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Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 18.10.2004
Aktenzeichen: 3 U 40/04
Rechtsgebiete: BGB, AGBG, EGBGB, VOB/B


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 633
BGB § 634
BGB § 638 Abs. 1 Satz 1 a.F.
BGB § 765
BGB § 765 Abs. 1
BGB § 768 Abs. 1 Satz 1
BGB § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative
AGBG § 1
AGBG § 1 Abs. 1 Satz 1
AGBG § 1 Abs. 2
AGBG § 9
AGBG § 9 Abs. 1
AGBG § 9 Satz 1
EGBGB Art. 229 § 5 Satz 1
VOB/B § 13 Ziffer 5
VOB/B § 17 Nr. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 40/04

Laut Protokoll verkündet am: 18.10.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Eckert, die Richterin am Oberlandesgericht Bartmann und die Richterin am Landgericht Feger

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27.09.2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 19.11.2003 verkündete Urteil des Landgerichts Schwerin - Az.: 21 O 101/03 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Streitwert: 63.221,24 €

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern vom 26.09.1996 i. H. v. 63.221,24 € in Anspruch.

Der Ausreichung der Gewährleistungsbürgschaft durch die Beklagte lag der Bauvertrag vom 15.10.1996 zwischen der Klägerin als Auftraggeberin und der S. Bau GmbH als Auftragnehmerin und Kundin der Beklagten zugrunde. Die Klägerin stellte den Vertragstext, der durch ihren Rechtsanwalt T. formuliert wurde.

§ 6 Ziffer 2 des Bauvertrages lautet wie folgt:

Der Auftraggeber ist berechtigt, von der Schlussrechnung einen Sicherheitseinbehalt von 5% der dem Auftragnehmer insgesamt geschuldeten Vergütung vorzunehmen. Der Sicherheitseinbehalt kann vom Auftragnehmer abgelöst werden durch Verschaffung einer unbedingten, unbefristeten und unwiderruflichen selbstschuldnerischen Gewährleistungsbürgschaft einer deutschen Großbank oder Sparkasse, die die Verpflichtung enthalten muss, den verbürgten Betrag auf erstes Anfordern des Auftraggebers an diesen auszuzahlen.

In § 7 regelten die Bauvertragsparteien folgendes:

1. Für die Gewährleistung des Auftragnehmers gelten die Bestimmungen der VOB mit der Abweichung, dass für die Berechnung der Gewährleistungsfristen von den Werkvertragsregeln des Bürgerlichen Gesetzbuches für Bauwerke auszugehen ist.

2. Die Gewährleistungsfrist beginnt mit Abnahme des Bauvorhabens, frühestens jedoch mit der Erteilung der Bescheinigung über die abschließende Baubesichtigung (Schlussabnahme) durch das Bauordnungsamt.

3. Nach Ablauf von 2 Jahren nach der Abnahme ist eine Kontrollbegehung durchzuführen. Werden bei dieser Kontrollbegehung keine Mängel, für die der Auftragnehmer haftet, festgestellt, so wird die Gewährleistungsbürgschaft des Auftragnehmers innerhalb von 14 Tagen nach der Begehung durch den Auftraggeber freigegeben. Die Dauer der Gesamtgewährleistung bleibt von der Freigabe unberührt.

Die Beklagte erhebt gegen ihre Inanspruchnahme aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern vom 26.09.1996 die Arglisteinrede gemäß § 242 BGB. Sie ist der Ansicht, die der Bürgschaft zugrunde liegende Sicherungsabrede in § 6 Ziffer 2 des Bauvertrages vom 15.10.1995 sei als allgemeine Geschäftsbedingung gemäß § 9 AGBG unwirksam, da sie die Hauptschuldnerin S. Bau GmbH auch unter Berücksichtigung der Freigaberegelung in § 7 Ziffer 3 unangemessen benachteilige.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Mit Urteil vom 19.11.2003 wies das Landgericht Schwerin die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Klägerin stehe kein Anspruch gegen die Beklagte aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern gemäß §§ 765, 633, 634 BGB zu. Dem Anspruch stehe der bereits im Erstprozess zu berücksichtigende Arglisteinwand nach § 242 BGB entgegen, da sich aus dem unstreitigen Sachverhalt ohne weiteres ergebe, dass der materielle Bürgschaftsfall nicht eingetreten sei und die Klägerin in einem Rückforderungsprozess das Verlangte zurückerstatten müsse. Die der Bürgschaft zugrundeliegende Sicherungsabrede der Klägerin mit der Hauptschuldnerin S. Bau GmbH in § 6 Ziffer 2 des Bauvertrages vom 15.10.1995 sei gemäß § 9 AGBG unwirksam. Bei der Vertragsklausel handele es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 1 AGBG. Sie benachteilige die Vertragspartnerin der Klägerin, die S. Bau GmbH, unangemessen. Der Klägerin stehe auch kein Anspruch aus einfacher Bürgschaft gegen die Beklagte zu, da sich die Unwirksamkeit auf die gesamte Klausel in § 6 Ziffer 2 des Bauvertrages beziehe.

