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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 18.12.2006
Aktenzeichen: 3 W 142/06
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 62 Abs. 2 Satz 1
1. Die Anordnung von Abschiebehaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung setzt neben dem Vorliegen der in § 62 Abs. 2 Satz 1 AufenthG aufgezählten Gründe voraus, dass die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung erforderlich und zudem verhältnismäßig ist.

2. Sicherungshaft dient der Sicherung des Zugriffs auf den Betroffenen zum Zeitpunkt der vorgesehenen Abschiebung, nicht aber der Erzwingung von Mitwirkungshandlungen.


Oberlandesgericht Rostock Beschluss

3 W 142/06

In der Abschiebehaftsache

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock am 18.12.2006 beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Ludwigslust vom 28.11.2006 - 2 XIV 3B/06 - und des Landgerichts Schwerin vom 12.12.2006 - 5 T 366/06 - werden aufgehoben und der Antrag des Beteiligten zu 2. auf Anordnung von Sicherungshaft zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Beteiligten zu 2. auferlegt.

Gründe:

I.

Die Betroffene ist äthiopische Staatsbürgerin.

Sie stellte am 30.12.1992 einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 03.02.1994 abgelehnt und die Betroffene aufgefordert, binnen eines Monats auszureisen. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 30.10.1998 abgewiesen. Nach Abschluss des Berufungsverfahrens trat die Rechtskraft dieser Entscheidung zum 21.06.2000 ein, so dass seit dem 20.07.2000 ihre Ausreisepflicht besteht. Da die Betroffene über keine Reisedokumente verfügte, wurde die Abschiebung am 02.10.2000 ausgesetzt und der Betroffenen in der Folgezeit fortlaufend Duldungen erteilt. Zuletzt wurde die Duldung am 31.08.2006 bis zum 28.02.2007 verlängert.

Am 13.10.2003 erfolgte zum Zwecke der Beschaffung von Passersatzpapieren eine Vorführung der Betroffenen vor der Konsularabteilung der Botschaft der Republik Äthiopien, die erfolgslos blieb. Am 23.10.2006 und am 02.11.2006 wurde die Betroffene erneut bei der Botschaft der Republik Äthiopien vorgeführt. Mit Bescheid vom 24.10.2006, der dem Verfahrensbevollmächtigten der Betroffen zugestellt wurde, wurde ihr die Abschiebung angekündigt. Aufgrund einer dortigen Zusicherung, dass Passersatzpapiere ausgestellt würden, wurde die Abschiebung der Betroffenen für den 28.11.2006 vorgesehen, ein entsprechender Flug gebucht und die Polizeidirektion Schwerin, Inspektion Zentrale Dienste mit Schreiben vom 17.11.2006 ersucht, den Transport der Betroffenen am 28.11.2006 von der ihr zugewiesenen Unterkunft zum Flughafen Berlin-Schönefeld zu übernehmen.

Mit Bescheid vom 28.11.2006 wurde die Duldung widerrufen und die sofortige Vollziehbarkeit der Abschiebung angeordnet. Gegen diesen Bescheid erhob die Betroffene Klage. Gleichzeitig beantragte sie einstweiligen Rechtsschutz. Der Antrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 05.12.2006 abgewiesen. Hiergegen legte die Betroffene Beschwerde ein.

Der die Duldung widerrufende Bescheid wurde der Betroffenen am Vormittag des 28.11.2006 bekannt gegeben. Unmittelbar im Anschluss hieran wurde sie festgenommen und von der Polizei - Inspektion Zentrale Dienste - zum Flughafen Berlin-Schönefeld verbracht. Als Abflugzeit war 14.45 Uhr vorgesehen. Die Betroffene weigerte sich jedoch, das von der Botschaft der Republik Äthiopien ausgestellte Passersatzpapier zu unterschreiben und dessen Empfang zu quittieren. Auch lehnte sie es ab, freiwillig in das Flugzeug zu steigen. Hierauf gestützt beantragte die Beteiligte zu 2. die Anordnung von Abschiebehaft bis längstens zum 01.02.2007. Sie führte aus, dass die Haftgründe des § 62 Abs. 2 Nr. 4 und 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vorlägen, ohne dies jedoch näher vorzutragen. Die Anordnung von Sicherungshaft sei erforderlich, um die erneute Abschiebung nicht zu gefährden. Es müsse nunmehr ein neuer Flug gebucht und die Begleitung der Betroffenen nach Äthiopien organisiert werden.

