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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 28.07.2008
Aktenzeichen: Ss 266/08
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 38 Abs. 2
StGB § 46
StGB § 248a
Liegt bei einem Diebstahl der Wert der Beute nicht über 1/3 des Höchstwertes einer geringwertigen Sache im Sinne von § 248a StGB (derzeit nach ständiger Rechtsprechung des Senats 30 €), so ist für dieses Bagatelldelikt eine Freiheitsstrafe über der gesetzliche Mindeststrafe von 1 Monat auch dann nicht mehr schuldangemessen, wenn in der Person des Angeklagten besondere Straferschwerungsgründe liegen.
Oberlandesgericht Oldenburg 1. Strafsenat Beschluss

Ss 266/08

In der Strafsache

wegen Diebstahls,

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... am 28. Juli 2008 nach Anhörung des Beschwerdeführers auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 24. April 2008 wird als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Gründe:

Die zulässige Revision des Angeklagten ist im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet und war deshalb zu verwerfen. Die Nachprüfung des Urteils anhand der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Anlass zu näheren Ausführungen besteht nur hinsichtlich der Strafzumessung.

Der Angeklagte, der innerhalb der letzten 10 Jahre 7mal wegen insgesamt 15 Diebstahlsdelikten bestraft worden war, ist mit dem in diesem Verfahren angefochtenen Urteil wegen Diebstahls einer Flasche Wodka im Wert von 10,98 € zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Diese Strafzumessung ist frei von Rechtsfehlern. Weder gegen die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe, noch gegen die Versagung einer Strafaussetzung, noch gegen die Bemessung der Freiheitsstrafe mit 2 Monaten ist rechtlich etwas zu erinnern.

Allerdings hat der Strafsenat in einem Fall, in dem für einen Diebstahl von Waren im Wert von 5 € eine 4-monatige Freiheitsstrafe verhängt worden war, mit Beschluss vom 5. Juni 2008 (Aktz.: 1 Ss 187/08, veröffentlicht bei juris) entschieden, dass die Festsetzung einer Freiheitsstrafe von mehr als 1 Monat nicht mehr als gerechter Schuldausgleich angesehen werden kann. Der Senat hat hierzu in dem genannten Beschluss u. a. ausgeführt:

"Die Strafzumessung wird den Anforderungen an einen gerechten Schuldausgleich nicht mehr gerecht, sondern steht zur Tat außer Verhältnis, überschreitet den Rahmen des Schuldangemessenen und verletzt damit auch das verfassungsrechtlich verankerte Übermaßverbot. Insoweit ist die grundsätzlich dem Tatrichter vorbehaltene Strafzumessung der rechtlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht auch zugänglich, vgl. Fischer, StGB, 55. Auflage, § 46, Rd.Nr. 115 ff. m. w. N..

Grundlage für die Zumessung der Strafe ist nach § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB die Schuld des Täters. Diese bezieht sich hier auf den Diebstahl von Lebensmitteln im Wert von rund 5 € in einem Einkaufsmarkt. Das Landgericht hat bei seiner Strafbemessung die der Schuldbewertung durch den Umfang des Tatunrechts gesetzten Grenzen aus dem Blick verloren und demgegenüber den Gesichtspunkt des Handlungsunwerts - nämlich die täterbezogenen Umstände der Vorstrafen - überbewertet. Zwar müssen diese berücksichtigt werden, so nach § 46 Abs. 2 StGB namentlich auch die aus der Tat sprechende Gesinnung und das Vorleben der Angeklagten. Diese fallen hier deutlich straferschwerend ins Gewicht, vor allem die Unbelehrbarkeit der Angeklagten, die trotz zahlreicher früherer Bestrafungen im Laufe der Jahre immer wieder Diebstähle begangen hat. Allerdings darf eine Strafzumessung nicht in der Weise von den die Täterpersönlichkeit betreffenden Umständen geprägt sein, dass dabei die objektiven Umstände der Tat, vor allem das Ausmaß der begangenen Rechtsgutverletzung, übergangen werden.

Der hier abzuurteilende Diebstahl geringwertiger Sachen - Lebensmittel im Wert von rund 5 € - ist objektiv dem untersten Bereich der Bagatellkriminalität zuzuordnen. Die Verhängung einer viermonatigen Freiheitsstrafe zur Sühne für Tatschuld und Tatunrecht ist bei dem hier eingetretenen Wert der gestohlenen Waren unverhältnismäßig und nicht mehr vertretbar, zumal wegen der unmittelbar nach der Tat erfolgten Rückgabe der Waren an das Kaufhaus kein wirtschaftlicher Schaden verblieb. Von einem gerechten Schuldausgleich kann unter diesen Umständen bei dem Strafausspruch des Landgerichts nicht mehr gesprochen werden, und zwar auch dann nicht, wenn die zahlreichen Vorstrafen der Angeklagten und die in ihrer Person begründeten straferschwerenden Umstände berücksichtigt werden. Der Senat sieht es als schlechthin unangemessen an, die Entwendung von Waren im Wert von ca. 5 € aus einem Ladengeschäft mit einer Freiheitsstrafe von vier Monaten zu ahnden.

