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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 01.02.2006
Aktenzeichen: 6 U 164/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 522 Abs. 2
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 529
ZPO § 927
BGB §§ 320ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
6 U 164/05

Beschluss

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brinkmann, den Richter am Oberlandesgericht Dr. ter Veen, den Richter am Oberlandesgericht Hanenkamp

am 01.02.2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist erledigt.

Die Kosten tragen die Verfügungsbeklagten.

Streitwert der Berufung: 10.000,00 €.

Gründe:

I.

1.

Im vorliegenden Fall hat die Verfügungsklägerin und Berufungsbeklagte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, den Verfügungsbeklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Diese haben der Erledigungserklärung widersprochen, da aus ihrer Sicht der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung von Anbeginn an unbegründet war. Sie haben deshalb beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzuweisen, hilfsweise, die einstweilige Verfügung aufzuheben und die Kosten des Rechtsstreits der Verfügungsklägerin aufzuerlegen.

Das Gericht hat für den Fall einer einseitigen Erledigungserklärung der Klägerin, in der eine stets zulässige Beschränkung und Änderung des Klageantrages zu erkennen ist (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 91a Rn. 34 m.w.N.) und die auch noch in der Berufungsinstanz statthaft erscheint (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 91a Rn. 36 u. 37), grundsätzlich durch streitiges Sachurteil festzustellen (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 91a Rn. 45), ob der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, also ob die eingereichte Klage zulässig und begründet war (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 91a Rn. 44). Für den Fall, dass solches zu bejahen ist, und ein Rechtsmittel in der Berufungsinstanz gegen eine erstinstanzliche Entscheidung in der Sache unbegründet erscheint, sieht sich der Senat allerdings nicht gehindert, statt durch Urteil - nach mündlicher Verhandlung - im Wege des Beschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO die zu treffenden Feststellungen zu begründen. Denn die der Sachentscheidung durch Urteil innewohnende materielle Rechtskraft des Inhalts, dass die bis zur Erledigungserklärung anhängig gewesene Hauptsache gegenstandslos geworden ist (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 91a Rn. 44), kann ebenso durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO getroffen werden, weil nämlich der Beschluss an die Stelle des Berufungsurteils tritt und ebenso wie aus dem Letztgenannten auch aus dem Zurückweisungsbeschluss der Umfang der Rechtskraft herzuleiten ist (vgl. Zöller/Gummer/Heßler, a.a.O., § 522 Rn. 39).

2.

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen hat der Senat zur Gewährung rechtlichen Gehörs im Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf Folgendes hingewiesen:

a)

Der Senat beabsichtigt festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt und die bis zur Erledigungserklärung anhängig gewesene Hauptsache gegenstandslos geworden ist.

Das Erledigungsereignis ist eine Tatsache mit Auswirkungen auf die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit und Begründetheit der Klage. Für eine Erledigung ist von daher kein Raum, wenn die Klage bereits vor Eintritt des Erledigungsereignisses sich als unzulässig oder unbegründet dargestellt hat (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 91a Rn. 3 m.w.N.).

Vorliegend ist durch den von der Verfügungsklägerin angezeigten Umstand, dass sie unter dem 30.09.2005 aus den streitgegenständlichen Praxisräumen ausgezogen ist, objektiv ein erledigendes Ereignis eingetreten. Denn die ergangene einstweilige Verfügung untersagte es den Verfügungsbeklagten ohnehin nur der Verfügungsklägerin bis zum Ablauf des 30. September 2005 den Zutritt zu diesen Räumlichkeiten zu verwehren, hatte also für die danachliegende Zeit keine Bedeutung mehr.

b)

Der auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichtete Antrag stellte sich auch - entgegen der von den Verfügungsbeklagten vertretenen Ansicht - als zulässig und begründet dar. Das hat das Landgericht zutreffend erkannt; der Senat schließt sich den vom Gericht erster Instanz angestellten Erwägungen ausdrücklich an. Demgegenüber kommt der Berufungsbegründung der Verfügungsbeklagten kein abweichendes Gewicht zu.

Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Da beides nicht ersichtlich ist, hätte das angefochtene Urteil den Berufungsangriffen standgehalten.

aa)

Die Berufungsführer meinen, ihnen habe gegenüber der Verfügungsklägerin die Befugnis zugestanden, mit Schreiben vom 01.07.2005 anzudrohen, sie werde ihre jetzigen Praxisräume nicht mehr betreten dürfen, wenn sie den Praxisvertrag nicht binnen der ihr, der Verfügungsklägerin, gesetzten Frist bis zum 15.07.2005 als wirksam anerkenne, denn sie hätten angesichts der von der Verfügungsklägerin eingenommenen Haltung ihre Ansprüche auf Kostenausgleich möglicherweise nur aus ungerechtfertigter Bereicherung, nicht aber aus Vertrag erlangen zu können.

Damit können sie kein Gehör finden. Die Rechtsordnung gewährt den Verfügungsbeklagten keinen Schutzraum dafür, um mittels nötigenden Verhaltens (§ 240 StGB: Drohung, die Praxisräume nicht mehr betreten zu können, damit Gefährdung der beruflichen Existenz, um die Verfügungsklägerin zur Anerkennung der Wirksamkeit des Praxisvertrages zu zwingen) einen Vertragspartner zur Abgabe einer Willenserklärung zu zwingen, aus der sich für diese - vermeintlich - günstigere Rechtsverfolgungspositionen herleiten ließen.

bb)

Die Verfügungsbeklagten gehen weiter fehl, wenn sie meinen, die Verfügungsklägerin sei sogar verpflichtet gewesen, die Wirksamkeit des Praxisgemeinschaftsvertrages anzuerkennen, denn nur daraus habe sie einen Verfügungsanspruch schlüssig herleiten können.

Keine Partei kann der anderen im Rahmen der Freiheit der Parteienmaxime aufgeben, welche Rechtsposition sie zur Verfolgung bestimmter Rechtsansprüche einzunehmen hat oder nicht. Es ist Aufgabe des Gerichts, aus dem wechselseitigen Parteivortrag im Zivilverfahren festzustellen, ob der geltend gemachte Anspruch nach dem vorgetragenen Lebenssachverhalt zuzuerkennen oder abzuweisen ist. Dieser Funktion hat sich das Landgericht vorliegend gestellt. Auch wenn die Verfügungsklägerin die Wirksamkeit des Praxisvertrages in Abrede genommen und diesen für nichtig erachtet hat, so hat sie es doch mit ihrer mit Schreiben vom 15.06.2005 ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung mit einer Auslaufrist zum 30.09.2005 indirekt für möglich gehalten, dass der Gesellschaftsvertrag - so wie vom Landgericht zutreffend erkannt (vgl. Beschluss vom 11.07.2005, Bl. 3) - durch seinen Vollzug zunächst wirksam in Kraft gesetzt wurde und wegen eines Nichtigkeits- oder Anfechtungsgrundes nur mit Wirkung für die Zukunft vernichtbar war. Die Rechtsverfolgung der Verfügungsklägerin war daher weder widersprüchlich noch in sonstiger Weise treuwidrig.

cc)

Schließlich vermag auch der weitere Einwand der Verfügungsbeklagten nicht zu verfangen, das Landgericht habe es unterlassen zu prüfen, ob überhaupt ein Verfügungsgrund gegeben gewesen sei. Solches habe nur der Fall sein können, wenn die Notwendigkeit bestanden hätte, wesentliche Nachteile für die Verfügungsklägerin in ihrem status quo abzuwenden. Dies habe jedoch nicht angenommen werden können, denn ihnen, den Verfügungsbeklagten, sei es lediglich darum gegangen, im Rahmen einer notwendigen Abwehrreaktion Klarheit über die Wirksamkeit des Praxisgemeinschaftsvertrages zu schaffen.

