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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 09.07.2008
Aktenzeichen: 5 U 32/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 249
BGB § 253 Abs. 1
BGB § 253 Abs. 2
BGB § 278
BGB § 287
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 831 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT OLDENBURG Im Namen des Volkes Urteil

5 U 32/08

Verkündet am 9. Juli 2008

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Landgericht ... auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2008 für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 23.01.2008 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000, € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 13.12.2006 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen materiellen und weiteren immateriellen Schaden aus der Operation vom 24.06.2003 zu erstatten. materiellen Schaden, soweit dieser nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist oder noch übergehen wird.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten werden zurückgewiesen.

III. Die erstinstanzlichen Kosten haben die Klägerin zu 1/7 und die Beklagte zu 6/7 zu tragen. Die Kosten der Berufungsinstanz fallen der Klägerin zu 1/6 und der Beklagten zu 5/6 zur Last.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

A.

Die Klägerin nimmt die Beklagte nach einer Operation vom 24.06.2003 im Klinikum O... - dessen Trägerin die Beklagte ist - auf Schmerzensgeld und Feststellung einer Ersatzpflicht für materielle und zukünftige immaterielle Schäden in Anspruch.

Die Klägerin befand sich im Jahr 2003 in ambulanter Behandlung des Radiologen Dr. J... in O..., der bei der Klägerin eine regelmäßige Mammographiekontrolle durchführte. Anlässlich einer Mammographie am 11.06.2003 diagnostizierte Dr. J... im Vergleich zu den Voruntersuchungen 1999 und 2001 eine deutliche zahlenmäßige Progredienz punktförmiger Microcalcifikationen in der linken Brust. Auf den Mammographieaufnahmen wurde eine Ansammlung von ca. 15 derartiger Microcalcifikationen auf einem eng umschriebenen Raum sichtbar. Aufgrund dieses Befundes empfahl Dr. J... der Klägerin die operative Entfernung des Kalkherdes.

Die Klägerin stellte sich daraufhin im Klinikum der Beklagten vor und wurde dort am 23.06.2003 stationär aufgenommen. Die Operation zur Entfernung des suspekten Kalkherdes wurde am 24.6.2003 durchgeführt. Vor dem chirurgischen Eingriff wurde zunächst unter Röntgenkontrolle das Mikrokalkareal mittels einer Feinnadelmarkierung markiert. Das anschließend vom Operateur entnommene Gewebe wurde noch intraoperativ in der Röntgen und Strahlenklinik der Beklagten radiologisch untersucht. Von dort wurde als Ergebnis mitgeteilt, der Kalkherd sei im OP-Präparat "ganz am Rand" enthalten. Daraufhin entnahm der Operateur bei der Klägerin noch ein Nachresektat medial, welches allerdings keiner radiologischen Untersuchung mehr unterzogen wurde. Die Klägerin konnte am 28.06.2003 aus stationärer Behandlung entlassen werden.

Am 23.12.2003 führte Dr. J... bei der Klägerin erneut eine Mammographiekontrolle der linken Brust durch. Hierbei erhob er wiederum den Befund eines Kalkareals mit circa 15 vorwiegend punktförmigen Microcalcifikationen und empfahl der Klägerin eine erneute Entfernung des gruppierten Mikrokalkes. In einem Bericht an die Gynäkologin der Klägerin vom 23.12.2003 heißt es hierzu, im Vergleich zur Voruntersuchung komme

"die vorbeschriebene Gruppe von zirka 15 vorwiegend punktförmigen Microcalcifikationen links craniolateral trotz zwischenzeitlicher PE weiterhin zum Nachweis"

Außerdem diagnostizierte er einen weiterer Herdbefund an dieser Stelle im Umfang von 12 X 10 mm. Eine ultraschallgezielte Stanzbiopsie dieses Befundes ergab, dass in diesem Herd eindeutige Anteile eines invasivductalen Mammacarzinoms vorhanden waren.

