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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 31.05.2001
Aktenzeichen: 1 U 199/99
Rechtsgebiete: BGB, SBG X


Vorschriften:

BGB § 839
BGB § 852
SBG X § 116
1. Zur Frage einer Haftung einer in einem städtischen Alten- und Pflegeheim beschäftigten Ergotherapeutin, wenn eine körperlich behinderte Bewohnerin des Heimes während einer von der Ergotherapeutin durchgeführten Rollstuhlfahrt zu Fall kommt und sich dabei verletzt.

2. Verhandelt nachfolgend die Krankenversicherung, die für die angefallenen Heilungs- und Behandlungskosten aufgekommen ist, mit dem Haftpflichtversicherer der Stadt über eine Kostenerstattung unter ausschließlicher Bezugnahme auf die Stadt bzw. das von ihr betriebene Heim als Versicherungsnehmer, so tritt die Hemmungswirkung des § 852 Abs. 2 BGB grundsätzlich auch im Verhältnis zu der zum Schadensersatz verpflichteten Bediensteten des Heimes ein.


Lt. Protokoll verkündet am: 31.05.2001

URTEIL Im Namen des Volkes

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock auf die mündliche Verhandlung vom 17. Mai 2001 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16.08.1999 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Neubrandenburg - Az.: 3 O 156/99 - geändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 14.680,80 nebst 4 % Jahreszinsen seit dem 12.06.1999 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Das Urteil beschwert die Beklagte im Wert von DM 14.680,80.

Sachverhalt:

Die Klägerin - eine gesetzliche Krankenversicherung - nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Zeugin P., die aufgrund einer halbseitigen Lähmung auf einen Rollstuhl angewiesen ist, war Bewohnerin eines von der Stadt N. betriebenen Alten- und Pflegeheimes. Die Beklagte ist dort als Ergotherapeutin angestellt. Am 23.03.1995 fiel die Zeugin P., die nicht angegurtet war, während einer von der Beklagten durchgeführten Fahrt beim Durchfahren einer Zimmertür aus dem Rollstuhl und sich durch den Sturz erhebliche Verletzungen zu. Die Klägerin kam für die Heilungs- und Behandlungskosten in Höhe von DM 14.680,00 auf.

Mit Schreiben vom 21.04.1995 meldete die Klägerin gegen dem Haftpflichtversicherer der Stadt N. Ersatzansprüche an, wobei sie - wie auch in den Folgeschreiben - nur auf die Stadt N. bzw. das Alten und Pflegeheim als Versicherungsnehmer Bezug nahm. Der Haftpflichtversicherer sagte mit Schreiben vom 08.05.1995 eine Prüfung zu und bat um "etwas Geduld". Mehrere Zahlungsaufforderungen der Klägerin in den Jahren 1996 und 1997 blieben ohne Reaktion. Mit Schreiben vom 18.12.1997 entschuldigte sich der Haftpflichtversicherer für die eingetretenen Verzögerungen bei der Bearbeitung und lehnte der Klägerin gegenüber eine Schadensregulierung ab.

Mit Ihrer Klage vom 28.04.1999, die am 10.06.1999 zugestellt wurde, nahm die Klägerin die Beklagte aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagte hat eine sie treffende Ersatzpflicht in Abrede genommen und die Verjährungseinrede erhoben. Letztere hat das Landgericht mit der Begründung durchgreifen lassen. dass eine Verjährungshemmung durch die zwischen der Klägerin und dem Haftpflichtversicherer der Stadt N. geführten Verhandlungen nicht eingetreten sei, weil die Beklagte an diesen nicht beteiligt gewesen sei.

Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe:

I.

Der Senat hat gemäß § 543 Abs. 1 ZPO von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 116 Abs. 1 SGB X wegen der Verletzung des Körpers bzw. der Gesundheit der Zeugin P.

1. Eine Haftung der Beklagten nach § 839 BGB mit der Möglichkeit der Verweisung gemäß § 839 Abs. 1 S. 2 BGB auf eine anderweitige Ersatzmöglichkeit scheidet aus, da die Tätigkeit der Beklagten dem privatrechtlichen Bereich zuzuordnen ist und sie nicht Beamte im staatsrechtlichen Sinne ist.

