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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 27.08.2004
Aktenzeichen: 2 Ss (OWi) 19/03 I 37/03
Rechtsgebiete: OWiG, StVO, StPO, BKatV


Vorschriften:

OWiG § 19
OWiG § 19 Abs. 1
OWiG § 20
OWiG § 46 Abs. 1
StVO § 21 a Abs. 1 Satz 1
StVO § 41 Abs. 2 Nr. 7 (Zeichen 274)
StPO § 354 Abs. 1
StPO § 473 Abs. 3
BKatV § 1 Abs. 1
BKatV § 2 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock - Senat für Bußgeldsachen - BESCHLUSS

2 Ss (OWi) 19/03 I 37/03

In der Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichtes Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. D, den Richter am Oberlandesgericht H sowie den Richter am Landgericht K

auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Anklam vom 06.08.2002 (62 OWi 963/01) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft Rostock

am 27. August 2004 beschlossen:

Tenor:

1.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

2.

Der Betroffene wird wegen fahrlässigen Nichtanlegens des vorgeschriebenen Sicherheitsgurtes während der Fahrt in Tateinheit mit fahrlässiger Überschreitung der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße in Höhe von 30 Euro verurteilt (§§ 21 a Abs. 1 Satz 1, 41 Abs. 2 Nr. 7 [Zeichen 274], 49 Abs. 1 Nr. 20 a, Abs. 3 Nr. 4 StVO; § 24 StVG; § 19 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 OWiG; Nr. 100 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV).

3.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens sowie die dem Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Anklam hat mit Urteil vom 06.08.2002 - 62 OWi 963/01 - gegen den Betroffenen "wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung tatmehrheitlich begangen mit einem fahrlässigen Nichtanlegen des vorgeschriebenen Sicherheitsgurtes" eine Geldbuße von 40 Euro verhängt.

Gegen dieses in Anwesenheit des Betroffenen am 06.08.2002 verkündete Urteil richtet sich der am 13.08.2002 beim Amtsgericht eingegangene Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, der sogleich näher begründet und mit Anträgen versehen worden ist. Der Betroffene vertritt dabei - wie auch zuvor schon in seiner Anhörung und in der Begründung seines Einspruchs gegen den verfahrensgegenständlichen Bußgeldbescheid - die Auffassung, dass zu Unrecht von Tatmehrheit gem. § 20 OWiG ausgegangen worden sei. Die ihm, dem Betroffenen, vorzuwerfenden Ordnungswidrigkeitentatbestände stünden jedoch im Verhältnis der Tateinheit nach § 19 OWiG zueinander.

Mit Beschluss vom 27.01.2004 hat der für die Entscheidung über den Zulassungsantrag berufene Einzelrichter die Rechtsbeschwerde zugelassen und die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, um die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen.

II.

In der Sache hat die danach zulässige Rechtsbeschwerde auch Erfolg. Sie führt auf die ausgeführte Sachrüge hin zur Berichtigung des Schuldspruchs und zur Neubestimmung der Geldbuße, da der Bußgeldrichter zu Unrecht von einer tatmehrheitlichen Begehungsweise ausgegangen ist.

1.

Nach den - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene (der die Tatvorwürfe im Übrigen ausweislich der Urteilsgründe eingeräumt hat und - wie mit der Rechtsbeschwerde - ausschließlich geltend macht, es sei tateinheitliche Begehung anzunehmen) am 04.08.2001 um 19.56 Uhr mit seinem Pkw die B Richtung . Hierbei überschritt er außerorts die durch Zeichen 274 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um einen (abzüglich der Toleranz von 3 km/h) vorwerfbaren Wert von 8 km/h. Darüber hinaus hatte der Betroffene während der Fahrt den vorgeschriebenen Sicherheitsgurt nicht angelegt.

2.

Diese Feststellungen rechtfertigen nicht die Verurteilung des Betroffenen wegen tatmehrheitlich begangener Verstöße gegen §§ 21 a Abs. 1 Satz 1, 41 Abs. 2 Nr. 7 (Zeichen 274) StVO.

a)

Nach § 19 Abs. 1 OWiG wird nur eine Geldbuße festgesetzt, wenn dieselbe Handlung mehrere Gesetze, nach denen sie als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, verletzt. "Dieselbe Handlung" im Sinne des Gesetzes ist dabei eine einzige Willensbetätigung oder eine natürliche Handlungseinheit. Letztgenannte ist gegeben, wenn mehrere Verhaltensweisen in einem solchen unmittelbaren (räumlichen und zeitlichen) Zusammenhang stehen, dass das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten (objektiv) als ein einheitlich zusammengefasstes Tun anzusehen ist (vgl. Göhler, OWiG, 13. Aufl. vor § 19 Rdz. 3, § 19 Rdz. 2; KK OWiG -Bohnert, 2. Aufl., § 19 Rdz. 19 jeweils m. w. N.).

Zwar bewirkt die bloße Gleichzeitigkeit der Verletzung mehrerer Deliktstatbestände noch nicht die Handlungsidentität im Sinne von § 19 Abs. 1 OWiG. Vielmehr ist erforderlich, dass diejenige Handlung, die einen Tatbestand (ganz oder teilweise) verwirklicht, zugleich, d. h. wenigstens in einzelnen der ihr zugehörigen Willensbetätigungen, einen anderen Tatbestand ganz oder teilweise erfüllt. Zur Abgrenzung gegenüber möglicherweise "nur gleichzeitigen", "nur gelegentlich" einer Dauertat begangenen Verstößen, ist zu fordern, dass Identität in einem für beide Tatbestandsverwirklichungen in der konkreten Form notwendigen Teil vorliegen muss, dass das Dauerdelikt selbst einen tatbestandserheblichen Tatbeitrag zu dem jeweiligen anderen Verstoß bildet (vgl. BGH VRs 52, 129 = BGHSt 27, 66 = NJW 1977, 442; BGH NStZ 1981, 401 m. w. N.).

b)

Das ist hier - im Gegensatz zur Auffassung des Amtsgerichts - zu bejahen.