Daraufhin begab sich die Klägerin vom 4.1.2004 bis zum 10.1.2004 erneut in stationäre Behandlung, dieses Mal in das F...hospital in G.... Dort wurde die Klägerin am 5.1.2004 operiert. Bei dieser Operation wurde der suspekte Mikrokalkherd zusammen mit einem invasivductalen Mammacarzinom mit einer Tumorgröße von 1 cm entfernt. Gleichzeitig wurde bei der Klägerin eine Lymphknotendissektion mit Entfernung von 20 Lymphknoten vorgenommen. Es schloss sich eine Strahlentherapie der linken Brust sowie eine medikamentöse Hormontherapie mit dem Medikament Tamoxifen an, die für die Dauer von 5 Jahren empfohlen wurde.

Die Klägerin hat behauptet, die im Juni 2003 durch Dr. J... festgestellte Kalkansammlung sei während der Operation bei der Beklagten aufgrund einer mangelhaften Nadelmarkierung vollständig verfehlt worden. Allein hierdurch sei es notwendig geworden, sich ein zweites Mal operieren zu lassen. Die Nadelspitzen seien 1,5 cm vom Rand der Microcalcifikationen gesetzt worden, wobei nach den Leitlinien ein Abstand von nur 10 mm vorgeschrieben sei. Aus diesem Grunde sei in überflüssiger Weise Brustgewebe entnommen worden. Dieses und die überflüssige Operation vom 05.01.2004 hätten zu einer deutlich sichtbaren Verkleinerung der Restbrust geführt.

Außerdem sei es zu einer fehlerhaften Auswertung der entnommenen Gewebsteile gekommen. Die Diagnose der Radiologin vom 24.06.2003, der Mikrokalk sei entfernt worden, sei objektiv falsch gewesen. Tatsächlich habe sich der gesamte Kalkherd auch nach der Operation vom 24.06.2003 weiterhin an Ort und Stelle in der linken Brust befunden. Aus diesem Grunde sei es anschließend zur Entstehung des Karzinoms gekommen, welche bei sorgfältiger Entfernung des Kalkherdes bereits im Juni 2003 hätte vermieden werden können. Außerdem habe bei vollständiger Entfernung des Mikrokalkes im Juni 2003 die Entfernung von 20 Lymphknoten, die Strahlentherapie der linken Restbrust sowie die Therapie mit dem Medikament Tamoxifen vermieden werden können. Dieses Medikament berge als Nebenwirkung das Risiko einer Entstehung von Gebärmutterkrebs.

Die Klägerin ist außerdem der Ansicht, das Nachresektat habe zwingend einer radiologischen Untersuchung unterzogen werden müssen. Nur so habe geklärt werden können, ob die Entfernung gelungen sei oder nicht.

Die Klägerin hat weiter behauptet, sie leide dauerhaft an einem Lymphstau und müsse zwei Mal wöchentlich zur Lymphdrainage. Die Bewegungsfähigkeit des linken Arms sei erheblich eingeschränkt, was ständige Krankengymnastik erfordere. Die durch den Lymphstau entstehenden Entzündungen müssten ständig mit Antibiotika behandelt werden.

Die Einnahme des Medikaments Tamoxifen führe dazu, dass die Klägerin unter typischen Wechseljahrenbeschwerden wie Hitzeschübe, Unruhe und depressive Verstimmungen leide. Sie sei - auch wegen der quälenden Ungewissheit, ob das Krebsgeschehen in Zukunft wieder auftrete - einmal wöchentlich in psychologischer Behandlung.

Es sei eine dauerhafte weitere Behandlung erforderlich und der Eintritt bisher noch nicht absehbarer Gesundheitsschäden möglich.

