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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 15.07.2008
Aktenzeichen: Ss 6/08
Rechtsgebiete: VO (EWG) Nr. 881/92, GüKG


Vorschriften:

VO (EWG) Nr. 881/92
GüKG § 1 Abs. 2
GüKG § 19 Abs. 1 Nr. 1 b
Die Erteilung der Gemeinschaftslizenz nach der Verordnung (EWG) Nr. 881/92 setzt einen tatsächlich eingerichteten Gewerbebetrieb mit einem vom Inhaber tatsächlich beherrschten Fuhrpark und eigenem Fahrpersonal voraus, das - soweit der Unternehmer nicht der einzige Bedienstete ist - den Weisungen des Unternehmers tatsächlich und rechtlich untersteht.

Zur Frage, wann Unternehmer, denen eine Ausfertigung der Gemeinschaftslizenz überlassen wird und die als "Vermieter" ihrer Fahrzeuge Beförderungen für den Inhaber der Gemeinschaftslizenz ausführen, als "Dritte" im Sinne von Art. 5 Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 881/92 anzusehen sind mit der Folge, dass sie unerlaubt gewerblichen Güterkraftverkehr betreiben.


Oberlandesgericht Oldenburg Beschluss

Ss 6/08

In dem Bußgeldverfahren

wegen Ordnungswidrigkeit,

hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Oldenburg am 15.07.2008 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... beschlossen:

Tenor:

Das Urteil des Amtsgerichts Westerstede vom 11. Oktober 2007 wird aufgehoben.

Die Betroffene ist der vorsätzlichen Beteiligung an dem vorsätzlichen Betreiben von gewerblichem Güterkraftverkehr ohne Erlaubnis in acht Fällen schuldig.

Wegen des Rechtsfolgenausspruchs wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Westerstede zurückverwiesen.

Angewendete Vorschriften: §§ 19 Abs. 1 Nr. 1b, 3 Abs. 1 GüKG, §§ 14, 30 OWiG. Art. 1, 3, 5 VO EWG Nr. 881/92

Gründe:

I.

Mit Bußgeldbescheid des Landkreises Ammerland vom 02.07.2004 ist gegen die Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 19 Abs. 1, 3 Abs. 1 Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) i.V.m. § 14 Abs. 1, 9 Abs. 1 und 19 Abs. 1 OWiG eine Geldbuße in Höhe von 25.000 € verhängt worden. Das Amtsgericht hat die Betroffene mit Urteil vom 11.10.2007 freigesprochen.

Das Amtsgericht hat folgendes festgestellt:

Der Geschäftsführer der Betroffenen ist gelernter Speditionskaufmann und veranstaltet Verkehrsseminare über die IHK, unter anderem zur Vorbereitung auf die fachliche Prüfung für die Erlangung der Gemeinschaftslizenz. Der Betroffenen wurde am 11.12.2000 durch die Bezirksregierung Weser-Ems die Gemeinschaftslizenz nach dem GüKG mit 15 Ausfertigungen erteilt. Ihr Geschäftsführer schloss Rahmenverträge mit Großspeditionen über Beförderungsaufträge ab. Da die Betroffene selbst weder über Fahrpersonal noch über Fahrzeuge verfügte, schloss sie in acht Fällen Verträge mit selbstfahrenden Unternehmern ab. Diese hatten ein Gewerbe angemeldet und verfügten über Fahrzeuge mit einem höheren zulässigen Gesamtgewicht als 3,5 t, aber nicht über eine Gemeinschaftslizenz. Diesen Unternehmern (nämlich den Firmen A..., B..., C..., D..., E..., F..., G... und H...) überließ die Betroffene jeweils eine Ausfertigung ihrer Gemeinschaftslizenz. In der Zeit vom 30.05.2003 bis 02.07.2003 führten diese Unternehmen die Beförderungen aus, zu denen sich die Betroffene gegenüber ihren Auftraggebern verpflichtet hatte. Das Frachtentgelt zahlten die Auftraggeber an die Betroffene. Diese überwies das Entgelt abzüglich einer festen Gebühr an die Einzelunternehmer. Sämtliche variablen Kosten, insbesondere Fahrzeugkosten, trugen die Einzelunternehmer.

