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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 12.04.2007
Aktenzeichen: 1 Ws 326/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 40
Für Zustellungen nach § 40 StPO ist der Aushang der Benachrichtigung an der Gerichtstafel desjenigen Gerichts vorzunehmen, das für die Bewilligung der öffentlichen Zustellung zuständig ist. Das ist das Gericht, bei dem das Straf- oder Strafvollstreckungsverfahren anhängig ist.
Oberlandesgericht Rostock - 1. Strafsenat - BESCHLUSS

1 Ws 326/06

In der Strafsache

wegen Untreue

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Rostock durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Dally und die Richter am Oberlandesgericht Hansen und Zeng auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Schwerin vom 11. September 2006 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 12. April 2007 beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Landgerichts Schwerin vom 11. September 2006 wird aufgehoben.

2. Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung am 17. Mai 2006 vor dem Landgericht Schwerin in dem Verfahren 41 Ns 61/06 gewährt.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Angeklagten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Wismar hat den Angeklagten am 28. Oktober 2005 wegen Untreue in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte über seinen Verteidiger rechtzeitig Berufung eingelegt. Da dem Angeklagten bereits eine Ausfertigung der schriftlichen Urteilsgründe unter seiner (damaligen) Wohnanschrift in Wismar nicht zugestellt werden konnte, ordnete das Landgericht Schwerin mit Beschluss vom 4. April 2006 u. a. die öffentliche Zustellung der Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung (für den 17. Mai 2006) an. Eine Ausfertigung der Ladung und der die öffentliche Zustellung anordnende Beschluss hingen vom 2. bis zum 10. Mai 2006 an der Gerichtstafel des Amtsgerichts Wismar aus.

Zum Hauptverhandlungstermin am 17. Mai 2006 ist der Angeklagte nicht erschienen; das Landgericht hat seine Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Das Verwerfungsurteil ist dem Angeklagten wiederum gemäß § 40 Abs. 3 StPO öffentlich zugestellt worden. Eine Urteilsausfertigungen und der die öffentliche Zustellung anordnende Beschluss hingen vom 31. Mai bis zum 23. Juni 2006 wiederum an der Gerichtstafel des Amtsgerichts Wismar aus. Mit am 25. August 2006 beim Landgericht Schwerin eingegangenem Schriftsatz vom 23. August 2006 hat der Verteidiger für den Angeklagten u. a. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung beantragt, dass die öffentlichen Zustellungen "unzulässig gewesen" seien, weil das Gericht seine "Nachforschungspflicht verletzt" habe. Diesen Antrag hat das Landgericht mit Beschluss vom 11. September 2006 als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten.

II.

1. Die zulässige sofortige Beschwerde des Angeklagten hat Erfolg. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung hätte nicht (als unzulässig) verworfen werden dürfen, weil der Angeklagte die Frist für die Anbringung des Wiedereinsetzungsantrags (§ 329 Abs. 3 StPO) nicht versäumt hat. Die für den Fristbeginn erforderliche (öffentliche) Zustellung des Berufungsurteils vom 17. Mai 2006 erweist sich als unwirksam.

