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Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 08.07.2008
Aktenzeichen: 5 W 41/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 485 Abs. 2
Die Behauptung, dass ein ärztlicher Behandlungsfehler vorliegt bzw. dass die Verletzung einer Person durch einen ärztlichen Behandlungsfehler verursacht worden ist, kann Gegenstand eines selbstständigen Beweisverfahrens sein.

Ein selbstständiges Beweisverfahren ist allerdings nur zulässig, wenn der Antragsteller unter Bezeichnung gewisser Anhaltspunkte die Behauptung eines ärztlichen Behandlungsfehlers aufstellt. Die schlichte Frage, ob ein Behandlungsfehler vorliegt, dient lediglich der Ausforschung und ist deshalb unzulässig.


Oberlandesgericht Oldenburg Beschluss

5 W 41/08

Oldenburg, 8. Juli 2008

In dem selbständigen Beweisverfahren

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... beschlossen:

Tenor:

I.) Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 28.5.2008 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert:

1.) Es soll Beweis erhoben werden über die folgenden Fragen / Behauptungen:

a. Ist bei dem Eingriff am 28.2.2005 die medizinisch gebotene Sorgfalt eingehalten worden, insbesondere was den Verlauf und die Lage der Bohrkanäle angeht?

b. Hat die falsche Lage des/der Bohrkanäle Auswirkungen auf die Stabilität des Knies? Sind die Beschwerden der Antragstellerin als durch die Lage der Bohrkanäle verursacht bzw. mitverursacht anzusehen? Wenn ja, in welchem Maße?

c. Hätte die Antragstellerin am Unfalltage 16.1.2005 bereits operativ versorgt werden müssen?

d. Welche Ursachen / Gründe liegen vor, dass die Antragstellerin immer noch nicht in der Lage ist, beschwerdefrei zu gehen?

e. Welche Maßnahmen sind erforderlich, damit das rechte Knie der Antragstellerin vollständig wiederhergestellt wird?

2.) Die Ärztekammer Hannover, Berliner Allee 20, 30175 Hannover, soll um die Benennung eines geeigneten Sachverständigen ersucht werden.

3.) Die Beauftragung des Sachverständigen ist davon abhängig, dass die Antragstellerin binnen zwei Wochen einen Auslagenvorschuss für den Sachverständigen in Höhe von 1.500,€ einzahlt.

4.) Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

II.) Die Beschwerdegebühr wird auf die Hälfte reduziert. Die Antragstellerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners zu 2.) zu tragen.

III.) Streitwert: 40.000,€

Gründe:

A.

Mit ihren Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens hat die Antragstellerin begehrt, ein schriftliches Sachverständigengutachten zu den Fragen einzuholen, ob die im Hause der Antragsgegnerin vorgenommenen Operationen lege artis durchgeführt worden sind, ob ein ärztlicher Kunstfehler vorliegt, ob sie - die Antragstellerin - bereits am Unfalltage, dem 16.1.2005, hätte operativ versorgt werden müssen , welche Ursachen dafür verantwortlich sind, dass sie nicht beschwerdefrei laufen kann, und welche Maßnahmen erforderlich sind, damit ihr rechtes Knie vollständig wiederhergestellt wird. Diese Beweisfragen hat sie mit Schriftsatz vom 6.5.2008 und 27.5.2008 ergänzt. Die 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg hat mit Beschluss vom 28.5.2008 den Antrag der Antragstellerin als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Klärung, ob die Behandlung im Hause der Antragsgegnerin den anerkannten Regeln ärztlicher Kunst entsprochen habe, könne nicht Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens sein. Im Übrigen dienten die Beweisfragen der Ausforschung, so dass diese ebenfalls unzulässig seien. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde.

B.

Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässig (vgl. Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 28.A., § 485 Rdnr. 3) und hat teilweise in der Sache Erfolg.

