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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 20.04.2006
Aktenzeichen: 11 UF 57/01
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1626 Abs. 2
BGB § 1626 Abs. 3
BGB § 1666
BGB § 1684 Abs. 1
BGB § 1684 Abs. 2
BGB § 1779
BGB § 1791b
BGB § 1909 Abs. 1 S. 1
BGB § 1915 Abs. 1
BGB § 1916
FGG § 12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Az.: 11 UF 57/01

Beschluss

In der Familiensache

betreffend das minderjährige Kind L..., geb. am ...1997, wohnhaft bei der Kindesmutter

hat der 2. Familiensenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...

am 20.04.2006 beschlossen:

Tenor:

Zum Zwecke der mit Beschluss des Senats vom 19.03.2003 angeordneten Begutachtung des Kindes ..., geb. am ...1997, durch die Sachverständige Frau Diplompsychologin S... wird der Kindesmutter die Befugnis zur Zustimmung zur Begutachtung, als Teilbereich der elterlichen Sorge, entzogen. Es wird insoweit für das Kind Pflegschaft angeordnet.

Zum Pfleger wird das Bezirksamt N..., Abteilung Jugend, ... bestellt.

Die Kindesmutter wird verpflichtet, das Kind an den Pfleger zum Zwecke der Zuführung zur Begutachtung herauszugeben.

Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt, notfalls unter Anwendung von Gewalt, das Kind der Kindesmutter wegzunehmen und dem Pfleger zu übergeben.

Die Bestimmung des Zeitpunktes sowie der Anzahl der Begutachtungstermine obliegt der Sachverständigen.

Gründe:

I.

Die Parteien sind die Eltern des am ...1997 außerehelich geborenen gemeinsamen Kindes L.... Sie haben in der Zeit zwischen April 1997 und Juni 1998 zusammengelebt. Am 29.06.1998 hat sich die Kindesmutter von dem Kindesvater getrennt. Seitdem streiten die Parteien um das Umgangsrecht des Kindesvaters mit dem Kind, zunächst außergerichtlich, im Weiteren gerichtlich.

Auf einen ersten Antrag des Kindesvaters haben die Parteien am 02.08.1999 vor dem Amtsgericht Bad Berleburg, Aktenzeichen 1 F 143/99, eine Vereinbarung dahin geschlossen, dass der Kindesvater berechtigt ist, jeden Sonntag in der Zeit von 14.00 Uhr - 18.00 Uhr das Kind zu sich zu nehmen.

Ohne Information des Kindesvaters ist die Kindesmutter Anfang November 1999 mit dem Kind nach S... verzogen. Seitdem gewährt sie dem Kindesvater keinen Umgang mehr.

Dies und die Nichtdurchführbarkeit des Umgangs gemäß der getroffenen Vereinbarung infolge des Umzuges der Kindesmutter nach S.. veranlasste den Kindesvater, eine Neuregelung des Umgangs zu beantragen.

Das Familiengericht hat nach Anhörung der Parteien, Beiziehung von Stellungnahmen des Jugendamtes der Stadt S... unter Einbeziehung einer Zuarbeit des Jugendamtes des Kreises W..., Anhörung der Vertreterin des Jugendamtes, Frau D..., sowie der Mitarbeiterin der Beratungsstelle Sozialmanagement in S..., zuständig für die Betreuung von Opfern von Sexualstraftaten, Frau Ch..., Einholung eines Sachverständigengutachtens, erstellt von Prof. Dr. M..., Medizinische Fakultät der Universität R..., und ergänzende Anhörung des Gutachters mit Beschluss vom 14.02.2001 in Abänderung der vor dem Amtsgericht B... geschlossenen Vereinbarung der Parteien, dem Kindesvater das Recht eingeräumt, Umgang mit dem minderjährigen Kind L..., wobei es zunächst begleitete Umgangskontakte geregelt hat. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Familiengericht insbesondere darauf verwiesen, dass sich der Verdacht der Kindesmutter hinsichtlich eines sexuellen Missbrauchs des Kindes durch den Vater nicht bestätigt habe, so dass einer Gewährung des Umgangsrechts für den Kindesvater nichts im Wege stehe. Soweit das Familiengericht zunächst begleiteten Umgang geregelt hat, war es hier der Annahme, dass in dem Zeitraum des erstinstanzlichen Verfahrens ein Ermittlungsverfahren gegen den Kindesvater eingeleitet und nicht abgeschlossen war. Tatsächlich hatte aber der Kindesvater wegen des Verdachts des Vortäuschens einer Straftat sowie des Prozessbetruges Anzeige gegen die Kindesmutter erstattet.

