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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 07.09.2004
Aktenzeichen: 9 U 45/04
Rechtsgebiete: ZPO, EGV


Vorschriften:

ZPO § 110
EGV Art. 299
1) Bei Streit der Parteien über die Frage der Prozesskostensicherheit ist durch Zwischenurteil und nicht durch Beschluss zu entscheiden.

2) Eine Gesellschaft mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln ist nicht vom Erfordernis der Prozesskostensicherheit befreit, weil die sogenannten überseeischen Länder und Hoheitsgebiete im Sinne des Art 299 III EGV nicht der Europäischen Gemeinschaft angehören.


Oberlandesgericht Oldenburg Urteil Im Namen des Volkes

9 U 45/04

Verkündet am 07.09.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat auf die mündliche Verhandlung vom 23.08.2004 durch die Richter ... , ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Aurich vom 14.05.2004 aufgehoben:

Der Klägerin wird aufgegeben, bis zum 15.10. 2004 Prozesskostensicherheit in Höhe von 180.000 € zu leisten.

Im übrigen wird der Rechtsstreit an das Landgericht Aurich zurückverwiesen, das auch über die Kosten zu entscheiden hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft, die ihren Sitz auf den Britischen Jungferninselninseln hat. Sie war Eigentümerin der Motoryacht "..." und verlangt von der Beklagten als Verfrachterin Schadensersatz für den Verlust der Yacht bei Sturm auf hoher See anläßlich des Transports der Yacht von Frankreich zu den Niederländischen Antillen.

Die Beklagte erhob mit der Klageerwiderung die Einrede mangelnder Prozesskostensicherheit. Einen Monat, nachdem dieser Schriftsatz der Klägerin zugestellt worden war, ordnete das Landgericht im Beschlusswege an, dass die Klägerin Prozesskostensicherheit zu leisten habe. Auf diesen Beschluss hin erhob die Klägerin Gegenvorstellung, mit welcher sie geltend machte, zur Sicherheitsleistung nicht verpflichtet zu sein , und in der sie rügte, das Landgericht habe nicht durch Beschluss entscheiden dürfen.

Erst nach Ablauf der Frist reichte die Klägerin dann die Kopie einer englischsprachigen Garantie eines niederländischen Versicherers ein. Das Landgericht hat die Klage nach mündlicher Verhandlung zur Hauptsache wegen fehlender Sicherheit für zurückgenommen erklärt.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie meint, das Landgericht habe nicht durch Beschluss entscheiden dürfen; dieser sei nicht verbindlich gewesen. Die Klägerin müsse im übrigen keine Sicherheit leisten; die Britischen Jungferninseln gehörten zum Vereinigten Königreich von Großbritannien und teilten daher im Hinblick auf § 110 ZPO dessen Status, wie dies z. B. auch für die Kanalinsel Jersey gelte. Jedenfalls müßten die Britischen Jungferninseln nach dem EGV wie EUStaaten behandelt werden.

Im übrigen sei die geleistete Sicherheit hinreichend.

Sie beantragt,

das angefochtene Urteil vom 14.05.2004 des Landgerichts Aurich aufzuheben und die Sache an das Gericht des ersten Rechtzuges zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zu verwerfen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Landgericht hätte über die Prozesskostensicherheit durch Zwischenurteil entscheiden müssen.

