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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 12.06.2003
Aktenzeichen: 3 U 96/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 522 Abs. 2
ZPO § 533
Bei Prüfung der Erfolgsaussicht der Berufung befasst sich das Berufungsgericht nicht mit der in der Berufungsinstanz durch den erstinstanzlich unterlegenen Kläger erweiterten Klage; es prüft insbesondere nicht deren Erfolgsaussicht. Mit Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO wird die Klageerweiterung wirkungslos.
Oberlandesgericht Rostock Beschluss

3 U 96/03

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht

am 12.06.2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 10.01.2003 verkündete Urteil des Landgerichts Rostock (Az.: 4 O 289/99) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die mit der Berufungsbegründung hilfsweise erhobene Widerklage ist wirkungslos.

Der Streitwert der Berufung beträgt 7.980,99 €.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten als Mieter eines in einem Einkaufszentrum gelegenen Ladenlokals auf Mietzahlung für die Monate Oktober 1997 bis August 1999 sowie auf Nachzahlung von Betriebskosten in Anspruch. Der Beklagte wandte Mietminderung wegen Sachmängel (Geräuschbelästigung sowie Herabfallen von Schnee und Eis vom Vordach über der Ladentür) ein und erhob Widerklage auf Beseitigung dieser Mängel. Das Landgericht ließ die Minderung wegen eines mietvertraglich vereinbarten Ausschlusses nicht durchgreifen; es verurteilte den Beklagten zur Mietzahlung in Höhe von 7.980,99 € nebst Zinsen und zur Nachzahlung von Betriebskosten in Höhe von 349,00 €. Auf die Widerklage hin verurteilte es die Klägerin, dafür zu sorgen, dass von dem Vordach nicht Schnee und Eis vor die Eingangstür des von dem Beklagten gemieteten Ladenlokals fallen sowie eine Schalldämmung zu einem benachbarten Raum, in dem Billard gespielt wird, herzustellen.

Die Verurteilung zur Nachzahlung der Betriebskosten nimmt der Beklagte hin. Gegen die Verurteilung zur Mietzahlung wendet sich der Beklagte mit seiner zulässigen Berufung, zu deren Begründung er im wesentlichen vorträgt, das Landgericht habe wegen Verstoßes gegen die Hinweispflicht die Verurteilung zur Mietzahlung nicht auf den vertraglichen Minderungsausschluss stützen dürfe. Hilfsweise erhebt er Widerklage mit dem Antrag, festzustellen, dass er berechtigt ist, aufgrund der bestehenden Mängel (Geräuschbelästigung sowie Herabfallen von Schnee und Eis vom Vordach über der Ladentür) für die Zeit von Oktober 1997 bis August 1999 die Miete in Höhe von 7.980,99 € zu mindern.

Mit Hinweis vom 10.04.2002 teilte der Senatsvorsitzende dem Beklagten mit, dass die Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erwogen werde. Hier nahm der Beklagte mit Schriftsatz vom 14.05.2003 Stellung.

II.

Die Berufung des Beklagten ist gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

1.

Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Da beides nicht ersichtlich ist, hält das Urteil den Berufungsangriffen stand.

a)

Mit zutreffender Begründung lehnt das Landgericht Mietminderung wegen Sachmängel ab. Minderung ist nach Teil II, § 14 Abs. 1 des schriftlichen Mietvertrages der Parteien ausgeschlossen. Dieser Ausschluss greift auch dann, wenn das Gericht den Sachmangel als erwiesen erachtet. Sinn des Minderungsausschlusses, der dem Mieter die Rückforderung überzahlter Miete belässt, ist es nämlich, den regelmäßigen Eingang der Mietzahlungen, auf die der Vermieter zur Abdeckung seiner Kosten angewiesen ist, zu gewährleisten.

Die Klägerin wäre allenfalls dann gehindert, sich auf diese Klausel zu berufen, wenn sie den Minderungseinwand anerkannt hätte. Hierzu genügt nicht, dass der Sachmangel unstreitig ist, vielmehr muss auch Einvernehmen der Vertragsparteien über den Umfang der Mietminderung herrschen. Dies ist nicht der Fall. Das von dem Beklagten erwähnte Schreiben der Vermieterin vom 13.11.1995 (Anlage B 1) enthält weder die Anerkennung von konkreter Sachmängel noch das Anerkenntnis der Mietminderung.

b)

Aus prozessualen Gründen war das Landgericht nicht gehindert, den Beklagten zur Zahlung der ungeminderten Miete zu verurteilen. Gegen seine Hinweispflicht gem. § 139 ZPO hat es nicht verstoßen.

Der Beklagte trägt in der Berufungsbegründung selbst vor, dass der zuerst mit dem Rechtsstreit befasste Einzelrichter am 16.02.2000 die Problematik der Minderungs- und Aufrechnungsbeschränkung erörtert habe, ohne seine Auffassung hierzu erkennen zu geben. Schon aufgrund dieses ersten richterlichen Hinweises musste der Beklagte damit rechnen, dass der Minderungseinwand nicht durchgreifen könne; gleichwohl sah er keinen Anlass, den nunmehr mit der Berufungsbegründung angekündigten Antrag auf Feststellung der Minderung zu stellen.

