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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 03.06.2004
Aktenzeichen: 10 UF 22/04
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 323
BGB §§ 1601 f.
BGB § 1603 Abs. 1
BGB § 1603 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
10 UF 22/04

Beschluss

In der Familiensache

hat der 1. Familiensenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Richter am Oberlandesgericht Bollmann, den Richter am Oberlandesgericht Nyenhuis und die Richterin am Amtsgericht Selbmann

am 3. Juni 2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beklagten, ihm für die beabsichtigte Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Schwerin - Familiengericht - vom 29.12.2003 (Az.: 22 F 569/03) Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Beklagte begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Berufung, die er gegen das im Tenor genannte Urteil des Amtsgerichts Schwerin einlegen möchte.

Er wird von der am 01.06.1987 geborenen Klägerin, seiner Tochter, auf Zahlung von Unterhalt i. H. d. Regelbetrages in Anspruch genommen. Diese ist Schülerin und mittellos. Sie lebt bei ihrer Mutter.

Der Beklagte ist Rentner. Bis zum 30.06.2003 ist ihm eine Rente i. H. v. 799,29 € ausgezahlt worden, seit dem 01.07.2003 erhält er monatlich 805,72 €.

Er ist verheiratet. Gemeinsam mit seiner Ehefrau (zu je 1/2) ist er Eigentümer eines Hausgrundstücks in Güstrow, Ortsteil Klueß gewesen.

Mit notariellem Schenkungsvertrag vom 04.11.2002 ist das Anwesen auf die aus der Ehe stammende Tochter I. V., die Halbschwester der Klägerin, übertragen worden.

Gemäß § 3 des notariellen Vertrages hat Frau I. V. dem Beklagten und seiner Ehefrau ein lebenslängliches Wohnrecht an allen Räumen des ihr geschenkten Hauses eingeräumt.

Gemäß § 2 Abs. 2 haben sich der Beklagte und seine Ehefrau verpflichtet, die Zinsen und Tilgungen für eine auf dem Hausgrundstück lastende Grundschuld mit einer Restvaluta i. H. v. 6.000,00 € auch nach Übertragung des Grundstücks weiter zu zahlen. Der Kredit - ursprünglich über 18.748,00 DM - hat noch einen Laufzeit bis zum 30.11.2004. Die Tilgung beträgt 10 % jährlich, die monatliche Kreditrate 243,00 DM.

Für das Hausgrundstück fallen zudem jährlich folgende Kosten an:

Strom, Wasser etc.. 2.901,58 € Gebühr Wasser und Bodenverband und Grundsteuer 64,53 € Abfall 53,50 € Gebäudeversicherung 211,04 € Schornsteinfeger 62,52 € Wartung Heizung 97,02 €

Gemäß § 6 des notariellen Vertrages ist der Wert des Hausgrundstückes mit 150.000,00 € und der des Wohnrechts mit 6.000,00 € beziffert worden.

Mit am 30.11.1993 vom Jugendamt des Landkreises G. erstellten Urkunde hat sich der Beklagte verpflichtet, für die Klägerin ab deren 13. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr eine monatliche Unterhaltsrente von 322,00 DM zu zahlen.

Die Klägerin begehrt die Abänderung dieser Urkunde. Sie hat beantragt:

Der Beklagte wird verurteilt, in Abänderung der Urkunde des Jugendamtes G. vom 30.11.1993 zur Urkundenregisternummer 479/93 an die Klägerin für den Monat Juni 2003 Kindesunterhalt i. H. v. 249,00 € und ab Juli 2003 Kindesunterhalt i. H. v. 262,00 € zu zahlen und zwar im Voraus bis spätestens zum 3. Tag eines jeden Monats.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Zeitraum Februar bis Mai 2003 rückständigen Unterhalt i.H. v. 337,44 € nebst 5 % Zinsen über Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Er hat die Ansicht vertreten, er müsse keine höhere als die bereits durch das Jugendamt in der genannten Urkunde titulierte Rente zu zahlen. Er sei nicht hinreichend leistungsfähig. Sein Selbstbehalt betrage 650,00 €, weil er endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Nach dessen Berücksichtigung stehe von seinem Renteneinkommen nur noch ein Betrag i. H. v. 164,64 € für die Zahlung von Unterhalt zur Verfügung.

Über einen Wohnwertvorteil verfüge er nicht. Für das von ihm und seiner Frau bewohnte Haus fielen monatliche Belastungen i. H. v. 406,76 € an. Da die Rente seiner Ehefrau geringer als seine sei, müsse er zumindest 50 % dieser Belastungen tragen (= 203,38 €). Dieser Aufwand sei höher als der, den er für eine angemessene Wohnung haben würde. Angemessen sei eine 2,5- Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von bis zu 70 m². Bei einer Kaltmiete von 4,00 €/m² würde sein hälftiger Anteil an den Mietkosten nur monatlich 140,00 € betragen.

