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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 20.03.2008
Aktenzeichen: 3 U 84/08
Rechtsgebiete: BGB, BRAO


Vorschriften:

BGB § 134
BRAO § 43a IV
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES

3 U 84/08

Verkündet am: 20.03.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 10.10.2007 verkündete Urteil des Landgerichts Stralsund wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung einschließlich der Kosten der Streithilfe.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin bzw. der Streithelfer zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem Pflichteilsverzichtsvertrag auf Zahlung des vereinbarten Abfindungsbetrages in Anspruch. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird ebenfalls Bezug genommen.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung macht die Beklagte geltend, es sei Geschäftsgrundlage des Pflichtteilsverzichtsvertrages gewesen, dass der Abfindungsbetrag für den Fall der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruches durch Herrn ... anteilig gekürzt werde. Dies ergebe sich aus dem Inhalt des zuvor ausgehandelten Vertragsentwurfes. Bei der Beurkundung des Vertrages habe der Notar den Entwurf ohne jede Begründung verworfen und stattdessen einen Textbaustein aus seinem Computersystem verwendet. Dabei sei die ausdrücklich vereinbarte Geschäftsgrundlage nicht beachtet worden. Die Beklagte und ihr Ehemann - der als vollmachtloser Vertreter der Klägerin im Notartermin aufgetreten ist - hätten dies beim Vorlesen nicht bemerkt. Der Erblasser habe sein Einverständnis damit, dass seine Töchter die Pflichtteilsansprüche ihres enterbten Bruders gemeinsam hätten abwehren sollen und ein Ausgleich erfolgen solle, in der notariellen Verhandlung beim Streithelfer erklärt.

Herr ... habe mittlerweile seinen Pflichtteilsanspruch gerichtlich geltend gemacht. Er verlange einen Betrag in Höhe von mindestens 46.000,00 €. Das Verfahren sei noch nicht abgeschlossen, sein Ausgang ungewiss.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Vertrag im Sinne des ursprünglichen Vertragsentwurfes auszulegen sei. Auch sei die Klage gem. § 242 BGB (dolo petit - Einwand) abzuweisen, weil sich die Klägerin an einer Finanzierung des Herrn ... zustehenden Pflichteilsanspruches beteiligen müsse.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 10.10.2007 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Sie verweist darauf, dass der streitgegenständliche Pflichteilsverzichtsvertrag gerade keine Klausel enthalte, die der im Vertragsentwurf vorgesehenen Regelung über eine Beteiligung an einem etwaigen Pflichtteilsanspruch des Herrn ... entspreche. Eine Vereinbarung über eine solche Beteiligung sei weder wirksam beurkundet worden noch sonst zu Stande gekommen. Der Streithelfer der Klägerin hat sich dem Antrag auf Zurückweisung der Berufung angeschlossen.

Er vertritt die Auffassung, dass die Beklagte im Rechtsstreit nicht ordnungsgemäß vertreten sei, weil die dem Rechtsanwalt der Beklagten erteilte Prozessvollmacht gem. §§ 134 BGB, 43 a Abs. 4 Bundesrechtsanwaltsordnung nichtig sei. In der Sache treffe die Entscheidung des Landgerichts Stralsund zu. Dass die streitgegenständliche Regelung in dem vom Streithelfer beurkundeten Vertrag nicht aufgenommen sei, sei keine planwidrige Unvollständigkeit gewesen, sondern vielmehr von den Urkundsbeteiligten gewusst und gewollt.

II.

1. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Der Senat hat insbesondere keine Zweifel an der Wirksamkeit der dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten erteilten Prozessvollmacht. Fernliegend erscheint bereits die Annahme, der Prozessbevollmächtigte der Beklagten verstoße durch die Wahrnehmung dieses Mandates gegen § 43 a Abs. 4 Bundesrechtsanwaltsordnung. Denn der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat im Termin vom 06.03.2008 nachvollziehbar erläutert, dass er seinen ursprünglichen Auftrag nicht von den Parteien, sondern vom Erblasser erhalten hat. Davon abgesehen würde ein unterstellter Verstoß gegen § 43 a Abs. 4 Bundesrechtsanwaltsordnung im vorliegenden Fall jedenfalls nicht zur Nichtigkeit der dem Rechtsanwalt seitens der Beklagten erteilten Prozessvollmacht führen. Fraglich ist bereits, ob ein solcher Verstoß zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrages führen würde (offen gelassen vom Bundesgerichtshof, Urt. v. 23.10.2003, IV ZR 270/02, NJW 2004, S. 1169, 1171), weil sich das Verbotsgesetz hier nur an eine Partei - den Rechtsanwalt - richtet. Jedenfalls wäre es aber auf Grund des Schutzzweckes des Verbotsgesetzes im vorliegenden Fall nicht geboten, eine etwaige Nichtigkeit des Anwaltsvertrages auch auf die seitens der Beklagten erteilte Prozessvollmacht zu erstrecken.

2. Die Berufung der Beklagten hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil das Landgericht zu Recht der Klage stattgegeben hat.