Das Amtsgericht hat einen Verstoß der Einzelunternehmer gegen die Erlaubnispflicht gemäß §§ 19 Abs. 1 Nr. 1 b, 3 Abs. 1 GüKG verneint, weil Art. 5 Abs. 2 der VO/EWG Nr. 881/92 es erlaube, Transporte mit gemieteten Fahrzeugen durchzuführen und die Fahrer von den Weisungen der Betroffenen abhängig gewesen seien.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der diese ausweislich der Begründung die rechtliche Wertung des Amtsgerichts angreift.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere lässt sich der Begründung eindeutig entnehmen, dass die Nachprüfung in sachlichrechtlicher Hinsicht begehrt wird. Damit ist die Sachrüge zulässig erhoben (Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. 2007, § 344 Rz. 14 m.w.N.).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zum Schuldspruch. Hinsichtlich der Rechtsfolgen war das Verfahren zurückzuverweisen. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Freispruch nicht. Werden sie zugrunde gelegt, betrieben die seitens der Betroffenen eingesetzten Fuhrunternehmer durch Ausführung der jeweiligen Transporte vorsätzlich gewerblichen Güterkraftverkehr ohne die erforderliche Erlaubnis im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr. 1 b GüKG. Daran hat sich die Betroffene im Sinne von § 14 Abs. 1 OWiG in acht Fällen vorsätzlich beteiligt.

a) Zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Bußgeldbescheid des Landkreises Ammerland vom 02.07.2004 an die Betroffene und nicht an ihren Geschäftsführer persönlich gerichtet ist. Dies ergibt sich schon aus dem Adressfeld des Bescheides.

b) Die Erteilung der Gemeinschaftslizenz für den grenzüberschreitenden Verkehr richtet sich nach der Verordnung (EWG) Nr. 881/92 des Rates vom 26. März 1992 über den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten (Amtsbl./EG L 95 v. 09.04.1992, S. 1), zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 vom 20.11.2006 (Amtsbl./EG L 363 v. 20.12.2006, S. 1) - nachfolgend: Verordnung. Gemäß Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 der Verordnung ist für den gewerblichen grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr eine Gemeinschaftslizenz erforderlich. Deshalb ist die Berufung der Betroffenen auf § 3 Abs. 1 GüKG unzutreffend. Danach entfällt die Erlaubnispflicht nämlich nur dann, wenn das unmittelbar anwendbare Gemeinschaftsrecht - etwa in den in Anhang II zu der Verordnung genannten Fällen - eine Erlaubnispflicht nicht vorsieht. Gemäß Art. 3 Abs. 2 der Verordnung kann die Gemeinschaftslizenz nur erteilt werden, wenn der Unternehmer auch die nationalen Zugangsvorschriften des Mitgliedsstaats zum Beruf des Verkehrsunternehmers erfüllt. Damit müssen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 GüKG gegeben sein und somit auch im Falle der Gemeinschaftslizenz der Unternehmer und die zur Führung der Güterkraftverkehrsgeschäfte bestellte Person zuverlässig sein, die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens gewährleistet und der Unternehmer oder die zur Führung der Güterkraftverkehrsgeschäfte bestellte Person fachlich geeignet sein. Unerheblich ist, wie sich aus Art. 5 Abs. 2 der Verordnung ergibt, ob die dem Transportunternehmen "zur Verfügung" stehenden Fahrzeuge im Eigentum des Erlaubnisinhabers stehen oder nur gemietet bzw. geleast sind. In der Rechtsprechung des EuGH ist geklärt, dass die Gemeinschaftslizenz streng personengebunden ist, weshalb die Vermietung von Fahrzeugen des Genehmigungsinhabers keinen Übergang auf den jeweiligen Nutzer - den Mieter des Fahrzeugs - bewirkt (EuGH, Urt. v. 07.11. 2002 - C 228/01 und C 289/01, EuGHE 2002 I - 10213). Dies ergibt sich - so der EuGH - aus dem Umstand, dass die Gemeinschaftslizenz nach Artikel 5 Absatz 4 der Verordnung auf den Namen des Transportunternehmers ausgestellt wird und von diesem nicht auf Dritte übertragen werden darf. Dementsprechend weist auch der im Anhang zu der Verordnung abgedruckte Text der Lizenz darauf hin, dass diese persönlich und nicht übertragbar ist.