a) Mit der Änderung des § 40 StPO durch Art. 3 Nr. 0 des 1. Justizmodernisierungs-gesetzes vom 24. August 2004 (BGBl. I, 2198 ff., 2200, in Kraft seit dem 1. September 2004) gilt die Zustellung als erfolgt, wenn seit dem Aushang der Benachrichtigung zwei Wochen vergangen sind (§ 40 Abs. 1 Satz 2 StPO). Für die Ausführung der öffentlichen Zustellung sollen nach dem Willen des Gesetzgebers über die Verweisung in § 37 Abs. 1 StPO die §§ 186, 187 ZPO gelten. § 40 StPO regelt nur noch die spezifisch auf den Strafprozess zugeschnittenen und abgestuften Regeln zur Zulässigkeit der öffentlichen Zustellung und zur Dauer des Aushangs, die von den §§ 185, 188 ZPO abweichen (BTDrucks. 15/3482, S. 20). Durch die Anwendung des § 186 Abs. 2 ZPO, wonach - abweichend von § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 StPO a. F. - nicht das zuzustellende Schriftstück, sondern eine Benachrichtigung über die Zustellung an der Gerichtstafel auszuhängen ist, soll nach der Begründung des Gesetzentwurfs auch im Strafverfahren künftig eine "Prangerwirkung" durch den Aushang des Inhalts gerichtlicher Entscheidungen vermieden werden (BTDrucks., aaO). Zudem ist eine Vereinfachung des Arbeitsaufwands der Gerichte bei der Ausführung der öffentlichen Zustellung beabsichtigt (vgl. auch OLG Hamm [3. Strafsenat ] NJW 2007, 933, 934; OLG Hamm [3. Senat], Beschluss vom 21. November 2006 - 3 Ss 460/06 - [zit. nach www.burhoff.de]; OLG Stuttgart [4. Strafsenat] NJW 2007, 935, 936).

b) Nach § 186 Abs. 1 ZPO entscheidet über die Bewilligung der öffentlichen Zustellung das Prozessgericht. Das ist dasjenige Gericht, bei dem der Rechtsstreit anhängig ist (vgl. Roth in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 186 Rdn. 3; Hartmann in: Baumbach/Lauter-bach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl., § 186 Rdn. 4; Stöber in: Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 186 Rdn. 1; Wolst in: Musielak, ZPO, 5. Aufl., § 186 Rdn. 3). Bei welchem Gericht der Aushang der Benachrichtigung zu erfolgen hat, ist in den §§ 186 ff. ZPO zwar nicht ausdrücklich bestimmt. Nach Auffassung des Senats kommt aber nur die Gerichtstafel des Prozessgerichts in Betracht (so auch OLG Hamm [3. Strafsenat] NJW 2007, 933, 935; OLG Hamm [3. Senat], Beschluss vom 21. November 2006, aaO; Stuttgart [4. Strafsenat] NJW 2007, 935, 937).

aa) § 186 ZPO regelt nicht nur die Bewilligung (Abs. 1), sondern auch die Ausführung der öffentlichen Zustellung (Abs. 2, Abs. 3). Dass die öffentliche Zustellung nicht am Prozessgericht des § 186 Abs. 1 ZPO auszuführen sein soll, ist der Vorschrift gerade nicht zu entnehmen. Der Gesetzgeber hat aber andererseits für den Fall der öffentlichen Zustellung eines Vollstreckungsbescheides in der "Sondervorschrift" (Roth in: Stein/Jonas, aaO, Rdn. 7) des § 699 Abs. 4 Satz 3 ZPO ausdrücklich zwischen dem Gericht, das die öffentliche Zustellung bewilligt, und dem Gericht, das eine solche Zustellung ausführt, unterschieden.

bb) Für die vorgenannte Auslegung spricht auch die Begründung der Bundesregierung zu Art. 1 Nr. 14 des Entwurfs eines Gesetzes über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz vom 28. Oktober 2004 - Justizkommunikationsgesetz - (BTDrucks. 15/4067, S. 32, in Kraft seit dem 1. April 2005, BGBl. I, 837 ff., 858), zu der entsprechend diesem Entwurf in § 186 Abs. 2 Satz 2 ZPO vorgenommenen Ergänzung, dass die Benachrichtigung zusätzlich in einem von dem Gericht für Bekanntmachungen bestimmten elektronischen Informations- und Kommunikationssystem erfolgen könne. Die Ergänzung - so die amtliche Begründung - schaffe "die zusätzliche Möglichkeit einer öffentlichen Zustellung durch Einstellung in das Internet auf der Homepage des Prozessgerichts" (BTDrucks., aaO).