Der Klägerin steht die vom Landgericht zuerkannte Forderung i. H. v. 30.000,-- EUR aus dem Pflichtteilsverzichtsvertrag vom 13.09.2005 zu. Die Beklagte kann der Forderung nicht entgegenhalten, sie sei noch nicht fällig, solange nicht feststehe, in welcher Höhe der gemeinsame Bruder, sie - die Beklagte - in Anspruch nehme. Ebenso wenig kann die Beklagte erfolgreich geltend machen, die Forderung bestehe jedenfalls nicht in der Höhe von 30.000,-- EUR, weil die Klägerin ihr einen Ausgleich dafür schulde, dass sie die Pflichtteilsansprüche ihres gemeinsamen Bruders befriedigen müsse. Dies gilt selbst dann, wenn im Sinne der Beklagten unterstellt wird, dass die Beteiligten des Pflichtteilsverzichtsvertrages davon ausgegangen sind, die Beklagte solle für die Erfüllung etwaiger Pflichtteilsansprüche ihres Bruders einen Ausgleich erhalten, und wenn anzunehmen ist, der dahin ausgelegte Pflichtteilsverzichtsvertrag sei formwirksam.

Nach §§ 133, 157 BGB ist bei der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen (BGH, Urt. v. 18. 5. 1998, II ZR 19/97 , WM 1998, 1535 unter B I 2; Urt. v. 31. 1. 1995, XI ZR 56/94 , MDR 1995, 563 = WM 1995, 743 = NJW 1995, 1212 unter II 2; v. 3. 11. 1993, VIII ZR 106/93, BGHZ 124, 39 [45] = MDR 1994, 136; BGH, Urt. v. 10. 12. 1992, I ZR 186/90, BGHZ 121, 13 [16] = MDR 1993, 635). In einem zweiten Auslegungsschritt sind sodann die außerhalb des Erklärungsaktes liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Für die Auslegung sind nur solche Umstände heranzuziehen, die dem Erklärungsempfänger bekannt oder erkennbar waren (vgl. BGH, Urt. v. 05.10.2006, III ZR 166/05, BGHR 2006, 1509). Ein von dem objektiven Erklärungsinhalt einer Formulierung übereinstimmend abweichendes Verständnis der Vertragsparteien nach §§ 133, 157 BGB geht dem objektiven Erklärungsinhalt vor. Dazu reicht es aus, wenn die eine Vertragspartei ihrer Erklärung einen von dem objektiven Erklärungsinhalt abweichenden Inhalt beimisst und die andere dies erkennt und hinnimmt (BGH, Urt. v. 19.05.2006, V ZR 264/05, BGHR 2006, 1141, 1142 m.w.N.). Ergibt die Auslegung eine planwidrige Lücke, ist diese im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu schließen.

Ausgehend von diesen Auslegungsgrundsätzen und unter Zugrundelegung des von der Beklagten behaupteten Sachverhaltes mag der Pflichtteilsverzichtsvertrag möglicherweise - unter Außerachtlassung der problematischen Frage, ob dem Formerfordernis Genüge getan ist - einen Ausgleichsanspruch der Beklagten gegen ihre Schwester begründen. Jedoch wäre dieser noch nicht fällig, weil er weder dem Grunde noch der Höhe nach feststehen würde, während der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von 30.000,-- EUR spätestens nach einem Jahr zu erfüllen gewesen ist. Insoweit hat sich die Beklagte einer sogenannten nicht beständigen Vorleistungspflicht unterworfen. Diese Auslegung findet ihre Stütze in dem eindeutigen Vertragswortlaut, der insoweit auch dem vorherigen schriftlich fixierten Verhandlungsergebnis entspricht. Sie ist auch interessengerecht, weil die Beklagte sofort, d. h. mit dem Erbfall zu Lasten ihrer Schwestern in den Genuss des gesamten Nachlasses gekommen ist, während bis heute unklar ist, ob und in welcher Höhe dem Bruder ein Pflichtteilsanspruch zusteht.

Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Bei der Auslegung der streitgegenständlichen Vereinbarung ist auch auf die Erkenntnismöglichkeit des Erblassers - der ebenfalls Vertragspartei war - abzustellen. Dass auch der Erblasser, wie die Beklagte und ihr für die Klägerin und die gemeinsame Schwester handelnder Ehemann, im Zeitpunkt der Beurkundung davon ausgegangen sein soll, der beurkundete Pflichtteilsverzichtsvertrag umfasse auch die zuvor ausgehandelte Ausgleichsklausel, trägt die Beklagte nicht eindeutig vor, jedenfalls tritt sie insoweit keinen Beweis an. Soweit der Senat in seinem Hinweis die Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung wegen einer planwidrigen Vertragslücke erwogen hat, spricht sowohl das Vorbringen des Streithelfers der Klägerin als auch das weitere Vorbringen der Beklagten selbst gegen die Existenz einer solchen Lücke. Denn die Beklagte hat im Rechtsstreit einerseits darauf abgestellt, dass der Vater seine Töchter habe gleich behandeln wollen, andererseits jedoch in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2008 auf Nachfrage eingeräumt, dass neben dem Hausgrundstück weiteres erhebliches Vermögen zum Nachlass gehörte. Dies mag auch erklären, warum sich ... eines Pflichtteilsanspruches in einer Höhe berühme, die die hier von der Klägerin geltend gemachte Ausgleichsforderung erheblich übersteigt. Der Senat sieht daher gegenwärtig auch keine Grundlage für einen späteren Ausgleichsanspruch der Beklagten.

Der nicht nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten vom 09.03.2008 gibt keinen Anlass die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Die entsprechenden Voraussetzungen gemäß § 156 ZPO liegen nicht vor.

3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1, 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.



Ende der Entscheidung

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