Das Landgericht hat das Vorliegen eines Verfügungsgrundes zu Recht festgestellt . Denn aufgrund der mit Schreiben vom 01.07.2005 ausgesprochenen Androhung, die Verfügungsklägerin müsse damit rechnen, bei ausbleibender Erklärung zur Wirksamkeit des Praxisvertrages die Praxisräume nicht mehr betreten zu dürfen, musste diese ihr Nutzungsrecht aus § 5 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages ernstlich gefährdet sehen und damit auch die Grundlagen ihrer Berufsausübung, ohne dass den Verfügungsbeklagten ein Anspruch auf eine solche Rechtsverfolgung zustand.

c)

Auch dem Hilfsantrag der Verfügungsbeklagten kann kein Erfolg beschieden sein. Denn da sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat und damit die ursprünglich zulässige und begründete Klage bzw. der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegenstandslos geworden ist, bedarf es nicht zusätzlich einer Aufhebung der einstweiligen Verfügung nach § 927 ZPO.

3.

Die Verfügungsbeklagten haben im Weiteren eine außerhalb der ihnen eingeräumten gerichtlichen Frist liegende Stellungnahme abgegeben und diese mit ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ergänzt. Von einer Bescheidung dieses Antrags sieht der Senat ab, da er meint ohnehin gehalten sein, sich mit dem weiteren Sachvortrag der Verfügungsbeklagten zu befassen, weil die Fristsetzung nach § 522 Abs. 2 ZPO keine Ausschlusswirkung hat. Auch dieser ergänzende Vortrag kann den Verfügungsbeklagten - wie nachfolgend darzulegen ist - jedoch nicht zum Erfolg verhelfen.

a)

Der von den Verfügungsbeklagten angeführte Vergleich, sie hätten ohnehin ein berechtigtes Interesse daran gehabt, im Wege einer Feststellungsklage bzw. einer Zwischenfeststellungswiderklage die Wirksamkeit des Praxisgemeinschaftsvertrages gerichtlich feststellen zu lassen, weshalb nichts Unbilliges darin gelegen habe, von der Verfügungsklägerin die Erklärung zu verlangen, dass dieser Vertrag zumindest bis zum 30.09.2005 wirksam gewesen sei , trägt nicht. Hätten sie solches unternommen, hätte dies unter dem Schutz der Rechtsordnung gestanden und ein ordentliches Gericht hätte die Verfügungsklägerin höchstwahrscheinlich in dem erstrebten Sinne verurteilt. Stattdessen haben die Verfügungsbeklagten jedoch versucht - ohne den Rechtsweg zu betreten -, von der Verfügungsklägerin die entsprechende Erklärung abzufordern, und dies verknüpft mit der Maßgabe, im Falle ihrer Weigerung ihr den Zutritt zu den gemeinschaftlichen Praxisräumen zu verwehren. In dieser Nötigungshandlung aber liegt das Verwerfliche und zugleich der Grund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung, da der Verfügungsklägerin aufgrund des in Vollzug gesetzten Gesellschaftsvertrages ein Anspruch auf Nutzung der Geschäftsräume gegeben war.

b)

Ebenso führt auch der Hinweis der Verfügungsbeklagten auf die Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 320ff. BGB ins Leere, woraus sie herzuleiten suchen, der Verfügungsklägerin habe ob des Synallagmas der Leistungspflichten im gesellschaftsvertraglichen Verhältnis gar nicht die Berechtigung zugestanden, die Nutzungsmöglichkeit der Praxis zu fordern, da sie sich andererseits - ob ihrer Berufung auf die Nichtigkeit des Praxisvertrages - geweigert habe, die monatlichen Abschlagszahlungen in Höhe von 3.000,00 € sowie ihren zu erbringenden Anteil von 102.260,00 € zu leisten . Die Verfügungsbeklagten scheinen einem grundlegenden Missverständnis zu unterliegen über die ihnen von der Rechtsordnung gegebenen Möglichkeiten, sich Rechtsschutz zu verschaffen. Selbst wenn - aus welchen Gründen immer - die Verfügungsklägerin den ihr nach dem Gesellschaftsvertrag obliegenden Pflichten nicht nachgekommen sein sollte, so stand es doch den Verfügungsbeklagten nicht umgekehrt frei, die Verfügungsklägerin durch Verwehrung des Praxiszutritts der Möglichkeiten zu ihrer Berufsausübung zu berauben. Vielmehr hätten sie in diesem Falle ggf. selbst Rechtsschutz bei den Gerichten zugunsten der Wahrung ihrer Interessen erwirken müssen.