Gegen die erstinstanzliche Entscheidung hat die Kindesmutter befristete Beschwerde eingelegt, mit dem Begehren, den erstinstanzlichen Beschluss aufzuheben und den Antrag des Kindesvaters auf Abänderung des Umgangs abzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, dass die angefochtene Entscheidung allein auf dem Gutachten vom 14.07.2000 beruhe, dieses Gutachten jedoch nicht die wissenschaftlichen Voraussetzungen für ein verwertbares psychologisches Gutachten erfülle. Nur ein weiteres Sachverständigengutachten, das anhand eindeutiger Untersuchungskriterien von einem unvoreingenommenen Gutachter erstellt werden müsse, könne zur Grundlage einer erneuten Entscheidung genommen werden. Ein zweites Gutachten sei zudem notwendig, da L... jetzt aufgrund des Zeitablaufes bereits besser in der Lage sei, ihre Gedanken und Gefühle zu artikulieren.

Der Kindesvater begehrt die Zurückweisung der Beschwerde der Kindesmutter und zugleich eine Erweiterung des Umgangs dahin, dass dieser nicht in begleiteter Form vorzunehmen ist und im Weiteren auf zwei Tage im Monat erweitert wird. Er verweist darauf, dass es sich bei dem Vorbringen der Kindesmutter um Vorgänge handele, die nicht das Kind erzähle, sondern um solche, welche die Kindesmutter erfinde und konstruiere. Die Verfahrensweise der Kindesmutter sei allein darauf abgestellt, den Umgang seinerseits mit dem Kind grundsätzlich zu unterbinden und das Wohl dadurch und durch ihren schädlichen Einfluss auf das Kind bewusst in höchstem Maße zu gefährden.

Der Senat hat im Ergebnis eines ersten Anhörungstermins am 12.11.2001 dem Kind L... einen Verfahrenspfleger bestellt und erneut eine familienpsychologische Begutachtung, nunmehr durch die Sachverständige Frau Diplompsycholgin S... angeordnet.

Die Antragsgegnerin verweigerte dem bestellten Verfahrenspfleger einen Kontakt mit dem Kind, entzog sich und das Kind der angeordneten erneuten Begutachtung und kam auch der weiteren Aufforderung des Senates, ihre neue Anschrift mitzuteilen, nicht nach.

Im Ergebnis der mehrfachen Anhörung der Kindeseltern, der Vertreterin des Jugendamtes S.., des Verfahrenspflegers und darüber hinaus des Kindes L... durch die Berichterstatterin sowie Beweiserhebung durch Anhörung der sachverständigen Zeugin Frau T..., Analytische Kinder- und Jugendpsychotherapeutin, hat der Senat mit Beschluss vom 28.01.2004 den persönlichen Umgang des Antragsgegners mit seiner Tochter L... bis zum 31.12.2007 ausgeschlossen und die Kindesmutter verpflichtet, unter Angabe ihrer jeweiligen Wohnanschrift, dem Kindesvater jährlich im Februar und Juli, beginnend im Februar 2004 über die Entwicklung des Kindes schriftlich zu berichten sowie ab Februar 2005 Zeugniskopien des Kindes beizufügen.

Der Senat hat seine Entscheidung insbesondere darauf gestützt, dass er zu der Überzeugung gelangt sei, dass derzeit eine Durchsetzung des Umgangsrechts dem Wohle des Kindes L... widerspreche und deshalb zeitlich begrenzt auszuschließen sei. Mit der zwangsweisen Herbeiführung von Umgangskontakten zum Vater würde in die Mutter-Kind-Beziehung eingegriffen werden, weil eine Einflussnahme der Mutter auf das Kind insbesondere hinsichtlich ihrer Erwartung gegenüber dem Kind, den Kindesvater abzulehnen, nicht ausgeschlossen werden könne. Auch wenn der Senat von der Behauptung der Kindesmutter hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs des Kindes durch den Kindesvater ebenso wie das Familiengericht nicht überzeugt sei, lasse das derzeit zwischen den Eltern bestehende Verhältnis eine Durchsetzung der Kontakte zwischen Vater und Tochter nicht zu.