Gegen das ihr am 21.11.2003 zugestellte Urteil des Landgerichts Schwerin legte die Klägerin mit am 17.12.2003 beim Oberlandesgericht Rostock eingelegten Schriftsatz Berufung ein, die sie mit am 19.01.2004 eingegangenen Schriftsatz begründete.

Die Klägerin trägt zur Begründung ihres Rechtsmittels unter Wiederholung und Vertiefung ihrer erstinstanzlichen Darlegungen vor, die Klausel in § 6 Ziffer 2 des Bauvertrages sei keine allgemeine Geschäftsbedingung.

Nachdem sie erstinstanzlich in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Schwerin vom 29.10.2003 durch ihren Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt T. erklärt hatte, es sei bekannt, dass solche Klausel wie die hier streitige in § 6 Nr. 2 des Bauvertrages von anderen Bauherren auch im Rahmen allgemeiner Geschäftsbedingungen verwendet würden, behauptet sie in der Berufung, die Klausel unterscheide sich von den seinerzeit üblichen Regelungen. Sie sehe überhaupt keine Freigabe vor, während die üblichen Regelungen die Vorgabe enthalten hätten, dass der Gewährleistungseinbehalt spätestens nach fünf Jahren auszuzahlen sei. Ferner sei § 6 Ziffer 2 nicht isoliert zu betrachten, sondern im Zusammenhang mit der Regelung in § 7 Ziffer 3. Der Bauvertrag enthalte eine Vielzahl individueller Klauseln, so dass die Klausel in § 6 Ziffer 2 des Bauvertrages in einen individuellen Vertrag eingebettet sei.

Sie behauptet, am 14.09.1995 hätten ihr Geschäftsführer, der Geschäftsführer der Hauptschuldnerin und ihr Architekt K. über den Bauvertrag, insbesondere auch den Sicherheitseinbehalt gesprochen. Nach diesem Gespräch habe der Architekt den Vertrag ergänzt und korrigiert sowie an die Ergebnisse des Gespräches angepasst und dann am 20.09.1995 an die Vertragsparteien übersandt.

Für die Einordnung als allgemeine Geschäftsbedingung reiche nicht aus, dass ein Rechtsanwalt bei dem Entwurf von Verträgen das Begleitwissen habe, die Verträge oder einzelne Klauseln daraus im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit wiederholt als Muster verwenden zu können. Die Absicht, die Regelung für eine Vielzahl von Verträgen zu verwenden, sei von der bloßen Möglichkeit, dass eine einmal gefundene Formulierung später noch einmal eingesetzt werden könne, zu unterscheiden.

Die Klausel in § 6 Ziffer 2 sei in Anbetracht der Regelung in § 7 Ziffer 3 nicht unangemessen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Unwirksamkeit einer Sicherungsabrede beziehe sich auf eine fünfjährige Behaltensfrist, unabhängig vom Vorliegen von Mängeln und ohne ein Recht des Unternehmers, die Sicherheit bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auch schon früher herausverlangen zu können. Genau dies hätten die Vertragsparteien in § 7 Ziffer 3 des Bauvertrages geregelt.

Schließlich würde lediglich die Verpflichtung der Beklagten, auf erstes Anfordern zu zahlen, wegfallen, nicht aber die Bürgschaftsverpflichtung im Ganzen. Der Vertrag sei dahingehend auszulegen, dass die Hauptschuldnerin verpflichtet sei, eine unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaft ohne den Zusatz einer Zahlung auf erstes Anfordern zu stellen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Schwerin, verkündet am 19.11.2003, die Beklagte zu verurteilen, an sie 63.221,24 € nebst Zinsen i. H. v. 8 % über dem Basiszinssatz seit dem 27.02.2003 auf 46.002,34 € sowie auf weitere 17.218,90 € seit dem 28.03.2003 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages verteidigt die Beklagte das landgerichtliche Urteil und führt ergänzend aus, das Landgericht habe zutreffend festgestellt, dass die Sicherungsabrede nach dem unstreitigen Sachverhalt eine von der Klägerin verwendete allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AGBG sei.

