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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 15.08.2006
Aktenzeichen: Ss 247/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 260 Abs. 3
StPO § 264
StPO § 407 Abs. 1 S. 4
Wird die öffentliche Klage durch Strafbefehl erhoben und wird nach Einspruch ein in dem Strafbefehl nicht angegebenes Tun des Angeklagten abgeurteilt, so ist das Verfahren vom Revisionsgericht wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen; ein Freispruch kann nicht erfolgen.
Oberlandesgericht Oldenburg 1. Strafsenat Beschluss

Ss 247/06 (I 80)

In der Strafsache

gegen Herrn K...,

geboren am ... 1944 in O..., wohnhaft O...

wegen versuchter Strafvereitelung,

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 15. August 2006 durch die unterzeichnenden Richter nach § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten werden die Urteile des Landgerichts Oldenburg vom 9. Mai 2006 und des Amtsgerichts Oldenburg vom 23. Januar 2006 aufgehoben und das Verfahren eingestellt.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Gründe:

Nach den Urteilsfeststellungen stand Frau B., eine Angestellte im Betrieb des Angeklagten, im Jahre 2004 in Verdacht, sich durch eine Straftat in den Besitz u.a. einer Aufschnittmaschine versetzt zu haben. Inzwischen ist sie deshalb bestraft worden. Aufgrund des Verdachtes gegen Frau B. wurde zur Auffindung der Tatbeute am 11. August 2004 eine Durchsuchung u.a. des Firmengebäudes des Angeklagten durchgeführt, bei der dieser anwesend war. Das gesuchte Gerät wurde hierbei nicht in diesem Gebäude, sondern in dem PKW des Angeklagten aufgefunden, zu dem die Angestellten des Angeklagten feien Zugang hatten. Frau B. hatte die Aufschnittmaschine während der Durchsuchung aus ihrer Wohnung, die sich ebenfalls in dem Firmengebäude befand, heimlich dorthin verbracht und den Wagen sodann andernorts abgestellt.

Das Amtsgericht Oldenburg hat am 21. Januar 2005 auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten einen Strafbefehl erlassen, in welchem ihm als versuchte Strafvereitelung zur Last gelegt worden ist, am 11. August 2004 in Wardenburg versucht zu haben, Frau B. dadurch vor einer Bestrafung wegen Diebstahls oder Betruges bezüglich u.a. der Aufschnittmaschine zu schützen, dass er ihr gestattete, das von der Polizei gesuchte Gerät während der Durchsuchung aus den Firmenräumen in den Kofferraum seines Kraftfahrzeuges zu verladen und dieses Fahrzeug von dem Firmengelände zu einem nicht einsehbaren Parkplatz zu fahren.

Auf den Einspruch des Angeklagten hat das Amtsgericht ihn mit Urteil vom 23. Januar 2006 wegen versuchter Strafvereitelung zu einer Geldstrafe verurteilt. Als Tathandlung hat das Amtsgericht festgestellt, der Angeklagte habe den die Durchsuchung vornehmenden Polizisten gegenüber wahrheitswidrig verneint, dass sich in dem Gebäude eine Wohnung befinde, um dadurch eine Strafverfolgung der dort wohnenden Frau B. zu verhindern. Unter Zugrundelegen dieser Tathandlung hat das Landgericht Oldenburg mit Urteil vom 9. Mai 2006 die Berufung des Angeklagten verworfen.

Die gegen das Berufungsurteil vom Angeklagten eingelegte Revision ist zulässig und begründet.

Für die Verurteilungen des Angeklagten durch das Amts und Landgericht fehlt es an einer zwingenden Verfahrensvoraussetzung, deren Fehlen das Revisionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigen hat. Das abgeurteilte Verhalten war nicht Gegenstand der Anklage; eine Nachtragsanklage ist nicht erhoben worden.

Die öffentliche Klage ist hier durch den Antrag auf Erlass des Strafbefehls erhoben worden, § 407Abs. 1 Satz 4 StPO. Für diese Form der Anklageerhebung gelten die gleichen Voraussetzungen wie für die Einreichung einer Anklageschrift. Wie der Inhalt einer Anklage bestimmt hier der Inhalt des Strafbefehlsantrags den Prozessgegenstand und umgrenzt den geschichtlichen Vorgang, über den das Strafgericht zu entscheiden hat. Die beschriebene konkrete Tat muss nicht nur nach Ort und Zeit, sondern auch durch die Tatumstände genau gekennzeichnet werden. Das dem Angeklagten zur Last gelegte Verhalten muss sich auch von anderen mehr oder weniger ähnlichen Handlungen, die der Angeklagte begangen haben kann, eindeutig unterscheiden lassen (vgl. BayObLG StV 2002, 356).

Der Anklagevorwurf lautete hier dahin, der Angeklagte habe Frau B. gestattet, das von der Polizei gesuchte Gerät während der Durchsuchung in den Kofferraum seines Kraftfahrzeuges zu verladen und dieses Fahrzeug von dem Firmengelände zu entfernen. Ein solches Verhalten des Angeklagten ist allerdings in beiden Instanzen nicht festgestellt worden. Verurteilt worden ist er stattdessen wegen des Ableugnens der Existenz einer Wohnung im durchsuchten Gebäude gegenüber den Polizeibeamten. Das sind gänzlich verschiedene Vorgänge.

Zur Tat im Sinne des § 264 StPO gehört allerdings nicht nur der in der Anklage konkret beschriebene Geschehensablauf, sondern das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt, vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 264 Rdn. 2 m. w. Nachw.. Ein derartiger Zusammenhang liegt hier jedoch nicht vor, weil die Abweichungen von Anklage und Urteilsfeststellung dafür allzu groß sind. Auch eine erweiternde Auslegung der Anklage anhand des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen ist hier nicht möglich, weil der Strafbefehl kein Ermittlungsergebnis enthält.

Das Verfahren ist daher wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung unter Aufhebung beider Urteile einzustellen. Ein Freispruch konnte vom Senat nicht ausgesprochen werden, auch wenn im allgemeinen vom Vorrang eines Freispruchs vor einer Verfahrenseinstellung auszugehen ist, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 260 Rdn. 44 m.w.Nachw.. Denn die Anklage ist die unverzichtbare Voraussetzung für das strafgerichtliche Verfahren insgesamt. Ohne sie darf keine Sachentscheidung ergehen. Fehlt wie im vorliegenden Fall für das abgeurteilte Verhalten eine Anklage, so ist für einen Freispruch kein Raum, weil auch dieser eine Sachentscheidung wäre, vgl. BGH NJW 2000, 3293 (3294).

Eines näheren Eingehens auf das Vorbringen der Revision bedurfte es nicht. Der Senat merkt jedoch an, dass die Beanstandung der Revision, bei der Beweiswürdigung habe das Landgericht eine nur mögliche Schlussfolgerung als "zwingend" (UA S. 6 unten) angesehen, zutreffen dürfte.

Die Kostenentscheidung entspricht § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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