c)

Gegen die Verfügungsklägerin und den Erlass einer einstweiligen Verfügung durch das Landgericht vermögen die Antragsgegner weiter nicht anzuführen, die Antragstellerin habe sich widersprüchlich und entgegen den Grundsätzen von Treu und Glauben verhalten, indem sie einerseits den Zutritt zu den Praxisräumen durchzusetzen gesucht und sich zugleich auf die Nichtigkeit des Praxisgemeinschaftsvertrages berufen habe.

Die Verfügungsklägerin vermag insofern, was die von ihr vertretene Rechtsansicht angeht, nicht frei von Rechtsirrtümern oder Rechtsmissverständnissen gewesen sein. Die von ihr ausgesprochene außerordentliche Kündigung des Gesellschaftsvertrages zeigt indes, dass ihr sehr wohl bewusst gewesen oder geworden ist, welche rechtlichen Möglichkeiten ihr gegeben waren, sich aus dem Vertragsverhältnis zu lösen.

d)

Anders als von den Verfügungsbeklagten erkannt, war auch ein Verfügungsgrund gegeben und sie können sich nicht darauf berufen, sie hätten der Verfügungsklägerin das Nutzungsrecht an den Geschäftsräumen der Praxis nie streitig gemacht. Den Verfügungsgrund hat das Landgericht in dem angefochtenen Urteil ausdrücklich benannt, indem es auf das Schreiben der Verfügungsbeklagten vom 01.07.2005 und die darin ausgesprochene Androhung, die Praxisräume nicht mehr betreten zu dürfen, falls die Verfügungsklägerin die Wirksamkeit des Praxisvertrages nicht bis zum 15.07.2005 anerkenne, verwiesen hat. Die Verfügungsbeklagten wollen offenbar nach wie vor keine Einsicht dafür aufbringen, dass sie ihre Bereitschaft, die Praxisräume weiter nutzen zu lassen, mit der Forderung zur Abgabe einer rechtsgeschäftlichen Erklärung seitens der Verfügungsklägerin verknüpft haben, die sie aus ihrer Rechtsposition heraus nicht abzugeben bereit war und auch nicht freiwillig abgeben musste.

e)

Schließlich trägt auch nicht, wenn die Verfügungsbeklagten meinen, das Landgericht habe es unterlassen zu prüfen, ob der Erlass einer einstweiligen Verfügung im Rahmen einer Interessenabwägung geboten gewesen sei . Das Landgericht hat insoweit - zu Recht - erkannt, dass die Verfügungsklägerin es nicht hinnehmen müsse, den Zugang zu den Praxisräumen aus Gründen eines rechtsdogmatischen Streites verwehrt zu erhalten.

f)

Wenn auch der Senat meint, eine Lösung des Falles hätte naheliegender Weise im Recht des (Mit-)Besitzschutzes (§§ 861ff., 863 BGB) gefunden werden können (vgl. §§ 1,3 des Praxisgemeinschaftsvertrages), so ergibt sich doch aus den vorstehenden Erwägungen, dass (auch) die Begründung des Landgerichtes die gefundene Entscheidung trägt.

4.

Der vorliegende Rechtsstreit ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist ein Urteil des Berufungsgerichts nicht erforderlich (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 u. 3 ZPO n.F.).

II.

Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 91 ZPO (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 91a Rn. 47 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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