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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 06.10.2004
Aktenzeichen: 10 UF 33/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB §§ 1601 ff.
BGB § 1603 Abs. 2
BGB § 1603 Abs. 2 S. 1
BGB § 1603 Abs. 2 S. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Az.: 10 UF 33/04

Beschluß

In der Familiensache

hat der 1. Familiensenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Richter am Oberlandesgericht Bollmann, den Richter am Oberlandesgericht Nyenhuis und die Richterin am Oberlandesgericht Bail

am 06.10.2004 beschlossen:

Tenor:

Dem Kläger und Berufungskläger wird unter Beiordnung seines Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt G., Ludwigslust, ratenfreie Prozeßkostenhilfe für seine Berufung gewährt, soweit er von der Beklagten folgende Unterhaltszahlungen für den gemeinsamen Sohn D. begehrt:

- vom 01.01.2003 - 30.06.2003: monatlich 124 EUR;

- vom 01.07.2003 - 31.12.2004 monatlich 137 EUR;

- vom 01.01.2005: monatlich 262 EUR.

Im übrigen wird dem Kläger Prozeßkostenhilfe versagt.

Gründe:

Dem Kläger ist für das Berufungsverfahren Prozeßkostenhilfe in dem im Tenor angegebenen Umfang zu gewähren. Im Übrigen ist ihm Prozeßkostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Berufung zu versagen.

Der in Prozeßstandschaft geltend gemachte Anspruch des Kindes D. beruht auf den §§ 1601 ff. BGB. Die Beklagte ist grundsätzlich - wie es das Familiengericht zutreffend ausgeführt hat - gemäß § 1603 Abs. 2 BGB ihrem minderjährigen Sohn gegenüber gesteigert erwerbspflichtig.

Entgegen der Auffassung des Familiengerichts kann sich die Beklagte jedoch nicht mit Erfolg auf die Betreuung der Tochter S. zurückziehen. Auch der Abzug des monetarisierten Betreuungsunterhalts steht nicht im Einklang mit der höchst- richterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH FamRZ 1991, 482).

Grundsätzlich gilt, daß bei Geschwistertrennung jeder Elternteil, der mindestens eines von mehreren gemeinsamen minderjährigen Kindern betreut, nur gegenüber dem bei ihm lebenden Kind seine Unterhaltspflicht durch Pflege und Erziehung erbringt. Das Einkommen, das zur Ermittlung des zu zahlenden Barunterhalts heranzuziehen ist, kann je nach dem Alter des Kindes, das beim Barunterhaltspflichtigen lebt, unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben zumindest teilweise aus unzumutbarer Tätigkeit stammen (vgl. Wendl/Scholz, Unterhaltsrecht, 5. Auflage, § 2, Rn. 312). Zu beachten ist, daß im Rahmen der gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB Eltern alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der minderjährigen Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden haben. Dazu gehören auch verfügbare Mittel aus einer überobligationsmäßigen Erwerbstätigkeit. In der Regel ist in derartigen Fällen der Verdienst voll anzurechnen. Dem barunterhaltspflichtigen Elternteil kann wegen der Betreuung des bei ihm lebenden Kindes ggf. ein Betreuungsbonus gewährt werden, wenn die Betreuung zwar ohne konkret erfaßbare Mehrkosten, aber doch nur unter tatsächlichen Schwierigkeiten möglich ist. Dazu hat die Beklagte jedoch keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen. Darüber hinaus ist zu beachten, daß die Beklagte die Betreuung der Tochter trotz Schichtarbeit sicherstellt, so daß Anhaltspunkte für tatsächliche Schwierigkeiten auch nicht ersichtlich sind.

Im Rahmen der gesteigerten Erwerbsobliegenheit kann ein Elternteil sich dem Unterhaltsanspruch des nicht bei ihm lebenden Kindes grundsätlich nicht mit der Begründung entziehen, er betreue dessen Bruder oder Schwester. Er ist verpflichtet, jedenfalls den Mindestunterhalt des vom anderen Elternteil betreuten Kindes sicherzustellen, wenn er dazu nach seinen beruflichen Fähigkeiten ohne Gefährdung seines notwendigen Selbstbehalts in der Lage ist. Er ist daher in der Regel verpflichtet, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und dafür zu sorgen, daß das bei ihm lebende Kind teilweise von Dritten betreut wird. Eine Erwerbspflicht des barunterhaltspflichtigen Elternteils kann nur unter besonderen Umständen verneint werden, etwa dann, wenn sein eigener angemessener Bedarf bei Leistung von Barunterhalt gefährdet wäre, während die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des anderen Elternteils deutlich besser sind.