Diese Entscheidung wurde auf die Verfassungsbeschwerde des Kindesvaters mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 09.06.2004 aufgehoben, weil die angegriffene Entscheidung den Beschwerdeführer in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG verletze. Das Oberlandesgericht habe bei seiner Entscheidung maßgeblich auf die ablehnende Haltung der Kindesmutter abgestellt, ohne aber die Belange des Kindes und das Elternrecht des Kindesvaters hinreichend zu berücksichtigen. Der Senat habe auch nicht erwogen, dass das Verhalten der Mutter das Wohl des Kindes womöglich gefährden könnte. Ebensowenig habe er erörtert, welche positiven Auswirkungen Umgangskontakte für das Kind haben könnten. Er habe sich zudem auch nicht mit der gemäß Art. 6 Abs. 2 GG gebotenen Frage befasst, welche Konsequenzen aus der Weigerung der Kindesmutter an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, für das weitere Verfahren zu ziehen seien.

Nach erneuter Anhörung der Beteiligten am 03.11.2004 sowie des Kindes L... am 19.11.2004 hat der Senat an seiner Beschlussfassung vom 19.03.2003 zur Einholung eines Sachverständigengutachtens durch Frau Diplompsychologin S... festgehalten und zudem das für den Wohnsitz des Kindes zuständige Jugendamt in N... gebeten, eine aktuelle Stellungnahme zur Sache zu erarbeiten. Den daraufhin eingereichten Befangenheitsantrag der Kindesmutter gegen die Sachverständige hat der Senat mit Beschluss vom 08.04.2005 verworfen. Da die Kindesmutter der Sachverständigen gleichwohl mitgeteilt hat, dass sie sich (und das Kind) auf keinen Fall von ihr begutachten lassen werde, ist vom Senat die Erstellung eines Gutachtens auf der Grundlage der Begutachtung des Kindesvaters und des Inhalts der Verfahrensakte erbeten worden. Sogleich erging an alle Beteiligten der Hinweis, dass das Verhalten der Kindesmutter nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung beurteilt werden kann.

Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten ausgeführt, in den Akten seien keine Aussagen von L... zu einem sexuellen Missbrauchsgeschehen dokumentiert, die den Anforderungen an eine Glaubhaftigkeitsuntersuchung genügten. Obgleich die Mutter vor Gericht mehrmals eine aussagepsychologische Begutachtung einforderte, habe sie seit 2002 dieser Begutachtung nicht zugestimmt. Ohne Zweifel sei in dem vorliegenden Fall zu erkennen, dass die das Kind befragende Mutter, die Mitarbeiterin der Beratungsstelle, Frau C..., sowie die Psychotherapeutinnen Frau T... und Frau E... keine anderen Hypothesen, als einen sicher feststehenden sexuellen Missbrauch als Erklärung für beobachtete Verhaltensauffälligkeiten und Aussagen des Kindes in Betracht gezogen haben.

Es sei weiter festzustellen, dass keine spontane Aussage des Kindes über ein sexuelles Missbrauchsgeschehen, z. B. durch den Vater, existiert. Dies werde auch nicht von der Mutter vorgetragen. Ebenso sei aus den Aussagen des Kindes gegenüber Frau C... kein sexuelles Missbrauchsgeschehen durch Vater zu erkennen oder ein Indiz für einen sexuellen Missbrauch abzuleiten.

Von Seiten der Mutter sei jedoch die Argumentation von Anfang an darauf ausgerichtet, dass ein Umgang auf keinen Fall stattfinden darf. Obwohl sie zunächst nur von einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch gesprochen habe, lasse sie eine neutrale Überprüfung des Sachverhalts bis heute nicht zu. Inzwischen sei sie von einem sexuellen Missbrauch auch ohne Verdachtsabklärung überzeugt. Alle Hinweise des Vorgutachters, Prof. Dr. M..., die auf ein Kontaktbedürfnis des Kindes mit dem Vater deuteten, seien von der Mutter verleugnet und uminterpretiert worden. Auch der medizinische Befund, der eine Verletzung des Hymens nicht bestätigte, sei von ihr nicht entlastend zur Kenntnis genommen worden.