Mit dem Urteil, das der Beklagte mit der Berufung anfechten möchte, hat das Familiengericht ihn verurteilt, in Abänderung der Urkunde des Jugendamtes Güstrow vom 30.11.1993 an die Klägerin folgenden Kindesunterhalt zu zahlen:

Ab Juni 2003 monatl. 249,00 € und ab Oktober 2003 262,00 € und zwar monatl. im Voraus bis zum 3. Werktag eines jeden Monats, sowie für den Zeitraum von Februar bis Mai 2003 rückständigen Unterhalt i. H. v. 337,44 € nebst 5 % Zinsen seit dem 02.10.2003.

Das Gericht ist der Ansicht, die Klage sei in dem tenorierten Umfang begründet.

Ein Abänderungsgrund i. S. d. § 323 ZPO liege vor, weil sich die tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seit der Errichtung der Jugendamtsurkunde im Jahr 1993 verändert hätten.

Der Unterhaltsanspruch der Klägerin folge aus §§ 1601 f. BGB.

Der Beklagte sei hinreichend leistungsfähig, um die titulierten Beträge (i. H. d. Regelbetrages) zahlen zu können. Bei ihm sei von folgendem Einkommen auszugehen:

Altersrente bis zum 30.06. 799,29 €, ab den 01.07.2003 805,23 € jeweils zzgl. fiktiven Wohnvorteil 216,00 €.

Ein fiktiver Wohnvorteil sei aus folgendem Grund anzurechnen:

Bis zur Übertragung des Hausgrundstücks auf die Tochter habe der Beklagte mit seiner Ehefrau nahezu lastenfrei sein Einfamilienhaus bewohnt und dadurch Miete eingespart. Dieser Vorteil sei ihm als Einkommen zuzurechnen. Er bewerte sich nicht nach den Kosten für eine angemessene Wohnung sondern nach dem Marktmietwert des bewohnten Hauses.

Der Wohnwert des Eigenheimes betrage gem. § 6 der notariellen Urkunde 6.000,00 € jährlich = 500,00 € monatlich. Wertmindernd seien die monatlichen Aufwendungen für den Wasser- und Bodenverband sowie die Grundsteuer i. H. v. 5,38 €, für die Gebäudeversicherung i. H. v. 17,59 €, und für die Zinszahlungen i. H. v. 45,00 € zu berücksichtigen, so dass sich ein Restwohnwert von 432,03 € ergebe.

Die Schuldentilgungen i. H. v. monatl. ca. 156,00 DM seien nicht wohnwertmindernd zu berücksichtigen.

Da der Beklagte das Haus im Hinblick auf seine gegenüber der Klägerin bestehende Unterhaltspflicht nicht auf seine andere Tochter hätte übertragen dürfen, sei ihm dieser Vorteil fiktiv auch für die Zeit nach der Eigentumsübertragung zuzurechnen.

Unter Berücksichtigung des hälftigen Wohnwertvorteils von 216,00 € und seiner Renteneinkünfte verfüge er über ein Nettoeinkommen von mehr 1.000,00 €. Auch nach Abzug des Selbstbehalts von 650,00 € sei er damit in der Lage, die geforderten Regelbeträge zu zahlen.

Unterhalt i. H. v. 262,00 € sei erst ab Oktober 2003 zu zahlen, weil die Klägerin ihn zuvor nicht mit entsprechenden Zahlungen in Verzug gesetzt habe.

Mit der beabsichtigten Berufung möchte der Beklagte gegen das Urteil einwenden, die Zurechnung eines Wohnwertvorteils sei fehlerhaft. Das Familiengericht habe einen zu hohen Wohnwert in Ansatz gebracht. Bei dessen Berechnung müsse von dem Betrag ausgegangen werden, den er als Miete für eine für sich und seine Ehefrau angemessene Wohnung ausgegeben hätte. Der Vorteil wäre dann erheblich geringer ausgefallen.

II.

Dem Beklagten ist Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz zu versagen, weil seine beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO).

Es ist nicht zu beanstanden, dass das Familiengericht dem Beklagten einkommenserhöhend einen Wohnvorteil i. H. v. 216,00 € monatlich angerechnet hat.

Hinsichtlich der Errechnung des Wohnvorteils wird in der Rechtsprechung eine Unterscheidung dahingehend vorgenommen, für welche Personengruppe Unterhalt zu zahlen ist.