Die Klägerin hält ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 30.000, € für angemessen und hat beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen materiellen und weiteren immateriellen Schaden aus der fehlerhaften Brustoperation vom 24.06.2003 zu erstatten, materiellen Schaden, soweit dieser nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist bzw. übergehen wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, das nach der Operation am 24.6.2003 röntgendiagnostisch untersuchte Präparat habe gezeigt, dass der Mikrokalkherd randbildend enthalten gewesen sei. Selbst für den Fall, dass der Kalkherd verfehlt worden sei, könne die Entstehung des Karzinoms nicht auf einer Verzögerung der Entfernung des Kalkherdes um 6 Monate beruhen. Lediglich vorsorglich sei noch einmal ein Nachresektat entnommen worden. Die Nadelmarkierung sei fehlerfrei erfolgt, was auch für den Abstand der gesetzten Nadeln zum Rand des suspekten Herdes gelte.

Zum Feststellungsantrag ist die Beklagte der Ansicht, es bestehe kein Feststellungsinteresse, weil mit dem Eintritt weiterer Gesundheitsschäden nicht gerechnet werden müsse.

Nach Einholung eines gynäkologischen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Prof. N... (Bl. 43 - 57 d.A.), nach dessen Anhörung zu seinem Gutachten (Bl. 7173 d.A.) und nach anschließender Einholung eines radiologischen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Prof. F... (Bl. 76 - 82 d.A.) hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück der Klage bis zur Höhe eines Schmerzensgeldbetrages von 5000, € stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 103 - 112 d.A.) verwiesen.

Hiergegen wenden sich die Klägerin mit der Berufung und die Beklagte mit der Anschlussberufung.

Die Klägerin ist der Ansicht, das Landgericht habe ihrem Antrag entsprechen müssen, den Sachverständigen N... nach Vorlage des Gutachtens des Sachverständigen F... noch einmal anzuhören. Die gesamte Befragung des Sachverständigen N... am 05.09.2007 habe unberücksichtigt gelassen, dass sich aus dem zu dieser Zeit noch nicht vorliegenden Gutachten des Sachverständigen F... grobe Behandlungsfehler ergäben, was zu einer Beweislastumkehr zugunsten der Klägerin führe. Insoweit sei der Sachverständige N... stets unter dem Gesichtspunkt befragt worden, ob er Behandlungsfehler und daraus resultierende negative gesundheitliche Folgen positiv feststellen könne. Angesichts einer zu berücksichtigenden Beweislastumkehr sei jedoch allein maßgeblich, ob diese Folgen für die Klägerin auszuschließen seien, was die Beweisaufnahme jedenfalls nicht ergeben habe.

Außerdem ist die Klägerin der Ansicht, die Schmerzensgeldbemessung durch das Landgericht sei fehlerhaft. Es könne nicht allein darauf abgestellt werden, dass bei der Zweitoperation lediglich eine geringe Menge Gewebe entnommen worden sei. Vielmehr habe auch berücksichtigt werden müssen, dass die Klägerin wegen der Therapieverzögerung Angst vor der weiteren Entwicklung des Krebsgeschehens habe ausstehen müssen.

Die Zurückweisung des Feststellungsantrages sei fehlerhaft, weil aufgrund der von der Beklagten zu verantwortenden Therapieverzögerung gerade nicht ausgeschlossen werden könne, dass es zu weiteren Gesundheitsschäden komme

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des am 30.01.2008 verkündeten Urteils des Landgerichts Osnabrück die Beklagte entsprechend den erstinstanzlich gestellten Anträgen zu verurteilen.