Die Ablehnung einer Begutachtung durch sie, die Sachverständige, habe die Mutter damit begründet, dass die Empfehlung eines begleiteten oder unbegleiteten Umgangs nicht von vornherein verneint wurde und ein Zusammentreffen des Kindes mit dem Vater während der Begutachtung geplant sei. Somit seien die verschiedenen Anträge der Mutter auf aussagepsychologische Begutachtung nur vordergründig. Die Mutter werde jedoch kein Ergebnis anerkennen, das den Umgang des Kindes mit dem Vater empfehle.

Die in den Akten enthaltenen Verhaltensbeobachtungen des Kindes deuteten aus kinderpsychologischer Sicht in keiner Weise darauf hin, dass das Kind ein negatives Erlebnis mit dem Vater hatte, an das es sich in seinem Beisein erinnert. Im Gegenteil legten die Äußerungen, Verhaltsweisen, Verhaltensauffälligkeiten und Spiele des Kindes nahe, dass es sich dem Vater ohne Furcht genähert und an eine vertrauensvolle Beziehung angeknüpft hat. Die Hypothese, dass das Kind durch die Trennung der Eltern und den Verlust einer tragfähigen Beziehung zum Vater belastet gewesen ist, erkläre die von der Mutter beobachteten Verhaltensauffälligkeiten wesentlich besser.

Des Weiteren falle auf, so die Sachverständige weiter, dass die Verhaltsauffälligkeiten des Kindes zunächst vor allem von der Mutter im häuslichen Umfeld beobachtet wurden. Damals sei nicht geprüft worden, ob die Mutter das Kind unter Druck gesetzt und in Wut gebracht haben könnte, z. B. durch das Verbot, den Vater positiv zu erwähnen, oder ihn und weitere väterliche Verwandte treffen zu wollen. Mütterliche Erziehungsdefizite seien zu keiner Zeit als mögliche Ursache der kindlichen Verhaltensauffälligkeiten vermutet worden.

Auffallend sei zudem ein Wechsel hinsichtlich der Vermutungen, welche Körperregion des Kindes vom sexuellen Missbrauch betroffen sein soll (Scheide, Anus). Es werde angenommen, dass L... mit suggestiven Vorgaben befragt worden ist, bis davon ausgegangen werden konnte, dass sie auch bei offiziellen Vernehmungen die gewünschte Aussage machen wird. In den Akten fänden sich zahlreiche Hinweise auf unangemessene Befragungen.

Als Ergebnis der Analyse der Aussagegeschichte werde eingeschätzt, dass

a) keine substanziierten Hinweise vorliegen, die einen sexuellen Missbrauch des Kindes durch den Vater nahe legen und

b) deutliche Hinweise darauf vorhanden sind, dass starke suggestive Befragungen zu den bekannten Aussagen des Kindes geführt haben (weil L... seit Jahren einem anhaltenden, teilweise stark suggestiven Befragungsdruck ausgesetzt sei).

Hinsichtlich des Kindeswillens zum Umgang sei davon auszugehen, dass L... derzeit einen Umgang mit den Vater ablehnend gegenüber steht. Die ablehnende Haltung gegenüber dem Vater werde auf den Einfluss von Dritten, wahrscheinlich der Mutter, zurückgeführt. Mit Sicherheit habe die Mutter dem Kind gegenüber keine positiven, wertschätzenden Äußerungen über den Vater gemacht. Die Aktenanalyse enthalte keine, wenigstens ambivalenten Äußerungen der Mutter, die auch positive Beziehungsanteile zwischen Vater und Kind anerkennen und zulassen. Auch die von dem Vorgutachter beobachtete positive Beziehung zwischen dem Kind und dem Vater werde durch die Mutter nicht gesehen und wertgeschätzt.

Zudem sei aufgrund der Aktenanalyse davon auszugehen, dass das Kind durch die subjektive Überzeugung der Mutter sowie der Psychotherapeutinnen T... und E..., dass es sexuell missbraucht worden ist, seit Jahren gegen den Vater beeinflusst wurde. Der ablehnende Kindeswille hinsichtlich des Umgangs mit dem Vater könne nicht als autonomer Kindeswille gewertet werden. Die subjektive Überzeugung, der Vater sei böse, beruhe nicht auf einem Erlebnisbezug, da das Kind den Vater seit dem Jahre 2000 nicht mehr gesehen habe und sich kaum an ihn erinnere.