Handelt ein Beamter in Ausübung öffentlicher Gewalt, so entfällt die persönliche Haftung des Beamten gegenüber dem Dritten. Hat der Beamte innerhalb des privaten Geschäftskreises des öffentlichen Dienstherren gehandelt, so haftet der Staat für unerlaubte Handlungen des Beamten gemäß §§ 89, 30, 31, 831 BGB und neben ihm der Beamte persönlich, aber nur nach § 839 BGB mit der Folge, dass der Beamte sich auf das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB berufen kann. Insoweit stellt die Haftung des Staates eine anderweitige Ersatzmöglichkeit dar (Palandt/Thomas, BGB, 60. Aufl., § 839 Rn. 26).

a. Der Betrieb des kommunalen Alten- und Pflegeheimes stellt eine privatrechtliche Tätigkeit der Stadt N dar. Kriterium für die Abgrenzung von hoheitlicher zu privatrechtlicher Tätigkeit ist in der Regel die von der öffentlichen Hand gewählte Rechtsform für ihre Handlung. Bei der Frage, ob ein Unternehmen der öffentlichen Hand hoheitlicher Natur ist, kommt es darauf an, wie es im Verhältnis zu demjenigen organisiert ist, dem es gegenübertritt (BGH, NJW 1953, 778).

Ebenso wie bei städtischen Krankenhäusern ist ein kommunales Alten- und Pflegeheim dem privatrechtlichen Bereich zuzuordnen (vgl. Palandt/Thomas, a.a.O., § 839, Rn. 15). Die Bewohner eines Alten- und Pflegeheimes sind keiner Zwangs- oder Disziplinargewalt unterworfen. Es steht ihnen der Verbleib im Heim frei (vgl. BGH, NJW 1953, 778 [779]).

b. Eine Haftung nach § 839 BGB scheidet aus, da die Beklagte nicht Beamte, sondern Angestellte des Pflegeheimes war. Bei privatrechtlicher Tätigkeit richtet sich die Haftung nach § 839 BGB, wenn der Handelnde Beamter im staatsrechtlichen Sinne ist. Unter § 839 BGB fallen alle Bundes-, Landes- und Kommunalbeamte und Beamte anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften. Entscheidend ist allein, dass es sich statusrechtlich um einen Beamten handelt (Palandt/Thomas, a.a.O., § 839 Rdn. 27, 28; BGH, DRiZ, 1964, 197; OLG Köln, OLG-Report 1995, 278). Für die Beklagte trifft dies nicht zu.

2. Die Beklagte hat fahrlässig den Körper oder die Gesundheit der Zeugin P geschädigt.

Die Zeugin P hat eine Schädigung ihres Körpers bzw. ihrer Gesundheit in Form eines Bruchs des Sprunggelenks erlitten.

Auch der von der Beklagten dargelegte Geschehensablauf stellt sich als eine fahrlässige Körperverletzung dar. Selbst wenn die Zeugin P lediglich deshalb aus dem Rollstuhl gefallen sein sollte, weil sie nicht angeschnallt war, und es so bereits bei dem üblichen vorsichtigen Anheben und Wiederabsenken des Rollstuhls an einer Türschwelle zum Herausfallen kommen konnte, begründet dies einen Fahrlässigkeitsvorwurf. Zu berücksichtigen ist, dass es sich bei der Beklagten um medizinisches Fachpersonal, eine Ergotherapeutin, handelt. Von dieser muss erwartet werden, dass sie den Rollstuhl so vorsichtig bewegt, dass ein Herausfallen unmöglich ist. Vorliegend hätte dies zum Beispiel dadurch erreicht werden können, dass die Beklagte die Zeugin P rückwärts über die Schwelle gefahren hätte.

Ferner handelte die Beklagte fahrlässig, indem sie sich nicht vergewisserte, ob die Zeugin angeschnallt war. Wenn üblicherweise eine an allen vier Extremitäten gelähmte Patientin im Rollstuhl angeschnallt werden muss, hätte die Beklagte dies wissen und auch berücksichtigen müssen. Dementsprechend hätte sie einen Transport der nicht angeschnallten Zeugin nicht durchführen dürfen.

3. Die Ansprüche gegen die Beklagte sind nicht gemäß § 852 Abs. 1 BGB verjährt, da die Verjährung zwischen dem 08.05.1995 und dem 18.12.1997 gehemmt und somit bei Erhebung der Klage am 29.04.1999 die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen war. Kenntnis von Schaden und Schädiger hatte die Zeugin P, auf deren Kenntnis beim Anspruch aus übergegangenem Recht abzustellen ist, am Unfalltag, dem 29.03.1995, so dass die dreijährige Verjährungsfrist an diesem Tag zu laufen begann.