Die Beklagte schließt sich der Berufung der Klägerin an und beantragt,

1. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und

2. das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Sie nimmt das Vorliegen von Behandlungsfehlern in Abrede und ist ebenfalls der Ansicht, der Sachverständige N... habe zu den Feststellungen des Sachverständigen F... ergänzend befragt werden müssen, weil dessen Gutachten erhebliche Zweifel aufwerfe. Es berücksichtige nicht hinreichend den medizinischen Standard zum Zeitpunkt der Operation und überspanne die Anforderungen an die intraoperative radiologische Befundung des entnommenen Gewebematerials. Von der Radiologin habe nicht erwartet werden können, dass diese den von ihr festgestellten Befund umfangreicher oder genauer beschreibe. Einen vollen Erfolg der Entfernung des Kalkherdes habe sie bereits deshalb nicht attestiert, weil sie auf die Randständigkeit des Herdes im OP-Präparat hingewiesen habe. Dass das Nachresektat nicht untersucht worden sei, sei bereits deshalb nicht zu beanstanden, weil die Klägerin ohnehin einer engmaschigen Nachkontrolle unterlegen habe und bereits Ende 2003 die nächste Mammographie durchgeführt worden sei. Die Auffassung des Sachverständigen F... sei auch deshalb zu revidieren, weil es immer schwierig sei, alle Kalkherde zu treffen und eine weitere Nachresektion eine für die Klägerin nicht zumutbare Gewebsentnahme bedeutet hätte.

Die Beklagte ist weiter der Ansicht, dass selbst bei Annahme einer Beweislastumkehr zugunsten der Klägerin diese nicht die Entstehung des Karzinoms erfasse, da es sich hierbei um einen Sekundärschaden handele. Es sei noch nicht einmal festgestellt, ob das Karzinom überhaupt aus dem betreffenden Kalkherd resultiere oder völlig unabhängig von dessen Entfernung entstanden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst deren Anlagen.

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch eine erneute Anhörung des Sachverständigen Prof. N... zu dessen Gutachten vom 05.06.2007. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift des Sitzungsprotokolls vom 18.06.2008 (Bl. 153 157 d.A.) verwiesen.

B.

Die zulässige Berufung ist überwiegend begründet, die zulässige Anschlussberufung dagegen unbegründet.

I. Der Klägerin steht gegen die Beklagte gemäß den §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 1, Abs. 2, 249 BGB ein Anspruch auf Schmerzensgeld und auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für alle zukünftigen immateriellen Schäden, soweit diese Schäden auf die fehlerhafte Behandlung der Klägerin vom 24.06.2003 zurückgehen, zu. Gleichzeitig war gemäß diesen Vorschriften und wegen schuldhafter Verletzung des zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossenen Behandlungsvertrages festzustellen, dass die Beklagte der Klägerin auf Ersatz sämtlicher materieller Schäden haftet, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind und ebenfalls auf der Behandlung vom 24.06.2003 beruhen.

1. Ob die Voraussetzungen eines Behandlungsfehlers vorliegen, weil der empfohlene Abstand von 10 mm zwischen dem Markierungsdraht und der Kalkgruppe bei der der Operation vorausgegangenen Nadelmarkierung überschritten und nach der Nadelmarkierung die exakte Lage des freigesetzten Markierungsdrahtes nicht mammographisch dokumentiert wurde, bedarf keiner Entscheidung, denn den bei der Beklagten tätigen Ärzten sind bei der Behandlung zumindest die folgenden groben Behandlungsfehler unterlaufen, die sich die Beklagte gemäß den § 278, 831 Abs. 1 BGB zurechnen lassen muss:

a. Bereits aus dem erstinstanzlich eingeholten Gutachten des Sachverständigen F... ergibt sich, dass das Präparateradiogramm der bei der Operation am 24.06.2003 entnommenen Gewebsteile grob fehlerhaft ausgewertet wurde. Der Sachverständige F... hat in seinem Gutachten, dem der Senat folgt, widerspruchsfrei und plausibel ausgeführt, die zu entfernende Gruppe der Kalkpartikel sei auf der Röntgenaufnahme des entfernten Gewebes definitiv nicht enthalten gewesen. Die Radiographie zeige insgesamt lediglich 2 Partikel, wie sie an anderer Stelle in der Brust solitär vorgelegen hätten. Jedenfalls sei der von der Radiologin Thedering als "randbildend" bezeichnete Mikrokalk eindeutig nicht repräsentativ für das zu entfernende Kalkareal. Die Verkennung dieses Umstandes hat der Sachverständige F... überzeugend als "völlig unverständlich" bezeichnet. Auch nach Auffassung des Senats ist der Radiologin ein fundamentaler, grober Diagnosefehler unterlaufen.

