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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 18.04.2006
Aktenzeichen: 10 WF 234/05
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1610 Abs. 2
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
Ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt kann auch für die Dauer eines berufsvorbereitenden Praktikums bestehen.
Az.: 10 WF 234/05

Beschluss

In der Familiensache

hat der 1. Familiensenat des Oberlandesgerichts Rostock am 18.04.2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Amtsgerichts R - Familiengericht - vom 23.09.2005 abgeändert.

Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S bewilligt.

Gründe:

I. Die volljährige Klägerin begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Sie nimmt den Beklagten, ihren Vater, beginnend ab Oktober 2004 auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt in Anspruch. Sie wird zum Wintersemester 2006 an der Hochschule für Musik und Theater in München ein Studium der Schauspielkunst aufnehmen. In der Zeit, für die sie Ausbildungsunterhalt begehrt, ist sie als Hospitantin am Volkstheater R tätig. Für diese Tätigkeit erhält sie kein Entgelt. Nach einer Bescheinigung des genannten Theaters vom 19.09.2005 beträgt ihrer Mindestarbeitszeit täglich 8 Stunden. Sie hat bei der Morgen- und Abendprobe anwesend zu sein. Das Praktikum ist nicht Voraussetzung für die Aufnahme des Schauspielstudiums. Bevor sie zu diesem in München zugelassen worden ist, hat sie sich im Mai 2005 vergeblich um einen Studiumsplatz in R beworben. Neben der Praktikumstätigkeit hat sie als Statistin bei der Inszenierung "Herr Puntila und sein Knecht Matti" pro Vorstellung 30 Euro verdient. Vor der Aufnahme des Praktikums hat sie den Realschulabschluss erworben.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Familiengericht ihren Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung zurückgewiesen, ihre Klage biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn ein Praktikum sei keine Ausbildung i. S. d. § 1610 Abs. 2 BGB, zumal es für die Aufnahme des Studiums nicht erforderlich sei. Ein Unterhaltsanspruch entstehe frühestens mit der Aufnahme einer Ausbildung. Hinsichtlich der Einzelheiten im Übrigen wird auf den angefochtenen Beschluss und die von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Mit ihrer sofortigen Beschwerde wendet die Klägerin gegen den Beschluss ein, ein verzögerter Studienbeginn stehe grundsätzlich einer Unterhaltspflicht nicht entgegen. Solange sie mit Fleiß und Zeiteinsatz ihr Ausbildungsziel verfolge, habe sie zumindest während einer "Karenzzeit" von zwei Jahren Anspruch auf Unterhalt. Zudem sei ihr Prozesskostenhilfe zu gewähren, weil es sich bei der Frage, ob bereits jetzt ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt bestehe, um eine schwierige Rechtsfrage handele, die auch anders als vom Familiengericht beantwortet werden könne.

II. Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Das Familiengericht hätte der Klägerin nicht Prozesskostenhilfe mit der Begründung versagen dürfen, ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt bestehe nicht, weil das Praktikum keine Ausbildung im Sinne des § 1610 Abs. 2 BGB sei.

Zwar trifft es zu, dass ein Praktikum keine Ausbildung im engeren Sinne ist. Jedoch umfasst der Begriff "Berufsausbildung" nicht nur Ausbildungmaßnahmen im engeren Sinne - wie z.B. einen Unterricht oder die Teilnahme an Kursen. Unter dem Begriff sind vielmehr alle Maßnahmen zu verstehen, die dem Ziel dienen, Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen zu sammeln, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (vgl. FG Köln, EFG 2004, 1848, 1849). Dazu gehören auch Berufspraktika und zwar unabhängig davon, ob sie nach der Studienordnung vorgeschrieben sind (vgl. FG Köln aaO; OLG Brandenburg FamRZ 2004, 560, 561 - zum berufsvorbereitenden Lehrgang; OLG Hamm FamRZ 2004, 1131, 1132 - ebenfalls zum berufsvorbereitenden Lehrgang). Unstreitig absolviert die Klägerin ein Praktikum, das die o.g. Voraussetzungen erfüllt. Nach Aktenlage besteht daher ein Anspruch auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt gem. § 1610 Abs. 2 BGB.

Ob diesem Anspruch die übrigen vom Beklagten geltend gemachten Einwände entgegenstehen wird vom Familiengericht zu klären sein.

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