Vertragsbedingungen seien für eine Vielzahl von Verträgen aufgestellt, wenn sie aus gebräuchlichen Vertragsmustern entwickelt worden seien. Die Sicherungsabrede in § 6 Ziffer 2 des Bauvertrages habe den seinerzeit gebräuchlichen Vertragsmustern entsprochen. Sie verweist auf die Klausel in § 7 Ziffer 2 des von ihr überreichten "GU-Vertragsmusters", die mit der Regelung in § 6 Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bauvertrages wortgleich sei und auch nicht die Vorgabe enthalte, dass der Gewährleistungseinbehalt spätestens nach fünf Jahren auszuzahlen sei. Wie ein Vergleich mit dem vorgelegten Vertragsmuster zeige, weise der streitgegenständliche Bauvertrag zahlreiche formelhafte Klauseln auf, die den Anschein ergeben, dass sie zu einer Mehrfachverwendung vorformuliert worden seien.

Die Vertragsklausel in § 6 Ziffer 2 verstoße gegen § 9 Abs. 1 AGBG. Eine bauvertragliche Bestimmung, wonach der Besteller 5 % der Auftragssumme bis zum Ablauf der Gewährleistungsfrist als Sicherheit einbehalten dürfe und der Unternehmer den Einbehalt ausschließlich durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern ablösen könne, benachteilige den anderen Teil entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, weil das ihm gewährte Ablösungsrecht keinen angemessenen Ausgleich für die mit dem Sicherheitseinbehalt verbundenen besonderen Vorteile darstelle. Die Vertragsklausel in § 7 Ziffer 3 ändere hieran nichts. Die Hauptschuldnerin habe danach trotz Abnahme der Bauleistung im Prozess darzulegen und zu beweisen, dass keine Mängel vorhanden seien.

Die Klausel in § 6 Ziffer 2 des Bauvertrages lasse sich schließlich nicht dahingehend aufrechterhalten, dass eine Ablösung durch eine einfache Bürgschaft möglich sei. Die von der Klägerin zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 04.07.2002 sei nicht einschlägig, da sie keine Gewährleistungsbürgschaft, sondern eine Vertragserfüllungsbürgschaft betreffe.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Auf das Schuldverhältnis der Parteien finden die bis zum 31.12.2001 geltenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches und des AGB-Gesetzes gemäß Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB Anwendung.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Zahlungsanspruch aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern vom 26.09.1996 nach § 765 Abs. 1 BGB i.V.m. § 13 Ziffer 5 VOB/B zu. Die Einwendungen der Beklagten als Bürgin sind gemäß § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB bereits im Erstprozess beachtlich, da sich ihre Berechtigung ohne weiteres aus dem unstreitigen Sachverhalt und dem Inhalt der Vertragsurkunde vom 05.10.1995 ergibt. Die Klägerin verlangt im vorliegenden Rechtsstreit etwas, das sie in einem Rückforderungsprozess der Beklagten gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative BGB sogleich zurückerstatten müsste. Ein solches Verhalten begründet den Arglisteinwand aus § 242 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2001, NJW 2001, 1857 ff.; BGH, Urteil vom 10.02.2000, NJW 2000, 1563 ff.).

Der Bürgschaftsvertrag zwischen den Parteien des Rechtsstreites dient ausschließlich der Erfüllung der Sicherungsabrede in § 6 Ziffer 2 des Bauvertrages vom 05.10.1995, die die Klägerin mit der Hauptschuldnerin S. Bau GmbH getroffen hat. Aus dieser ergibt sich jedoch kein wirksamer Anspruch auf Erhalt einer Bürgschaft auf erstes Anfordern.

1.

Die Sicherheitsabrede in § 6 Ziffer 2 des Bauvertrages ist gemäß § 9 Satz 1 AGBG unwirksam.

a)

Die Vertragsklausel in § 6 Ziffer 2 des Bauvertrages stellt eine allgemeine Geschäftsbedingung i.S.d. § 1 AGBG dar.