Den ersten richterlichen Hinweis hat das Landgericht nicht zurückgenommen. In ihrer dienstlichen Äußerung, zu deren Einholung sich der Senat aufgrund des Schriftsatzes des Beklagten vom 14.05.2003 veranlasst sah, erklärt die Einzelrichterin, dass sie in der Verhandlung am 12.06.2002 den vertraglichen Minderungsausschluss und dessen Zulässigkeit erörtert habe. Eine Rücknahme des früheren Hinweises ist der Sitzungsniederschrift vom 12.06.2002 nicht zu entnehmen. Die Einzelrichterin wies daraufhin, dass sie "eine" - nicht "die" - Minderung in Höhe von 40 % als überhöht ansehe. Dies geschah augenscheinlich im Rahmen ihrer Bemühungen, die Parteien zu einem Vergleich zu bewegen, denn bei einer abschließenden Erledigung durfte keine Rückforderung des Beklagten offen bleiben. Diese Formulierung steht in Einklang mit ihrer jetzigen dienstlichen Äußerung. Die eidesstattlichen Versicherungen der Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 09.05.2002 sind nicht geeignet, die Beweiskraft der Sitzungsniederschrift zu erschüttern. Anzumerken ist, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten keinen Anlass sah, nach Zugang der Sitzungsniederschrift vom 12.06.2002 auf eine Dokumentation des nunmehr behaupteten Hinweises zu dringen.

Die Beweisaufnahme zu den von dem Beklagten behaupteten Sachmängel war wegen seiner auf Mängelbeseitigung gerichteten Widerklage erforderlich, so dass er hieraus nicht folgern durfte, der vertragliche Minderungsausschluss sei irrelevant.

2.

Der vorliegende Rechtsstreit ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist ein Urteil des Berufungsgerichts nicht erforderlich.

III.

Von der Zurückweisung der Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO ist nicht wegen der Hilfswiderklage abzusehen. 1.

Zur Behandlung der zulässigen Klageänderung oder -erweiterung durch den Berufungskläger bei einer Berufung, die gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen ist, enthält die ZPO keine Regelung.

Über den neu eingeführten Streitgegenstand kann das Berufungsgericht jedenfalls nur durch mündliche Verhandlung entscheiden, denn der Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO beschränkt sich auf die Nachprüfung des erstinstanzlichen Urteils (§ 529 Abs. 1 ZPO), soweit der Berufungskläger es angreift. Ist die erweiterte Klage zulässig und sind die Angriffe des Berufungsklägers gegen das erstinstanzliche Urteil unbegründet, so bieten sich drei Lösungen an:

(a) Das Berufungsgericht sieht von einem Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO ab und entscheidet insgesamt nach mündlicher Verhandlung.

(b) Es weist die Berufung durch (Teil)Beschluss zurück und verhandelt mündlich über die Klageerweiterung.

(c) Es weist die Berufung als unbegründet zurück, ohne sich mit der erweiterten Klage zu befassen; diese wird wirkungslos.

Gegen die erste Lösung (a) spricht, dass es dann der als Kläger oder Widerkläger unterlegenen Berufungskläger in der Hand hätte, durch eine Klageerweiterung eine mündliche Verhandlung über seine Berufung zu erzwingen, obwohl diese keine Erfolgsaussicht bietet.

Eine Weiterverhandlung nach abschließender Erledigung des erstinstanzlichen Streitstoffes durch Beschluss (b) kann nicht Zweck der Berufungsverhandlung sein, denn sie setzt eine fortbestehende Beschwer des Rechtsmittelführers voraus (vgl. BGH NJW-RR 2002, 1435 [1436]). Eben diese Beschwer entfällt jedoch durch den die Berufung zurückweisenden Beschluss.

Allein sachgerecht ist nach Auffassung des Senats der dritte Weg (c), denn er entspricht dem Anliegen der ZPO-Reform, die Berufung im Wesentlichen als Instrument der Fehlerkontrolle auszugestalten. § 522 Abs. 2 ZPO will verhindern, dass richterliche Arbeitskraft durch intensive Befassung mit substanzlosen Berufungen gebunden wird (BT-Drucksache 14/4722, S. 97). Deshalb ist bei Vorliegen der Voraussetzungen die Zurückweisung der Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zwingend (OLG Rostock NJW 2003, 1676; Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 522 Rz. 96; Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 404). Eine Ausnahme für den Fall einer zulässigen Klageerweiterung ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Für den vergleichbaren Fall der Anschlussberufung löst § 524 Abs. 4 ZPO den Konflikt dahin, dass das Berufungsgericht nicht gehindert ist, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, und die Anschlussberufung, auch wenn sie Erfolgsaussicht hat, ihre Wirkung verliert. Sinn dieser Regelung ist es zu vermeiden, dass das Berufungsgericht trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO mündlich verhandelt. Den prozessualen Nachteil des Berufungsbeklagten nimmt das Gesetz hierbei in Kauf (Hannich/Meyer-Seitz, a.a.O., § 524 Rz. 9). Diese Gesichtspunkte fordern für die Klageerweiterung durch den Berufungskläger nicht zum Umkehrschluss aus § 524 Abs. 4 ZPO heraus, sondern lassen sich auch auf diese übertragen, denn sie ist in gleicher Weise von einer zulässigen und erfolgversprechenden Berufung abhängig wie die Anschlussberufung. Letztlich besteht - wie auch der vorliegende Sachverhalt belegt - kein Bedürfnis, den über die mit der Berufungsbegründung hilfsweise erhobene Widerklage im Berufungsverfahren zu verhandeln, denn dem Berufungskläger bleibt unbenommen, die mit der Hilfswiderklage begehrte Feststellung zum Gegenstand eines gesonderten Prozesses zu machen.

2.

Die hilfsweise erweiterte Widerklage wird entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO mit Zurückweisung der Berufung wirkungslos. IV.

Da der Senat nicht über die hilfsweise erweiterte Widerklage entscheidet, bleibt deren Gegenstandswert bei der Bemessung des Streitwerts der Berufung unberücksichtigt.

V.

Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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