Wohl unstreitig ist für die Vorteilserrechnung der angemessene Mietwert - das heißt der Wert, der regelmäßig im Hinblick auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltsschuldners für die Zahlung von Miete verwandt wird - zugrundezulegen, wenn Trennungs- (vgl. FamRZ 2000, 351, 353) oder der Elternunterhalt (vgl. BGH NJW 2003, 2306, 2307; OLG Oldenburg FamRZ 2000, 1174, 1175 li. Sp.) geltend gemacht wird. Grund hierfür ist beim Trennungsunterhalt, dass die Ehewohnung einerseits zu groß für den in dieser verbliebenen Ehegatten ist (sogenanntes totes Kapital), er aber andererseits aus Zumutbarkeitsgründen nicht verpflichtet ist, diese ganz oder teilweise zu verwerten (vgl. FamRZ 2000, 351, 353 li. Sp.).

Beim Elternunterhalt ist der angemessene Mietwert zugrundezulegen, weil gem. § 1603 Abs. 1 BGB ein Bestandsschutz für den bisherigen Lebensstandard des Unterhaltspflichtigen besteht (vgl. BGH NJW 2003, 2306, 2307 re. Sp.; Palandt/Dietrichsen, BGB, 63. Aufl., § 1603 Rdn. 10). Es erscheint aus diesem Grund angemessen, den Vorteil nach der allgemeinen Lebensstellung des Unterhaltspflichtigen zu bemessen (vgl. BGH a. a. O.).

Ebenso ist es wohl herrschende Ansicht, dass sich der in der Ehewohnung verbliebene Ehegatte nach der Ehescheidung den objektiven Marktmietwert als Wohnvorteil zurechnen lassen muss, weil ab diesem Zeitpunkt kein Grund mehr vorliegt, eine ansich zu große Wohnung beizubehalten (vgl. BGH FamRZ 2000, 950, 951 re. Sp.).

Zur Frage, ob sich beim Kindesunterhalt der Wohnvorteil nach der objektiven Marktmiete oder nach einem den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen angemessenen Mietwert bemisst, liegt bisher keine Entscheidung des BGH vor (vgl. Wendl/Gerhardt, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Auflage, § 1 Rdn. 402). Es wird die Ansicht vertreten (vgl. Gerhardt FamRZ 1993, 1139; Brüler Schriften zum Familienrecht Band 11), auch insoweit sei zu differenzieren, ob die Eltern des minderjährigen Unterhalt begehrenden Kindes getrennt leben oder ob die Scheidung bereits ausgesprochen worden sei. Es solle jeweils die für diese Fälle bestehende Rechtsprechung zum Wohnvorteil im Ehegattenunterhalt Anwendung finden.

Ob dieser Ansicht zu folgen ist, kann hier dahinstehen, denn die Eltern der Klägerin sind nicht miteinander verheiratet gewesen.

Nach Ansicht des Senats ist im vorliegenden Fall mit dem Familiengericht davon auszugehen, dass der objektive Marktmietwert als Wohnvorteil anzurechnen ist.

Denn im Hinblick auf die Minderjährigkeit der Klägerin trifft den Beklagten gem. § 1603 Abs. 2 BGB die Verpflichtung, alle ihm verfügbaren Mittel zu deren Unterhalt zu verwenden. Zu den verfügbaren Mitteln zählt auch der objektive Marktmietwert des Hauses.

Dass das Haus nicht ganz oder teilweise (einige Zimmer des Hauses) vermietet und so die zur Zahlung des Regelbetrags notwendigen Mittel erzielt werden können, hat der Beklagte nicht hinreichend vorgetragen. Im Hinblick darauf, dass die Vermutung gilt, dass ein Unterhaltspflichtiger in der Lage ist, zumindest die Regelbeträge für seine minderjährigen Kinder zu zahlen (vgl. BGH FamRZ 1998, 357, 359), trifft ihn insoweit die Darlegungs- und Beweislast. Er muss sich daher so behandeln lassen, als verfüge er über diese.

Hinsichtlich der Errechnung des Wohnwertvorteils und zur rechtlichen Wertung der Schenkung wird auf die zutreffenden und bisher nicht angegriffenen Ausführungen des Familiengerichts verwiesen.

Im Hinblick darauf, dass sich der Beklagte bereits auf Grund der o. g. Ausführungen so behandeln lassen muss, als sei er leistungsfähig, kommt es nicht darauf an, ob und in welcher Höhe ihm wegen des Zusammenlebens mit seiner Ehefrau eine Haushaltsersparnis zuzurechnen ist.

Ende der Entscheidung

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