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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 22.12.2003
Aktenzeichen: 3 U 95/03
Rechtsgebiete: InsO, HGB, BGB, ZPO


Vorschriften:

InsO § 129 Abs. 1
InsO § 131
InsO § 131 Abs. 1
InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 131 Abs. 1 Ziff. 1
InsO § 143 Abs. 1
HGB § 421 Abs. 1
HGB § 441
HGB § 441 Abs. 1
HGB § 441 Abs. 3
HGB § 464
BGB § 284
BGB § 288
BGB § 1235
BGB § 1236
BGB § 1237
BGB § 1238
BGB § 1239
BGB § 1240
BGB § 1246 Abs. 1
BGB § 1249
BGB § 1257
ZPO § 531 Abs. 2 Ziffer 2 n. F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 95/03

Laut Protokoll Verkündet am: 22.12.2003

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Eckert, die Richterin am Oberlandesgericht Bartmann und die Richterin am Landgericht Gombac

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 20.12.2002 - Az.: 10 O 437/02 - abgeändert und wie folgt gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger 69.266,75 € nebst 5% Zinsen über den Basiszinssatz seit dem 08.12.2001 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Wert der Berufung: 69.266,75 €

Gründe:

I.

Der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der S.- und M.-bau GmbH macht gegen die Beklagte einen anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch geltend.

Die Beklagte, die ein Frachtunternehmen betreibt, hatte gegen die in Rostock ansässige Insolvenzschuldnerin per 08.10.2001 aus früheren Frachtaufträgen Zahlungsforderungen in Höhe von 135.473,98 DM. Für den am 07.10.2001 in Auftrag gegebenen Transport eines Ruders von R. zur S. Schiffswerft nach H. zahlte die Schuldnerin auf den vereinbarten Bruttofrachtlohn von 4.988,00 DM vor Beladen des Ruders einen Teilbetrag von 4.300,00 DM in bar; der Restbetrag von 688,00 DM blieb offen. Nachdem die Beklagte am 08.10.2001 das Betriebsgelände der Insolvenzschuldnerin verlassen hatte, unterbrach sie den Transport und erklärte, das Ruder erst auszuliefern, wenn eine Regelung zur Begleichung aller offenen Forderungen getroffen sei. Auf eine entsprechende Vereinbarung mit der Insolvenzschuldnerin zahlte die S. Schiffswerft am 08.10.2001 an die Beklagte 135.473,98 DM. Die Werft hatte sich - nach dem insoweit unbestrittenen Vorbringen des Klägers - mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt, weil sie dringend auf die Übergabe des Ruders angewiesen war, da anderenfalls die rechtzeitige Auslieferung des Schiffes gefährdet war und sie sich einer erheblichen Vertragsstrafe ausgesetzt hätte. Die Schuldnerin beantragte am 12.10.2001 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Nach insolvenzrechtlicher Anfechtung, die er mit inkongruenter Deckung begründet, verlangt der Kläger von der Beklagten Rückgewähr der am 08.10.2001 erlangten 135.473,98 DM bzw. 69.266,75 €. Die Beklagte wendet ein, dass sie aufgrund ihres gesetzlichen Frachtführerpfandrechts eine kongruente Deckung erlangt habe.

Das Landgericht Rostock wies mit Urteil vom 20.12.2002 die Klage ab. Die Direktzahlung statt Verwertung des Pfandrechts, so führt es aus, habe die Gläubiger nicht benachteiligt, denn bei Nichterfüllung des zwischen der Schuldnerin und der S. Schiffswerft geschlossenen Vertrages habe diese dem Werklohnanspruch der Masse Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung entgegensetzen können.