Die Klägerin hat der Hauptschuldnerin S. Bau GmbH die Vertragsbedingungen gestellt.

Die Regelung in § 6 Ziffer 2 des Bauvertrages ist für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert.

Für die Einordnung der streitgegenständlichen Vertragsklausel ist unerheblich, dass die Bauvertragsparteien nachfolgend in § 7 Ziffer 3 vereinbart haben, dass die Gewährleistungsbürgschaft freigegeben werde, wenn bei einer Kontrollbegehung nach Ablauf von zwei Jahren nach der Abnahme keine Mängel festgestellt werden. Die Frage, ob allgemeine Geschäftsbedingungen vorliegen, entscheidet sich nicht an dem gesamten Vertragswerk. Einzelne Klauseln in einem im Übrigen individuell gestalteten Vertrag können allgemeine Geschäftsbedingungen sein (BGH, Urteil vom 26.09.1996, NJW 1997, 135 f.).

Wird eine Klausel tatsächlich vielfach verwendet, so spricht eine Vermutung dafür, dass sie für diese vielen Fälle vorformuliert worden und als allgemeine Geschäftsbedingung anzusehen ist (BGH, Urteil vom 26.09.1996, a.a.O.). Dass die Sicherungsabrede in § 6 Ziffer 2 des Bauvertrages tatsächlich vielfach verwendet wurde, war erstinstanzlich zwischen den Parteien unstreitig. Der Klägervertreter Rechtsanwalt T. hat in der Verhandlung vor dem Landgericht Schwerin am 29.10.2003 eingeräumt, es sei bekannt, dass solche Klauseln wie die hier streitige von anderen Bauherren auch im Rahmen allgemeiner Geschäftsbedingungen verwendet werden.

Die in der Berufung neue Behauptung der Klägerin, die streitgegenständliche Klausel unterscheide sich von den seinerzeit üblichen, ist unzutreffend. Sowohl in dem durch die Beklagte vorgelegten GU-Vertragsmuster als auch in den vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fällen fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung über die Dauer des Sicherheitseinbehalts.

Die Klägerin hat die Vermutung der Mehrfachverwendung nicht widerlegt. Für die Absicht der Mehrfachverwendung genügt es, wenn derjenige, der die Bedingung vorformuliert hat, sie für eine Vielzahl von Verträgen bestimmt hat (Münchener Kommentar-Basedow, Kommentar zum AGB-Gesetz, 4. Aufl., § 1 Rn. 19; Palandt-Heinrichs, Kommentar zum BGB, 60. Aufl., § 1 AGBG Rn. 6; Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz, 4. Aufl., § 1 Rn. 13).

Es kommt nicht darauf an, ob die Klägerin die Klausel nur für den konkreten Bauvertrag verwendet hat oder ob der mit der Erstellung des Vertragsentwurfes durch die Klägerin beauftragte Rechtsanwalt T. selbst in der Absicht der Mehrfachverwendung gehandelt hat. Ausreichend ist, dass der ursprüngliche Aufsteller der vorformulierten Sicherheitsabrede sie als Musterbedingung zur Verwendung in einer Vielzahl von Fällen bereit gestellt hat. Dies ist hier der Fall. Der Klägervertreter hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Schwerin eingeräumt, ihm sei bei Erstellen des Bauvertrages bekannt gewesen, dass solche Klauseln von anderen Bauherren im Rahmen ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendet werden.

Die Klägerin trägt nicht substantiiert vor, dass die Vertragsbedingung über den Sicherheitseinbehalt gemäß § 1 Abs. 2 AGBG im Einzelnen zwischen ihr und der Hauptschuldnerin ausgehandelt ist. Ihre pauschalen Ausführungen, am 14.09.1995 hätte ihr Geschäftsführer mit dem Geschäftsführer der Hauptschuldnerin sowie dem Architekten K. den Bauvertrag diskutiert und auch über den Sicherheitseinbehalt gesprochen, lässt nicht die Feststellung zu, dass ein Aushandeln im Sinne des § 1 Abs. 2 AGBGB vorliegt.

b)

