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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 04.09.2009
Aktenzeichen: 3 W 74/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 273 Abs. 2
ZPO § 278 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock Beschluss

3 W 74/09

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock am 04.09.2009 beschlossen:

Tenor:

1. Die Untätigkeitsbeschwerde der Klägerin vom 11.08.2009 wird als unzulässig verworfen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Beschwerdewert beträgt € 1.000,-.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über wechselseitige Ansprüche aus einem Mietverhältnis.

Die Klägerin macht gegen den Beklagten mit der am 26.02.2008 zugestellten Klage einen angeblichen Anspruch auf Rückgabe mehrerer als Museum genutzter Räume in einem Gebäudekomplex in B., Ortsteil P. geltend. Im Wege einer Widerklage verlangt der Beklagte Ersatz für Aufwendungen in Höhe von etwa € 67.000,00, die er zur "Absicherung des gesamten im Eigentum der Klägerin stehenden Objekts" gemacht habe, um eine baupolizeiliche Sperrung des Gebäudes abzuwenden. Für den Fall, dass das Mietverhältnis infolge der Kündigung des Vertrages beendet worden sei, hat der Beklagte eine Hilfswiderklage erhoben, mit der er den Ersatz seiner Investitionen (ca. € 300.000,00) verlangt.

Am 29.10.2008 hat die Klägerin das Landgericht ersucht, den Stand des Verfahrens und den Zeitpunkt der Bestimmung eines Verhandlungstermins mitzuteilen.

Die zuständige Einzelrichterin verfügte hierauf am 30.10.2008 folgende Mitteilung an die Parteien:

"Wegen personeller Engpässe und verschiedener Dezernatswechsel ist es in der erkennenden Kammer zu Rückständen - auch älterer Verfahren gekommen. Die vorliegende Räumungsklage soll im ersten Quartal des Jahres 2009 terminiert werden."

Mit Schriftsatz vom 13.11.2008 hat der Beklagte die Aussetzung des Verfahrens beantragt, da in einem Parallelverfahren die Nichtigkeit eines Gesellschafterbeschlusses geprüft werde (Landgericht Stralsund 3 O 16/07; OLG 1 U 223/08). Sollte dieser Beschluss nichtig sein, könne dies zur Unwirksamkeit der Kündigung des Mietvertrages führen, auf deren Grundlage der Räumungsprozess geführt werde.

Die Klägerin hat am 19.01.2009 beantragt, den Aussetzungsantrag zurückzuweisen, da eine Vorgreiflichkeit nicht anzunehmen sei. Im Übrigen hat sie weiter zur Sache vorgetragen.

Mit Schriftsatz vom 12.03.2009 hat die Klägerin um Terminsbestimmung gebeten.

Der Beklagte hat schließlich in seinem Schriftsatz vom 21.04.2009 weiter zu seinem Ausetzungsantrag und in der Sache Stellung genommen.

Mit Schriftsatz vom 11.08.2009 hat die Klägerin eine sofortige Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, das Verfahren weiter zu betreiben. Nach ihrer Replik vom 08.05.2008 übermittle das Gericht die wechselseitigen Schriftsätze zur Kenntnisnahme, ohne dass nach nunmehr 19 Monaten Verfahrensdauer ein Fortgang zu erkennen sei. Es sei eine überlange Dauer des Rechtsstreits anzunehmen, die auf der Untätigkeit des Gerichts beruhe. Der eingetretene Verfahrensstillstand führe dazu, dass die Klägerin ihr Rechtsschutzziel nicht durchsetzen könne. Hierfür sei ein sachlicher Grund, der sich aus dem Verfahren selbst ergebe, nicht zu erkennen. Ein etwaiger personeller Engpass müsse im Hinblick auf eine Entscheidung strittiger Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit unberücksichtig bleiben. Vielmehr sei die Justizverwaltung aufgerufen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen.

Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 13.08.2009 nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Das Verfahren sei unter Berücksichtigung der in der Sachstandsmitteilung mitgeteilten Verzögerungsgründe gefördert worden. Es habe zur Terminierung angestanden. Danach sei weiterer Sachvortrag der Parteien erfolgt und ihnen jeweils Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Frist gegeben worden. Deshalb habe der angekündigte zeitliche Rahmen für die Terminierung nicht eingehalten werden können.

II.

Gegen die von der Klägerin behauptete Untätigkeit des Landgerichts ist eine Beschwerde nicht statthaft.

1. Der Senat lässt dabei die Beantwortung der Streitfrage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine Untätigkeitsbeschwerde statthaft ist, ausdrücklich offen.

