Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 04.04.2008
Aktenzeichen: 5 U 10/08
Rechtsgebiete: StrWG MV, KV MV, BGB


Vorschriften:

StrWG MV § 14
StrWG MV § 50 Abs. 1
StrWG MV § 50 Abs. 2
StrWG MV § 50 Abs. 3
StrWG MV § 50 Abs. 4
KV MV § 127 Abs. 1 S. 6
BGB § 839 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 U 10/08

laut Protokoll verkündet am: 04.04.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 26.04.2007 - Az.: 4 O 260/06 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung einschließlich der durch die Nebenintervention verursachten Kosten trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für die Berufungsinstanz auf 5.237,07 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Ansprüche des Klägers aus Amtshaftung.

Der Kläger behauptet, er sei am 23.12.2003 gegen 10.30 h auf der Karower Straße hinter der Nebelbrücke in der Gemeinde Dobbin-Linstow bei winterlicher Glätte auf der nicht abgestreuten Fahrbahn gestürzt, wobei er einen Oberschenkelhalsbruch erlitten habe. Er habe am Unfalltag Trekkingschuhe mit grobem Profil getragen und trotz besonderer Sorgfalt den Sturz nicht vermeiden können. Auf der Fahrbahn habe es Stellen gegeben, an denen sich Wasser gesammelt habe, das dann überfroren sei; dies sei zum Unfallzeitpunkt nicht erkennbar gewesen, da es in der vorangegangenen Nacht geschneit habe und ein dünner Schneefilm auf der Fahrbahn gewesen sei.

Das Landgericht hat die Klage, mit der der Kläger neben einer Zahlung von insgesamt 237,07 € die Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 4.000,-- € und die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten verfolgt, abgewiesen, weil die Beklagte nicht passivlegitimiert sei. Dies sei, obgleich die Gemeinden verkehrssicherungspflichtig seien, das Amt, wenn die Gemeinde amtsangehörig sei, da dessen Mitarbeitern die Erfüllung der Straßenverkehrssicherungspflicht als delegierte Aufgabe obliege. Darüber hinaus habe auch die Nebenintervenientin ihre Räum- und Streupflichten nicht verletzt. Eine solche bestehe innerhalb der geschlossenen Ortslage nur an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen; dass hiervon auch der Unfallort erfasst werde, sei nicht ersichtlich. Auch könne nicht erkannt werden, ob sich der Kläger herausgefordert fühlen durfte, die Fahrbahn zu nutzen, weil ein Seitenstreifen nicht geräumt und/ oder gestreut gewesen sei. Schließlich überwiege auch die augenscheinliche Selbstgefährdung die etwaige fahrlässige Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, die form- und fristgerecht eingereicht und begründet worden ist. Der Kläger meint, das Landgericht habe fehlerhaft angenommen, ein Anspruch bestehe weder gegenüber der Beklagten noch gegenüber dem Amt als Nebenintervenientin. So sei das Landgericht fälschlich davon ausgegangen, der Kläger habe zum Seitenstreifen vortragen müssen; vielmehr sei unstreitig, dass ein Seitenstreifen nicht existiert habe. Auch sei das Landgericht seiner Aufklärungspflicht nicht nachgekommen, indem es die Zeugen zum Unfallhergang und dem von dem Kläger getragenen Schuhwerk nicht vernommen habe. Zudem habe das Landgericht fehlerhaft ein erhebliches Mitverschulden des Klägers angenommen; dies würde dazu führen, dass unter den gegebenen Umständen die Bewohner eines Dorfes im Winter ihre Häuser nicht mehr verlassen dürften.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Rostock vom 26.04.2007 - Az.: 4 O 260/06- aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,

1. an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld - mindestens in Höhe von 4.000,-- € - nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, 2. an den Kläger 27,07 € nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie weitere 210 ,-- € nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 23.12.2003 zu bezahlen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagte und die Nebenintervenientin beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie meinen, das Landgericht habe zwar unzutreffend die Passivlegitimation der Beklagten verneint, verteidigen aber im übrigen das landgerichtliche Urteil. Unabhängig von der Amtszugehörigkeit einer Gemeinde trage diese die Sachbefugnis bei behaupteten Ansprüchen wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten der Gemeinden. Zutreffend habe aber das Landgericht angenommen, dass die Gemeinde keine Verpflichtung traf, die verkehrsunbedeutende Dorfstraße so abzustreuen, dass sie von Fußgängern an beliebiger Stelle gänzlich gefahrlos begangen werden könne.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten, bei der Akte befindlichen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen ... und .... Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2008.