I.) Die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens lässt sich allerdings nicht aus § 485 Abs. 1 ZPO herleiten. Denn die Antragstellerin hat weder hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Verlust des Beweismittels zu besorgen ist, noch dass seine Benutzung erschwert ist. Soweit die Antragstellerin behauptet hat, dass eine weitere Knieoperation bevorsteht, rechtfertigt dies die Befürchtung von Beweisschwierigkeiten nicht. Abgesehen davon, dass unstreitig bereits Dr. P... eine Arthroskopie des Knies vorgenommen, dabei zur Schmerzlinderung Nerven durchtrennt und damit die Verhältnisse im Knie nach Abschluss der Behandlung durch die Antragsgegner verändert hat, kommt es für die Beurteilung der Frage, ob den Antragsgegnern Behandlungsfehler unterlaufen sind, maßgeblich auf die Auswertung der bereits vorliegenden Röntgen, MRT und CT-Aufnahmen und nicht auf eine persönliche Untersuchung der Klägerin an. Hinzu kommt, dass im Rahmen eines weiteren operativen Eingriffs durch den intraoperativ erhobenen Befund sogar zusätzliche Erkenntnisse bei der Beantwortung der Beweisfragen zu erwarten sind.

II.) Das von der Antragstellerin angestrengte selbständige Beweisverfahren ist hinsichtlich der in der Beschlussformel genannten Beweisfragen aber gemäß § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässig, weil die Antragstellerin das Verfahren nach eigenen Angaben auch betreibt, um einen Rechtsstreit mit den Antragsgegnern zu vermeiden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, kann bei Arzthaftungsansprüchen das rechtliche Interesse gemäß § 485 Abs. 2 ZPO an der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens nicht aus grundsätzlichen Erwägungen ohne Prüfung der Umstände des Einzelfalles verneint werden (Bundesgerichtshof NJW 2003, S. 1741, 1742). Im vorliegenden Fall ist ein Teil der von der Antragstellerin aufgeworfenen Fragen durchaus geeignet, ein rechtliches Interesse im Sinne von § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO zu begründen. Denn deren Beantwortung kann entweder der Antragstellerin Veranlassung geben, von einer Klageerhebung Abstand zu nehmen, oder der Antragsgegnerin, eine außergerichtliche Reglung der von der Antragstellerin erhobenen Forderungen herbeizuführen.

1.) Entgegen der Annahme des Landgerichts kann Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens die Klärung der Behauptung sein, dass ein ärztlicher Behandlungsfehler vorliegt bzw. dass die Verletzung einer Person durch einen ärztlichen Behandlungsfehler verursacht worden ist (vgl. Stein/JonasLeipold, ZPO, 22.A., § 485 Rdnr. 24. Oberlandesgericht Düsseldorf, NJW 2000, S. 3438, 3439. Oberlandesgericht Stuttgart, NJW 1999, S. 874, 875. Bockey, NJW 2003, S. 3453, 3454. Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, 3.A., Rdnr. 234. Mohr, MedR 1996, S. 454, 454). Die gegenteilige Auffassung (KG OLGR 2007, S. 539, 540. Oberlandesgericht Naumburg, OLGR 2006, S. 255, 255 f.. Musielak-Huber, ZPO, 6.A., § 485 Rdnr. 14) überzeugt nicht. Es trifft zwar zu, dass die Bewertung, ob ein Behandlungsfehler vorliegt, als Rechtsfrage nicht dem Sachverständigen, sondern dem Gericht vorbehalten ist. Auch bedarf die Feststellung eines für die Haftung des Arztes erforderlichen Verschuldens einer Wertung, die von der Ursächlichkeit im Sinne von § 485 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu trennen ist. Gleichwohl kann eine gerichtliche Entscheidung nicht ohne entsprechende sachverständige Feststellungen ergehen, die wiederum maßgeblich vom medizinischen Standard, der einen objektiven Charakter aufweist, bestimmt werden (vgl. Mohr, a.a.O., S. 455). Im Hinblick darauf lässt sich bei der Feststellung des Gesundheitsschadens und der hierfür maßgeblichen Gründe im selbständigen Beweisverfahren nicht selten erkennen, ob und in welcher Schwere ein Behandlungsfehler gegeben ist, auch wenn noch nicht alle für eine Haftung des Arztes notwendigen rechtlichen Fragen wie das Verschulden des Arztes und die Kausalität der Verletzung für den geltend gemachten Schaden geklärt sind (vgl. Bundesgerichtshof a.a.O.). Dementsprechend hat sich der Bundesgerichtshof nicht gehindert gesehen, ein rechtliches Interesse des Antragstellers an der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens für möglich zu halten, obwohl dessen Beweisfragen ebenfalls auf die Klärung der Frage abgezielt haben, ob eine Verletzung - nämlich eine Nervenverletzung - durch einen ärztlichen Behandlungsfehler herbeigeführt worden ist (darauf weist zu Recht Stein/JonasLeipold, a.a.O., hin).