Der Kläger legte Berufung ein, die er unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens und teilweise gestützt auf neuen Vortrag wie folgt begründet:

Durch die Zahlung der S. Schiffswerft habe die Beklagte eine inkongruente Deckung im Sinne von § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erlangt, weil sie Befriedigung in dieser Art nicht zu beanspruchen gehabt habe. Die Beklagte habe die Zwangssituation der S. Schiffswerft ausgenutzt, um eine Begleichung der offenen Forderungen der Insolvenzschuldnerin zu erreichen. Dabei sei das gesetzliche Pfandrecht der Beklagten ohne Bedeutung; eine kongruente Befriedigung könne allenfalls in der ordnungsgemäßen Pfandverwertung liegen. Sofern die Zahlung durch die Werft Surrogat für ein eventuell bestehendes Pfandrecht sei, sei diese inkongruent, denn die Beklagte habe selbst vorgetragen, dass für das Ruder - bei Nichtlieferung an die Werft - allenfalls ein Erlös von 3.000,00 DM zu erzielen gewesen sei.

Die durch die Insolvenzschuldnerin veranlasste Zahlung der Schiffswerft an die Beklagte habe die Gläubiger benachteiligt, denn er - seit 15.10.2001 vorläufiger Insolvenzverwalter der Insolvenzschuldnerin - hätte ohne das Eingreifen der Beklagten nach Auslieferung des Ruders und Zugang der gestellten Rechnung den Betrag, den die Werft an die Beklagte gezahlt hat, zur Masse ziehen können. Hierzu trägt der Kläger ergänzend vor, dass das von der Beklagten transportierte Ruder Teil einer von der Schuldnerin zu erstellenden Ruderanlage im Wert von netto 335.000,00 DM gewesen sei. Teile der Ruderanlage habe die Schuldnerin bereits vor dem 08.10.2001 geliefert und hierfür am 19.06.2001 zwei Abschlagsrechnungen gestellt. Nach Endrechnung am 11.10.2001 habe die Werft - unter Außerachtlassung der Zahlung an die Beklagte - einen Restbetrag von 219.530,00 DM geschuldet. Am 08.10.2001 habe für die S. Schiffswerft keine Verpflichtung bestanden, den streitgegenständlichen Betrag an die Insolvenzschuldnerin oder an die Beklagte zu zahlen. Nicht ersichtlich sei, woraus sich ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung hätte ergeben sollen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des am 20.12.2002 verkündeten Urteils des Landgerichts Rostock (10 O 437/02) zu verurteilen, an den Kläger 69.266,75 € nebst 5% Zinsen p. a. über den Basiszinssatz seit dem 08.12.2001 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Verteidigung des erstinstanzlichen Urteils vertieft sie ihre Rechtsauffassung, dass die Befriedigung kongruent sei, soweit das Frachtführerpfandrecht gem. § 464 HGB unbestrittene Altforderungen aus früheren Transportgeschäften gesichert habe. Die praktizierte Verwertung der Pfandsache mache weder das Pfandrecht noch die Verwertung zu einer anfechtungsrechtlich verdächtigen inkongruenten Deckung. Die S. Schiffswerft habe die Beklagte nach § 1249 BGB befriedigen dürfen. Sie sei entgegen der Auffassung des Klägers an der Pfandsache zumindest über ein Anwartschaftsrecht mit einem dinglichen Besitzrecht an dem Ruder berechtigt gewesen, weshalb die Werft die Beklagte als Pfandgläubigerin habe befriedigen dürfen. Auch habe es den Interessen der Beteiligten entsprochen, die Pfandsache wie geschehen zu verwerten.

