Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 11.10.2005
Aktenzeichen: 1 Ws 287/05
Rechtsgebiete: StPO, DNA-IdentifizierungsG


Vorschriften:

StPO § 81 f
StPO § 81 g
StPO § 81 g Abs. 1
StPO § 304 Abs. 4 Satz 2
StPO § 465 Abs. 1
DNA-IdentifizierungsG § 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock - 1. Strafsenat - BESCHLUSS

1 Ws 287/05

In der Strafsache

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Dally, den Richter am Oberlandesgericht Hansen sowie den Richter am Landgericht Fischer

auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Schwerin gegen den Beschluss der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Schwerin vom 30.06.2005 - 33 KLs 53/04 -, durch den der Antrag der Staatsanwaltschaft Schwerin auf Anordnung der Entnahme von Körperzellen des Angeklagten mittels Blutprobe/Speichelprobe und deren molekular-genetische Untersuchung zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters (§§ 81 g, 81 f StPO) zurückgewiesen worden ist,

auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Rostock sowie nach Anhörung des Angeklagten und seiner Verteidigerin

am 11. Oktober 2005 beschlossen:

Tenor:

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

2. Es wird angeordnet, dass dem Angeklagten Klaus-Peter P., geboren am 00.00.1900 in M. wohnhaft: K. Ring 00, 00000 H. gem. §§ 81 g, 81 f StPO zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren Körperzellen mittels Blutprobe entnommen und zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersucht werden.

Mit der Untersuchung wird die Firma Dr. L. & Dr. B. GmbH (Frau Dr. rer. nat. Christiane L. und Herr Dr. rer. nat. Jörg S.) medizinische und biologische Analysen, Gewerbepark 00, 00000 W., beauftragt.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Anklagten auferlegt, der auch seine eigenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.

Gründe:

I.

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist statthaft und zulässig (§ 304 Abs. 1 StPO). Sie erweist sich auch als begründet.

II.

1.

Nach §§ 81 g, 81 f StPO ist die Entnahme von Körperzellen eines Beschuldigten und deren Analyse zum Zweck der Identitätsfeststellung zulässig, wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstige Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut wegen in § 81 g StPO bzw. § 2 DNA-Identifizierungsgesetz genannter Anlasstaten Strafverfahren zu führen sein werden.

Zwar berechtigt nach dem Gesetzeswortlaut des § 81 g StPO bereits der (nicht zwingend dringende) Tatverdacht einer Katalogtat im Sinne der Vorschrift unabhängig von einer rechtskräftigen Verurteilung zur Feststellung des genetischen Musters eines Beschuldigten. Darüber hinaus ist aber - insbesondere auch von Verfassungs wegen - die sogenannte Negativprognose zu stellen, d. h. es muss aufgrund der in § 81 g Abs. 1 StPO genannten persönlichen, tatbezogenen oder sonstigen Kriterien "Grund zu der Annahme" bestehen, dass gegen den Beschuldigten in der Zukunft erneut Strafverfahren wegen der Anlasstaten oder vergleichbarer Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden. Der Gesetzeswortlaut eröffnet im Interesse einer effektiven Strafverfolgung künftiger erheblicher Straftaten einen vergleichsweise weiten Anwendungsspielraum für die Anwendung der Maßnahme. So ist es etwa nicht erforderlich, die konkrete Gefahr weiterer Straftaten durch den Beschuldigten festzustellen. Maßstab ist vielmehr das Vorhandensein schlüssiger, verwertbarer und in der Entscheidung nachvollziehbar dokumentierter Tatsachen, auf deren Grundlage die richterliche Annahme der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung belegt wird, für die das DNA-Identifizierungsmuster einen Aufklärungsansatz durch einen (künftigen) Spurenvergleich bieten kann (vgl. BVerfG NStZ 2001, 328; OLG Köln NStZ-RR 2002, 306). Bei Beschuldigten einer in § 81 g StPO bezeichneten Straftat ist für die - im Übrigen eine zureichende Sachaufklärung voraussetzende (vgl. BVerfG a. a. O.) - negative Prognose dahin ausreichend, aber auch erforderlich, dass eine hinreichend hohe, nicht notwendigerweise überwiegende, Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass gegen den Beschuldigten erneut Strafverfahren wegen in der Vorschrift aufgeführter Straftaten zu führen sein werden. Für die Prognose können greifbare Anhaltspunkte dafür genügen, dass es sich bei der Anlasstat z. B. nicht um eine auf besondere Lebensumstände zurückzuführende Entgleisung gehandelt hat, sondern dass vielmehr aufgrund der Persönlichkeit des Betroffenen weitere vergleichbare Straftaten von erheblicher Bedeutung zu erwarten sind (vgl. dazu OLG Hamm, Beschluss vom 04.03.2004 - 4 Ws 722/03 -; zit. juris). Die Verdachtsschwelle des hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts muss nicht erreicht sein.