2.) Danach ist dem Antrag der Antragstellerin in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang stattzugeben, da die darin bezeichneten Fragen der Feststellung der Ursache eines Personenschadens (§ 485 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) bzw. der des Aufwandes für die Beseitigung eines Personenschadens (§ 485 Abs. 2 Nr. 3 ZPO) dienen.

III.) Ein selbständiges Beweisverfahren ist jedoch unzulässig, soweit dieses allein der Ausforschung dient, um damit erst die Voraussetzungen für eine Klage zu schaffen (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 19.12.2005, 4 W 503/05. zitiert nach juris. Stein/Jonas-Leipold, a.a.O., § 485 Rdnr. 21. Thomas/Putzo-Reichold, a.a.O., § 487 Rdnr. 2. Zöller-Herget, a.a.O., § 487 Rdnr. 4). Mithin ist ein selbständiges Beweisverfahren in Arzthaftungsfällen nur zulässig, wenn der Antragsteller unter Bezeichnung gewisser Anhaltspunkte die Behauptung eines ärztlichen Behandlungsfehlers aufstellt und das selbständige Beweisverfahren der Klärung dieses behaupteten Behandlungsfehlers dient (Thüringer Oberlandesgericht a.a.O.). Daran fehlt es für die allgemein gehaltenen Fragen der Antragstellerin, ob die im Hause der Antragsgegnerin durchgeführten Operationen lege artis durchgeführt worden sind und ob ein ärztlicher Kunstfehler vorliegt. Soweit sie den Vorwurf eines Behandlungsfehlers hinreichend konkretisiert hat, sind die entsprechenden Behauptungen bereits Gegenstand der im Tenor unter Ziff. I.1a - I.1c) aufgeführten Beweisfragen.

IV.) An der Zulässigkeit der Beweisanträge fehlt es auch insoweit, als sich das Verfahren gegen den Antragsgegner zu 2.) richtet.

1.) Bei der Beweisfrage, ob die ärztliche Behandlung, die der Antragsgegner zu 2.) geführt hat, medizinisch einwandfrei gewesen ist, handelt es sich wiederum um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis.

2.) Die weiteren die Behandlungsmaßnahmen des Antragsgegners zu 2.) betreffenden Fragen begründen ein rechtliches Interesse der Antragstellerin im Sinne von § 485 Abs. 2 ZPO nicht. Denn die Beantwortung dieser Fragen ist nicht geeignet, einen Rechtsstreit der Parteien zu vermeiden.

a.) Soweit die Antragstellerin die Beantwortung der Frage begehrt, ob der Antragsgegner bereits am 17.1.2005 "medizinisch etwas hätte veranlassen müssen", erschließt sich dem Senat bereits der Sinn dieser Frage nicht. Selbst nach dem Vortrag der Antragstellerin hat der Antragsgegner zu 2.) nämlich an diesem Tag therapeutische Maßnahmen ergriffen, indem er das Knie der Antragstellerin punktiert hat. Darüber hinaus sind ausweislich der vom Antragsgegner vorgelegten Krankenunterlagen weitere ärztliche Maßnahmen zu verzeichnen gewesen wie z.B. die Überweisung der Antragstellerin an einen Facharzt für Radiologie. Im Hinblick darauf bleibt unklar, welche weiteren Erkenntnisse die Antragstellerin aus der Beantwortung dieser Beweisfrage zu ziehen gedenkt.

b.) Ähnliches gilt für die Frage der Antragstellerin, ob der Heilungsprozess ein anderer gewesen wäre, hätte der Antragsgegner zu 2.) sogleich am 17.1.2005 eine Operation veranlasst. Selbst wenn diese Frage bejaht würde, deutete das nämlich nicht auf ein die Haftung des Antragsgegners zu 2.) begründendes ärztliches Fehlverhalten hin.

C.

Die Entscheidung über die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens stützt sich auf Nr. 1812 KV GKG. Über die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegner war nur insoweit zu entscheiden, als der gegen den Antragsgegner zu 2.) gerichtete Antrag als unzulässig zurückgewiesen worden ist (vgl. dazu Thomas/Putzo-Reichold, a.a.O., § 494 Rdnr. 6. Zöller-Herget, a.a.O., § 91 Rdnr. 13 "Selbständiges Beweisverfahren").

Ende der Entscheidung

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