Zutreffend habe das Landgericht eine Gläubigerbenachteiligung verneint. An der Pfandsache habe lediglich die S. Schiffswerft ein Interesse gehabt, für die das für den Transport vorgesehene Ruder hergestellt worden sei. Bei einer Versteigerung hätte es daher keine anderen Interessenten gegeben. Jedenfalls sei die Insolvenzschuldnerin an den mit der S. Schiffswerft geschlossenen Vertrag gebunden gewesen. Eine Befreiung des Klägers von dieser Bindung unter insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten hätte einen Schadensersatzanspruch der S. Schiffswerft wegen Nichterfüllung zur Folge gehabt. Der neue Tatsachenvortrag des Klägers habe im Berufungsverfahren unberücksichtigt zu bleiben. Im übrigen mangele es für einen Anspruch des Klägers an den weiteren Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 InsO. Zwar habe die Beklagte die betreffende Rechtshandlung innerhalb der Dreimonatsfrist vor Antragstellung vorgenommen. Jedoch habe die Hausbank die Geschäftsbeziehung zu der Schuldnerin erst am 10.10.2001 gekündigt, sodass erst zu diesem Zeitpunkt Zahlungsunfähigkeit eingetreten sei. Darüber hinaus habe die Beklagte keine Kenntnis über Umstände gehabt, die zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit hätten schließen lassen. Die Schuldnerin selbst sei bis zum 10.10.2001 davon ausgegangen, dass ihre Hausbank einem Sanierungskonzept zustimmen werde.

Ergänzend wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils sowie auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet. Gem. § 143 Abs. 1 InsO kann der Kläger von der Beklagten Herausgabe der von der S. Schiffswerft an sie gezahlten 69.266,75 € verlangen, nachdem er diese Rechtshandlung nach § 131 Abs. 1 Ziff. 1 InsO berechtigt angefochten hat.

1. Nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommene Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte (sog. inkongruente Deckung). Diese Voraussetzungen liegen vor, denn durch die Zahlung der S. Schiffswerft erhielt die Beklagte eine Befriedigung, die sie nicht in dieser Art beanspruchen konnte.

1.1. Forderungsschuldnerin aufgrund des Frachtvertrages war die Insolvenzschuldnerin. Dass nicht sie, sondern nach vorheriger Vereinbarung mit ihr ein Dritter zahlte, mit dem die Beklagte vertraglich nicht verbunden war, bedeutet eine Befriedigung, die die Beklagte "nicht in der Art" verlangen konnte (vgl. BGH ZIP 1998, 2008 = NJW-RR 1999, 227 = NZI 1999, 118; unter II. 2. b]).

a) Die S. Schiffswerft wäre ohne die ihrer Zahlung vorangegangene gesonderte Vereinbarung mit der Schuldnerin hierzu weder verpflichtet noch berechtigt gewesen.

aa) Nach § 441 HGB gibt das Frachtführerpfandrecht dem Pfandgläubiger kein dauerhaftes Besitz- oder Zurückbehaltungsrecht, denn nach § 421 Abs. 1 HGB kann der Empfänger vom Frachtführer zu verlangen, ihm das Gut gegen Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Frachtvertrag abzuliefern. Die Beklagte wäre mithin verpflichtet gewesen, auf entsprechendes Verlangen der S. Schiffswerft das Ruder gegen Zahlung der ausstehenden Forderung aus dem aktuellen Transportgeschäft, d. h. gegen Zahlung von 688,00 DM herauszugeben. Ein Anspruch gegen die S. Schiffswerft auf Ausgleich aller offenen Altforderungen hatte die Beklagte ungeachtet ihrer Absicherung durch das gesetzliche Pfandrecht nicht.

bb) Auf ein Ablösungsrecht der S. Schiffswerft nach § 1249 BGB kann sich die Beklagte nicht berufen. Danach kann den Pfandgläubiger befriedigen, wer durch die Veräußerung des Pfandes ein Recht an dem Pfand verlieren würde, sobald der Schuldner zur Leistung berechtigt ist.

Diese Voraussetzung liegt nicht vor. Zum einen war die Werft nicht wegen eines nach Ansicht der Beklagten bestehenden Anwartschaftsrechtes an dem Ruder Berechtigte im Sinne dieser Vorschrift, denn die Insolvenzschuldnerin blieb bis zur Übergabe Eigentümerin des von ihr hergestellten Ruders. Als Eigentümerin der Pfandsache wäre die Insolvenzschuldnerin zur Ablösung nach § 1249 BGB berechtigt gewesen, denn durch die Pfandverwertung verlöre sie ihr Eigentum (§ 1242 Abs. 1 BGB). Da sie aber zugleich persönliche Schuldnerin war, entfällt ihr Ablösungsrecht nach § 1249 BGB (Damrau in MünchKomm, BGB, 3. Aufl., § 1249 Rn 1). Die Zahlung führte vielmehr zum Erlöschen der Forderung (§ 362 Abs. 1 BGB) und damit des Pfandrechtes (§§ 1252, 1257 BGB).