Hinsichtlich der Verhaltensauffälligkeiten von L... sei festzustellen, dass die von der Mutter dokumentierten und beschriebenen Verhaltensstörungen zunehmen, seitdem das Kind mit der Mutter als einzige Bezugsperson lebt. An verschiedenen Stellen fänden sich Hinweise darauf, dass L... kaum Kontakt zu Gleichaltrigen hat und bisher keine Freundschaften aufbauen konnte. Ihre Wahrnehmungen enthielten paranoide Tendenzen. Die von den Psychotherapeutinnen T... und E... diagnostizierten psychischen Störungen des Kindes würden aus gutachterlicher Sicht nunmehr auf das Verhalten der Mutter zurückgeführt. Anzunehmen sei, dass ein seit dem Jahr 2000 anhaltender Befragungsdruck, eine subjektiv bei der Mutter vorhandene Überzeugung, ihre Tochter sei sexuell missbraucht worden, sowie elterliche Überfürsorge zu den genannten Störungen geführt haben.

Die Mutter sei nachweislich nicht bindungstolerant. Deshalb werde unter den gegebenen Lebensbedingungen des Kindes ein gegen den massiven Willen und die massiven Ängste der Mutter erzwungener Umgang bei dem Kind mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer erheblichen seelischen Belastung führen. Somit ergebe sich derzeit die Situation, dass, obwohl L... durch den Aufbau einer tragfähigen Beziehung zum Vater gestärkt würde, keine kindeswohldienlichen Umstände zu deren Realisierung vorliegen. Aus den Akten gehe hervor, dass die subjektiv vom sexuellen Missbrauch überzeugte Mutter eigene Ängste auf das Kind übertrage, so dass das Kind inzwischen selbst psychische Störungen entwickelt habe. Aus psychologischer Sicht sei die Erziehungsfähigkeit der Mutter in wichtigen Teilbereichen nach § 1626 Abs. 2 u. 3 BGB eingeschränkt. Das seelische Kindeswohl sei derzeit aufgrund der unkorrigierbaren Überzeugung der Mutter, der anhaltenden Befragungen und der psychotherapeutischen Behandlungen eines angeblich durch den Vater ausgelösten Traumas gefährdet.

Insgesamt werde davon ausgegangen, dass das Kindeswohl gefährdet ist, wenn die Lebensbedingungen des Kindes in der beschriebenen Weise fortbestehen. In welchem Ausmaß eine Kindeswohlgefährdung vorliege, müsse weitergehend untersucht werden. Ein Umgang des Kindes mit dem Vater sei unter den derzeitigen Umständen nicht zu erzwingen. L... habe als Opfer der durch die Mutter verursachten Lebensbedingungen (Kontaktabbruch zum Vater, die suggerierte Überzeugung, der Vater sei böse, mütterliche Überfürsorge) psychische Störungen entwickelt und sei wahrscheinlich wenig belastbar. Der Vater könnte jedoch im Rahmen der Diagnostik einbezogen werden.

Beide Parteien halten an ihrer Antragstellung fest. Der Kindesvater bevorzugt dennoch eine Zwischenentscheidung, weil er meint, dass eine Begutachtung im Interesse des Kindes sei und er ein von ihm im Ergebnis zu erwartendes Verhalten in Bezug auf das Kind auch akzeptieren könnte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien Bezug genommen, den Beschluss des Amtsgerichts Stralsund vom 14.02.2001, den Beschluss des Senats vom 28.01.2004, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.06.2004, die Berichte der Jugendämter, die Anhörungsprotokolle vor dem Senat, die Protokolle über die Kindesanhörung, die Stellungnahmen des Verfahrenspflegers sowie die vorliegenden Sachverständigengutachten.

II.

Die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens getroffenen Feststellungen veranlassen den Senat zu der aus dem Tenor ersichtlichen Zwischenentscheidung.

Zwar kann in Verfahren wegen der Regelung des Umgangs die psychologische Begutachtung des Kindes grundsätzlich nur mit Zustimmung des Sorgeberechtigten angeordnet und durchgeführt werden. Da die Kindesmutter aber vorliegend die Zustimmung zur Begutachtung der durch den Senat bestellten Gutachterin seit langem verweigert und nach dem jetzigen Sachstand eine Kindeswohlgefährdung nicht mehr auszuschließen ist, muss die Zustimmung nunmehr im Interesse des Kindes - gemäß § 1666 BGB - gerichtlich ersetzt werden.