c) Hier war den einzelnen Fuhrunternehmer keine Gemeinschaftslizenz erteilt worden. Die der Betroffenen erteilte Gemeinschaftslizenz, deren Abschriften sie erhalten hatten, wäre nur dann ausreichend, wenn zum einen die die Beförderungen ausführenden Unternehmer nicht als "Dritte" im Sinne von Art. 5 Abs. 4 der Verordnung anzusehen sind, und zum anderen deren Fahrzeuge der Betroffenen gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung "zur Verfügung" standen. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts kann von beidem nicht ausgegangen werden. Die Fuhrunternehmer als "Vermieter" trugen sämtliche mit den Fahrzeugen und der Fahrerentlohnung verbundenen Kosten ebenso wie das Auftragsrisiko, während der Betroffenen - völlig atypisch für einen Mieter - unabhängig von dem unternehmerischen Erfolg eine feste monatliche Zahlung zustand. Allein wegen des übernommenen unternehmerischen Risikos waren die einzelnen Unternehmer "Dritte" im Sinne der Verordnung und bedurften als solche einer eigenen Erlaubnis. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung verweist nämlich ausdrücklich auf die nationalen Zugangsvoraussetzungen des die Erlaubnis erteilenden Mitgliedsstaates und damit unter anderem auf das Erfordernis der finanziellen Leistungsfähigkeit des Unternehmers gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 GüKG, das eine "verkehrssichere Führung des Unternehmens" gewährleisten soll. Diese Prüfung ist nur erforderlich und sinnvoll, wenn das unternehmerische Risiko von dem Erlaubnisinhaber getragen wird und diesem im Wesentlichen die Unternehmensgewinne zufließen (Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, G 218, § 19 GüKG Rz. 7 m.w.N).

Gegen die Wertung der geschlossenen Verträge als Miete im Sinne der genannten Rechtsprechung des EuGH spricht darüber hinaus, dass der als Mieterin auftretenden Betroffenen nicht der unmittelbare Besitz an den Fahrzeugen eingeräumt wurde. Damit standen die eingesetzten Fahrzeuge der Betroffenen nicht gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung "zur Verfügung". Die Erteilung der Gemeinschaftslizenz setzt einen tatsächlich eingerichteten Gewerbebetrieb mit einem vom Inhaber tatsächlich beherrschten Fuhrpark und eigenem Fahrpersonal voraus, das - soweit der Unternehmer nicht der einzige Bedienstete ist - den Weisungen des Unternehmers tatsächlich und rechtlich untersteht (so zutreffend VG Darmstadt, GewArch 2007, 391 ff.). Die seitens des Amtsgerichts festgestellte rechtliche Konstruktion lässt darauf schließen, dass in Wahrheit Lohnfuhrverträge geschlossen wurden. Nach einhelliger Auffassung wird der Güterverkehr nicht durch den Auftraggeber eines Lohnfuhrvertrags, sondern durch den Fahrzeughalters im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr. 1 b GüKG "betrieben", obwohl der Fahrzeughalter nach Weisungen des Auftraggebers handelt (KG, VRS 79, 387 (388). Erbs/Kohlhaas, aaO., § 19 GüKG Rz. 6 a jeweils m.w.N.). Der Auffassung des Amtsgerichts, wonach es allein auf die - verneinte - Weisungsfreiheit der Einzelunternehmer im Verhältnis zu der Betroffenen ankommen soll, kann auch aus diesem Grund nicht gefolgt werden.