b) Selbst die berechtigte Direktzahlung am Schuldnervermögen vorbei ist eine erhebliche Abweichung vom normalen Zahlungsweg, die deshalb besonders verdächtig ist, weil sie an den Zahlungsverzug der Schuldnerin und deren Liquiditätsprobleme anknüpft (vgl. BGH ZInsO 2002, 766). Die der Zahlung vorangegangene Absprache zwischen der Schuldnerin und der Werft lässt den Zahlungsweg nicht normal erscheinen, denn diese Abmachung geschah in der kritischen Zeit kurz vor Beantragung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin.

1.2. Inkongruent ist die Befriedigung auch deshalb, weil die Schuldnerin durch den Druck, den die durch ihr Pfandrecht gesicherte Beklagte ausübte, sich mit der Schiffswerft auf die Direktzahlung an die Beklagte verständigte. Der Schuldnerin war nämlich daran gelegen, ihren Vertrag mit der Schiffswerft ordnungsgemäß zu erfüllen, um ihren Werklohnanspruch ungeschmälert zu realisieren. Die Verzögerung der Auslieferung des Ruders hätte sie vertreten müssen und sich somit etwaigen Schadensersatzansprüchen der Werft ausgesetzt. In dieser Situation legt diese Art der Befriedigung den Schluss nahe, dass die Beklagte sie ohne diesen Druck nicht erlangt hätte (vgl. Kirchhof in MünchKomm, InsO, § 131 Rn. 26). Soweit es darum geht, den Schuldner zur Leistung zu veranlassen, unterscheidet sich diese Drucksituation nicht von der eines Schuldners, dem die Zwangsvollstreckung droht. Dass eine unter dem Druck einer bevorstehenden Zwangsvollstreckung geleistete Zahlung eine inkongruente Deckung darstellt, ist anerkannt (BGH ZIP 2002, 1159 = NJW 2002, 2568 = NZI 2002, 378; ZIP 2003, 1304 = NJW-RR 2003, 1201 = NZI 2003, 433; ZIP 2003, 1506 = NJW 2003, 3347 = NZI 2003, 533 ).

1.3. Dass die Beklagte die Zahlung der Werft zum Ausgleich der durch das Frachtführerpfandrecht gesicherten Rückstände erhielt, sie quasi ihr Pfandrecht formlos gegen den Geldbetrag austauschte, ändert nichts an der Inkongruenz der Befriedigung. Der Schutzzweck des Frachtführerpfandrechts rechtfertigt nicht eine andere Beurteilung.

a) Zwar stellt die das Pfandrecht begründete Inbesitznahme keine inkongruente Deckung dar. Denn gemäß § 441 Abs. 1 HGB hat der Frachtführer wegen aller durch den Frachtvertrag begründeten Forderungen sowie wegen unbestrittener Forderung aus anderen mit dem Absender geschlossenen Frachtverträgen ein Pfandrecht an dem Gut. Erteilt mithin die Insolvenzschuldnerin innerhalb des Zeitraumes des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO einem Frachtführer unter Überlassung des Transportgutes einen neuen Frachtauftrag, dann gilt der Erwerb des Frachtführerpfandrechtes auch für offene unbestrittene Altforderungen aus früheren Transportgeschäften als kongruent (BGHZ 150, 326 = ZIP 2002, 1204 = NZI 2002, 485). Damit sicherte das Pfandrecht der Beklagten an dem Ruder, das sie am 08.10.2001 besaß, nicht nur die nach ihrem Vorbringen aus dem letzten Transportauftrag ausstehende Restforderung von 688,00 DM, sondern auch alle vom Kläger nicht bestrittenen Forderungen aus den weiteren - zeitlich früher - mit der Insolvenzschuldnerin geschlossenen Transportverträgen.