Nach der herrschenden Meinung kann das im Rechtszug übergeordnete Gericht grundsätzlich nur gegen eine ergangene, den Rechtsmittelführer beschwerende Entscheidung eines Gerichts, nicht aber gegen dessen vermeintliches oder tatsächliches Untätigbleiben angerufen werden (BVerfG, Kammerbeschl. v. 10.06.2005, 1 BvR 2790/04, NJW 2005, 2685; BGH, Senat für Anwaltssachen, Beschl. v. 21.11.1994, AnwZ (B) 41/94, NJW-RR 1995, 887; 3. Strafsenat, Beschl. v. 22.12.1992, StB 15/92, 3 BJs 960/91 - 4 (85) - StB 15/92, NJW 1993, 1279, 1280; BFH, Beschl. v. 28.05.2009, III B 73/09, juris; BFH, Beschl. v. 04.10.2001, V B 85/01, BFH/NV 2002, 364; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschl. v. 27.04.2009, L 11 B 45/09 AS, juris; Hessisches Landessozialgericht, Beschl. v. 11.02.2009, L 9 B 229/08 AS, juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 22.04.2009, 8 E 147/09, NJW 2009, 2615). Die Zivilprozessordnung sieht ein solches Rechtsmittel weiterhin nicht vor. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung über Rechtsbehelfe bei Verletzungen des Rechts auf ein zügiges gerichtliches Verfahren - Untätigkeitsbeschwerdengesetz - vom 22. August 2005 (vgl. http://www.bdfr.de/Untaetigkeitsbeschwerde_BMJ.pdf) ist noch nicht umgesetzt worden. Ob gegen das Untätigbleiben eines Gerichts in Ausnahmefällen ein außerordentliches Rechtsmittel zuzulassen sei, hat der Bundesgerichtshof offen gelassen (vgl. BGH, Beschl. v. 21.11.1994).

In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird die Untätigkeitsbeschwerde als außerordentliches Rechtsmittel (nach Maßgabe der Vorschriften des § 252 bzw. §§ 567 ff ZPO) aus rechtsstaatlichen Gesichtpunkten für zulässig gehalten, wenn mit ihr eine willkürliche Untätigkeit des Gerichts geltend gemacht wird, die einer endgültigen Rechtsverweigerung gleichkommt (vgl. KG Berlin, Beschl. v. 07.07.2009 - 1 W 593 - 596/07 und 13 - 16/09, 1 W 593 - 596/07, 1 W 13 - 16/09, 1 W 593/07, 1 W 594/07 - juris; OLG Schleswig, Beschl. v. 20.05.2009, 15 WF 140/09, OLGR Schleswig 2009, 579; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.01.2008, I-24 W 109/07, MDR 2008, 406; OLG Brandenburg, Beschl. v. 22.10.2007, 10 WF 237/07, FamRZ 2008, 288; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 03.05.2007, 2 WF 32/07, MDR 2007, 1393, OLG Frankfurt, Beschl. v. 30.01.2007, 3 WF 232/06, FamRZ 2007, 1030).

2.

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines solchen außerordentlichen Rechtsmittels liegen indes nicht vor.

Es ist weder dargetan noch anhand des Akteninhalts ersichtlich, dass - unter Berücksichtigung des konkreten Prozessstoffes - eine über das Normalmaß hinausgehende unzumutbare Verzögerung des Verfahrens vorliegt, die auf einen Rechtsverlust oder eine Rechtsverweigerung hinausläuft. Generell verbietet sich jede schematische Betrachtung, vielmehr sind die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen. Der auf dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch (Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG) beruhende Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes darf allerdings nicht dazu führen, dass ein Beschwerdegericht in die richterliche Unabhängigkeit und die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens der Vorinstanz, wie es prozessual verfährt, eingreift. Ob die Verfahrensweise eines Gerichts zweckmäßig und zügig ist oder auch nicht, unterliegt im Rahmen einer Untätigkeitsbeschwerde nicht der Überprüfung durch den Senat (vgl. OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Naumburg, Beschl. v. 02.11.2005, 8 WF 184/05 (PKH), 8 WF 184/05, FamRZ 2006, 967 m.w.N.).

Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass der Rechtsstreit inzwischen mehr als 1 1/2 Jahre anhängig ist, ohne dass das Landgericht einen Verhandlungstermin bestimmt hat. Jedoch tragen die Parteien umfassend und fortlaufend (neue Tatsachen) zur Sache vor. Im Übrigen hat die Beklagte eine Widerklage erhoben und einen Aussetzungsantrag gestellt. Die Entscheidung des Landgerichts, erst zu terminieren, nachdem die Sache ausgeschrieben ist, hat der Senat angesichts der oben dargestellten Grundsätze nicht zu beanstanden. Eine willkürliche Verzögerung des Verfahrens seitens des Gerichts lässt sich nicht feststellen. Zweck des vorbereitenden Verfahrens (§§ 272 Abs. 1 und 2, 276 ZPO) ist es allein, den Prozessstoff so aufzubreiten, dass der Rechtsstreit möglichst in einem einzigen Verhandlungstermin (§ 279 Abs. 3 ZPO) erledigt werden kann. Den "Durchlaufterminen" will der Gesetzgeber mit der Regelung in § 278 Abs. 2 ZPO gerade entgegen wirken. Die Vorschrift des § 273 Abs. 2 ZPO ermöglicht ferner terminsvorbereitende Anordnungen. Eine Entscheidung hierüber setzt voraus, dass das Vorbringen (vollständig) erfasst, strukturiert und zum Anlass für solche vorbereitenden Maßnahmen genommen werden kann. Von einem Stillstand des Verfahrens, nur weil noch nicht terminiert, kann noch keine Rede sein. Ohnehin dürfte das Landgericht Veranlassung haben, vor einer Terminsbestimmung über den Aussetzungsantrag des Beklagten zu entscheiden.

Schließlich obliegt es auch der pflichtgemäßen Entscheidung eines Gerichts, in welcher Reihenfolge es die zu behandelnden Fälle abarbeitet. Die zuständige Einzelrichterin hat den Parteien gegenüber zumindest angedeutet, von welchen Prämissen sie sich hierbei leiten lässt. Dass sie insoweit ermessenfehlterhaft gehandelt haben könnte, ist weder dargetan noch ersichtlich.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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