II.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht die Klage abgewiesen, auch wenn es zu Unrecht davon ausgegangen ist, die Beklagte sei - die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht hier einmal unterstellt - nicht passivlegitimiert (1.)). Denn der Senat hat nach Durchführung der Beweisaufnahme nicht zu seiner Überzeugung feststellen können, dass überhaupt eine Wetterlage und Gefahrensituation herrschte, die die Beklagte zu Verkehrssicherungsmaßnahmen verpflichtet hat (2.)).

1.)

Die Beklagte wäre allerdings die richtige Partei, wenn ihr die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht hätte nachgewiesen werden können.

Nach § 50 Abs. IV StrWG MV sind für die Reinigung der innerhalb geschlossener Ortschaften gelegenen öffentlichen Straßen die Gemeinden - die zugleich nach § 14 StrWG MV Träger der Straßenbaulast für die Gemeindestraßen sind - zuständig, sofern diese ihre Verpflichtung nicht per Satzung auf Dritte, insbesondere Grundstückseigentümer, delegieren, was vorliegend nicht ersichtlich ist.

Das Amt ist lediglich nach § 127 Abs. 1 S. 6 KV MV Vertreter der Gemeinde. Angesichts der klaren Bestimmung des StrWG kommt eine Verkehrssicherungspflicht des Amtes jedenfalls nicht in Betracht, auch wenn sich die Gemeinde zur Wahrnehmung ihrer Pflichten der Verwaltungsorganisation des übergeordneten Amtes bedient bzw. letzteres die Aufgaben der Gemeinde wahrnimmt (so schon 1. Zivilsenat, 1 U 174/97 für Straßenverkehrs-sicherungspflichten; 1 W 286/98 für sonstige Verkehrssicherungspflichten (dort: Phosphorfunde am Strand)).

2.)

Die Räum- und Streupflicht auf öffentlichen Straßen bildet einen Unterfall der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (BGH,VersR 1970, 904). Die Verkehrssicherungspflicht der für die Straßen und Gehwege ihres Gebiets verantwortlichen Kommunen ist in Mecklenburg-Vorpommern hoheitlich ausgestaltet (§§ 10 Abs. 1, 50 StrWG MV), ihre Verletzung somit Amtspflichtverletzung iSd § 839 Abs. 1 BGB.

a)

Nach § 50 Abs. 1 StrWG MV sind alle innerhalb der geschlossenen Ortslage gelegenen öffentlichen Straßen zu reinigen, wobei sich Art und Umfang der Reinigung nach den örtlichen Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung richten. Zur Reinigung gehört nach § 50 Abs. 2 StrWG MV auch die Schneeräumung auf den Gehwegen und Überwegen für Fußgänger sowie bei Schneeglätte und Glatteis das Bestreuen der Gehwege und Fußgängerüberwege. Nach § 50 Abs. 3 StrWG MV haben die Reinigungspflichtigen im übrigen die Fahrbahnen der öffentlichen Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslage nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit von Schnee zu räumen und bei Schnee- und Eisglätte zu streuen, soweit das zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