b) Dieses kongruent erlangte Pfandrecht hätte die Beklagte über die Ablieferung des Pfandgutes hinaus aufrechterhalten und unter Einhaltung der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen verwerten können. Wie ausgeführt, berechtigte das Frachtführerpfandrecht den Frachtführer nicht dauerhaft zum Besitz oder zur Zurückbehaltung des Frachtgutes. Wertlos wird es deshalb nicht, denn das Gesetz belässt dem Frachtführer die Möglichkeit, sein Pfandrecht trotz Aufgabe des Besitzes an dem zu transportierenden Gut zu erhalten. Gem. § 441 Abs. 3 HGB besteht es nach der Ablieferung fort, wenn der Frachtführer sein Pfandrecht innerhalb von drei Tagen nach der Ablieferung gerichtlich geltend macht und das Gut noch im Besitz des Empfängers ist. Dies hat die Beklagte nicht getan.

Auch die gem. § 1257 BGB auf das gesetzliche Pfandrecht anwendbaren Vorschriften über das durch Rechtsgeschäft bestellte Pfandrecht blieben unbeachtet. Somit hatte die Beklagte ihr Pfandrecht in einer Art geltend gemacht, die sie nicht zu beanspruchen hatte.

Ob die von ihr praktizierte "Pfandverwertung" aus Billigkeitsgründen im Sinne von § 1246 Abs. 1 BGB anzuerkennen ist, bedarf keiner Entscheidung. Denn diese Bestimmung rechtfertigt lediglich ein Abweichen von den Vorschriften der §§ 1235 bis 1240 BGB, nicht aber von den übrigen Regeln zur Pfandverwertung. Billigkeitserwägungen verbieten sich zudem in Hinblick auf den Zweck der § 131 InsO, der die Befriedigung auf eine Art, die der Anfechtungsgegner nicht zu beanspruchen hat, verhindern soll.

2. Die Gläubiger werden im Sinne von § 129 Abs. 1 InsO benachteiligt, wenn sich deren Befriedigungsmöglichkeit ohne die anfechtbare Handlung günstiger als tatsächlich gegeben gestaltet hätte (BGHZ 124, 76 = ZIP 1994, 40 = NJW 1994, 449). Dies ist anzunehmen, denn die gegenüber der S. Schiffswerft bestehende Werklohnforderung der Insolvenzschuldnerin ist in Höhe des an die Beklagte gezahlten Betrages nicht mehr durchsetzbar.

a) Entgegen der Annahme des Landgerichts war der Werklohnanspruch der Schuldnerin bzw. der Insolvenzmasse nicht infolge des Insolvenzverfahrens gefährdet.

Der Kläger legt in seiner Berufungsbegründung dar, dass die Insolvenzschuldnerin der Werft vertragsgemäß eine Ruderanlage im Wert von 335.000,00 DM geliefert habe und dass die Werft der Insolvenzschuldnerin abzüglich bereits gezahlter Beträge - unbeschadet des an die Beklagte gezahlten Teilbetrages - eine Restforderung von über 219.000,00 DM geschuldet habe. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nach Rechnungslegung diesen Betrag nicht zur Masse hätte ziehen können, sind nicht ersichtlich. Durch die Zahlung an die Beklagte reduzierte sich dieser Anspruch um die Klagforderung.

Das neue tatsächliche Vorbringen des Klägers ist gem. § 531 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO n. F. zuzulassen. Er musste nicht davon ausgehen, dass das Landgericht aufgrund rechtlicher Erwägungen über die Nichterfüllung des zwischen der Insolvenzschuldnerin und der S. Schiffswerft geschlossenen Vertrages, für die es aufgrund des erstinstanzlichen Sachvortrages beider Parteien keine Anhaltspunkte gab, von etwaigen Schadensersatzansprüchen der Werft wegen Nichterfüllung ausging, die die Werft den Werklohnanspruch des Klägers hätte entgegen setzen können. Zudem ist der neue Vortrag unstreitig. Die Beklagte vertritt lediglich die Auffassung, dass er mangels entsprechenden Antrags im Berufungsverfahren unberücksichtigt zu bleiben habe. Eines solchen Zulassungsantrages bedarf es jedoch nicht (§§ 529 Abs. 1 Ziff. 2, 531 Abs. 2 ZPO).

