sind nicht zutage getreten.

2. Somit steht fest, dass der Zeuge T... dem Reh ausgewichen ist, um unter anderem drohende Schäden am versicherten Fahrzeug zu vermeiden.

Dass er vielleicht nicht planend gehandelt, sondern nur reflexhaft, d.h. unwillkürlichautomatisch, auf das Auftauchen des Rehs reagiert hat, steht einer Einstandspflicht der Beklagten nicht entgegen. Es ist ausreichend, dass die Rettungsmaßnahme objektiv dem Zweck dient, den Schaden abzuwenden. Ist dies, wie hier, der Fall, so kommt es nicht darauf an, ob dieser Erfolg auch subjektiv bezweckt war (BGH VersR 1994, 1181; Römer in Römer/Langheid, VVG, 2. Auflage, § 63 Rn. 5).

Ebenso wenig handelt es sich bei der beabsichtigten Abwendung des versicherten Schadens am Fahrzeug nur um eine Reflexwirkung der Abwendung des drohenden Schadens an Leib und Leben. Die Entscheidung des BGH vom 13.07.1994 - Az. IV ZR 250/93 - (VersR 1994, 1181) steht nicht entgegen. In jenem Fall war der Versicherungsnehmer, dem in einer Kurve plötzlich ein auf seiner Fahrbahn fahrender PKW entgegenkam, zur Vermeidung eines Frontalzusammenstoßes ausgewichen und dabei von der Straße abgekommen. Der BGH hat seinerzeit einen Anspruch auf Erstattung von Rettungskosten versagt. Der VN sei dem entgegenkommenden Fahrzeug vor allem deshalb ausgewichen, weil er sich selbst vor Schaden an Leib und Leben bewahren wollte. Diesem Hauptziel gegenüber stelle die damit notwendig verbundene Rettung der versicherten Fahrzeugverglasung im Werte von ca. 1.500 DM ein so geringfügiges Nebeninteresse dar, dass dessen Rettung nur als Reflexwirkung angesehen werden könne. So liegt der zu entscheidende Fall jedoch nicht. Bei einem Zusammenstoß eines PKW mit einem Tier besteht, anders als bei einem drohenden Frontalzusammenstoß zweier Fahrzeuge, keineswegs stets die Gefahr ernsthafter Verletzungen oder gar Lebensgefahr, wohl aber muss mit erheblichen Schäden am insgesamt versicherten Fahrzeug gerechnet werden. Es verbietet sich daher, den Ersatz von Aufwendungen für fehlgeschlagene Maßnahmen zur Vermeidung eines Tierschadens von vorneherein stets deshalb zu versagen, weil es sich nur um ein als nachrangig zurücktretendes Nebenziel im Verhältnis zur als Hauptziel anzusehenden Abwendung des Personenschadens handele. Eine solche Wertung kommt nach Auffassung des Senats vielmehr im Regelfall - so auch hier - nicht in Betracht.

3. Der Zeuge T... durfte das Ausweichmanöver auch den Umständen nach für geboten halten. Dass der beabsichtigte Erfolg der Rettungsmaßnahme letztlich nicht eingetreten ist, ist ohne Belang. Anhaltspunkte, die auf grobe Fahrlässigkeit hindeuten könnten, sind angesichts der Kürze der dem Zeugen für eine Reaktion zur Verfügung stehenden Zeit und der durch die Nässe der Fahrbahn bedingten Erschwernisse nicht erkennbar.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.



Ende der Entscheidung

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