Die hiergegen erhobenen Einwände der Beklagten greifen nicht durch. Die Radiologin hat in ihrer intraoperativ an den Operateur weitergeleiteten Stellungnahme zum Befundergebnis klar zum Ausdruck gebracht, dass der betreffende Kalkherd - wenn auch nur am Rande der Gewebeprobe - enthalten gewesen sei und dem Operateur damit attestiert, das Ziel der Operation erreicht zu haben. Die Ergebnismitteilung war entgegen der Ansicht der Beklagten einer anderen Auslegung nicht zugänglich. Es hätte der Radiologin oblegen, etwaige Unsicherheiten über den Kontrollbefund deutlich zum Ausdruck zu bringen. Allein der Hinweis auf die Randständigkeit des Mikrokalkes lässt nach Überzeugung des Senats nicht die von der Beklagten vorgenommene Interpretation zu, ein uneingeschränkter Erfolg der Operation sei hiermit nicht zum Ausdruck gebracht worden, zumal eindeutig mitgeteilt wurde, der "Herd" sei im Präparat enthalten.

b. Nach dem Ergebnis der Begutachtung durch die Sachverständigen F... und N... liegt ein grober Befunderhebungsfehler zudem darin, dass der Operateur das anschließend genommene Nachresektat nicht ebenfalls einer radiologischen Untersuchung hat unterziehen lassen. Auch dieses Unterlassen hat der Sachverständige F... als "schwerwiegenden Mangel" bezeichnet. Der Sachverständige N... hat im Rahmen der ergänzenden Beweisaufnahme deutlich gemacht, der Verzicht auf die Nachkontrolle sei ein unverständlicher Fehler, weil hierdurch unklar geblieben sei, ob das Ziel einer vollständigen Entfernung des Kalkherdes erreicht worden sei. Es obliegt dem Operateur, für die Befundung des während einer Operation entnommenen Materials zu sorgen. Dies versäumt zu haben, stellt einen groben Verstoß gegen anerkannte Behandlungsgrundsätze dar (ebenso: OLG Düsseldorf, VersR 1986, 64).

Der Einwand der Beklagten, die Klägerin habe ohnehin weiteren Nachkontrollen unterlegen, greift nicht durch. Nach einhelliger Auffassung beider Gutachter war es medizinisch geboten, den suspekten Mikrokalk vollständig zu entfernen, und zwar damals und nicht etwa zu irgendeinem späteren Zeitpunkt, an dem vielleicht einmal, von wem auch immer, eine weitere Mammographie veranlasst werden würde (s. auch OLG Düsseldorf a.a.O.).

2. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass bei ordnungsgemäßem Vorgehen sowohl die zweite Operation als auch die Entfernung der Lymphknoten nicht erforderlich gewesen wären.

Die hier erwiesenen groben Behandlungsfehler, die geeignet waren, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art zu verursachen, führen zu einer Umkehr der Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen den Behandlungsfehlern und den Gesundheitsschäden (BGH VersR 2004, 909, Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rn. 515 mwN). Dabei stellen die von der Klägerin vorgetragenen Gesundheitsbeeinträchtigungen - entgegen der Ansicht der Beklagten in der Begründung der Anschlussberufung - Primärschäden dar, die von dieser Beweislastumkehr erfasst werden. Es handelt sich um Schäden, die als sogenannter erster Verletzungserfolg geltend gemacht werden, weil sie die unmittelbare Folge des Unterlassens gebotener Maßnahmen und der hiermit einhergehenden Therapieverzögerung sind (Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 2. Aufl. S. 615). Hiervon abgesehen wäre die Kausalität selbst bei Annahme von Sekundärschäden nach den geringeren Beweisanforderungen des § 287 ZPO zu bejahen.