Die Sicherungsabrede in § 6 Ziff. 2 des Bauvertrages ist gemäß § 9 AGBG wegen unangemessener Benachteiligung der Hauptschuldnerin S. Bau GmbH unwirksam.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes benachteiligt eine Bestimmung in allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrages den Unternehmer unangemessen, wonach der Besteller nach Abnahme des Bauwerkes 5% der Auftragssumme für die Dauer der fünfjährigen Gewährleistungsfrist als Sicherheit einbehalten darf. Eine solche Sicherungsabrede ist nur dann wirksam, wenn dem Unternehmer dafür ein angemessener Ausgleich zugestanden wird, der ihn vom Insolvenzrisiko des Bestellers entlastet und eine angemessene Verzinsung gewährleistet. Das Recht, den Einbehalt durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern abzulösen, ist kein angemessener Ausgleich (BGH, Urteil vom 08.03.2001, a.a.O.; BGH, Urteil vom 05.06.1997, NJW 1997, 2598 f.).

Die Klausel in § 6 Ziffer 2 Satz 1 des Bauvertrages ist damit grundsätzlich unangemessen. Die Bauvertragsparteien haben zwar keine ausdrückliche Einbehaltsdauer der Sicherheit festgelegt. Allerdings bestimmt die VOB/B, die die Parteien gem. § 2 des Bauvertrages als Vertragsgrundlage vereinbart haben, in § 17 Nr. 8, dass der Auftraggeber eine nicht verwertete Sicherheit zum vereinbarten Zeitpunkt, spätestens nach Ablauf der Verjährungsfrist für die Gewährleistung, zurückzugeben hat. Die Parteien haben in § 7 Ziffer 1 des Bauvertrages eine fünfjährige Gewährleistungsfrist gem. § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. vereinbart.

Das in § 6 Ziffer 2 Satz 2 des Bauvertrages der Hauptschuldnerin gewährte Recht, den Sicherheitseinbehalt durch eine Bürgschaft auf erstes Anforderung abzulösen, stellt auch unter Berücksichtigung der Regelung in § 7 Ziffer 3 keinen angemessenen Ausgleich dar.

Nach § 7 Ziffer 3 des Bauvertrages kann die Hauptschuldnerin, wenn nach Ablauf von zwei Jahren nach der Abnahme bei einer Kontrollbegehung keine Mängel, für die sie haftet, festgestellt werden, innerhalb von 14 Tagen nach der Begehung die Freigabe der Bürgschaft verlangen. Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ist davon auszugehen, dass die Freigaberegelung auch für eine einbehaltene Sicherheit gelten würde.

Die Frage, ob das in dieser Form geregelte Austauschrecht der Hauptschuldnerin einen angemessen Ausgleich für den fünfjährigen Sicherheitseinbehalt darstellt, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden. Soweit die Beklagte auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13.11.2003 (NJW 2004, 443) verweist, war dort über die Voraussetzungen für eine Ablösung des Sicherheitseinbehaltes durch eine Bürgschaft zu befinden und nicht über die Voraussetzungen der Freigabe der bereits als Austauschmittel hingegebenen Bürgschaft. Ebenso lag dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17.01.2002 (Az.: VII ZR 495/00), der auf Grundlage einer Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 01.03.2000 (BauR 2002, 1109 f.) erging, ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Dort ging es um eine Klausel, die es dem Auftragnehmer verwehrte, den Sicherheitseinbehalt auf ein Sperrkonto einzubezahlen. Die Ablösemöglichkeit durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern konnte die Unangemessenheit dieses zinslosen Einbehalts nicht beseitigen. Vorliegend haben die Parteien die Art und Weise des Sicherheitseinbehalts in § 6 Ziffer 2 des Bauvertrages zwar nicht geregelt. Durch die Einbeziehung der VOB/B ist der Hauptschuldnerin aber gemäß § 17 Nr. 6 VOB/B das Recht eingeräumt, den Sicherheitsbetrag auf ein Sperrkonto einzuzahlen.

Der Senat erachtet die Sicherungsabrede in § 6 Ziffer 2 des Bauvertrages auch unter Berücksichtigung der Freigaberegelung in § 7 Ziffer 3 für unangemessen. Das Recht der Hauptschuldnerin, den grundsätzlich fünfjährigen Sicherheitseinbehalt durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern abzulösen, die nach zwei Jahren freizugeben ist, wenn keine Mängel vorliegen, stellt nur einen unzureichenden Ausgleich dar. Die Voraussetzungen der Bürgschaftsfreigabe, die nicht nur an einen Zeitablauf von zwei Jahren geknüpft ist, sondern auch an die Feststellung, dass keine Mängel vorliegen, benachteiligen die Hauptschuldnerin unangemessen.