Die hier maßgebliche Handlung des Betroffenen, die der rechtlichen Beurteilung unterliegt, ist zunächst das Nichtanlegen des vorgeschriebenen Sicherheitsgurtes während der Fahrt mit dem Pkw. Dieselbe Handlung, das ununterbrochene Führen des Kraftfahrzeugs ohne Anlegen des Sicherheitsgurtes als Dauerordnungswidrigkeit, stellt aber notwendigerweise zugleich die Ausführungshandlung des weiteren Verkehrsverstoßes dar, nämlich das Führen des Kraftfahrzeugs mit überhöhter Geschwindigkeit. Eine isolierte Betrachtung des Geschwindigkeitsverstoßes ist nicht möglich, ohne damit aus der einheitlichen Dauertat des Fahrens mit dem Pkw ohne Anlegen des Sicherheitsgurtes ein notwendiges Teilstück herauszulösen. Es liegt damit Teilidentität der tatbestandlichen Ausführungshandlungen vor, die nach ganz allgemeiner Meinung zur Annahme von Tateinheit führt (vgl. BGH a. a. O. m. w. N.).

Wer ein Kraftfahrzeug führt, ohne den Sicherheitsgurt angelegt zu haben, verstößt dadurch während der gesamten Fahrt gegen die Gurtanlegepflicht, bis er ihr - möglicherweise einem Entschluss während der Fahrt folgend - nachkommt. Es handelt sich um eine Dauerordnungswidrigkeit, die mit einzelnen, auf der Fahrt ohne Gurt begangenen anderen Ordnungswidrigkeiten in einem zeitlich, räumlich und sachlich derart unmittelbaren Zusammenhang steht, dass der Vorgang nur als eine natürliche Handlungseinheit angesehen und rechtlich als Tateinheit im Sinne von § 19 OWiG gewertet werden kann (so auch OLG Düsseldorf VRs 73, 387 m. w. N.; Janiszewski/Jagow/Burmann Straßenverkehrsrecht 18. Aufl. § 21 a StVO Rdz. 10). Die erforderliche Verknüpfung der Tatbestände wird allein durch die Überlagerung der objektiven Ausführungshandlung begründet (vgl. BGH a. a. O.).

c)

Soweit dem entgegen und Rückgriff nehmend auf die "Bekanntmachung des bundeseinheitlichen Tatbestandskataloges für Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten" vom 27.08.2001 (abgedruckt im Bundesanzeiger vom 15.12.2001) von den Straßenverkehrsbehörden vielfach die Auffassung vertreten wird, es sei entsprechend einer "Grobformel" in der Regel von Tatmehrheit auszugehen, wenn ein Begehungsdelikt und ein Unterlassungsdelikt zusammentreffen, ist dem jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Maßgeblich ist vielmehr stets die Betrachtung des Einzelfalles. Auch wird ein ordnungswidrigkeitenrechtlicher Dauerverstoß entsprechend der vorstehend genannten Kriterien in der Regel mit punktuellen Verkehrsverstößen in Tateinheit stehen (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf NZV 1997, 192; OLG Karlsruhe VRs 95, 419 und Justiz 1999, 33; OLG Zweibrücken NZV 2002, 97; LG Frankfurt DAR 2003, 41). Die für die o. g. "Grobformel" wohl herangezogene Entscheidung OLG Hamm VRs 60, 50 steht im Übrigen der vorliegenden Rechtsprechung des Senats nicht entgegen. Denn die dort gegenständlichen Tatumstände (Verstoß gegen die Eintragungsvorschrift des § 57 a Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 StVZO und (durch Zeichen 277) verbotenes Überholen) sind gänzlich anders gelagert.

3.

Die getroffenen Feststellungen tragen jedoch eine Verurteilung wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 21 a Abs. 1 Satz 1 StVO in Tateinheit mit einer fahrlässig begangenen Zuwiderhandlung gegen § 41 Abs. 2 Nr. 7, Zeichen 274 StVO.

4.

Der festgestellte Rechtsfehler zwingt zugleich zur Neufestsetzung der Geldbuße, die der Senat abweichend von § 354 Abs. 1 StPO selbst vornehmen kann (§ 79 Abs. 6 StPO).

Gem. § 2 Abs. 6 BKatV hat der Senat gegen den Betroffenen die nach Nr. 100 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV vorgesehene Regelbuße in Höhe von 30 Euro festgesetzt. Von diesem Regelsatz nach oben abzuweichen bestand für den Senat mittlerweile kein Anlass mehr. Die Zuwiderhandlungen des Betroffenen sind auch in ihrer Gesamtheit noch als geringfügig anzusehen (§ 2 Abs. 8 BKatV); die vom Amtsgericht mitgeteilten straßenverkehrsrechtlichen Vorbelastungen des Betroffenen sind mittlerweile tilgungsreif und vom Senat deshalb nicht mehr heranzuziehen (vgl. OLG Celle NZV 1994, 332).

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 473 Abs. 3 StPO. Der Betroffene hat von vornherein die tatbestandmäßigen Deliktsbegehungen eingeräumt und eine tateinheitliche - im Vergleich zur tatmehrheitlichen Rechtsfolgenbemessung abgemilderte - Sanktionierung seines Fehlverhaltens angestrebt.

Hierin hatte der Betroffene vollen Erfolg.

Ende der Entscheidung

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