Vorliegend ist die Beklagte als leistungsfähig anzusehen. Sie erzielt aus einer halbschichtigen Tätigkeit ein Einkommen von ca. 670 EUR netto. Aufgrund des Zusammenlebens mit ihrem ebenfalls erwerbstätigen Lebensgefährten ist ihr Selbstbehalt um 25 %, mithin um 187,50 EUR auf 562,50 EUR zu kürzen. Um den Regelbetrag für den Sohn D. zahlen zu können, hätte sie somit in der Zeit vom 01.01.2003 - 30.06.2003 monatlich 811,50 EUR (562,50 + 249 = 811,50) und ab dem 01.07.2003 monatlich 824,50 EUR (562,50 + 262 = 824,50) verdienen müssen. Die Differenz von 141,50 EUR bzw. 154,50 EUR hätte sie durch eine Erhöhung ihrer Stundenzahl auf bis zu 30 Std. in der Woche aufbringen können.

Eine völlige Befreiung der Beklagten von der gesteigerten Erwerbsobliegenheit ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB. Zwar ist auch der Vater des unterhaltsbegehrenden minderjährigen Kindes als anderer leistungsfähiger Verwandter i.S.d. Vorschrift anzusehen, jedoch haftet der betreuende Elternteil für Betreuungs- und Barunterhalt nur dann, wenn er bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts in der Lage ist, den Barunterhalt aufzubringen. Dann kann die verschärfte Unterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils entfallen (vgl. Wendl/Scholz, a.a.O., Rn. 271, 274), und zwar, wenn die Inanspruchnahme des barunterhaltspflichtigen Elternteils zu einem erheblichen finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Eltern führen würde, weil er wesentlich geringere Einkünfte hat als der betreuende Elternteil, der in deutlich günstigeren wirtschaftlichen Verhältnissen lebt. In einem solchen Fall kann die Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils insbesondere dann entfallen oder sich ermäßigen, wenn er zur Unterhaltszahlung nicht ohne Beeinträchtigung seines eigenen angemessenen Selbstbehalts in der Lage wäre, während der andere Elternteil neben der Betreuung des Kindes auch den Barunterhalt leisten könnte, ohne daß dadurch sein eigener angemessener Unterhalt gefährdet würde. Der Elternteil, der sich auf § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB beruft, hat darzulegen und zu beweisen, daß sein angemessener Bedarf bei Leistung des Barunterhalts gefährdet wäre und daß die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des anderen Elternteils dessen Heranziehung zum Barunterhalt rechtfertigen (BGH FamRZ 1981, 347).

Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist der Kläger nach Abzug seiner Verbindlichkeiten und unter Berücksichtigung seines angemessenen Selbstbehalts nicht in der Lage, den Regelbetrag für D. in vollem Umfang aufzubringen.

Hinsichtlich der Fahrtkosten hat die Beklagte den Beweis dafür, daß der Kläger nur an 170 Arbeitstagen an seinen Arbeitsort reist nicht angetreten. Bei den vom Kläger zu tragenden Verbindlichkeiten für das gemeinsame Haus ist zu beachten, daß er dieses Haus bewohnt und ihm Wohnkosten auch in einer Mietwohnung entstehen würden. Es ist daher nur die Zahlung, die er zur Freistellung der Beklagten erbringt, einkommensmindernd zu berücksichtigen.

Der Kläger erzielt unstreitig ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 2.757 EUR. Davon sind in Abzug zu bringen:

- Fahrtkosten i.H.v. 1.130,00 EUR (0,22 € x 280 km x 220 AT)

- für die Beklagte getilgte 373,47 EUR Verbindlichkeiten betreffend das gemeinsame Haus

- Unterhalt für St. 228,00 EUR.

Es verbleibt somit ein bereinigtes Einkommen von 1.025,53 EUR.

Der Kläger ist ohne Gefährdung seines angemessenen Selbstbehalts von 900 EUR in der Lage, neben dem Betreuungsunterhalt 125 EUR an Barunterhalt für den Sohn D. aufzubringen, so daß die Beklagte in folgender Höhe Unterhaltszahlungen zu erbringen hat:

- 01.01.2003 - 30.06.2003: monatlich 124 EUR (249 - 125 = 124 EUR)

- 01.07.2003 - 31.12.2004 monatlich 137 EUR

Für die Zeit von Jan. 2003 bis einschließlich Oktober 2004 ist somit ein Unterhaltsrückstand i.H.v. 2.936 EUR aufgelaufen [124 x 6 = 744 EUR; 137 x 16 = 2.192 EUR].

Aus dem Schriftsatz des Klägers vom 04.10.2004, zu dem die Beklagte noch keine Gelegenheit der Stellungnahme hatte, ergibt sich, daß die Beklagte jeweils zum 01.01.2005 und zum 01.01.2006 Beträge von 5.000 EUR erhalten soll. Ab dem 01.01.2005 hätte sie somit den Regelbetrag in voller Höhe zu zahlen.

Ende der Entscheidung

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