2.

An vorstehenden Kriterien gemessen konnte vorliegend der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Schwerin der Erfolg nicht versagt bleiben. Die notwendige Einzelfallprüfung ergibt im Gegensatz zu der Auffassung des Landgerichts, dass wegen der Art und der Ausführung der Taten und der insbesondere in ihnen offenbar gewordenen Persönlichkeit des Angeklagten eine hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit für die Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen vergleichbarer Taten zu führen sein werden.

Die Große Strafkammer 3 des Landgerichts Schwerin erkannte gegen den Angeklagten mit (nicht rechtskräftigem) Urteil vom 22.06.2005 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 5 Fällen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren. Die festgestellten Taten geschahen auf ausschließliche Initiative des Angeklagten in der Zeit zwischen September 2000 und dem 07.09.2002. Wenn auch zweifelhaft sein mag, ob bereits die einmalige Begehung einer Sexualstraftat stets geeignet ist, eine Negativprognose im Sinne der §§ 81 g, 81 f StPO zu stellen und aus der - eher im Bagatellbereich anzusiedelnden und nicht einschlägigen - strafrechtlichen Vorbelastung des Angeklagten kaum Rückschlüsse auf künftige Katalogtatenbegehung im Sinne der vorbezeichneten Vorschriften zu ziehen sind, so ist vorliegend doch festzustellen, dass es sich bei dem dem Angeklagten vorzuwerfenden Fehlverhalten jedenfalls nicht um ein einmaliges, ansonsten eher persönlichkeitsfremdes Tatmuster handelt. Ganz im Gegenteil hat sich der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen, die sich inhaltlich mit dem vom Senat nach Beschwerdegrundsätzen auszuwertenden Akteninhalt decken, planmäßig über einen längeren Tatzeitraum an dem ihm bekannten, geistig zurückgebliebenen Mädchen Nancy Plätz unter Ausnutzung ihrer Behinderung in ganz erheblicher Weise sexuell vergangen und die Geschädigte zudem noch dadurch eingeschüchtert, dass er ihr ständig suggerierte, ihr werde aufgrund eines im Jahre 1998 geführten (nach § 170 Abs. 2 StPO) eingestellten Missbrauchsverfahrens, das sich ebenfalls auf Angaben der jetzt Geschädigten gründete, ohnehin niemand mehr Glauben schenken. Die planmäßige, nicht aus einer besonderen Lebenssituation resultierende Ausführung der zahlreichen schweren Sexualstraftaten und die ebenso planmäßigen Vorkehrungen des Angeklagten zur Minimierung des Aufklärungsrisikos lassen trotz des Umstandes, dass eine Tatwiederholung zum Nachteil der Geschädigten Nancy P. wenig wahrscheinlich erscheinen mag, auf so große Persönlichkeitsmängel bei dem Angeklagten schließen, dass eine hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Katalogstraftaten im Sinne der §§ 81 g, 81 f StPO zum Nachteil anderer Tatopfer besteht.

3.

Nach alledem konnte der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Schwerin der Erfolg nicht versagt bleiben.

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des §§ 465 Abs. 1 StPO.

IV.

Diese Entscheidung des Senats ist nicht weiter anfechtbar, § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO.

Ende der Entscheidung

Zurück