Nach dem Wortlaut in § 7 Ziffer 3 des Bauvertrages trägt die Hauptschuldnerin als Auftragnehmerin die Beweislast dafür, dass keine Mängel vorliegen, obwohl regelmäßig nach Abnahme die Klägerin als Auftraggeberin die Beweislast trägt. Behauptet die Auftraggeberin bei der Kontrollbegehung einen Mangel, obliegt es der Hauptschuldnerin, ein für sie kostenaufwändiges Hauptverfahren auf Freigabe der Sicherheit bzw. ein selbstständiges Beweisverfahren zum Nachweis der Mangelfreiheit anzustrengen. Sie muss dabei nicht nur für die im Verfahren anfallenden Gerichts- und Sachverständigenkosten in Vorleistung gehen, sondern sie trägt auch während der gesamten Zeit das Insolvenzrisiko der Auftraggeberin.

Insofern geht der Hinweis der Klägerin auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg vom 06.09.1995 (NJW-RR 1997, 1040 ff.) fehl. Dort hatten die Parteien vereinbart, dass die Auszahlung des Gewährleistungseinbehaltes bzw. die Freigabe der Bürgschaft als Austauschmittel zwölf Monate nach Übergabe zu erfolgen hat, ohne dass weitere Voraussetzungen, insbesondere eine Umkehr der Beweislast zu Ungunsten des Auftragnehmers daran geknüpft waren.

2.

Die Beklagte kann den Einwand der Unwirksamkeit der Regelung über den Sicherheitseinbehalt im Erstprozess geltend machen, denn deren Unwirksamkeit ergibt sich bereits ohne weiteres aus dem Inhalt der Vertragsurkunde vom 05.10.1995 und dem unstreitigen Sachverhalt. Die Formulierung "ohne weiteres" bezieht sich darauf, dass eine Entscheidung des Gerichts im Erstprozess ohne Beweisaufnahme unverzüglich ergehen kann. Rechtsfragen sind dagegen regelmäßig im Erstprozess zu berücksichtigen.

3.

Der Klägerin steht kein Anspruch aus einer einfachen Bürgschaft gemäß § 765 BGB gegen die Beklagte zu, weil ihr auch dieser gegenüber die zuvor abgehandelten Einwendungen zustehen.

Im Übrigen sind die bei der Vertragserfüllungsbürgschaft durch den Bundesgerichtshof herangezogenen Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung dahingehend, dass der Unternehmer statt der Bürgschaft auf erstes Anfordern jedenfalls eine einfache Bürgschaft schuldet, auf die Gewährleistungsbürgschaft mangels Vergleichbarkeit nicht anwendbar (BGH, Urteil vom 04.07.2002, NJW 2002, 3098 f.). Denn im Falle der Gewährleistungsbürgschaft ist nicht allein die Bürgschaftshingabe unwirksam, sondern die ihr zugrunde liegende Sicherungsabrede. Der Klägerin steht aufgrund der Unwirksamkeit der gesamten Klausel über die Gewährleistungssicherheit nicht nur kein Austauschrecht in Form der Bürgschaft auf erstes Anfordern zu, sondern überhaupt kein Recht auf Stellung einer Sicherheit. Zudem ist nicht erkennbar, welche Regelung die Parteien vereinbart hätten, wenn sie die Unwirksamkeit der Klausel erkannt hätten. Neben der Ablösung durch eine einfache Bürgschaft kommt eine Verringerung des Einbehaltes, eine Verkürzung der Einbehaltsfrist oder die Wahl einer anderen Sicherungsform in Betracht (BGH, Urteil vom 08.03.2001, a.a.O.; BGH, Urteil vom 22.11.2001, NJW 2002, 894 f.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.06.2003, NJW 2003, 3716 f.).

III.

Die Kosten der Berufung trägt gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Klägerin.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache zugelassen. Sowohl die streitgegenständliche Sicherungsabrede als auch die Klausel, dass bei einer Kontrollbegehung nach Ablauf von zwei Jahren die Gewährleistungsbürgschaft des Auftragnehmers freigegeben wird, wenn bei dieser Begehung keine Mängel festgestellt werden, sind gängige Formulierungen in den Vertragsmustern der Bauwirtschaft. Die Frage, ob diese Regelungen als allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam sind, stellt sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen.

Ende der Entscheidung

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