§ 1684 Abs. 1 BGB normiert das Recht eines jeden Kindes zum Umgang mit jedem Elternteil. Dieses Recht korrespondiert mit dem Recht und der Pflicht jedes Elternteils zum Umgang mit dem Kind, wobei hier nicht die Befriedigung der Elterninteressen im Mittelpunkt steht. Beiden Elternteilen ist es deshalb untersagt, das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil zu beeinträchtigen, § 1684 Abs. 2 BGB.

Im Rahmen der dem Senat in dem Verfahren wegen Umgang obliegenden Pflicht zur amtswegigen Aufklärung des Sachverhalts, § 12 FGG, ist es nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Ausführungen im Gutachten, der Aussagen der Vertreterin des Jugendamtes sowie im Ergebnis der Anhörung von L... notwendig, zu klären, ob der Umgang in der jetzigen Situation des Kindes gegen dessen ausdrücklich geäußerten Willen kindeswohlgefährdend ist oder welche positiven Auswirkungen der Umgang für das Kind haben könnte. Dies umsomehr, als L... in ihrer persönlichen Anhörung durch den Senat am 17.03.2006 verbal den Umgang mit ihrem Vater, wie bisher, ablehnte, weil - so sinngemäß - sie das nicht will, Mutti das nicht will, sie beide das nicht wollen; zugleich aber durchaus hellhörig wurde und es nicht glauben wollte bzw. konnte, dass der Vater den Kontakt zu ihr wünscht. Der Senat hält es danach nicht für ausgeschlossen, dass L... sich in gewisser Weise für den Vater interessiert, zumindest auf ihn neugierig ist.

Zum körperlichen, geistigen und seelischen Wohl eines Kindes i. S. d. § 1666 BGB gehört u.a. auch ein konfliktfreier Umgang eines Kindes mit beiden Elternteilen. Vorliegend ist die Kindesmutter in keiner Weise bereit, den Umgang des Kindesvaters mit dem Kind zu gewähren. Die vom Senat angeordnete Begutachtung des Kindes lehnt sie ohne rechtfertigenden Grund ab. Soweit sie Ablehnungsgründe in der Person der Sachverständigen sieht, nimmt der Senat auf seinen Beschluss vom 12.01.2006 Bezug. Die Kindesmutter verkennt bei ihrem Handeln völlig, dass von einem verantwortungsvollen Sorgeberechtigten erwartet wird, dass er die Kontakte des Kindes zum anderen Elternteil nicht nur zulässt, sondern positiv fördert und der Ausschluss des persönlichen Umgangs mit einem Elternteil nur angeordnet werden darf, um eine konkrete, gegenwärtig bestehende Gefährdung der körperlichen/oder geistig-seelischen Entwicklung des Kindes abzuwenden (vgl. u. a. Palandt/Diederichsen, BGB, 65. Aufl., § 1684, Rdn. 31 m. w. H.).

Eine derartige Gefährdung, die einen zeitweisen Ausschluss des Umgangsrechts gebietet, vermag der Senat - ohne die erforderliche Begutachtung des Kindes - derzeit nicht festzustellen. L... selbst hat keine auch nur ansatzweise nachvollziehbaren oder billigungswerten Gründe für die Ablehnung des Vaters genannt. Sie geht eher emotionslos mit dem Thema Vater um ("Die Mutter habe eine Truppe aufgestellt, um ihr zu helfen"). Soweit die Kindesmutter immer wieder den Vorwurf eines sexuellen Missbrauchs durch den Kindesvater zum Ausdruck bringt, bestehen dafür - auch unter Berücksichtigung des nach Aktenlage erstellten Gutachtens der Sachverständigen S... - keine greifbaren Ansatzpunkte.

Vielmehr ist in dem Verhalten der Kindesmutter eine Gefährdung des Kindeswohls zu sehen, die eine Maßnahme gemäß § 1666 BGB rechtfertigt. Hierbei muss das Verhalten weder auf bösem Willen der Kindesmutter noch auf missbräuchlicher Ausübung der elterlichen Sorge beruhen. Die Kindeswohlgefährdung ist hier darin zu sehen, dass die Kindesmutter die Zustimmung zur Begutachtung ohne sachlich gerechtfertigten Grund verweigert. Dies hat zur Folge, dass der Senat die nach § 12 FGG gebotene Sachaufklärung nicht in dem notwendigen Maße betreiben kann. Ohne die Begutachtung des Kindes kann der Senat nicht feststellen, ob derzeit Umgangskontakte des Kindes mit seinem Vater im Interesse des Kindeswohls tatsächlich - wie von der Kindesmutter gewollt - einzuschränken sind.