cc) Auch in der einschlägigen zivilprozessualen Kommentarliteratur wird es offensichtlich als selbstverständlich angesehen, dass die öffentliche Zustellung nach § 186 Abs. 2 ZPO durch einen Aushang an der Tafel des Prozessgerichts auszuführen ist (vgl. auch OLG Hamm [3. Strafsenat] aaO). Im Rahmen der Kommentierungen zu § 186 ZPO wird die Frage, bei welchem Gericht die Anheftung der Benachrichtigung an die Gerichtstafel zu erfolgen hat, nicht gesondert erörtert (vgl. aber auch Roth in: Stein/Jonas, aaO, § 188 Rdn. 1 hinsichtlich § 604 ZPO, wonach als Ort der [öffentlichen] Zustellung der Sitz des Prozessgerichts gilt).

dd) Nach Auffassung des Senats hat die nunmehr auch für die Ausführung öffentlicher Zustellungen an den Beschuldigten (Angeklagten) geltende Verweisung gemäß § 37 Abs. 1 StPO auf die §§ 186, 187 ZPO somit zur Folge, dass bei einer Zustellung nach § 40 StPO der Aushang der Benachrichtigung an der Gerichtstafel desjenigen Gerichtes zu erfolgen hat, das für die Bewilligung der öffentlichen Zustellung zuständig ist. Das ist das Gericht, bei dem das Straf- oder Strafvollstreckungsverfahren anhängig ist, in dem die öffentliche Zustellung erfolgen soll. Dieses Gericht ist bei öffentlichen Zustellungen an den Beschuldigten bzw. Angeklagten im Strafverfahren als "Prozessgericht" im Sinne des § 186 Abs. 1 ZPO anzusehen (so auch OLG Hamm [3. Strafsenat] aaO; OLG Stuttgart [4. Strafsenat] aaO; vgl. auch OLG Hamm [2. Strafsenat] NStZ-RR 2006, 344 f. [obiter dictum], wonach es praktikabel wäre, wenn der Aushang immer an der Gerichtstafel desjenigen Gerichts erfolgt, das auch für die Anordnung der öffentlichen Zustellung zuständig ist; in diesem Sinne auch OLG Stuttgart [5. Strafsenat], Beschluss vom 11. Januar 2006 - 5 Ss 570/05 - [zit. nach juris]).

Dieses Ergebnis trägt schließlich auch dem gesetzgeberischem Willen Rechnung, den Arbeitsaufwand der Gerichte bei der Ausführung der öffentlichen Zustellung zu vereinfachen. Gemäß § 186 Abs. 2 Nr. 4 ZPO wird dem Zustellungsadressaten ein Recht auf Einsichtnahme in das zuzustellende Schriftstück eingeräumt, wobei sich aus der an der Gerichtstafel ausgehängten Benachrichtigung ergeben muss, an welcher Stelle die Einsicht erfolgen kann. Nach der amtlichen Begründung zu § 40 StPO n. F. kann der Berechtigte sein Einsichtsrecht regelmäßig auf der Geschäftsstelle des Gerichts ausüben (vgl. BTDrucks. 15/3482, S. 20). Die Einsichtsmöglichkeit wird vernünftigerweise (OLG Hamm [3. Strafsenat] aaO) auf der Geschäftsstelle des Gerichts bestehen, bei dem das Verfahren, in dem die öffentliche Zustellung erfolgen soll, anhängig ist, da sich dort die Verfahrensakten befinden.

c) Die im vorliegenden Verfahren angeordnete öffentliche Zustellung des Urteils des Landgerichts Schwerin vom 17. Mai 2006 hätte folglich durch den Aushang einer entsprechenden Benachrichtigung an der Gerichtstafel des Landgerichts Schwerin ausgeführt werden müssen. Da hier Urteils- und Beschlussausfertigung an der Gerichtstafel eines falschen Gerichts ausgehängt waren, hat dies die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung des Urteils zur Folge (vgl. OLG Hamm [3. Strafsenat] aaO; OLG Stuttgart [4. Strafsenat] aaO; Weßlau in: SK-StPO, 40. Aufbau-Lfg. [Stand Juli 2004], § 40 Rdn. 17 m. w. N.). Damit hat die Frist des § 329 Abs. 3 StPO nicht zu laufen begonnen, sodass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung nicht als unzulässig zu verwerfen war.