Am 28.11.2006 um 16.00 Uhr wurde die Betroffene durch das Amtsgericht Ludwigslust angehört und in unmittelbarem Anschluss hieran die beantragte Haft angeordnet. Wegen der Gründe wird auf den Beschluss Bezug genommen. Hiergegen legte die Betroffene durch ihren Verfahrensbevollmächtigen sofortige Beschwerde ein und machte geltend, dass Haftgründe nicht gegeben seien. Insbesondere habe sich die Betroffene nicht der Abschiebung entzogen, sondern habe sich trotz Ankündigung der Abschiebung in der ihr zugewiesenen Unterkunft aufgehalten. Soweit sich die Haftanordnung darauf stütze, dass sie an ihrer Abschiebung nicht mitgewirkt habe, sei dies fehlerhaft, denn Abschiebehaft diene der Sicherung der Abschiebung und stelle keine Beugehaft dar. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 12.12.2006 ohne erneute Anhörung der Betroffenen abgewiesen. Wegen der Entscheidungsgründe wird auf den Beschluss des Landgerichts Bezug genommen. Gegen diesen richtet sich die weitere sofortige Beschwerde unter Wiederholung des vorinstanzlichen Vorbringens.

II.

Die weitere sofortige Beschwerde ist gem. § 106 AufenthG, §§ 3, 5, 7 FEVG, §§ 27, 29 FGG zulässig und hat in der Sache Erfolg. Die Abschiebehaft in zu Unrecht angeordnet worden, da die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind.

Der Senat hat bereits Bedenken, wenn die Anordnung der Abschiebehaft auf § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und 5 AufenthG gestützt wird. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Betroffene einer Abschiebung - etwa durch Untertauchen - zu entziehen versucht. Trotz Ankündigung der Abschiebung hat sie sich in der ihr zugewiesenen Unterkunft aufgehalten und wurde von dort unmittelbar am 28.11.2006 zum Flughafen verbracht. Sie hat in ihrer Anhörung am 28.11.2006 bekundet, sich auch weiterhin in der Unterkunft aufzuhalten. Anlass, hieran Zweifel zu hegen, besteht nicht.

Letztlich aber kann der Senat dies offen lassen. Die Anordnung von Abschiebehaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung nach § 62 Abs. 2 AufenthG setzt neben dem Vorliegen der in Satz 1 aufgezählten Gründe voraus, dass die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung erforderlich und zudem verhältnismäßig ist (Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 62 AufenthG Rn. 11). Selbst also wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gegeben sind, kommt eine Haftanordnung nur in Betracht, wenn sich der Betroffene der Abschiebung offensichtlich entziehen will und die Abschiebung nicht mit milderen Mitteln des Zwangs durchgesetzt werden kann (Renner, a.a.O.). Unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze ist die Anordnung der Abschiebehaft vorliegend unverhältnismäßig. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen eine Abschiebung zu dem Zeitpunkt, zu dem ihre Voraussetzungen vorliegen (Flugbuchung, Reisedokument) nicht mit milderen Mitteln durchgesetzt werden kann. Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene etwa untertauchen wolle, sind nicht ersichtlich. Daher kommt es in Betracht, dass die Betroffene am Termin der neuen Abschiebung durch entsprechende Hilfspersonen zum Flughafen verbracht werden kann. Hierzu kann sie von der ihr zugewiesenen Unterkunft abgeholt werden, wie dies bereits am 28.11.2006 praktiziert worden ist. Zudem ist zu beachten, dass eine Abschiebung bis zum 01.02.2007 keineswegs gewährleistet ist. Nach den Ausführungen der Beteiligten zu 2. scheiterte die Abschiebung am 28.11.2006 insbesondere daran, dass die Betroffene ihr Passersatzpapier nicht unterzeichnet hat. Nach wie vor fehlt es also an einem gültigen Ausreisedokument, woran sich auch durch die Anordnung von Abschiebehaft nichts ändert. Sicherungshaft dient der Sicherung des Zugriffs auf den Betroffenen zum Zeitpunkt der vorgesehenen Abschiebung, nicht aber der Erzwingung von Mitwirkungshandlungen.

Nach alledem waren auf die weitere sofortige Beschwerde die Beschlüsse des Amts- und Landgerichts aufzuheben und der Haftantrag mangels Vorliegen seiner rechtlichen Voraussetzungen zurückzuweisen.

Da es dem Haftantrag von vornherein an seinen Voraussetzungen fehlte und die Entscheidungen des Amts- und Landgerichts rechtfehlerhaft ergangen sind, waren die Verfahrenskosten gem. § 16 FEVG der Antragstellerin aufzuerlegen.

Ende der Entscheidung

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