Der Senat ist mit der wohl herrschenden Meinung der Ansicht, dass im Falle des Streits über die Frage der Prozesskostensicherheit gemäß § 303 ZPO durch Zwischenurteil zu entscheiden ist und nicht etwa durch Beschluss (Münchener Kommentar - Belz, ZPO, 2. Aufl., § 113 Rn.5 f; ZöllerHerget, ZPO, 24. Aufl., § 113 Rn.1, § 112 Rn.1; a.A. Bork in SteinJonas, 21. Aufl., § 112 Rn.2 ) und dass ein gleichwohl ergangener Beschluss keine Bindungswirkung erzeugt (ZöllerHerget § 112 Rn.1). Soweit Bork (SteinJonas a.aO.) meint, es könne durch Beschluss entschieden werden, weil Beschluss und Zwischenurteil gleichermaßen nicht anfechtbar seien, übergeht er den maßgeblichen Unterschied, dass nämlich § 303 ZPO im Falle eines prozessualen Zwischenstreits das Zwischenurteil als Entscheidungsform eines Zwischenstreits vorgibt. Dies ist auch nicht ohne sachlichen Grund, denn das Zwischenurteil entfaltet, anders als ein Beschluss, innerprozessuale Bindungswirkung (§ 318 ZPO).

Dass das Landgericht zum Zeitpunkt der Beschlussfassung annahm, die Frage der Prozesskostensicherheit sei zwischen den Parteien nicht umstritten, was nach Ansicht des Reichsgericht die Möglichkeit der Entscheidung durch Beschluss begründen soll (RGZ 104, 189 ), ändert daran nichts, denn der ergangene Beschluss hatte - anders als ein Zwischenurteil (§ 318 ZPO) keine Bindungswirkung. Das Landgericht hätte also, nachdem es erkannt hatte, dass es die Parteistandpunkte falsch eingeschätzt hatte, jedenfalls nunmehr, weil ein Zwischenstreit offenkundig wurde (§ 303 ZPO), über diese Frage mündlich verhandeln müssen.

Es ist auch davon auszugehen, dass die abweisende Endentscheidung auf diesem Verfahrensfehler beruht, denn die Klägerin hätte im Falle einer Auferlegung nach mündlicher Verhandlung eine hinreichende, dem § 108 I 2 ZPO entsprechende Sicherheit eingereicht. Zwar macht die Klägerin in der Berufungsbegründung auch geltend, die vorgelegte Garantie eines niederländischen Versicherers sei ausreichend. Es handelt sich insoweit jedoch um Hilfsvorbringen. Wie in der Berufungsverhandlung nochmals klargestellt, hätte die Klägerin, wenn sie infolge der mündlichen Verhandlung mehr Zeit zur Verfügung gehabt hätte, eine dem § 108 I 2 ZPO entsprechende Sicherheit beschafft.

Der Senat konnte in der Sache die entsprechende Zwischenentscheidung erlassen. Insoweit ist dem Landgericht in der Sache darin zuzustimmen, dass die Klägerin Prozesskostensicherheit schuldet.

Die Klägerin irrt, wenn sie meint, die Britischen Jungferninseln seien dem EUGebiet zugehörig, so dass sie nach § 110 I ZPO von der Pflicht zur Sicherheitsleistung befreit wäre. Die Britischen Jungferninseln gehören vielmehr gemäß Art 299 III EGV zu den assoziierten sogenannten überseeischen Ländern und Hoheitsgebieten, ÜLG (Art 182 ff EGV), die nicht der EG angehören und dieser gegenüber den Status von (privilegierten) Drittländern haben (Hecker in Lenz/ Borchardt, EU und EGVertrag, 3. Aufl. 2003, Art 182 Rn.2). Insoweit hilft der Klägerin auch die angeführte Entscheidung des BGH vom 01.07.2002, II ZR 380/00, nicht weiter, denn diese betrifft die Kanalinsel Jersey, die nicht zu den überseeischen Gebieten zählt, sondern deren Status sich abweichend nach Art 299 VI lit c) EGV richtet. Sofern die Klägerin schließlich für ihre Ansicht, die Britischen Jungferninseln seien von der Sicherheit gemäß § 110 I ZPO befreit, die Fundstelle bei Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (ZPO, 62. Aufl., § 110 Rn.11 "britische Überseegebiete") anführt, hält der Senat diese Ansicht in dieser Allgemeinheit aus den dargelegten Gründen (Art 299 III, Art 182 ff EGV) für nicht zutreffend.