Nach der Rechtsprechung des BGH besteht die winterliche Räum- und Streupflicht nicht uneingeschränkt, sondern steht unter dem Vorbehalt des Erforderlichen und Zumutbaren. Inhalt und Umfang der Pflichten richten sich nach den Umständen des Einzelfalls, Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges sind ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs (BGH,VersR 1957, 758). Für Fußgänger sind innerhalb der geschlossenen Ortschaft auf der Fahrbahn nur die belebten, über die Fahrbahn führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwege zu bestreuen, soweit dafür ein Bedürfnis des Verkehrs besteht (BGH, VersR 1991, 665 " belebt" oder "gefährlich" , OLG Rostock, Urteil des 1. Zivilsenates, 1 U 11/01). Innerhalb geschlossener Ortschaften sind grundsätzlich alle diejenigen für den Fußgängerverkehr wichtigen Gehwege zu sichern, auf denen ein nicht unbedeutender Verkehr stattfindet (BGH, NJW 1960, 41; OLG Köln, VersR 1979, 551). Das OLG Hamm hat die Anforderungen dahingehend näher konkretisiert, dass aus dem Kreis der zu bestreuenden Gehflächen tatsächlich entbehrliche Wege, für die ein echtes, jederzeit zu befriedigendes Verkehrsbedürfnis nicht besteht, herauszunehmen sind; dem streupflichtigen Gehwegen muss eine notwendige Erschließungsfunktion in dem Sinne zukommen, dass die nach der Verkehrsauffassung für die Lebensführung wesentlichen Orte (Wohnungen, Schulen, Arbeitsstätten, Geschäfte etc.) für Fußgänger zu jeder Jahreszeit erreichbar sind, d.h. diejenigen Wege, die bei vernünftiger Beurteilung nach Verkehrsbedeutung und äußerer Anlage auch im Winter als die wesentlichen Verbindungen erscheinen (OLG Hamm, NZV 2004, 645).

An verkehrsunwichtigen Orten besteht hingegen nicht einmal dann eine Streupflicht, wenn der Fußgänger gezwungen ist, infolge einer Baustellenabsperrung die Straße zu betreten (BGH,VersR 1991,665). Den Fußgängern muss nicht generell die Möglichkeit geschaffen werden, ein gefahrloses Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Dies würde bewirken, dass auf zahlreichen nachrangig zu bestreuenden Straßen vorrangig Überwege für Fußgänger abgestreut werden müssten. Auch sind vorgesehene Fußgängerüberwege zu benutzen, nicht aber willkürlich gewählte Wegstrecken.

b)

Ein Geschädigter muss deshalb darlegen und ggf. beweisen, dass eine Straßen - und Wetterlage bestand, bei der Sicherungsmaßnahmen erforderlich und nach der Tageszeit geboten gewesen wären, dass diese Arbeiten nicht durchgeführt wurden und dies schließlich für den Unfall kausal war (OLG Rostock, Urteil des 1. Zivilsenats, 1 U 144/97).

Dies kann nach Durchführung der Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden. Der Kläger hat nicht beweisen können, dass die Fahrbahn vereist gewesen ist mit der Folge, dass die Beklagte hätte Streumaßnahmen einleiten müssen. Die Aussagen der Zeugen waren insoweit bereits nicht ergiebig, so dass sich eine nähere Würdigung ihrer Aussagen erübrigt. Denn die Zeugen haben die Behauptung des Klägers, dass winterliche Glätte auf der Fahrbahn bestand, die die Durchführung von Streumaßnahmen notwendig machte, nicht bestätigen können. Nach ihren Aussagen ist vielmehr davon auszugehen, dass eine Streupflicht nicht bestand, weil die Straßen nicht glatt waren. Die Beklagte haftet hingegen nicht dafür, dass allein einzelne Stellen einer Straße wegen des Überfrierens von Nässe glatt sind; dies würde die Anforderungen an das Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht erheblich überspannen.

Darüber hinaus ist nach der Aussage des Zeugen ... vielmehr davon auszugehen, dass der Kläger beim Sturz selbst nicht auf der Straße, sondern auf dem Sandstreifen daneben gegangen ist. Dass dieser durch die Beklagte hätte abgesichert werden müssen, kann ebenfalls nicht erkannt werden.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 101, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Bei der Streitwertfestsetzung hat der Senat für den Feststellungsantrag einen Streitwert von 1.000,-- € zugrundegelegt. Anhaltspunkte, dass zulasten des Klägers erhebliche weitere Schäden in Zukunft zu erwarten seien, bestanden nicht.

IV.

Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

Zurück