Die Beklagte hat nicht bewiesen, dass auch bei ordnungsgemäßem Vorgehen die zweite Operation und die Entfernung der Lymphknoten erforderlich gewesen wären. Der Sachverständige N... hat überzeugend dargelegt, dass drei Varianten denkbar erscheinen, von den keine ausgeschlossen oder als äußerst unwahrscheinlich bezeichnet werden könnte: Handelte es sich zur Zeit der Erstoperation lediglich um einen Kalkherd und hat sich das Karzinom erst danach entwickelt, so wären die gleichen Folgen eingetreten, d.h. es wären Zweitoperation, Lymphknotenentfernung, Strahlen und Hormontherapie erforderlich gewesen. Handelte es sich zur Zeit der Erstoperation schon um ein Karzinom, so wäre die Zweitoperation entbehrlich, alle anderen Therapien aber erforderlich gewesen. Handelte es sich schließlich um ein Carcinoma in situ, so wären lediglich die Strahlen und Hormontherapie erforderlich gewesen. Der Zweitoperation hätte es hingegen nicht bedurft, weil es aufgrund der Entfernung des Carcinoma in situ nicht zur Entwicklung eines Karzinoms gekommen wäre. Mangels eines Karzinoms, das in die Lymphknoten streuen könnte, wäre auch deren Entfernung nicht erforderlich gewesen.

Die Beklagte hat danach nicht bewiesen, dass die - ihr günstigeren - ersten beiden Varianten vorgelegen haben. Vielmehr ist nach den Ausführungen des Sachverständigen sogar mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass von der letzten Fallgestaltung auszugehen ist.

II. Der Höhe nach hält der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände ein Schmerzensgeld von 25.000, € für angemessen. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes kommt es maßgeblich auf die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer und das Ausmaß der Wahrnehmungen der Beeinträchtigungen durch den Verletzten an.

Maßgebliches Gewicht kommt dabei dem Umstand zu, dass die Klägerin sich einer Lymphdrüsenentfernung unterziehen musste, die nach Bekundung des Sachverständigen N... auch in Zukunft zur Notwendigkeit einer Therapierung führt, die mit Nebenwirkungen verbunden ist.

Weiter war in Betracht zu ziehen, dass der Klägerin bei fehlerfreier Behandlung im Juni 2003 nicht nur eine weitere Operation, die hiermit einhergehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der hierdurch notwendig gewordene stationäre Krankenhausaufenthalt erspart geblieben, sondern auch die nicht unerhebliche Therapieverzögerung vermeidbar gewesen wäre. Dieses hat die Klägerin nach Überzeugung des Senats einer zusätzlichen psychischen Beeinträchtigung ausgesetzt, denn die vollständige Entfernung des suspekten Kalkherdes bereits im Juni 2003 hätte unabhängig von seinem Entwicklungsgrad in jedem Falle eine Behandlung in einem früheren Stadium und damit für die Klägerin eine geringere Krebsangst bedeutet.

Hinzu kommt, dass die Klägerin aufgrund der durch die zweite Operation verursachten Gewebeentfernung und damit einhergehenden Brustverkleinerung eine auch nach außen deutlich sichtbare und vor allem dauerhafte Beeinträchtigung hinnehmen muss, die bei fehlerfreier Behandlung geringer ausgefallen wäre.

Diese Umstände zusammen genommen rechtfertigen ein Schmerzensgeld in zuerkannter Höhe.

III. Der Feststellungsantrag ist ebenfalls begründet. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Feststellungsklage bei Verletzung von durch § 823 Abs. 1 BGB absolut geschützten Rechtsgütern bereits dann begründet, wenn aus der Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen. Eine Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist nicht erforderlich (BGH NJW 2001, 1431. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl., S. 311 m.w.N.). Hier liegt auf der Hand, dass der Klägerin infolge der weiteren Operation und insbesondere als Folge der Lymphdrüsenentfernung materielle Schäden bereits erwachsen sind oder noch erwachsen werden. Ebenso ist aus Sicht der Klägerin in Zukunft mit der Möglichkeit des Eintritts weiterer - bislang nicht absehbarer - immateriellen Schäden zu rechnen.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erfolgt auf der Grundlage der §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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