a. Die Verjährung ist nach § 852 Abs. 2 BGB gehemmt, wenn zwischen den Parteien Verhandlungen geführt werden. Der Begriff der Verhandlung ist weit auszulegen. Es genügt jeder Meinungsaustausch über den Schadensfall zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten, wenn nicht sofort erkennbar die Verhandlung über die Ersatzpflicht oder jeder Ersatz abgelehnt wird. Nicht nötig ist die Verhandlung ausdrücklich über einen Anspruch aus unerlaubter Handlung oder die Erklärung der Vergleichsbereitschaft (Palandt/Thomas, a.a.O., § 852, Rn. 18). Im Zeitraum zwischen dem 08.05.1995 und dem 18.12.1997 sind die Schadensersatzansprüche durch den Kommunalen Schadensausgleich geprüft worden, was einer Verhandlung entspricht.

b. Durch die Verhandlungen wurde nicht lediglich der Anspruch gegen die Trägerin des Alten- und Pflegeheims, die Stadt N, gehemmt, sondern es trat auch eine Hemmung des Schadensersatzanspruchs gegen die Beklagte ein.

Unstreitig hat die Klägerin keine Verhandlungen mit der Beklagten direkt, sondern lediglich mit dem K geführt. Sowohl im Betreff der Schreiben der Klägerin als auch im Betreff der Schreiben des K wurde lediglich die Stadt N bzw. das Alten- und Pflegeheim Neubrandenburg benannt. Namentlich wurden die Verhandlungen offensichtlich nur für die Stadt N geführt.

Der K hat als Versicherer für den Schaden einzustehen, der durch das haftungsrelevante Verhalten der Mitarbeiter seiner Versicherungsnehmer entstanden ist. Sowohl soweit der Versicherungsnehmer - die Stadt N - selbst haftet, aber auch, soweit dieser für seine Angestellten - aus arbeitsrechtlichen Gründen - einzustehen hat, ist das Haftungsrisiko vom Kommunalen Schadensausgleich übernommen worden. Unstreitig war der K berechtigt, sowohl die Anstellungskörperschaft als auch die Beklagte zu vertreten. Die Ermächtigung des Versicherers soll dazu dienen, eine einheitliche Schadensregulierung zu gewährleisten. Nur an einer solchen kann dem Versicherer auch gelegen sein. Zugeständnisse, die er bei Vergleichsverhandlungen mit dem Geschädigten erreicht, wären für ihn wertlos, wenn sie nicht die Ansprüche sowohl gegen den Schädiger als auch gegen die Anstellungskörperschaft umfassen würden und der Geschädigte wegen des nicht abgedeckten Teiles seiner Schäden die Ansprüche gegen einen der beiden behielte. In aller Regel geht es daher um den zu leistenden Schadensersatz schlechthin, wenn ein Versicherer mit dem Geschädigten über den Schaden verhandelt (BGH, NJW 1965, 295 [296]).

Nur wenn die Ansprüche gegen den anderen - die Beklagte - bei den Verhandlungen deutlich ausgenommen werden, kann angenommen werden, dass sich die Verhandlungen nicht hierauf beziehen (BGH, a.a.O.; BGH, ZIP 1998, 111 [112]). An eine solche Ausnahme sind strengen Anforderungen zu stellen. Insbesondere ist die Annahme einer Beschränkung nur gerechtfertigt, wenn sich der dahingehende Wille eindeutig ergibt (BGH, ZIP, 1998, 111 [112]; Staudinger/Schäfer, BGB [1986], § 852 Rdn. 120; RGRK/Kreft, BGB, 12. Aufl., § 852 Rdn. 92).

Eine solche Einschränkung ist hier indes nicht zu erkennen. Es muss vielmehr im Gegenteil davon ausgegangen werden, dass sowohl der Klägerin als auch dem erkennbar daran gelegen war, eine Schadensbereinigung insgesamt herbeizuführen. Lediglich die fehlende Angabe der Beklagten im Betreff der gewechselten Korrespondenz steht dem nicht entgegen.

4. Die Zeugin P trifft kein Mitverschulden gemäß § 254 BGB, das die Klägerin sich zurechnen lassen müsste.

Die Benutzung eines privaten Rollstuhls, der nicht den erforderlichen Sicherheitsgurt aufwies, könnte zwar ein ursächliches Mitverschulden der Zeugin darstellen. Zu berücksichtigen ist aber, dass die Zeugin medizinischer Laie war. Es wäre von Seiten des Fachpersonals des Pflegeheimes erforderlich gewesen, die Zeugin auf die Mangelhaftigkeit des Rollstuhls hinzuweisen.

5. Die Beklagte hat die Höhe des geltend gemachten Schadens durch Vorlage der Behandlungsakte nachgewiesen.

6. Der Zinsanspruch der Klägerin rechtfertigt sich aus § 291 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die sonstigen prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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