2. Auf den Antrag des Angeklagten ist ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung zu gewähren.

Die - dargestellte- Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung des Verwerfungsurteils betrifft auch die in dieser Form vorgenommene Ladung zur Berufungshauptverhandlung; auch diese hätte durch den Aushang einer entsprechenden Benachrichtigung an der Gerichtstafel des Landgerichts Schwerin ausgeführt werden müssen. Mangels einer wirksamen Ladung war der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung nicht säumig. Er ist jedoch einem Säumigen gleichgestellt, so dass ihm - ohne Rücksicht auf ein Verschulden - Wiedereinsetzung zu gewähren ist, wenn (wie hier) das Gericht die Unwirksamkeit der Ladung übersehen hat (vgl. nur Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 329 Rdn. 41 m. umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).

3. Wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung gewährt, macht dies das Verwerfungsurteil gegenstandslos, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung bedarf (Ruß in: KK-StPO, 5. Aufl., § 329 Rdn. 24; Meyer-Goßner, aaO, Rdn. 44).

4. Hinsichtlich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand folgt die Kostenentscheidung aus § 473 Abs. 7 StPO; soweit der Angeklagte gegen die seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwerfende Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt hat (§ 46 Abs. 3 StPO), folgt die Kostenentscheidung den allgemeinen Regeln (vgl. Franke in: KK aaO § 473 Rdn. 16).

III. Sofern die Ladung des Angeklagten zur anzuberaumenden Berufungshauptverhandlung erneut öffentlich zuzustellen sein sollte, bemerkt der Senat:

1. Nach § 40 Abs. 3 StPO ist die öffentliche Zustellung im Verfahren über eine vom Angeklagten eingelegte Berufung bereits dann zulässig, wenn die Zustellung nicht unter der Anschrift möglich ist, unter der letztmals zugestellt wurde oder die der Angeklagte zuletzt angegeben hat. Im Gegensatz zur Auffassung des Beschwerdeführers ist das Berufungsgericht nicht gehalten, Ermittlungen zur Wohnanschrift des Angeklagten anzustellen. Dieses entspräche nicht den mit den Erleichterungen des § 40 Abs. 3 StPO verfolgten Gesetzeszweck, die Justiz zu entlasten und das Berufungsverfahren zu beschleunigen (vgl. auch Hans. OLG Hamburg NStZ 2000, 238, 239; OLG Hamm NStZ-RR 2006, 309, 310; Maul in: KK, aaO, § 40 Rdn. 8; Meyer-Goßner, aaO, § 40 Rdn. 5, jeweils mit weiteren Nachweisen). Der Angeklagte hat es selbst in der Hand, durch Mitteilung seiner Wohnanschrift, unter der bei Abwesenheit auch mittels Niederlegung zugestellt werden kann, sein Rechtsschutzinteresse für das Berufungsverfahren zu wahren.

2. Das Landgericht Schwerin wird nicht nur die Aushangfristen des § 40 Abs. 1 Satz 2 StPO zu beachten haben, sondern auch dem Umstand Rechnung tragen, dass - wie unter II. 1. lit a) ausgeführt - lediglich eine Benachrichtigung über die Zustellung an der Gerichtstafel auszuhängen ist, um eine "Prangerwirkung" durch den Aushang des Inhalts gerichtlicher Entscheidungen zu vermeiden. Der Bewilligungsbeschluss selbst muss nicht ausgehängt werden; mit Blick auf den gesetzgeberischen Willen ist ein mit der Benachrichtigung verbundener Vermerk ausreichend, aus dem sich ergibt, dass die öffentliche Zustellung mit Beschluss (vom ...) bewilligt worden ist (vgl. auch Roth in: Stein/Jonas, aaO, § 186 Rdn. 7; a. A. wohl Hartmann in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, § 186 Rdn. 10). Im Übrigen werden die sich aus §§ 186 Abs. 2, Abs. 3, 187 ZPO ergebenden wesentlichen Förmlichkeiten zu beachten sein.

Ende der Entscheidung

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