Das vom Senat eingeholte Gutachten sowie die persönlichen Anhörungen der Parteien selbst ergeben schwerwiegende Anhaltspunkte dafür, dass aufgrund der erheblichen Beeinflussung des Kindes durch die Mutter derzeit die Unterhaltung eines normalen Verhältnisses zum Vater und damit ein geregelter Umgang nicht möglich erscheint (vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 1999, 521). Die Ersetzung der Zustimmung der Kindesmutter und damit eine notwendige - ggf. mehrfache - kurzzeitige Herausnahme des Kindes aus dem mütterlichen Haushalt zum Zwecke der Begutachtung ist erforderlich, da nur auf diese Weise eine tatsächliche Entscheidungsgrundlage für die Umgangsregelung geschaffen werden kann (vgl. auch BayOblG FamRZ 1995, 501). Um der Kindeswohlgefährdung zu begegnen, stehen derzeit keine milderen Mittel als der Teilentzug der elterlichen Sorge zur Verfügung.

Dem Senat geht es mit seiner Entscheidung darum, weiter nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, die zum Wohle des Kindes sind. Es soll mit der Begutachtung u.a. auch festgestellt werden, ob der geäußerte Wille, keinen Kontakt zum Vater haben zu wollen, tatsächlich der Wille von L. ist, selbst wenn sie das subjektiv so empfindet. Es geht hierbei nicht vorrangig um die Aufklärung des von der Kindesmutter behaupteten sexuellen Missbrauchs, sondern vielmehr auch darum, ob das Verhältnis der Eltern zueinander die Einschränkung oder den Ausschluss des Umgangs als unabdingbar erscheinen lässt bzw. wie die Eltern sich ggf. im Interesse des Kindes zu verhalten haben und einbringen können oder müssen.

Das Kindeswohl wird regelmäßig durch eine solche psychologische Begutachtung nicht durchgreifend beeinträchtigt. Anders läge der Fall u. U. bei einer stationären Begutachtung, wie von der Gutachterin S... nur als äußerste Maßnahme vorgeschlagen und von dem Kindesvater aufgegriffen. Der Senat hält diese Maßnahme trotz aller Probleme, die auf die Beeinflussung der Mutter zurückzuführen sind, nicht für angezeigt.

Die Anordnung der Ergänzungspflegschaft beruht auf §§ 1909 Abs. 1 S. 1 BGB. Weil eine natürliche Person nicht zur Verfügung steht, war das Jugendamt zum Pfleger zu bestellen, §§ 1915 Abs. 1, 1916 i.V.m. §§ 1779, 1791b BGB.

Auf Grund der bisher verwehrten Zustimmung der Kindesmutter zur Begutachtung und des wiederholten Versuchs, die Sachverständige abzulehnen, erachtet der Senat zusätzlich die Beauftragung des Gerichtsvollziehers für notwendig. Dieser ist staatlich autorisiert, der Mutter das Kind zum Zwecke der Begutachtung wegzunehmen und an den Pfleger herauszugeben.

Die Ermächtigung zur Gewaltanwendung, die nur das letzte Mittel zur Durchsetzung der Herausgabepflicht sein kann, beruht darauf, dass der Senat auf Grund des bisherigen Verhaltens der Kindesmutter (Wohnortwechsel nach S... und nach B... ohne Bekanntgabe der Anschriften, Nichtförderung von Freundschaften und Kontakten des Kindes, Schulwechsel des Kindes, Fixierung des Kindes nur auf ihre Person und damit evtl. verbundene soziale Isolation des Kindes, Anpassung des Kindes an die Wünsche der Mutter) eine Verweigerung nicht ausschließen kann und hierin eine Gefährdung für das Kindeswohl sieht (vgl. auch BVerfG FamRZ 2006, 539).

Die Ersetzung der Zustimmung zur Begutachtung mittels eines teilweisen Sorgerechtsentzugs hält der Senat auch erstmals in dem Rechtsmittelverfahren für zulässig, da es letztlich um die Sicherung eines weitestgehend effektiven Rechtsschutzes für alle Beteiligten geht (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 30.08.2005, 1 BvR 1895/03).

Ende der Entscheidung

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