b) Gegen die Gläubigerbenachteiligung infolge der Direktzahlung an die Beklagte spricht nicht, dass die Beklagte ihr Pfandrecht, wie aufgezeigt, hätte aufrechterhalten und verwerten können.

Der Kausalzusammenhang zwischen der Rechtshandlung und der Gläubigerbenachteiligung fehlt, wenn der Nachteil für die Insolvenzmasse auch dann eingetreten wäre, wenn die anfechtbare Rechtshandlung unterblieben wäre. Dies ist unter Zugrundelegung des tatsächlichen Geschehens zu beurteilen (BGHZ 104, 355 [360] = ZIP 1988, 1060 = NJW 1988, 3265; BGH ZIP 2000, 1550 = NJW-RR 2001, 44 = NZI 2000, 468). Wenn der Schuldner dem Anfechtungsgegner einen Teil seines Vermögens überträgt, so ist dies die reale Ursache dafür, dass der Gegenstand dem Zugriff der Gläubiger des Schuldners entzogen ist. Hypothetische oder gedachte Ereignisse bleiben unberücksichtigt, denn die Kausalität entfällt nicht deshalb, weil der Schuldner anders als geschehen über den aus seinem Vermögen weggegebenen Gegenstand hätte verfügen können (Kirchhof in Münchener Kommentar, InsO, § 129 Rn. 181; Kreft in Heidelberger Kommentar zur InsO, 3. Aufl., § 131 Rn. 63; Gerhardt/Kreft, Aktuelle Probleme der Insolvenzanfechtung, 8. Aufl., Rn. 155). Dies gilt jedenfalls solange, wie sich der anfechtbar erlangte Gegenstand noch im Vermögen des Anfechtungsgegners befindet.

Demgemäß schließt vorliegend ein hypothetische Ursachenverlauf die Gläubigerbenachteiligung nicht aus. Zwar hätte die Beklagte sich bei ordnungsgemäßer Vorgehensweise ihr gesetzliches Pfandrecht an dem Ruder nach § 441 Abs. 3 HGB sichern und dieses anschließend nach den Regeln des Pfandverkaufs verwerten können. Diese Möglichkeit allein ist unbeachtlich. Wenn überhaupt, sind rechtlich mögliche hypothetische Abläufe allenfalls dann in die Kausalitätsfeststellung einzubeziehen, wenn Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Anfechtungsgegner diese Möglichkeit überhaupt in Betracht gezogen hat. Davon ist nicht auszugehen, denn die Beklagte hat in der Zeit vor dem 08.10.2001 bei Ausführung diverser Frachtaufträge das Frachtgut ohne Maßnahmen zur Aufrechterhaltung ihres Pfandrechts ausgeführt.

3. Die angefochtene Rechtshandlung geschah am 08.10.2001 und damit im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Sind die Anfechtungsvoraussetzungen nach den §§ 131 Abs. 1 Nr. 1, 129 Abs. 1 InsO erfüllt, so kommt es nicht darauf an, ob die Insolvenzschuldnerin zur Zeit der Rechtshandlung zahlungsunfähig war, ob der Beklagten als Anfechtungsgegnerin dies und die durch die Direktzahlung bewirkte Gläubigerbenachteiligung bekannt waren.

4. Die Höhe der Forderung ist mit 69.266,75 € unstreitig. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 284, 288 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91, Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gem. der §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Wegen der bislang höchstrichterlich nicht entschiedenen Frage, ob die Verwertung des gesetzlichen Pfandrechts ohne Beachtung der gesetzlichen Regelungen zum Pfandverkauf die Gläubiger benachteiligt, ist die Revision zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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