Dabei war auch ein Wandel in der Strafpraxis der Gerichte zu bedenken, der in den letzten Jahren vermehrt auftritt und über den in den Medien ausführlich berichtet wird. Immer häufiger werden Straftäter, die - insbesondere als Wirtschaftskriminelle - hohe und höchste Schäden bis hin zu solchen in Millionenhöhe verursacht haben, aufgrund von Absprachen ("deals") zu Bewährungsstrafen verurteilt. Wenn die Strafjustiz gleichzeitig Bagatellstraftäter, die verglichen damit nur einen fast unermesslich kleinen Schaden angerichtet haben, mit mehrmonatigen zu verbüßenden Freiheitsstrafen belegt, tangiert dies - unbeschadet aller noch so großer Unterschiede der Sachverhalte und der Täterpersönlichkeiten - die Frage einer gleichen und gerechten Strafrechtsanwendung. Jedenfalls kann in der Bevölkerung der Eindruck einer willfährigen Nachgiebigkeit der Strafjustiz gegenüber "großen" und einer gnadenlosen Härte gegenüber "kleinen" Straftätern entstehen. Die dem zugrunde liegende Diskrepanz der gerichtlichen Ahndungspraxis kann hier nicht weiter thematisiert werden. Sie ist aber eine Tatsache der Rechtswirklichkeit und war als solche bei der Frage, ob die hier ausgeurteilte Strafe noch einen gerechten Schuldausgleich und kein Übermaß darstellt, mit in den Blick zu nehmen.

Aus den dargelegten Erwägungen wird hier allein die Verhängung der Mindestfreiheitsstrafe von 1 Monat (§ 38 Abs. 2 StGB) dem Gebot schuldangemessenen Strafens gerecht."

Diese Entscheidung, die im Ergebnis in Einklang steht mit den Entscheidungen der Oberlandesgerichte Stuttgart (NJW 2006, 1222), Celle (NStZRR 2004, 142), Hamburg (OLGSt StGB § 47 Nr. 8) und Braunschweig (NStZRR 2002, 75), bezog sich auf einen Diebstahl mit einer erstrebten Tatbeute im Wert von rund 5 €, mithin auf einen ausgesprochenen Bagatelldiebstahl, nämlich auf einen Diebstahl, der hinsichtlich des Wertes des Diebesgutes innerhalb der Gruppe der Diebstähle geringwertiger Sachen im Sinne von § 248a StGB, für die nach der ständigen Rechtsprechung des Senats eine obere Wertgrenze von 30 € gilt (vgl. Senatsbeschluss vom 13.01.2005, NStZRR 2005, 111), dem untersten Bereich angehört.

Der vorliegend zu entscheidende Fall mit einem Wert der Diebesbeute von über 10 € ist zwar ein Diebstahl geringwertiger Sachen, aber kein Bagatelldiebstahl mehr in dem Sinne, wie er im Senatsbeschluss vom 5. Juni 2008 zu beurteilen war.

Der Senat konkretisiert seine Rechtsprechung hierzu nunmehr dahin, dass die Grenze zum einem Bagatelldiebstahl in dem oben ausgeführten Sinn bei einem Drittel der Wertgrenze zu ziehen ist, bis zu der ein Diebstahl geringwertiger Sachen vorliegt, also derzeit bei 10 €. Nur bis zu diesem Grenzwert der Tatbeute stellt demnach auch bei erheblichen in der Person des Täters liegenden Strafschärfungsgründen die gesetzliche Mindestfreiheitsstrafe von 1 Monat zugleich die Obergrenze einer noch schuldangemessenen Freiheitsstrafe für einen Diebstahl dar.

Dieser Wert wird hier überschritten. Der Tatrichter war deshalb aus Rechtsgründen nicht gehindert, im Rahmen des Schuldangemessenen eine 1 Monat übersteigende Freiheitsstrafe festzusetzen.

Gegen die ausgeurteilte Freiheitsstrafe von 2 Monaten ohne Strafaussetzung, die nach den Urteilsgründen insbesondere den erheblichen - auch einschlägigen - Vorbestrafungen des Angeklagten und seiner früheren Strafverbüßung Rechnung trägt, ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern. Das gilt entgegen der Ansicht der Revision hier auch in Hinblick darauf, dass die früheren Verurteilungen nach Jugendstrafrecht erfolgten. Dass dem Angeklagten als Folge der Verurteilung auch ein Bewährungswiderruf droht, hat das Landgericht ersichtlich bedacht.

Die Kostenentscheidung entspricht § 473 Abs. 1 Satz 1 StGB.

Ende der Entscheidung

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