Auch aus dem Status der Britischen Jungferninseln als überseeisches Gebiet im Sinne der Art 182 ff EGV folgt nicht, dass die Klägerin vom Erfordernis des § 110 ZPO befreit wäre.

Die Klägerin führt zwar in diesem Zusammenhang weiter aus, Art 183 EGV verpflichte die EUStaaten, die assoziierten überseeischen Länder und Hoheitsgebiete wie EUStaaten zu behandeln, was in Anwendung des allgemeinen Diskriminierungsverbotes dazu führen müsse, dass die Klägerin keine Sicherheit zu leisten brauche. Dabei übersieht die Klägerin aber, dass Art 183 Nr.1 EGV lediglich den (hier nicht einschlägigen) Warenhandel betrifft und nicht etwa das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 12 EGV allgemein im Verhältnis EUStaat zu ÜLG für anwendbar erklärt.

Vergleichbares gilt für Art 183 Nr.5 EGV, der lediglich Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit betrifft und über Art 45 II des Ratsbeschlusses vom 27.11. 2001 über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Gemeinschaft (ABl EG L 314/1) lediglich Diskriminierungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen nach Maßgabe des GATS (General Agreement on Trade in Services, dort Art II) untersagt, nicht aber das allgemeine Diskriminierungsverbot des EGV für anwendbar erklärte; Nr.16 der Gründe des Ratsbeschlusses stellt in diesem Zusammenhang im übrigen ausdrücklich klar, dass den assoziierten ÜLG keine weiteren als die im Beschluss benannten Rechte eingeräumt werden sollen.

Da aber die Dienstleistungsfreiheit durch § 110 ZPO in der vorliegenden Konstellation nicht berührt wird - § 110 ZPO macht die Leistung der Prozesskostensicherheit ja nicht davon abhängig, ob ein ausländischer Rechtsanwalt am Rechtsstreit beteiligt ist, hilft auch Art 183 Nr.5 EGV der Klägerin nicht weiter.

Wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang meint, der EuGH habe in der Vergangenheit den § 110 ZPO in seiner alten Fassung immer auch als Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit begriffen, irrt sie. Die Klägerin meint, nach der Rechtsprechung des EuGH sei die Dienstleistungsfreiheit bereits berührt, wenn es zu Diskriminierungen in einem Prozess komme, der seinen Anlass in einer grenzüberschreitenden Dienstleistung habe. Dies trifft indessen nicht zu. Der EuGH hat das vormalige Erfordernis der Prozesskostensicherheit von EUAusländern regelmäßig als verbotene Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit eingeordnet (vgl. nur EuGH, Urt v. 02.10.1997 - Rs C122/96 NJW 1997, 3299; Urt v. 26.09.1996 - Rs C43/95; Urt v. 20.03.1997, Rs C323/95). Etwas anderes gilt nur für den von der Klägerin angeführten Fall "... ./. ... " (Urt v. 01.07.1993 - Rs C20/92 NJW 1993, 2431), in dem der EuGH auch eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit durch § 110 ZPO angenommen hat; indessen klagte dort ein britischer "solicitor" als Testamentsvollstrecker auf Zahlung an den Nachlass; die Prozesskostensicherheit beschränkte die Dienstleistungsfreiheit des britischen Rechtsanwaltes in seiner Tätigkeit als "executor" (vgl. Bork/SchmidtParzefall JZ 1994, 18, 19). Das hat nichts mit der hier zu beurteilenden Konstellation gemein.

Wollte man im übrigen der weitgehenden Auslegung der Klägerin folgen, müsste man konsequenterweise allen Vertragsstaaten des GATS vor deutschen Gerichten Befreiung vom Erfordernis des § 110 ZPO gewähren (vgl. Art II GATS). Dies wird, soweit ersichtlich, nicht vertreten.

Damit hat die Klägerin grundsätzlich Prozesskostensicherheit zu leisten.

Ende der Entscheidung

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