Voraussetzung für die Ahndung einer Beteiligung ist die vorsätzliche Ordnungswidrigkeit eines anderen (Göhler, OWiG, 14. Aufl. 2006, § 14 Rz. 5 b m.w.N.). Davon ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts auszugehen. War nämlich die Tätigkeit der Fuhrunternehmer erlaubnispflichtig, begingen sie eine vorsätzliche Ordnungswidrigkeit nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 b GüKG, an der sich die Betroffene vorsätzlich beteiligt hat. Sofern die Beteiligten - irrig - der Meinung waren, die Gemeinschaftslizenz der Betroffenen nutzen zu dürfen, wäre dies kein Tatbestandsirrtum, sondern ein im Sinne von § 11 Abs. 2 OWiG schon durch Erkundigung bei den Fachbehörden vermeidbarer und damit unbeachtlicher Verbotsirrtum.

d) Eine Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 EGV hat der Senat in Erwägung gezogen, hat sich jedoch nicht zu einer Vorlage gemäß Art. 234 Abs. 3 EGV verpflichtet gesehen. Aufgrund der bereits ergangenen Entscheidung des EuGH ist nämlich die grundsätzliche Personenbindung der Gemeinschaftslizenz geklärt worden. Hier ist dagegen eine einzelfallbezogene Beurteilung einer Umgehung dieser Personenbindung erforderlich, die durch die nationalen Gerichte und nicht durch den EuGH geklärt werden muss. Fehlt es an einer Vorlagepflicht, droht bei einer freiwilligen Vorlage der Eintritt der absoluten Verfolgungsverjährung, weil das Ruhen der Verjährung gemäß § 32 OWiG nur im Falle einer bestehenden Vorlagepflicht gemäß Art. 234 Abs. 3 EGV eintritt (Göhler aaO., § 32 Rz. 4 m.w.N.).

e) Gemäß § 79 Abs. 6 OWiG hat der Senat hinsichtlich des Schuldspruchs eine eigene Sachentscheidung getroffen. Dem Urteil lassen sich genügende Feststellungen hinsichtlich der einzelnen Beförderungen, an denen sich die Betroffene beteiligt hat, entnehmen. Die Überlassung der einzelnen Lizenzen und die Beteiligung an den darauf gestützten Beförderungen beruht jeweils auf einem einheitlichen Tatentschluss. Schon wegen der Bewertungseinheit des gewerblichen Betriebs handelt es sich hinsichtlich jeder verwendeten Lizenz um eine Tat i. S. von § 19 OWiG, weil die Annahme von gewerblichem Güterkraftverkehr voraussetzt, dass der Verstoß mehrfach begangen wird (vgl. KG, VRS 101, 461 (463). s. auch Göhler/König, OWiG, vor § 19 Rz. 20). Dagegen wertet der Senat die Überlassung an mehrere Unternehmer jeweils als eigenen Tatentschluß.

f) Hinsichtlich der Festsetzung der einzelnen Geldbußen gemäß § 20 OWiG war das Urteil aufzuheben und zurückzuverweisen. Der maßgebliche Bußgeldrahmen ist gemäß § 4 Abs. 3 OWiG der geänderten Vorschrift des § 19 Abs. 5 S. 1 GüKG zu entnehmen, durch die das Höchstmaß der Geldbuße zwischenzeitlich auf 20.000 € herabgesetzt worden ist. Das Urteil enthält zwar Ausführungen zu dem erlangten wirtschaftlichen Vorteil. Es fehlen aber Feststellungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen, die gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG zu berücksichtigen sind. Die im einheitlichen Buß- und Warngeldkatalog zum GüKG vorgesehene Regelgeldbuße geht von gewöhnlichen Tatumständen und durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen aus und kann gegebenenfalls erhöht werden.

Ende der Entscheidung

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